Überschalljäger Convair F-102 Delta Dagger

Mit Wespentaille zum Erfolg
Überschalljäger Convair F-102 Delta Dagger

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Zuletzt aktualisiert am 19.09.2018

Überschalljäger Convair F-102 Delta Dagger

Heute alltägliche Neuerungen der Convair F-102 Delta Dagger wie Bordradar, Nachbrenner und die Anwendung der aerodynamischen Flächenregel klangen Ende der 40er Jahre noch wie Zukunftsmusik. Zu diesem Zeitpunkt schlug ein Gremium der US Air Force einen Wettbewerb für einen Allwetter-Abfangjäger als Antwort auf die als Bedrohung angesehenen Jetbomber der Sowjetunion vor. Das Projekt mit dem Titel „Interceptor 1954“ sah einen überschallschnellen Jet mit reiner Raketenbewaffnung vor, der spätestens im Jahr 1954 einsatzbereit sein sollte. Die amerikanischen Luftstreitkräfte nahmen den Vorschlag am 4. Februar 1949 an. Allerdings wichen die Offiziellen von der bisherigen Vorgehensweise ab: Erst sollte ein Feuerleitsystem entwickelt werden, dann das Flugzeug. Die Bestellung für die Elektronikausrüstung ging 1950 an Hughes. Am 11. September 1951 vergab die Air Force den Auftrag MX-1554 für die Flugzeugplattform an Convair mit deren Entwurf XF-102.

Die aus Consolidated und Vultee entstandene Firma setzte sich so gegen Lockheed und Republic durch und hatte bereits im Vorfeld ausgiebige Forschungen bezüglich möglichen Deltaflüglern betrieben. Spezialisten verschafften sich nach Kriegsende in Deutschland einen Überblick über die dortigen Forschungen. Als Folge von Besprechungen mit dem deutschen Deltaflügelpionier Alexander Lippisch und einiger Windkanalversuche entstand das Projekt P-92 mit Staustrahltriebwerk und im Lufteinlauf untergebrachtem Pilot. Die XP-92 erblickte aber nie das Tageslicht. Stattdessen wurde sie in geänderter Form als Versuchsflugzeug XF-92A realisiert. Der Jungfernflug erfolgte in Muroc, der späteren Edwards Air Force Base, am 18. September 1948. Der Jet diente noch bis 1953 zu Forschungszwecken, die auch dem neuen Deltajäger zugute kamen.

Zwischenlösung mit Problemen

Die Serienversion F-102A war jedoch nur als Zwischenlösung bis zur Serienreife einer verbesserten Variante mit der Bezeichnung F-102B gedacht, aus der später die F-106 Delta Dart werden sollte. Aber schon der eigentliche Lückenfüller bereitete den Ingenieuren Kopfzerbrechen. Das Feuerleitsystem (Auftragsname MX-1179) verursachte aufgrund seiner Komplexität viele Probleme, bis sich die Designer schließlich auf die abgespeckte Version E-9 verlegten. Auf der fliegerischen Seite war noch vor dem Erstflug klar, dass die YF-102 nicht die geforderten Leistungen erreichen würde.

Die Ergebnisse der Windkanalversuche blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Aufgrund des hohen Luftwiderstands konnte die projektierte Reichweite nicht eingehalten werden. Die XF-102 sollte ursprünglich von einem Westinghouse J40 angetrieben werden. Da das Gewicht jedoch ständig zunahm, mussten die Konstrukteure schließlich auf das stärkere J57-Triebwerk von Pratt & Whitney zurückgreifen. Trotz der Probleme bauten die Kalifornier in San Diego zwei YF-102-Prototypen, bei denen es sich im Wesentlichen um eine vergrößerte F-92 in der Rate 1,22:1, jedoch mit schlanker Nase und seitlichen Lufteinlässen, handelte.

Aerodynamische Entdeckung bringt Rettung

Nach dem Transport des ersten Prototyps (Kennung: 52-7994) zur Edwards AFB startete ihn dort Richard Johnson am 24. Oktober 1953 zum Erstflug, aber die Schwierigkeiten nahmen kein Ende. Neun Tage später machte der Deltaflügler aufgrund eines Triebwerkausfalls eine Bruchlandung. Tests mit dem zweiten Prototypen (52-7995), der seinen Jungfernflug am 11. Februar 1954 absolviert hatte, zeigten außerdem, dass die Maschine außer im Sinkflug nicht überschallfähig war. Dabei wollte die US-Führung angesichts der damals angespannten politischen Weltlage die Einführung der Delta Dagger mit einer geforderten späteren Fertigungsrate von 50 Maschinen pro Monat eigentlich beschleunigen. Insgesamt war der Bau von 40 Serienmaschinen geplant, während die Erprobung noch lief. Nachträgliche Modifikationen sollten eventuelle im Testprogramm festgestellte Mängel ausbügeln.

Die Rettung kam in Form von Windkanalversuchen des National Advisory Committee for Aeronautics (NACA, der Vorgänger der NASA). Die 1952 in Langley Field, Virginia, durchgeführten Tests zeigten die Vorteile der Anwendung der Flächenregel, die unter anderem der Aerodynamiker Richard Whitcomb entdeckt hatte. Im Bereich des schallnahen und des Überschallflugs ist nämlich der Widerstand eines Flugzeugs stark von dessen Querschnittsverteilung abhängig. Daher kann ein Rumpf mit Wespentaille, das heißt einer Einschnürung im Bereich der Tragflächen den Luftwiderstand erheblich reduzieren. Die erzeugten Expansions- und Kompressionswellen von Rumpf und Flügel heben sich vereinfacht ausgedrückt weitestgehend auf, und der Gesamtquerschnitt entlang des Flugzeuges bleibt annähernd konstant.

Flugleistungen erheblich verbessert

Convair arbeitete schließlich mit Hochdruck an den nötigen Modifikationen. Nur 117 Tage später rollte die erste „neue“ F-102 aus der Halle. Der verlängerte Rumpf ähnelte von der Form her einer Cola-Flasche. Die aerodynamisch notwendigen Ausbuchtungen am Heck führten inoffiziell zum Namen „Marylin“, zu Ehren der Schauspielerin Marylin Monroe. Bei der Gelegenheit hatten die Ingenieure auch gleich eine neue Cockpitverkleidung eingeführt.

Am 20. Dezember 1954 war es so weit: Die erste von vier YF-102A (53-1787) hob von der Piste ab. Schon beim zweiten Flug erreichte sie ohne Probleme die Geschwindigkeit von Mach 1.2. Im Inneren hatte das Feuerleitsystem E-10 das einfachere, in der Northrop F-89H Scorpion verwendete E-9 ersetzt. Das System mit der Serienbezeichnung MG-10 führte das Flugzeug mit einer Kopplung zum Autopiloten automatisch an das abzufangende Ziel heran. Die Bewaffnung, bestehend aus insgesamt sechs Raketen Hughes-AIM-4 Falcon, fand in drei Waffenschächten hintereinander im unteren Rumpf Platz.
Die erste Serienmaschine (53-1791) startete am 24. Juni 1955, aber noch ohne Ausrüstung. Um die verlorene Zeit wieder aufzuholen, dienten zeitweise bis zu 45 Flugzeuge zu Testzwecken. Die Versuche zeigten, dass weitere Änderungen notwendig waren. Die 23. gebaute Maschine besaß ein um 87 cm auf 3,51 m vergrößertes Leitwerk für eine bessere Seitenstabilität (wurde Standard ab der 66. Maschine). Die Designer führten im Oktober 1957 eine Tragfläche mit nach unten gezogenen Spitzen ein. Außer dem Seitenruder befanden sich hier mit vier so genannten Elevons alle Steuerflächen.

1000 Jets gebaut

Die letzte von insgesamt 1000 Maschinen verließ im April 1958 die Montagehalle in San Diego. Darunter befanden sich neben 875 F-102A auch 111 Trainer der Version TF-102A mit nebeneinander angeordneten Sitzen. Der erste Doppelsitzer (54-1351) flog am 31. Oktober 1955. Einige Monate später, im April 1956, übernahm die 327th Fighter Interceptor Squadron (FIS) auf der George AFB die ersten Einsitzer. Die als Lückenbüßer gedachte Delta Dart flog ganze 17 Jahre bei insgesamt 32 Staffeln des Air Defense Command und war ebenfalls bei fünf Staffeln der Pazifikluftflotte in Dienst.

Sechs Einheiten waren auch in Europa stationiert, darunter die 496th FIS in Hahn, die 525th FIS in Bitburg und die 526th FIS in Ramstein. Erstmals in Europa vorgestellt wurde die F-102A am 19. Februar 1959 in Bitburg. In Vietnam flog der Deltajäger ab 1962 und diente zur Luftraumüberwachung und Verteidigung der US-Stützpunkte. Aufgrund der eher taktischen Natur des Kriegs in Südostasien und der strategischen Ausrichtung der F-102 blieb der Einsatz recht beschränkt.

Zudem begannen neuere Muster, den Abfangjäger zu verdrängen. Folglich kamen in den 60er Jahren immer mehr Maschinen zur Air National Guard, die insgesamt 25 Staffeln mit dem Delta ausrüstete. Die erste Einheit war bereits im Juli 1960 die Texas ANG. Die Ehre, die letzte reguläre F-102-Einheit der USAF gewesen zu sein, geht an die 57th FIS in Island, die ihre Deuces, wie die F-102 auch von ihren Piloten genannt wurde, am 1. Juli 1973 gegen die McDonnell Douglas F-4C Phantom austauschte. Die Nationalgarde gab mit der 199th FIS auf der Hickham AFB im Januar 1977 ihre letzten Daggers ab.
Die Karriere der F-102 war damit aber nicht zu Ende. Griechenland (20 Einsitzer und sechs Doppelsitzer) und die Türkei (35 F-102A, acht TF-102A) hatten gebrauchte Maschinen übernommen, die sie jeweils noch bis 1979 flogen. Und selbst in den 80er Jahren war die Delta Dagger noch in den USA präsent. Die letzte von Sperry zu einer Drohne mit der Bezeichnung PQM-102A umgerüstete Zieldrohne wurde im Jahr 1986 abgeschossen.

FLUG REVUE Ausgabe 05/2004