Der neue Strahljäger
So erlebten Testpiloten die Messerschmitt Me 262

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Es ist viel über die Entwicklung der Messerschmitt Me 262 geschrieben worden. Entsprach es immer der Wahrheit? Die originalen Testflugberichte aus der frühen Erprobungsphase des ersten Strahljägers der Welt zeigen, dass man daran zweifeln darf.

So erlebten Testpiloten die Messerschmitt Me 262

Es sind nüchterne, oftmals dürre Worte. Häufig lassen sie den Laien erst einmal gar nicht erkennen, welche Tragweite die in den Flugberichten von den Testpiloten der Me 262 protokollierten Beobachtungen für die Entwicklung des ersten Strahljägers der Welt hatten. Sie beschreiben häufig sehr ernste Probleme, die die Ingenieure in kürzester Zeit lösen mussten.

Für diesen Bericht haben wir auf authentische Quellen zurückgreifen können, Es sind originale Messerschmitt-Flugberichte, die von US-Truppen erbeutet und nach dem Krieg von der Air Documents Division T-2 am Wright Field auf Microfilm kopiert wurden. Lange Zeit waren sie nicht zugänglich. Das führte dazu, dass von verschiedenen Nachkriegsautoren Behauptungen als Tatsachen  dargestellt wurden und werden, die nach der Auswertung der Testflugberichte mindestens fragwürdig erscheinen oder sich sogar als unwahr erweisen.

Die fliegerische Karriere der Me 262 begann als Kolbenmotorflugzeug. Die zunächst vorgesehenen BMW P.3302, Versuchstriebwerke des späteren BMW 003, waren noch nicht verfügbar. Trotzdem wollte man schon mit der Flugeigenschaftserprobung des künftigen Strahljägers beginnen. Deshalb wurde zunächst ein Jumo 210 G (700 PS) in die Rumpfnase gesetzt. Die Motorinstallation wurde in ihren Grundzügen von der Bf 109 übernommen. Auf den Anbau von Triebwerksattrappen unter den Flügeln wurde verzichtet.

Unsere Highlights

Ein Flug für die Geschichtsbücher

Am 18. April 1941 bringt Testpilot Fritz Wendel die Me 262 V1 (PC+UA) in dieser Konfiguration erstmals in die Luft. Sein wie alle anderen Testprotokolle als geheim klassifizierter Flugbericht Nr. 496/1 zeigt einige Probleme auf, die aber für einen Erstflug keine Besonderheiten sind: "Bei 1 – 2 m/sec. Rückenwind konnte nach ungefähr 600 – 700 m Rollstrecke abgehoben werden. Nach dem Abheben wurde sofort etwas gedrosselt, da das Kühlwasser bereits kochte. Der Motor war durch die vorangegangenen Rollversuche zu heiß geworden. Der weitere Steigflug musste allerdings dann auch mit Reiseleistung aus Rücksicht auf die Betriebstemperaturen durchgeführt werden. Die Öltemperatur stieg dabei über die zulässige Grenze (Öleintritt = 92)."

Wendel fliegt bei diesem ersten Flug bis zu 400 km/h. Die Flugstabilität um Quer- und Hochachse und die Ruderwirkung beurteilt er als gut. Er tastet sich auch bereits an den Strömungsabriss heran: "Bei eingefahrenen Landeklappen beginnt die Maschine bei Va = 170 – 175 km/h (Red.: gemeint ist hier die angezeigte Geschwindigkeit) leicht zu taumeln, ohne größere Bewegungen um die Längsachse auszuführen und neigt sich dann leicht nach vorn. Das Verhalten mit ausgefahrenen Klappen ist ähnlich: die Taumelbewegungen beginnen bei Va = 130 km/h." Was Wendel hier zu Protokoll gibt, weist auf unproblematische Langsamflugeigenschaften der Me 262 V1 in diesem frühen Stadium hin.

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Fahrwerk blockiert

Drei Tage später, am 21. April, startet Wendel zum zweiten Flug. Jetzt weitet er den Geschwindigkeitsbereich aus. Die Kühlprobleme haben die Techniker inzwischen behoben. Wendel stellt fest, dass ab 450 km/h bei Höhenruderausschlägen eine Unruhe im Knüppel auftritt. Als Grund sieht er ein zu weiches Höhenrudergestänge. Außerdem ist er mit den Querruderkräften offensichtlich nicht zufrieden und fordert eine andere Untersetzung der Flettner-Servoruder für die Querruder. Am selben Tag fliegt auch Werkspilot Baur erstmals mit der Me 262 V1. Er bestätigt Wendels Beobachtungen: Ab 500 km/h seien die Querruderkräfte zu hoch und müssten durch geänderte Flettnerausschläge herabgesetzt werden. Gleichzeitig müsste die Querruderwirkung verbessert werden.

Zwei Wochen brauchen die Techniker, um die geforderten Änderungen durchzuführen. Am 5. Mai folgt Flug Nr. 5, wieder mit Fritz Wendel am Steuer. Er dauert nur elf Minuten. "Das Fahrwerk konnte nicht eingefahren werden, da am linken Einfahr-Zylinder der Kolben nicht entriegelt wurde. Diese Beanstandung kann noch öfter auftreten, es müßte in diesem Falle die jetzige Fahrwerkskonstruktion geändert werden", heißt es in dem Flugbericht. Die vorgenommene Änderung der Querruderflettnerausschläge wird als nicht ausreichend erachtet.

Zweifelhafter Testbericht

Die Me 262 war ein technischer Quantensprung. Hier wird die Me 262 V3 für einen Testflug vorbereitet. Auffällig ist der Ansaugschutz vor dem Lufteinlass des Jumo 004. Foto und Copyright: KL-Dokumentation

Der nächste erhaltene Flugbericht datiert vom 9. Juli 1941. Bei dem Test geht es darum, das Abkippverhalten der Me 262 V1 mit im eingefahrenen Zustand blockierten Vorflügel zu untersuchen. Die Frage dabei ist, ob man eventuell auf die aufwändigen automatischen Vorflügel verzichten könnte. Dazu werden sogenannte Wollfadenuntersuchungen durchgeführt, bei denen auf die Flügel aufgeklebte Wollfäden den Strömungsverlauf anzeigen. Wendels Befund: Bei Leerlaufleistung änderte sich das Abreißverhalten gegenüber dem mit ausgefahrenen Vorflügeln praktisch nicht. Die Strömung brach gleichmäßig über den Flügel verteilt zusammen. Anders jedoch im überzogenen Flug bei Vollgas: "Es reißt zuerst die Strömung am Außenflügel im gesamten Querruderbereich ab, wodurch ein starkes Querruderschlagen und ein Taumeln um die Längsachse einsetzt. Bei weiterem Ziehen reißt dann auch noch die Strömung am Innenflügel ab und die Maschine kippt gedämpft über den Flügel. Da bei einer Jagdmaschine das Überziehverhalten im Vollgasflug (Kurvenkampf) von großer Bedeutung ist, kann auf die Vorflügel bei dieser Maschine trotz des relativ guten Verhaltens im Leerlauf nicht verzichtet werden", lautet das Ergebnis nach Wendels Testflug.

Interessant hierbei ist, dass man damals noch vom einem klassischen Kurvenkampf mit dem Strahljäger ausging. Eine Kampftaktik, die mit der Me 262 aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit nie angewendet wurde.

Die Me 262 V1 soll mit dem Jumo 210 G insgesamt 47 Flüge mit über 20 Stunden Gesamtflugzeit absolviert haben. Im Herbst 1941 hatte BMW das P.3302 so weit entwickelt, dass die beiden Versuchstriebwerke V2 und V10 in die Me 262 V1 montiert werden konnten. Der Einbau erfolgte im Zeitraum von September bis Dezember. Beim Anbau der Triebwerke war immer noch der Jumo 210 G in der Rumpfnase montiert. Leider gibt es nur ein bekanntes Foto der Me 262 in dieser Konfiguration. Auf dem Bild ist sie in einem Hangar stehend zu sehen.

Am 25. März 1942 startete Fritz Wendel in Augsburg schließlich mit der Me 262 V1 zum ersten Flug mit Strahlantrieb. Immer wieder wurde in der Nachkriegsliteratur behauptet, dass bei diesem ersten Flug mit den BMW-Triebwerken zur Sicherheit immer noch der Jumo 210 G montiert war und mitlief. Weiter wird gesagt, dass beide Strahltriebwerke unmittelbar nach dem Abheben Verdichterschaufelbrüche erlitten. Teilweise heißt es, dass die Triebwerke schon in zehn Metern Höhe ausgefallen seien. Nur dank des Jumo 210 G habe Testpilot Fritz Wendel den Flug fortsetzen und sofort wieder landen können.

Was stimmt denn nun?

Vieles spricht dafür, dass diese Behauptungen falsch sind. Der Flugbericht Nr. 692/12 vom 30. März 1942, der der Redaktion von Klassiker der Luftfahrt vorliegt, lässt große Zweifel an ihrem Wahrheitsgehalt aufkommen. Er legt ganz im Gegenteil nahe, dass der erste strahlgetriebene Flug der Me 262 V1 ausschließlich mit den BMW P.3302 erfolgte. Auch die bisherige Darstellung des Triebwerksausfalls erscheint beim Studium des Testprotokolls in einem anderen Licht. Zur Verdeutlichung geben wir deshalb den früher natürlich als Geheim klassifizierten Flugbericht im Wortlaut wieder. Hierin wird der Jumo 210 G überhaupt nicht erwähnt. Das steht im krassen Gegensatz zu den üblichen Inhalten aller anderen Testflugprotokolle, in denen Antrieb und Antriebsparameter immer enthalten sind. Auch geht aus dem Bericht ein ganz anderer Flugverlauf hervor, als er von einigen Nachkriegsautoren dramatisiert wurde.

Junkers kam mit den praktisch parallel zum BMW P.3302 entwickelten Jumo 004 inzwischen gut voran. Während das BMW-Triebwerk auf dem Weg zum serienreifen BMW 003 umkonstruiert werden musste, erwies sich das Jumo 004 spätestestens seit den Prüfstandsläufen als vielversprechender. Bei 8700 U/min lieferte es einen Standschub von 840 kp. Die Jumo sollten später die Standardtriebwerke für die Me 262 werden. Messerschmitt erhielt die ersten beiden Jumo 004 A-0 am 1. Juni 1942. Umgehend wurden sie an der Me 262 V3 (PC+UC, Werk-Nr. 0003) montiert.

Schwierige Suche nach Schwingungsursachen

Am 18. Juli 1942, morgens um 8:40 Uhr, rollte Fritz Wendel auf der Betonbahn des Flugplatzes Leipheim zum ersten Flug der Me 262 mit den Jumo 004 an. Der zwölfminütige Flug verlief so erfolgreich, dass er am selben Tag noch einen weiteren, diesmal 13 Minuten dauernden, Flug absolvierte. Im Flugbericht Nr. 783/1 fasst Wendel die Ergebnisse dieser beiden Flüge zusammen. Hier einige Auszüge:

"Beide Starts sowie die erste Landung wurden auf Betonbahn, die zweite Landung auf Gras durchgeführt. Beim Start müssen bei abgebremsten Rädern die Geräte hochgefahren werden, da die Beschleunigung der Geräte im Stand sehr gering ist. Das Flugzeug lässt sich aber bis zur Vollast der Geräte halten. Bis zu einer Rollstrecke von 5 – 600 m ist keine Ruderwirkung und kein Druck vorhanden. Der Schwanz lässt sich infolgedessen auch nicht hochnehmen,…" Tatsächlich lag das Leitwerk bei der noch mit einem Spornradfahrwerk ausgerüsteten Me 262 V3 (erst die Me 262 V5 erhielt ein Dreibeinfahrwerk) beim Anrollen zum Start im Verwirbelungsbereich der Tragflächen und entwickelte so keine Wirkung. Wendel behalf sich mit einem Trick. Er schreibt: "Durch kurze Betätigung der Bremsen wurde dann der Schwanz hochgenommen. Die Ruderwirkung war dann gut, nach 650 m Rollstrecke konnte in beiden Fällen abgehoben werden." Weiter gibt Wendel seine ersten Eindrücke vom Steuer- und Stabilitätsverhalten wieder, das er als gut bezeichnet. Er kritisiert dabei aber die immer noch zu hohen Querruderkräfte. "Das Abkippverhalten ist gut. Im Anschweben zur Landung ist die Sinkgeschwindigkeit gering, die Landung ist verhältnismäßig einfach, die Aufsetzgeschwindigkeit ist Va 190 km/h, die Ausrollstrecke relativ kurz."

Mit knappen Worten beschreibt er ein ernsthaftes Problem der ersten Flüge: "Bei leerlaufenden Triebwerken sind Abgase und Rauchentwicklung in der Kabine festzustellen." Der Hintergrund dafür war, dass die Regelung des Jumo 004 damals noch nicht voll ausgereift war. Die starke Rauchentwicklung kam durch überschüssigen Treibstoff in den Turbinen beim Herunterfahren der Triebwerke auf Leerlaufleistung zustande.

In der Literatur ist zu lesen, dass die Me 252 V3 beim zweiten Flug 550 km/h erreicht haben soll. Das stimmt so nicht. Wendel flog bereits in diesem frühen Teststadium deutlich schneller. Im Flugbericht heißt es: "Beim 2. Flug wurde, um ungefähre Leistungsunterlagen zu erhalten, ein Vollgasflug bis zu ungefähr konstanten Werten folgender Größe durchgeführt: Va = 720 km/h, 5 – 6 m/sec Steigen in einer Höhe von 2500 – 3000 m; dabei fand ein höhenkompensierter Fahrtmesser Verwendung." Weiter spricht er ein Problem an, dass die Messerschmitt-Ingenieure noch länger beschäftigen sollte. Als er die Geschwindigkeit verminderte, traten Schwingungen am Knüppel in Richtung "Ziehen/Drücken"auf. Auch bogen sich bei hohen Geschwindigkeiten die Vorflügel durch und hoben sich zwischen ihren Aufhängungen zirka zwei Zentimeter von der Flügelnase ab. Sie mussten fester kontstruiert werden.

Der dritte Flug der Me 262 V3 wäre beinahe schon beim Start zu Ende gewesen. In seinem Flugbericht Nr. 790/2 vom 30. Juli schreibt Wendel: "Der Wind stand senkrecht von rechts zur Startbahn, die Windstärke betrug 3 – 4 m/sec. Infolge des fehlenden Schraubenstrahls konnte das Flugzeug bei diesem Seitenwind nur unter Mitbenutzung der linken Bremse gerade gehalten werden. Dadurch hatte das Flugzeug am Ende der 1000 m langen Startbahn noch etwas zu wenig Fahrt, um einwandfrei abheben zu können. Da aber notgedrungen abgehoben werden musste, hing das Flugzeug im überzogenen Zustand bei abgerissener Strömung am Innenflügel in der Luft ohne zu steigen und erst nach ca. 200 – 300 m Flugstrecke in ungefähr 1 m Höhe hatte das Flugzeug so viel Fahrt aufgeholt, daß der normale Zustand hergestellt war… Um eine kurze Startstrecke zu erreichen, wird vorgeschlagen, die Strömungsverhältnisse am Innenflügel zu verbessern. Durch eine bessere Flügelrumpfverkleidung (größerer Radius) und durch Beseitigung des rechtwinkligen Überganges von Flügelnase zum Rumpf (Fillet) kann erreicht werden, daß die Strömung erst bei größerem Anstellwinkel abreißt." Diese Änderung der Flügelgeometrie wurde sofort umgesetzt.

Gute Steigleistung

Bei diesem dritten Flug maß Wendel mit einem DVL-Messknüppel die zuvor beschriebenen Höhensteuerschwingungen und macht Verbesserungsvorschläge für den Leitwerksbereich. Die nächsten drei Flüge dienen ebenfalls dazu, den Schwingungsproblemen auf die Schliche zu kommen. In der Höhenflosse wurde ein Schwingungsschreiber montiert, der Seitenruderausschnitt des Höhenruders geändert, das Höhenrudergestänge verstärkt und eine zusätzliche Gestängeführung eingebaut. Im Flugbericht Nr. 801/5 schreibt Wendel über die Ergebnisse des sechsten Fluges am 11. August: "Die Schwingungen sind unverändert und beginnen wieder bei Va = 550 km/h. Höhere Geschwindigkeit als Va = 560 km/h wurde aus Sicherheitsgründen nicht erflogen…. Der Leistungssteigflug wurde in 5500 m Höhe abgebrochen, da die Drehzahlregler zu stark höhenempfindlich sind." Weiter stellt er fest, dass die Me 262 V3 bei einer Geschwindigkeit von 420 km/h zwischen 2500 m und 5500 m mit gut 17,5 m/s gestiegen ist. Ein ausgezeichneter Wert.

Es sollte vorerst der letzte Flug der Me 262 V3 sein. Am selben Tag wollte erstmals der Chefreferent Jagdflugzeuge von der Erprobungsstelle Rechlin, Heinrich Beauvais, das neue Flugzeug fliegen. Wendel hatte ihm seine Startmethode mit dem leichten Anbremsen zum Heben des Schwanzes erklärt. Dennoch gelang es Beauvais nicht, bis zum Pistenende die notwendige Abhebegeschwindigkeit zu erreichen. Das Flugzeug rollte in ein Feld, rammte einen Heuhaufen. Das Fahrwerk und beide Triebwerke rissen ab.

Wendel schreibt dazu: Die Triebwerke waren vor dem Flug einwandfrei in Ordnung, Es besteht die Möglichkeit, daß Herr Beauvais zu schnell die Gashebel nach vorn geschoben hat und die Triebwerke infolge Abreißens der Strömung am Verdichter nicht auf volle Leistung kamen." Aus Sicherheitsgründen solle die Erprobung der weiteren V-Muster der Me 262 auf einem größeren Platz (Lechfeld) durchgeführt werden.

Ein mühsamer Weg

Aus einigen der Flugberichte aus der frühen Phase der Erprobung der Me 262 gehen noch viele Details hervor. Sie alle darzustellen, würde den hier zur Verfügung stehenden Rahmen sprengen. Doch schon die hier zitierten Passagen zeigen, wie mühsam für die Ingenieure und Testpiloten die Entwicklung des Strahljägers zur Serienreife war. Um so erstaunlicher war es, dass es schon im Dezember 1943 mit der Aufstellung des Erprobungskommandos Me 262 gelang, mit der Einführung des ersten Strahljägers der Welt bei der Truppe zu beginnen

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