Spezialist für leistungsfähige Flugboote
Latécoère

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Pierre-Georges Latécoère war ein Mann der Tat. Er baute Anfang der Zwanzigerjahre ein Luftpostnetz auf, das von Frankreich nach Südamerika reichte und konstruierte die dafür notwendigen Fluggeräte mit großer Reichweite selbst.

Latécoère

Antoine de Saint-Exupéry und Jean Mermoz gehören zu den bekanntesten Piloten der französischen Luftfahrtgeschichte. Sie verbindet nicht nur eine gemeinsame Geschichte als Postflieger auf der Strecke von Toulouse über Dakar nach Südamerika, sondern auch die Tatsache, dass beide mit Flugzeugen des französischen Herstellers Latécoère flogen. Dem 1883 geborenen Pierre-Georges Latécoère wird das Unternehmertum mit in die Wiege gelegt. Sein Vater besitzt eine Fabrik, die Eisenbahnwaggons baut. Seine Karriere im elterlichen Betrieb ist vorgezeichnet, doch während des Ersten Weltkriegs wird er zur Armee eingezogen. Er dient bei der Artillerie, wo er viele technische und logistische Unzulänglichkeiten zu entdecken glaubt. Nach seiner Entlassung aus dem Armeedienst beschließt er, neue Wege zu gehen und gründet zwei Werke: Eines, das neue Artilleriegranaten entwickelt und produziert und ein zweites, das ab 31. Mai 1922 Flugzeuge herstellt. Als Standort für beide Fabriken wählt Latécoère das südwestfranzösische Städtchen Toulouse. Die Luftfahrt wird schnell seine Passion. Da er sieht, dass man mit dem Transport von Luftpost viel Geld verdienen kann, engagiert er sich auch im Flugbetrieb und baut gegen viele Widerstände eine Luftpostlinie von Toulouse nach Casablanca auf. Als diese gut läuft und Geld einbringt, wagt er den Sprung über den Südatlantik und verlängert die Luftpostlinie bis Südamerika.

Obwohl er eine kaufmännische Ausbildung hat, beginnt Latécoère, Flugzeuge selbst zu konstruieren, die von der Aéropostale für die Beförderung von Luftpost eingesetzt werden. Um große Überwasserstrecken zu überbrücken, entwirft Latécoère Schwimmerflugzeuge und Flugboote. Die ersten Flugzeuge sind ein- und zweimotorige Doppeldecker, die er mit Motoren ausrüstet, die er in großen Stückzahlen von der französischen Armee gekauft hat. Auf dem 8. Aérosalon in Paris 1923 zeigt die Firma die Latécoère 6 BPR3, einen Doppeldecker mit gepfeilten Flügeln, der aus Aluminium hergestellt ist. Vier 260-PS-Salmson-Motoren treiben das Flugzeug an. Doch die Motorisierung ist zu schwach. Deshalb tauscht Latécoère sie gegen vier 420 PS starke Jupiter-Motoren aus. Damit kommt die Laté 6 auf beachtliche Flugleistungen. So kann sie eine Bombenlast von einer Tonne 500 Kilometer weit transportieren und erreicht mit dieser Last eine Höchstgeschwindigkeit von 202 km/h. Zu einer Serienfertigung kommt es dennoch nicht. Den französischen Streitkräften ist das Flugzeug zu teuer.

Die Latécoère 14 ist das erste Muster des Herstellers, das kein Doppeldecker ist, sondern ein abgestrebter Hochdecker. Doch auch dieses Flugzeug bleibt ein Einzelstück, da es zu schwer geraten ist und zu langsam fliegt. Latécoère modifiziert die Einmot zur Latécoère 17. Um die Leermasse des Flugzeugs zu reduzieren, verwendet er für die Rumpfstruktur bespanntes Holz anstelle von Metall.

Der Umbau des Flugzeugs gelingt, und die Latécoère 17 ist das erste kommerziell erfolgreiche Flugzeug der Firma. Insgesamt werden 23 Exemplare mit verschiedenen Motorisierungen hergestellt. Ab 1924 kommen sie dank ihrer Reichweite von 600 Kilometern unter anderem auf Latécoères eigenen Luftpostlinien in Westafrika zum Einsatz.

Mit der Latécoère 21 entsteht 1925 das erste Wasserflugzeug der Firma. Latécoère benötigt ein Flugzeug, das die Luftpost von einem französischen Hafen über das Mittelmeer nach Nordafrika befördern kann. Die Reichweite der Laté 21 ist mit 800 km beachtlich, allerdings werden nur sieben Flugzeuge gebaut.

Dann folgt eine sehr fruchtbare Schaffensperiode von Pierre-Georges Latécoère, in der er im Halbjahrestakt Flugzeuge entwirft und baut. Die Flugleistungen werden immer besser, die Reichweite immer größer.

Inspiriert von der Dornier Do X entwirft Latécoère ab 1929 die Laté 521, ein Passagier- und Frachtflugboot für Transatlantikdienste. Sechs wassergekühlte Hispano-Suiza-Zwölfzylindermotoren mit je 425 PS beschleunigen das Flugboot auf eine Reisegeschwindigkeit von 210 km/h. Die Spannweite beträgt 49,31 m, die Leermasse nicht weniger als 17 750 kg. Die maximale Startmasse von 37 400 kg erlaubt dem Flugzeug die Mitnahme von 30 Passagieren auf Langstrecken und bis zu 70 Passagieren auf den kürzeren Mittelmeerrouten. Der Erstflug erfolgt erst im Januar 1935. Dann kann sie allerdings mit einigen spektakulären Flügen von sich reden machen: So fliegt sie von Dakar in Westafrika im Dezember 1935 nach Pensacola in Florida, wo sie von einem Tornado zerstört wird.

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Bau eines Transatlantik-Flugboots

Die Latécoère 300 flog Luftpost von Afrika nach Südamerika. Foto und Copyright: KL-Dokumentation

1931 baut Latécoère mit der 300 sein erstes Transatlantik-Flugboot. Das viermotorige Flugzeug wird in Toulouse gebaut und in Segmenten auf Spezialtransportern nach Biscarrosse am Atlantik gefahren, wo Air France und die französische Marine eine Wasserflugzeugbasis betreiben. Vier Hispanio-Suiza-Motoren mit je 930 PS treiben den Riesen an. Er hat eine Reichweite von über 3000 km und kann 20 Stunden nonstop in der Luft bleiben. Durch einen Unfall sinkt die 300 jedoch im Jahr 1931, wird geborgen und geht ab 1932 wieder in den transatlantischen Liniendienst für Luftpost nach Südamerika. Am 7. Dezember 1936 verschwindet die Latécoère 300 „Croix du Sud“ auf dem Weg nach Brasilien spurlos über dem Südatlantik. An Bord ist Jean Mermoz, dessen Verschwinden bei Pierre-Georges Latécoère große Trauer auslöst.

Latécoère hat die meisten seiner Flugzeuge mit eigenem Geld finanziert. Allerdings konstruierte er auch Flugzeuge im Auftrag des französischen Staats. So zum Beispiel den leichten zweimotorigen Bomber Latécoère 570. 1934 ergab eine Bestandsaufnahme des fliegenden Geräts der französischen Streitkräfte ein verheerendes Bild: Die Flugzeuge der Armee waren alle veraltet. Deswegen beschloss das Luftfahrtministerium ein Programm zu Modernisierung der Luftstreitkräfte. Besonders die Jagdflugzeuge und die Bomber hatten einen dringenden Modernisierungsbedarf. Das Luftfahrtministerium bat in einer Ausschreibung verschiedene Hersteller um die Abgabe von Angeboten. Latécoère bewarb sich mit der Laté 570 um den lukrativen Bau eines leichten Bombers. Sowohl Amiot als auch Lioré et Olivier beteiligten sich an der Ausschreibung. Alle drei Hersteller erhielten den Zuschlag für den Bau eines Prototpyen. Die Laté 570 war ein freitragender Tiefdecker in Ganzmetall-Halbschalenbauweise mit Einziehfahrwerk. Das Leitwerk war in der für Latécoère typischen Form mit aufgesetzten Endscheiben ausgeführt. Vier Mann Besatzung sollten das Flugzeug bedienen. Die Flugleistungen waren nicht schlecht: Mit einer Bombenlast von 1500 kg betrug die Reichweite 1000 km, mit 500 kg Bombenlast sogar 2000 km. Die Abwehrbewaffnung war aber mit einem Turm mit einer einzigen 20-mm-Kanone auf dem Rumpfrücken sehr schwach ausgelegt. Dies trat bei der Flugerprobung auch deutlich hervor. 1937 flog die Laté 570 erstmalig. Die Flugerprobung aller drei Wettbewerbsmuster zog sich jedoch bis Mitte 1939 hin. Den Zuschlag für den Serienbau erhielt die LeO-45, die jedoch aufgrund des Kriegsausbruchs nicht mehr in nennenswerten Stückzahlen gefertigt wurde.

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Die Latécoère 631

Den Höhepunkt des konstruktiven Schaffens von Latécoère stellte die Latécoère 631 dar. Frankreich besaß vor dem Zweiten Weltkrieg noch etliche Kolonien in Übersee. Um die Verbindung zu diesen Gebieten schneller zu gewährleisten als es mit Schiffen möglich war, fragte das Luftfahrtministerium in Paris bei den einheimischen Flugzeugherstellern nach Entwürfen für ein Langstrecken-Flugboot, das in der Lage sein sollte, 6000 Kilometer mit 40 Passagieren nonstop zu überbrücken. Latécoère erhielt nach fast zweijähriger Prüfung der eingereichten Entwürfe den Auftrag, das Flugzeug zu entwickeln und zu bauen. 1938 begann das Unternehmen in Toulouse mit dem Bau eines ersten Prototpyen der Latécoère 631, die für damalige Verhältnisse riesige Dimensionen aufwies. Die Spannweite betrug 57, 43 m, die Länge 43,46 m und die Höhe 10,10 m.

Als Antrieb für den Riesen wählte Latécoère den P.18-Motor von Gnôme et Rhône, der 1650 PS leistete. Gleich sechs der gigantischen Doppelsternmotoren sollten das Flugzeug antreiben, dabei hatten die Konstrukteure errechnet, dass zwei P.18 ausreichten, um die 631 in der Luft zu halten. Mit nur vier der sechs Motoren konnte das Flugboot noch starten. Man hatte sich für die sechsmotorige Auslegung entschieden, um bei den langen Strecken über Wasser Reserven zu haben, falls einmal Motoren ausfallen sollten.

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, musste der Bau des Großflugboots unterbrochen werden. Nach dem erzwungenen deutschfranzösischen Waffenstillstand erlaubten die Besatzer die Fertigstellung der Latécoère 631. Am 4. November 1942 fand der Erstflug mit dem französischen Kennzeichen F-BAHG statt. Deutschland beschlagnahmte das Flugzeug und überführte es nach Friedrichshafen, wo es einer eingehenden Erprobung unterzogen werden sollte. Dazu kam es aber nur teilweise. 1944 fiel es auf dem Bodensee dem Angriff von britischen Mosquitos zum Opfer.

Nach dem Zweiten Weltkrieg baute die Firma Latécoère die 631 in Serie. Die Air France nahm acht Exemplare ab und setzte sie auf Strecken in die französischen Überseedepartments ein. Nach zwei Abstürzen zog die Air France jedoch schon 1948 ihre Laté 631 aus dem Dienst zurück und verkaufte sie an die staatliche Fluggesellschaft Societé France-Hydro, die mit dem Muster Baumwolle aus dem Tchad nach Kamerun flog. 1955 beendete ein weiterer Unfall, bei dem das Flugzeug total zerstört wurde, den weiteren Einsatz der großen Wasserflugzeuge. Landflugzeuge waren vielseitiger einsetzbar und hatten im Krieg gezeigt, dass sie auch in der Lage waren, Langstrecken über Wasser sicher zu bedienen.

Die Abstürze hatten Latécoère dazu gebracht, sich aus dem Flugzeugbau zurückzuziehen. Rund 750 Flugzeuge hatte die Firma im Laufe ihrer Geschichte hergestellt. Sie änderte ihre Ausrichtung und konzentrierte sich stattdessen darauf, als Zulieferer für andere Flugzeughersteller zu arbeiten. Dies macht Latécoère bis heute erfolgreich und beliefert unter anderem Airbus, Boeing, Bombardier, Dassault und Embraer. Pierre-Georges Latécoère hatte die Umwandlung seines Unternehmens in einen Zulieferer nicht mehr erlebt. Er ist am 10. August 1943 in Paris gestorben.

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