Melli Beese: Deutschlands erste Pilotin starb vor 100 Jahren

100. Todestag von Flugpionierin Melli Beese
Deutschlands erste Pilotin und ihr Kampf um Anerkennung

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ArtikeldatumVeröffentlicht am 21.12.2025
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Luftfahrtpionierin Melli Beese in ihrem Flugzeug Rumpler-Taube 1911
Foto: Gemeinfrei

Ein sonniger Tag im Landschaftspark Johannisthal. Ich schaue in die Wolken und stelle mir vor, wie sie dort oben selig ihre Runden drehte. Und wie die Männer unten am Flugplatz missmutig ihren Blick hoben und fast schon darauf hofften, dass sie vom Himmel fiel. Aber Melli Beese tat ihnen diesen Gefallen nicht. Sie flog unverdrossen weiter, machte ihre Prüfung und wurde Deutschlands erste Pilotin. Hier im Berliner Süden, am einstigen Flugplatz Johannisthal, hat sich all das zugetragen. Im Jahr 1911. So richtig glücklich sollte die Pionierin danach aber nicht mehr werden: 14 Jahre später – vor genau 100 Jahren – nahm sie sich das Leben.

Der Weg zur Fliegerei

Geboren wurde sie 1886 als Amelie Hedwig Boutard-Beese rund 200 Kilometer weiter südlich von Berlin, in Laubegast bei Dresden. Sie war die einzige Tochter eines Architekten. Ihre Eltern waren wohlhabend und förderten die begabte Tochter auf allen Gebieten. Von 1906 bis 1909 studierte sie Bildhauerei an der Königlichen Akademie der freien Künste in Stockholm. In Schweden erwachte eine große Leidenschaft in ihr: das Hochseesegeln. Ausgesprochen fasziniert war sie aber auch von den Berichten und technischen Fortschritten auf dem Gebiet der damals noch sehr jungen Aviatik. So las und sammelte sie alles über die Flugversuche der Brüder Wright. Als sie Ende 1910 nach Deutschland zurückkehrte, besuchte sie am Technikum Dresden Vorlesungen in Mathematik, Mechanik, Schiffbau und Flugmechanik. Noch im gleichen Jahr suchte sie auf dem Flugplatz Johannisthal einen Fluglehrer und sprach dafür zunächst bei den Albatros-Flugwerken vor. Von dort schickte man sie zu den Wright-Flugzeugwerken weiter – wegen "mangelnder Erfahrung mit weiblichen Schülern". Bei der "Flugmaschine Wright GmbH" hatte bereits die Ballonfahrerin Käthe Paulus ein paar Flugstunden genommen. Fluglehrer Paul Engelhard weigerte sich jedoch, noch einmal eine Frau zu unterrichten – er schickte Beese weiter zur "Ad Astra", einer ebenfalls in Johannisthal ansässigen frühen Fluggesellschaft, die auch Piloten ausbildete und bis 1912 existierte. Deren Fluglehrer Robert Thelen erklärte sich endlich bereit, Beese als Schülerin anzunehmen.

Luftfahrtpionierin Melli Beese in ihrem Flugzeug Rumpler-Taube 1911
Gemeinfrei

Ausbildung unter männlichen Anfeindungen

In den 1910er Jahren wurde nur geflogen, "wenn ein entfaltetes, in die Luft gehaltenes Taschentuch sich nicht bewegt". Flugschüler saßen deshalb manchmal wochenlang in den Hallen des Flugplatzes und warteten, bis sich eine Gelegenheit ergab. Melli Beese musste sich aber noch mit ganz anderen Problemen herumplagen: mit dem zeitgenössischen Männlichkeitswahn. Ihre "Kameraden" sahen in ihr eine unwillkommene Konkurrentin und versuchten, ihr Fliegen zu verhindern. Fluglehrer Thelen war da leider keine Ausnahme. Erst nachdem Beese ihn zur Rede gestellt hatte, durfte sie erstmals mit ihm aufsteigen – in einem Wright-Doppeldecker. Am Abend des 12. Dezember 1910 sprang bei einem ihrer wenigen Flüge eine Antriebskette von der Motorwelle. Thelen und Beese gingen im Gleitflug aus 20 Metern Höhe recht hart zu Boden, Beese brach sich dabei den Knöchel. Gegen die Schmerzen wurde sie mit Morphin behandelt, was eine lebenslange Abhängigkeit auslöste. Einige Tage nach dem Unfall starb auch noch ihr Vater. Schon im Januar 1911 kehrte Beese trotzdem nach Johannisthal zurück. Für den als abergläubisch geltenden Robert Thelen war ihre Bruchlandung allerdings der Beweis, dass "Frauen im Flugzeug eben Unglück bringen". Er weigerte sich, sie weiter zu unterrichten. Ihr Schulungsvertrag wurde daraufhin in mehr oder weniger beiderseitigem Einvernehmen aufgehoben.

Arbeit für die Rumpler-Werke

Anfang Juli 1911 unterschrieb Melli Beese einen Schulungsvertrag bei den Rumpler-Werken. Hellmuth Hirth, Fluglehrer und älterer Bruder der späteren Segelflug-Legende Wolf Hirth, war von der Idee ebenfalls wenig begeistert – gab jedoch dem Druck der Rumpler-Direktion nach, die sich durch eine weibliche Werkspilotin eine gewisse Publicity versprach. Beese hatte trotzdem mit der negativen Einstellung Hirths zu kämpfen: Jedes Mal, wenn sie eigentlich an der Reihe war, saß bereits ein anderer Schüler im Flugzeug oder vermeintliche "technische Probleme" verhinderten den Flug. Einmal wurde gar ihr Flugzeug sabotiert – die gelöste Verspannung der Tragflächen hätte vermutlich einen Absturz zur Folge gehabt, wenn Beese dies nicht sofort nach dem Abheben bemerkt hätte und wieder gelandet wäre. Hellmuth Hirth tat den Vorfall als "Streich von Männern" ab, "einer Frau gespielt, die unerlaubt in ein Männern vorbehaltenes Revier eingedrungen ist".

Ohne wirklich ausreichende Flugerfahrung meldete sich Beese schließlich ein erstes Mal zur Prüfung an. Letztere bestand aus drei geschlossenen Rundflügen von mindestens fünf Kilometern Länge. Nach jedem Flug musste vorschriftsmäßig gelandet und der Motor ausgeschaltet werden. Die Landung hatte punktgenau, bei einer Toleranz von maximal 150 Metern, zu erfolgen. Doch die erste Prüfung endete fast mit einem Unfall: Kaum war Melli Beese in der Luft, setzte der Motor aus. Sie leitete sofort die Landung ein – und musste danach feststellen, dass diesmal der Benzintank sabotiert worden und Benzin ausgelaufen war. Sie berichtete den Vorfall damals aber nicht, er wurde erst in ihrer Autobiografie erwähnt. Danach meldete sie sich erst wieder zur Prüfung an, als der Unterricht wegen der Abwesenheit von Hellmuth Hirth einmal ausfiel. Am 13. September 1911, ihrem 25. Geburtstag, stieg sie in den frühen Morgenstunden mit der Rumpler-Taube auf und flog die vorgeschriebenen Runden und Figuren. Ihre Sportzeugen waren anerkannte Fluglehrer in Johannisthal, Ellery von Gorrissen und Cornelius Hintner. Und noch bevor die anderen Flugschüler auf dem Flugplatz eintrafen, hielt Melli Beese bereits die Flugzeugführerlizenz Nummer 115 in ihren Händen – als erste Frau Deutschlands.

Luftfahrtpionierin Melli Beese vor ihrem Flugzeug "Rumpler-Taube" am 27. Juli 1911
AP

Erste Wettbewerbe und Rekorde

Beese hatte mit Edmund Rumpler, dem Besitzer der Rumpler-Werke, vertraglich vereinbart, an den Johannisthaler Herbstflugwochen für ihn zu starten, wenn sie rechtzeitig die dazu nötige Fluglizenz erwerben würde. Diese Voraussetzung war nun geschaffen. Doch zwei der Meisterflieger, Josef Suvelack und Hans Vollmöller, drohten dem Konstrukteur, dass sie nicht starten würden, wenn eine Frau im Werksteam mitfliege. Bevor Beese zu einem Flugzeug kam, musste erst Flugplatzdirektor Georg von Tschudi bei Rumpler intervenieren, der im Vorfeld der Flugwochen mit der Anwesenheit einer Frau für seinen Anlass geworben hatte – und der nun um seine Attraktion fürchtete. Melli Beese durfte also starten – und nutzte ihre Chance: Unter 24 Teilnehmern erreichte die unerfahrene Fliegerin mit ihrer Rumpler-Taube den 5. Rang. Nach dem vierten Tag hatte sie sogar auf Rang 2 gelegen, am fünften Tag durfte sie dann aber nicht starten, weil wegen des schlechten Wetters "das Fliegen nunmehr einer Frau wirklich nicht mehr zuzumuten" sei. Bei demselben Anlass stellte sie mit zwei Stunden und neun Minuten einen neuen Dauerweltrekord für Frauen auf. Am 27. September 1911 gelang Beese beim Flug mit einem Passagier mit 825 Metern auch ein neuer Höhenweltrekord für Frauen – der alte hatte bei 400 Metern gelegen. Melli Beese fing an, sich einen Namen zu machen.

Anzeige für die Flugschule Melli Beese aus 1913
Gemeinfrei

Gründung der "Flugschule Melli Beese GmbH"

Im Jahr 1912 gründete sie, wahrscheinlich finanziell unterstützt vom Fabrikanten Karl August Lingner, gemeinsam mit Charles Boutard und Hermann Reichelt die "Flugschule Melli Beese GmbH". Reichelt brachte einen seiner selbst gebauten Eindecker mit, Boutard stellte einen ebenfalls selbst konstruierten Eindecker zur Verfügung. Beese benutzte ihre alte Rumpler-Taube als Schulflugzeug. Bei dieser viel beachteten Gründung ihrer Flugschule kritisierte Beese das bisherige Ausbildungssystem scharf: "Auf mannigfache Anregung hin habe ich mich entschlossen, auf dem Flugplatz Johannisthal eine eigene Flugschule zu errichten. Ich bin dabei von der Erwägung ausgegangen, dass es an der Zeit ist, den in vielen Beziehungen ungeregelten Zuständen in manchen Flugschulen dadurch ein Ende zu machen, dass ein wirklich ordnungsgemäßes und straff geordnetes Institut die Ausbildung zum Flieger nach festgesetzten Grundsätzen übernimmt. Vor allem soll der Unterricht schnell erfolgen, und zwar (...) auf Maschinen verschiedener Gattung (...). Da ich einerseits unter allen Umständen nur eine beschränkte Anzahl von Schülern annehmen will und mir andererseits drei Maschinen und drei Fluglehrer zur Verfügung stehen, so wird der fast überall eingerissene Übelstand entfallen, dass die Schüler Wochen und Monate auf dem Flugplatz verweilen, ohne überhaupt zum Fliegen zu kommen." Von den Schwierigkeiten, die das Fliegen speziell für Frauen zu jenem Zeitpunkt mit sich brachte, erwähnte sie nichts. Von Januar 1912 bis April 1914 durchliefen bei ihr 16 Flugschüler erfolgreich die fliegerische Ausbildung. Neben der Flugschule machten sich Beese und ihre Teilhaber daran, die Rumpler-Taube nachzubauen. Bald schon konnten sie die Beese-Taube aus eigener Produktion zu einem günstigen Preis von 12 000 Mark anbieten. Darüber hinaus plante sie die Konstruktion eines Flugbootes. Am 25. Januar 1913 heiratete Melli Beese in Berlin ihren Teilhaber Charles Boutard und nahm dabei auch die französische Staatsbürgerschaft an. Das Paar zog in eine Villa in der Nähe des Flugplatzes Johannisthal um.

Einbruch des Krieges und Verlust der Existenz

Als der Erste Weltkrieg sich abzuzeichnen begann, erhielten vor allem die großen Flugzeugwerke staatliche Förderungen. Beese und Boutard setzten all ihre Hoffnungen auf ihr Flugboot, das sie für eine im August 1914 in Warnemünde stattfindende Veranstaltung anmeldeten. Das fertige Flugzeug lag bereits an der Warnow in Mecklenburg-Vorpommern, als am 1. August 1914 der Krieg begann und Melli Beese und ihr Mann wenig später als "feindliche Ausländer" verhaftet wurden. Das Flugboot wurde von den Behörden zerstört. Mit Kriegsbeginn mussten Beese und Boutard auch ihre gut gehende Fabrik und ihre Flugschule schließen. Sie durften den Flugplatz und ihre Flugschuppen sowie die Fabrik nicht mehr betreten. Charles Boutard wurde interniert, Melli Beese unter Hausarrest gestellt. Nachdem ihr Mann vorläufig zurückkehren durfte, wurde das Paar in der brandenburgischen Kleinstadt Wittstock/Dosse interniert. Isoliert, ohne Arbeit und von Wachposten misstrauisch beäugt, erkrankten zu allem Überfluss beide an Tuberkulose. Melli Beese konsumierte in dieser Zeit verstärkt Morphium.

Porträt der Luftfahrtpionierin Melli Beese
Gemeinfrei

Beese steht vor dem Nichts

Nach Ende des Ersten Weltkrieges kehrte sie nach Johannisthal zurück. Ihre Flugzeugschuppen waren geräumt und ihre Flugzeuge demontiert worden. Die Aufstellung von Luftstreitkräften und auch der Motorflug an sich wurde den Deutschen im Versailler Vertrag im Jahr 1919 verboten und Beese stand vor dem finanziellen Nichts. Boutard wurde nach Frankreich gebracht, wo er sich auch noch dafür rechtfertigen musste, dass er während des Krieges in Deutschland geblieben war. Beese bemühte sich, von der Regierung eine Entschädigung für ihre Fabrik und für ihre Flugzeuge zu erhalten. Immerhin das klappte. Das erhaltene Geld investierte sie – doch die Automobilfirma, die sie unterstützte, ging pleite. Noch gab die längst morphiumsüchtige und seelisch und körperlich sicherlich angeknackste Frau nicht auf. Gemeinsam mit dem wieder zurückgekehrten Charles Boutard plante sie, mit zwei Flugzeugen um die Welt zu fliegen. Lange mussten die beiden nach Geldgebern für ihr Unternehmen suchen. Zwar erklärten sich die Fokker-Werke bereit, ihnen eine ausgediente Kriegsmaschine zur Verfügung zu stellen, das Projekt scheiterte aber letztlich doch an einer unzureichenden Finanzierung.

1925 musste Beese ihre Fluglizenz erneuern. Sie machte dabei eine Bruchlandung, die sie unverletzt überstand. Und trotzdem: Ihr zuvor unerschütterlicher Kampfgeist war nun offenbar gebrochen. Sie lebte damals – mittlerweile getrennt von ihrem Ehemann – in einer Pension. Am 21. Dezember 1925 nahm sie dort eine Pistole in die Hand und erschoss sich. Zuvor hatte sie noch die Worte "Fliegen ist notwendig – Leben nicht" auf einen Zettel geschrieben – eine offensichtliche Paraphrase des alten Seefahrerspruches "Seefahrt tut not, Leben nicht". Nähere Gründe für ihren Freitod sind nicht bekannt. Wahrscheinlich hatten der permanente Kampf gegen all die Widerstände und auch die regelmäßige Einnahme des Morphiums der einstmals so energiegeladenen Frau am Ende doch die Kraft genommen.

Ehrengrab für die erste deutsche Motorfliegerin

Nachdenklich klappere ich noch ein paar weitere Melli-Beese-Orte in Johannisthal ab. Ich fahre durch die Melli-Beese-Straße und statte auch der Melli-Beese-Grundschule am Rande des einstigen Flugplatzgeländes einen kurzen Besuch ab – kurioserweise an der Engelhardstraße gelegen, benannt nach einem jener Fluglehrer, die sich seinerzeit geweigert hatten, Melli Beese das Fliegen beizubringen. An Beeses einstigem Wohnhaus und Flugschul-Büro, einer Villa am Sterndamm, betrachte ich eine ihr gewidmete Gedenktafel. Wenigstens ihre Nachwelt scheint sich der Bedeutung dieser Frau bewusst zu sein. Ganz am Ende fahre ich noch zum Friedhof Berlin-Schmargendorf. Hier wurde Melli Beese begraben. Seit den 70er Jahren handelt es sich ganz offiziell um eine Berliner Ehrengrabstätte. Als "erste deutsche Motorfliegerin" wird sie hier gewürdigt. Zwei Eiben stehen links und rechts des Grabsteins. "Man müsste die Bäumchen mal wieder ein bisschen beschneiden, sonst ist von der Inschrift bald nichts mehr zu sehen", sagt eine ältere Dame, die mir auf der Suche nach dem Grab behilflich war. Dann erst fällt unser Blick auf den kleinen Flieger zu unseren Füßen, selbst gebastelt aus dem Blech einer Bierdose. "Das ist doch toll", findet die Frau. "So ganz vergessen hat man die Melli offenbar noch nicht. Auch nicht nach hundert Jahren."