„Auftauchen!“ Langsam kommt der Turm des amerikanischen U-Boots an die Oberfläche. Die geheimen Koordinaten mitten im Ozean stimmen genau. Angestrengt sucht der Maat mit dem Fernglas den Horizont ab. Da! Ein kleiner Punkt dicht oberhalb der Wasseroberfläche nähert sich schnell. Ein großes Flugboot mit schlankem Rumpf und riesigem T-Leitwerk schießt fast mit Überschallgeschwindigkeit über den Seemann hinweg. Gleich wird es wenden und zur Landung ansetzen, damit das Boot es mit Treibstoff versorgen kann. Keine Szene aus einem neuen James-Bond-Film, sondern Realität Ende der 50er Jahre – hätte die Politik der „Seaplane Striking Force“ nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Besser als die B-47
Aus der Rivalität zwischen der US Air Force und der US Navy, die angesichts des atomaren Monopols der Luftstreitkräfte eine neue Strategie suchte, war ein vollkommen neues Konzept entstanden: schnelle Flugboote sollten die vorhersehbaren Transitrouten der sowjetischen Flotten zu deren Einsatzgebieten verminen. Am 30. Juni 1951 forderte die US Navy zwölf Firmen auf, Entwürfe für eine entsprechende Maschine einzureichen, die zudem auch als Aufklärer dienen konnte. Sie sollte mit einer Nutzlast von 15 Tonnen eine Reichweite von 2775 Kilometern besitzen, und über dem Zielgebiet eine Geschwindigkeit von Mach 0.9 erreichen. Aus heutiger Sicht wollten die Admiräle mit der Betonung des Minenlegens damals wohl von den möglichen Leistungen als Bomber ablenken, um keine Konkurrenz zur Air Force herauf zu beschwören. Schließlich wäre das Flugzeug als mittlerer strategischer Bomber der Boeing B-47, dem damaligen Paradeflugzeug der USAF, überlegen gewesen.

Robust, windschlüpfrig, wasserdicht
Als Sieger des folgenden Wettbewerbs ging schließlich die Martin Company aus Baltimore mit ihrem Modell 275 hervor. Um die nicht nur zum damaligen Zeitpunkt enormen Forderungen zu erreichen, mussten die Ingenieure unter der Leitung von George Trimble einen Turbojet-Antrieb und einen Bootsrumpf wählen, der nicht wesentlich schlechtere Widerstandswerte als die von Landflugzeugen aufwies. Außerdem war eine äußerst robuste Struktur nötig, um die extrem hohe Geschwindigkeit in niedriger Höhe auszuhalten. Die Beplankung an der oberen Flügelwurzel beispielsweise legten die Konstrukteure mit einer Dicke von zweieinhalb Zentimetern aus. Außerdem hatte das Muster in einem Wellengang von bis zu 2,75 Metern Höhe zu wassern. Die Waffen befanden sich an einer drehbareren Luke und konnten auch im Wasser durch eine Öffnung von oben ausgetauscht werden. Der Bombenschacht besaß eine neuartige pneumatische Dichtung von BF Goodrich. Als Antrieb dienten vier Triebwerke des Typs Allison J71-A-4 mit Nachbrenner, die sich jedoch als zu schwach erwiesen. Sie stellten eine Notlösung dar, da ein ursprünglich geplanter Mischantrieb aus Turbojet und Staustrahlaggregat bei Testläufen komplett versagt hatte.
Der Erstflug: ein komplexes Unterfangen
Am 31. Oktober 1952 orderte die US Navy schließlich zwei Prototypen XP6M-1 sowie eine Testzelle für statische Versuche, denen im Januar 1955 sechs Vorserienmaschinen mit der Bezeichnung YP6M-1 folgten. Der Erstflug der Maschine mit der Seriennummer 138821 fand am 14. Juli 1955 vom Middle River in Maryland aus statt. Der Startvorgang erforderte dabei mehr Arbeit von der Besatzung als normal: Bei einer Geschwindigkeit von 37 km/h musste die Crew den Nachbrenner der Triebwerke einschalten, was oft mehrerer Versuche bedurfte, da meist nicht alle Triebwerke im Nachbrenner blieben. Dann mussten die „Hydro-Flaps“, Steuerklappen im Wasser, eingezogen werden. Das riesige T-Leitwerk schien fast in der Gischt zu verschwinden. Die Abhebgeschwindigkeit war bei rund 145 Knoten (268 km/h) erreicht.

Probleme in der Praxis
Für das Anlanden gab es ein praktisches und unkompliziertes Fahrwerk, das durch zwei Schwimmkörper auf der Wasseroberfläche trieb. Die SeaMaster manövrierte darüber, die Verbindung erfolgte automatisch in wenigen Sekunden. Auch die hydrodynamischen Eigenschaften des damals modernsten Flugboots der Welt erwiesen sich als sehr gut. Dafür traten jedoch Überhitzung und Risse der Rumpfstruktur im Bereich der inneren Triebwerke bei Nachbrennereinsatz auf, so dass nur die äußeren Aggregate mit Nachverbrennung laufen durften. Auch der Waffenschacht zeigte sich anfangs undicht und sorgte für einen bis zu 90 Zentimeter höheren Tiefgang.
Tragischer Absturz des Prototyps
Am Jahrestag des Angriffs auf Pearl Harbor kam es noch schlimmer: der erste Prototyp stürzte am 7. Dezember 1955 in den Potomac River. Alle vier Besatzungsmitglieder fanden den Tod. Probleme mit dem Höhenleitwerk führten zu einer heftigen Nickbewegung, welche die Flügel regelrecht nach unten abknicken ließ. Die Maschine konnte Loopings mit 6 g aushalten, aber 9 g waren zu viel. Das Flugboot brach auseinander.
US Navy verbietet Rekordflüge

Martin stattete daher den zweiten Prototyp mit Schleudersitzen aus, der sich am 18. Mai 1956 das erste Mal aus dem Wasser hob. Wenige Wochen nachdem die Navy 30 Serienmaschinen P6M-2 SeaMaster bestellte hatte, sollte sich zum Leidwesen des Unternehmens zeigen, dass sich die Nachrüstung lohnte: Am 9. November 1956 verunglückte auch die zweite XP6M-1, wobei sich die Besatzung mit den Schleudersitzen retten konnte. Aufgrund eines banalen Rechenfehlers hatten die Konstrukteure das Flugsteuerungssystem zu schwach ausgelegt. Als der Pilot sein Flugzeug aus einem Sturzflug mit einer Geschwindigkeit von Mach 0.9 abfangen wollte, hielt der Stellzylinder des Höhenruders die Belastung nicht aus. Die Vorderkante des Ruders wurde nach unten gedrückt, und die SeaMaster setzte zu einem ungewollten Looping an, der in einem Feld endete.
Verbesserte Vorserienflugzeuge
Martin nahm das Testprogramm später mit der ersten YP6M-1 (143822) wieder auf, die am 20. Januar 1958 startete. Die Vorserienvariante besaß ein überarbeitetes Leitwerk und um fünf Grad nach außen geneigte Gondeln der J71-A-6-Triebwerke, um die Überhitzungsprobleme des Rumpfes durch die Abgase zu vermeiden. Von nun an verlief die Erprobung relativ reibungslos. Auch die Abwurfversuche endeten erfolgreich, wie sich Martin-Testpilot George Rodney erinnert: „Ein Abwurf einer Waffenlast von 13 Tonnen auf einmal bei einer Geschwindigkeit von 1000 km/h sorgte nur für ein leichtes Nicken nach oben. Das einzige Problem mit dem gesamten System lag nur darin, dass die Navy noch keine Außenlast entwickelt hatte, die bei dieser Geschwindigkeit in einem Stück blieb.“ Die (Übungs)Minen brachen meist auseinander.

Kein Happy End für die SeaMaster
Weitere Verspätungen sorgten aber für eine Kostenexplosion, und der Kunde reagierte entsprechend: Die Marineführung kürzte den ohnehin 1957 schon auf 24 Exemplare reduzierten Auftrag um zunächst sechs, dann um weitere zehn P6M-2. Die Umrüstung der USS „Albemarle“, eines Schiffes zur Versorgung der SeaMaster auf See, ging derweil weiter. Nicht mal einen Monat nach dem Erstflug des ersten Serienexemplars (Seriennummer 145877) am 17. Februar 1959 befahl die Navy die Einstellung der Tests mit den YP6M-1. Obwohl noch eine Versuchstaffel mit den acht P6M-2 geplant war, kam am 24. August 1959 der letzte Akt: nach nur insgesamt 536 absolvierten Flugstunden und Kosten von 400 Millionen Dollar wurde das Programm endgültig eingestellt. Dabei konnten die Serienmaschinen endlich das volle Potenzial des Entwurfs ausnutzen. Die SeaMaster hätte in ihrer Klasse alle Rekorde gebrochen, wäre die US Navy nicht strikt gegen offizielle Versuche gewesen. Nach Aussagen von Testpiloten erreichte die P6M im Sturzflug sogar Überschallgeschwindigkeit. Stattdessen musste Martin alle Maschinen verschrotten und die Unterlagen vernichten. Heute existieren nur noch zwei Hecks, eine Rumpfsektion und Schwimmer im Glenn L. Martin Maryland Aviation Museum, Baltimore.