Die Siegermacht Großbritannien ging zwar geschwächt aus dem Zweiten Weltkrieg hervor, doch die Labour-Regierung wollte gegenüber den Großmächten USA und UdSSR nicht ins Hintertreffen geraten. Daher entschied Premierminister Clement Attlee, dass das Vereinigte Königreich eigene Nuklearwaffen entwickeln sollte. Die britische Führung hielt gemäß ihren Erfahrungen aus dem Krieg an dem Flugzeug als dem bestgeeigneten Trägermittel fest.
Zu diesem Zweck erstellte das britische Luftfahrtministerium im Januar 1947 die Spezifikation B.35/46, die einen Bomber forderte, der mit einer Waffenlast von 4500 Kilo-gramm aus einer Entfernung von 6400 Kilometern einen Angriff aus 14000 Metern Höhe fliegen konnte, um so die sowjetische Luftverteidigung zu überwinden. Das neue Flugzeug sollte die doppelte Geschwindigkeit und Dienstgipfelhöhe des damaligen Standardbombers der Royal Air Force, der propellergetriebenen Avro Lincoln, erreichen. Technologische Fortschritte, wie der Jetantrieb und die von deutschen Konstrukteuren erforschten neuen Flügelformen, dienten als Grundlage zum Erreichen dieser ehrgeizigen Ziele.
Verschiedene Entwürfe führten schließlich zum berühmten Trio der so genannten „V-Bomber“: der Avro Vulcan, der Handley Page Victor und der Vickers Valiant. Während die Valiant konventionell ausgelegt war und eher eine Übergangslösung darstellte, gingen Avro und Handley Page eigene Wege bei ihren Konstruktionen. Zwischen den beiden Traditionsfirmen entbrannte eine starke Rivalität im Wettbewerb um den lukrativen Großauftrag. Im Endeffekt sollten jedoch beide Maschinen beim Bomber Command der Royal Air Force eingeführt werden.
Versuchsflugzeuge für den Deltaflügel

Um die Vorgaben des Luftfahrtministeriums zu verwirklichen, verließ Avro-Designer Roy Chadwick die konventionellen Pfade des Flugzeugbaus und experimentierte mit der neuen Flügelform des Deltaflügels. Während andere Konstrukteure dabei auf ein konventionelles Höhenruder vertrauten, ging Chadwick mit dem Modell 698, der späteren Vulcan, ganz neue Wege. Um den Luftwiderstand und das Gewicht zu reduzieren, entschied er sich für einen schwanzlosen Deltaflügler. Der gigantische Flügel war an den Wurzeln 2,13 Meter dick und beinhaltete Triebwerke, Tanks und Fahrwerk. Zu diesem Zeitpunkt aber lagen die Flugeigenschaften eines solchen Fluggeräts vollkommen im Dunkeln. Um kein Risiko einzugehen, baute Avro vier Typ-707-Versuchsflugzeuge, die im Wesentlichen im Maßstab 1:3 verkleinerte Modelle der 698 waren. Die erste 707 flog bereits am 26. August 1949.
Während die kleinen Deltas mit den positiven Ergebnissen des umfangreichen Testprogramms das allgemeine Vertrauen in den Deltaflügel steigerten, lief die Konstruktion der Avro 698 Vulcan bereits auf Hochtouren, nachdem die englische Regierung im März 1949 einen Vertrag für den Bau von zwei Prototypen unterzeichnet hatte. Die geplanten Bristol-Olympus-Triebwerke waren jedoch nicht rechtzeitig einsatzbereit, so dass der erste Prototyp mit der Kennung VX770 mit vier schwächeren Rolls-Royce Avon R. A. 3 ausgerüstet wurde.
Vulcan demonstriert erstaunliche Flugeigenschaften

Am 30. August 1952 fand der Erstflug mit Avro-Cheftestpilot Wing Comman-der Roly Falk im englischen Woodford statt. Um dem Konkurrenzmuster Handley Page Victor zuvorzukommen, führte Falk die Vulcan auf der Luftfahrtschau in Farnborough 1952 eindrucksvoll vor, obwohl die Maschine erst drei Flugstunden auf dem Buckel hatte. Zum Erstaunen der Fachwelt flog er sogar eine Rolle mit dem großen Bomber. Später sagte Falk über das Muster: „Es hat einen komplett neuen Maßstab für die Wendigkeit eines Flugzeugs dieser Größe gesetzt.“
Der zweite Prototyp (VX777) folgte am 3. September 1953. Schon vor dem Erstflug hatte indes die Royal Air Force die Vulcan in Serienproduktion bestellt. Die erste Maschine aus der Fertigung, die Vulcan XA889, war mit Bristol-Olympus-Mk.-101-Triebwerken ausgerüstet und flog das erste Mal am 4. Februar 1955. Die Testpiloten des britischen Erprobungszentrums in Boscombe Down bemerkten aber bald, dass bei hohen Lastfaktoren in großer Höhe ein starkes Flattern auftrat, was Ausweichmanöver und genaue Bombenabwürfe unmöglich machte und zudem zu Ermüdungsbrüchen des Flügels führen konnte.
Die Ingenieure fanden aber bald eine Lösung für das Problem. Um die Flächenbelastung zu reduzieren, verringerten sie die ursprüngliche Flügelpfeilung bis zur Flügelmitte um zehn Grad auf 42 Grad, während sie weiter außen die eigentlichen 52 Grad beibehielten. Diese geknickte Flügelform entwickelte sich zum Markenzeichen der Vulcan, deren Erfolg nun nichts mehr im Weg stand.
Fast drei Jahrzehnte leistete der Deltabomber seine zuverlässigen Dienste bei der Royal Air Force. Die ersten von 45 gebauten Vulcan B Mk1 gingen ab 1956 an die No. 230 OCU (Operational Conversion Unit) und an die No. 83 Squadron im Juli 1957. Die Umrüstung auf den neuen Typ war 1960 abgeschlossen, als die 101. und die als „Dambusters“ bekannte 617. Staffel ihre Vulcans erhielten.
Einsatz im Tiefflug

Mittlerweile war jedoch das stärkere Olympus-301-Triebwerk verfügbar, das in der neuen B-Mk-2-Variante Anwendung fand. Diese neue Version hatte eine größere Spannweite und diente als Träger der ebenfalls von Avro entwickelten Abstandswaffe Blue Steel, die eine Reichweite von rund 160 Kilometern und eine Geschwindigkeit von Mach 2.5 erreichte. Die erste B Mk 2 aus der Produktion (XH533) flog bereits am 30. August 1958. Rund zwei Jahre später begann die Auslieferung der ersten Maschinen an die 83. und die 101. Staffel, die ihre Vulcan B Mk 1 wiederum an die No. 44 und 61 Squadron abgaben. Die Blue-Steel-Träger erhielten die Bezeichnung B Mk 2A.
Eine weitere Waffe sollte 1960 mit der Douglas GAM-87A Skybolt ins Arsenal kommen. Noch während der Erprobung stornierte die Regierung jedoch 1962 das Programm der Nuklearrakete. Das Einsatzspektrum der Vulcan änderte sich nämlich im Verlauf ihrer Karriere mehrmals. Der Absturz der von Gary Powers gesteuerten Lockheed U-2 über dem Gebiet der UdSSR im Mai 1960 zeigte, dass die sowjetische Luftabwehr nicht durch Flüge in großer Höhe überwunden werden konnte. Die ersten Vulcan-Besatzungen begannen daher 1963 mit dem Tiefflugtraining. Hier kam dem Deltabomber seine außergewöhnliche Manövrierbarkeit und seine Robustheit besonders zugute.
Feuertaufe bei „Black Buck“

Mit der Einführung von mit Polaris-Nuklearraketen ausgerüsteten U-Booten bei der Royal Navy als Hauptabschreckungselement der britischen Verteidigungspolitik wandelte sich die Rolle der Vulcan zum konventionellen Bomber. Später setzte das RAF Strike Command den Deltaflügler sogar als Aufklärer und Tanker ein. Neun Maschinen erhielten als B Mk 2MRR zu Seeüberwachungszwecken eine zusätzliche Navigationsausrüstung, während sechs Vulcans während des Falklandkriegs kurzerhand zu K2-Tankern umfunktioniert wurden.
In jenem Konflikt konnte die Delta-Legende kurz vor ihrem Ruhestand noch einmal ihre Fähigkeiten beweisen. In der Operation „Black Buck“ griffen einzelne Vulcans den Flughafen Port Stanley sowie argentinische Radarstellungen auf den Falklands von der über 6000 Kilometer entfernten Insel Ascension aus an. Zur Luftbetankung während der 16-stündigen Einsätze dienten mehrere Victor-Tanker, fast die gesamte Tanker-Flotte der Royal Air Force. Zu diesem Zeitpunkt stand der Deltajet schon kurz vor der Außerdienststellung. Als entsprechend schwierig erwies es sich, für die Mission geeignete Maschinen zu finden. Zudem hatten die Besatzungen die Luftbetankungsanlagen lange nicht genutzt, die dann teilweise nicht funktionierten. Schließlich konnten die Mannschaften insgesamt fünf Bomber aus den verbliebenen drei Staffeln (44, 55, 101 Squadron) Maschinen einsatzklar machen. Vier davon erhielten elektronische Störbehälter, die sonst an der Buccaneer flogen.
Angriff auf die Falklandinseln
Am 29. April starteten schließlich die zwei Vulcans XM598 und XM607 von Waddington in Richtung Wideawake auf Ascension. Nur einen Tag später begann die Mission „Black Buck 1“ mit dem Start der beiden Bomber. Die XM598 war als Primärflugzeug auserkoren, musste aber nach dem Start aufgrund technischer Probleme wieder nach Ascension zurückkehren. Damit blieb die Besatzung der XM607 auf sich alleine gestellt. Auf dem Hinweg mussten sie sieben Mal tanken, dafür kamen neun Victor zum Einsatz. Die enorme Distanz bedeutete, dass die Tanker wiederum selbst in der Luft betankt werden mussten – ein Alptraum für jede Missionsplanung.
Die Vulcan näherte sich nachts im Tiefflug den Falklandinseln, aber kurz vor dem Ziel stieg sie in eine Höhe von 3000 Metern, um die örtliche Luftabwehr zu umgehen. Sie warf 21 konventionelle 453-Kilogramm-Bomben und erzielte direkte Treffer, obwohl das veraltete Bombenzielgerät für eine solche Genauigkeit gar nicht ausgelegt war. Nach dem erfolgten Angriff machte sich die einzelne Vulcan auf den Rückweg, verpasste aber ein Rendezvous mit den fliegenden Tankstellen. Erst eine für Notfälle bereitgestellte Nimrod konnte mit ihrem Suchradar die XM607 zu einer Victor lotsen.
Insgesamt sollte es bis zum 11. Juni zu sieben Missionen kommen, die jedoch nicht alle durchgeführt werden konnten. Trotzdem hatte die Vulcan noch einmal ihre Leistungsfähigkeit gezeigt. Am 31. März 1984 stellte die Royal Air Force die letzte der insgesamt 136 in Woodford gebauten Vulcans offiziell außer Dienst. Die Zeiten, in denen man eine Vulcan am Himmel bestaunen konnte, scheinen leider endgültig vorbei. In Form der XH558 konnte man den mächtigen Deltabomber zwar von 2007 bis 2015 wieder live auf Flugshows erleben, doch auch diese Maschine ist seit dem 28. Oktober 2015 nicht mehr in der Luft gewesen. Sie fristet ihr Rentnerdasein heute in Doncaster, wo sie künftig als Highlight in einem neuen Besucherzentrum fungieren soll. In jedem Fall ist und bleibt die Vulcan eines der eindrucksvollsten und lautesten Flugzeuge der Welt.
Technische Daten
Avro Vulcan B Mk 2
Hersteller: A. V. Roe and Co. Ltd., Woodford
Verwendung: strategischer Bomber
Besatzung: 5 (Pilot, Copilot, Navigator, Radar- und Elektronikoffizier)
Triebwerk: 4 Bristol Olympus 301
Leistung: je 88,88 kN
Länge: 30,45 m
Höhe: 8,28 m
Spannweite: 33,83 m
Flügelfläche: 386,26 m²
maximale Startmasse: 113400 kg
Höchstgeschwindigkeit: 1038 km/h
Dienstgipfelhöhe: 19810 m
Reichweite: 7400 km
Bewaffnung: 9500 kg Bombenlast im internen Waffenschacht oder halbversenkter Blue-Steel-Flugkörper unter dem Rumpf