Rettung aus der Luft: 75 Jahre Berliner Luftbrücke

Rettung aus der Luft
75 Jahre Berliner Luftbrücke

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Veröffentlicht am 16.07.2023

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Deutschland von den Siegern USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion besetzt. Die Beziehungen zwischen den Westmächten und den Sowjets, die auch Berlin unter sich aufgeteilt hatten, verschlechterte sich jedoch zusehends. So versuchte die sowjetische Militäradministration in Deutschland, den Zugang von den Westzonen in die Westsektoren Berlins einzuschränken. Eine erste Zuspitzung der Lage gab es im April 1949, als drei amerikanische Militärzüge von den Sowjets aufgehalten wurden. Lucius D. Clay, der US-Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone und Befehlshaber der (USAREUR-AF), befahl daraufhin eine "kleine Luftbrücke", bei der 24 Douglas C-47 zwischen dem 2. und 4. April von Frankfurt aus 200 Tonnen Versorgungsgüter in die abgeschnittene Stadt flogen.

Die sowjetische Drohung

Die Einführung einer neuen Währung (D-Mark) in den Westzonen am 20. Juni war dann offenbar der Auslöser für die von der Sowjetunion verhängte Blockade West-Berlins – der Zugang für die Westalliierten war nie genau geklärt worden. In der Nacht vom 23. auf den 24. Juni wurde die Stromversorgung eingeschränkt, und um sechs Uhr morgens der gesamte Verkehr auf der Straße, der Schiene und dem Wasser gestoppt. Etwa 2,2 Millionen Westberliner und 22 500 amerikanische, französische und britische Soldaten waren auf ihre Vorräte angewiesen – und die waren äußerst knapp bemessen. Die Antwort des Westens war ebenso klar wie die sowjetische Drohung. Bereits am 25. Juni landete die erste Maschine der US Air Force zur Unterstützung der Berliner Bevölkerung in Tempelhof. Am 26. Juni transportierten 32 Flüge von C-47 rund 80 Tonnen Versorgungsgüter vom Luftwaffenstützpunkt Wiesbaden nach Tempelhof.

USAF

Operation "Vittles"

Operation "Vittles" (Operation Verpflegung) mit 105 C-47 und zunächst 54 C-54 Skymaster hatte begonnen, nachdem der Befehlshaber der amerikanischen Luftstreitkräfte in Europa, Generalmajor Curtis LeMay, General Lucius D.Clay auf die Frage, ob seine Maschinen auch Kohle nach Berlin fliegen könnten, geantwortet hatte: "General, we can haul anything!" US-Präsident Harry S. Truman – "Wir bleiben in Berlin!" – wies am 28. Juni 1948 eine weitere Verstärkung der Luftbrücke an. Über 300 Flugzeuge vom Typ Douglas C-54 Skymaster der US Air Force – und ab 9. November 1948 auch zwei Staffeln der US Navy – wurden in Deutschland zusammengezogen, die dann zusammen mit 50 Dakotas und 40 York der Royal Air Force sowie 45 gecharterten Flugzeugen verschiedener Luftverkehrsgesellschaften die Versorgung der Berliner Bevölkerung sicherstellen sollten. Am 2. Juli landete der erste britische Transporter in Gatow, am 6. Juli das erste britische Flugboot auf dem Großen Wannsee. Operation "Plain Fare" (Hausmannskost) nannten die Briten ihre Unterstützungsaktion.

Organisation

Nach einem etwas chaotischen und improvisierten Start wurde im Juli 1948 der amerikanische Generalleutnant William Tunner mit der Leitung der Luftbrücke betraut. Er hatte im Zweiten Weltkrieg bereits "The Hump", den Airlift zwischen Indien und China über den Himalaya, bewerkstelligt. Am 20. Oktober 1948 wurde in Wiesbaden-Erbenheim ein gemeinsames Hauptquartier der amerikanischen und britischen Transportkräfte eingerichtet, das die Flüge koordinierte. Schleswig, Lübeck, Hamburg-Finkenwerder (für die britischen Flugboote), Fuhlsbüttel, Faßberg, Wunstorf, Celle, Bückeburg, Wiesbaden-Erbenheim und Frankfurt waren die Flugplätze im Westen. In Berlin konnten zunächst nur Tempelhof und Gatow angeflogen werden. Beide wurden sofort nach Beginn der Luftbrücke ausgebaut. Tempelhof erhielt eine 1500 Meter lange Start- und Landebahn, in Gatow entstand eine 1800 Meter lange Startbahn. Zudem begannen am 5. August 19 000 Arbeiterinnen und Arbeiter mit dem Bau eines neuen Flughafens in Tegel im französischen Sektor der Stadt.

USAF

Tegel neu gebaut

In Rekordzeit von 84 Tagen war der Platz nutzbar, am 29. Oktober landeten die ersten Flugzeuge in Tegel. Sehr zum Ärger der Sowjets ließ der Kommandant des französischen Sektors, General Jean Ganeval, am 16. Dezember 1948 auch noch zwei 120 Meter hohe Sendemasten des kommunistisch gelenkten Senders "Radio Berlin" sprengen, die in unmittelbarer Nähe des Flughafens die Flugsicherheit beeinträchtigten. Die Sowjets störten den Flugbetrieb, wo immer möglich. Sowjetische Jagdflugzeuge versuchten, die Transporter abzudrängen, die Piloten wurden mit Scheinwerfern geblendet und vereinzelt wurden die Maschinen sogar beschossen. Auch Ballonsperren entlang der Luftkorridore wurden errichtet. Drei Korridore standen zur Verfügung: Hamburg–Berlin, Hannover–Berlin und Frankfurt–Berlin. Die Transporter flogen über den südlichen und den nördlichen Korridor nach Berlin, zurück ging es über den mittleren Korridor. Die Flugboote durften den nördlichen Korridor auch für den Rückflug nutzen.

Systematische Versorgung

Bis zu 1300 Lufttransporte pro Tag fanden dank des ausgeklügelten Einsatzplans statt. Spitzentag war der Karfreitag 1949, als 1398 Maschinen in Berlin landeten und nach ihrer Entladung gen Westen zurückflogen: 2796 Flugbewegungen innerhalb von 24 Stunden (Tunners "Oster-Parade"). Man flog in sechs Blocks a vier Stunden, rund um die Uhr. Die Maschinen flogen in diesen Blocks nach Berlin, wurden dort entladen und kehrten sofort zurück. Die Korridore (32 Kilometer breit und zwischen 300 und 3000 Meter in der Höhe) wurden in fünf Flughöhen gestaffelt genutzt. Die Abstände zwischen den Flugzeugen betrugen 15 Minuten in der jeweiligen Höhe und drei Minuten in der jeweils nächsten Flughöhe. In Spitzenzeiten landeten die Maschinen im 90-Sekunden-Takt. Im südlichen Korridor, in dem nur Skymaster flogen, waren so immer 32 Maschinen gleichzeitig in der Luft. Jede Verzögerung gefährdete das System. In Gatow beispielsweise durfte die geplante Ankunftszeit nur um zehn Sekunden unter- oder überschritten werden. War dies nicht einzuhalten, musste der Pilot samt Ladung sofort zurückkehren und auf einen Einsatz im nächsten Block warten. Sehr wichtig in der Winterzeit mit Nebeltagen war die ausgiebige Nutzung der Radarunterstützung per Funk bei den Landungen. Nicht nur Kohlen und Lebensmittel mussten in die Stadt geflogen werden. So wurde beispielsweise auch das Kraftwerk West trotz Blockade weitergebaut. 1500 Tonnen Turbinen- und Kesselteile gelangten allein dafür per Flugzeug in die eingeschlossene Stadt. "Hergestellt im blockierten Berlin" stand auf Waren im Wert von 230 Millionen D-Mark, die bei den Rückflügen der Maschinen in den Westen transportiert wurden.

Berlin Airlift
USAF

Standhafte "Insulaner"

Damals entstand der Begriff des "Insulaners" als Synonym für die eingeschlossenen Westberliner. Die fanden sich nicht nur mit der Lage ab, sie machten das Beste daraus. Der Tiergarten wurde zu einem riesigen Schrebergarten umfunktioniert, man schnallte den Gürtel enger und widerstand den sowjetischen Drohungen. "Völker der Welt! Schaut auf Berlin und das Volk von Berlin!", rief Bürgermeister Ernst Reuter vor der Ruine des Reichstags Hunderttausenden zu. "Helft uns nicht nur mit dem Dröhnen der Flugzeuge (…), sondern auch mit dem standhaften, unzerstörbaren Einstehen für die Ideale, die allein unsere Zukunft und auch eure Zukunft sichern können. (...) Seid dessen gewiss: Diesen Kampf, den wollen – diesen Kampf werden wir gewinnen!" Er behielt recht. Mit dem New Yorker Abkommen vom 4. Mai 1949 gaben die Sowjets nach. Am 12. Mai 1949 wurde die Blockade beendet. Die Luftbrücke allerdings ging noch weiter, um einen Lagerbestand für etwa zwei Monate zu erreichen. Erst im August wurde die Anzahl der Flüge verringert. Am 30. September 1949 wurde die Luftbrücke dann offiziell eingestellt. An diesem Tag landete auf dem Tempelhofer Flughafen der letzte "Rosinenbomber" mit zehn Tonnen an Bord. Den 40 Briten, 31 Amerikanern und fünf Deutschen, die bei der Luftbrücke ums Leben kamen, wurde am 10. Juli 1951 das Luftbrückendenkmal vor dem Flughafen Tempelhof (und in Frankfurt/Main) gewidmet. In seinem Sockel sind die Namen der Opfer eingemeißelt.

US Navy