Schneller und größer als die europäischen und sowjetischen Projekte sollte Amerikas Überschall-Verkehrsflugzeug werden. Einige US-Firmen hatten schon in den 50er Jahren mit Untersuchungen für einen Supersonic Transport (SST) begonnen, doch eine endgültige Entscheidung fiel später als bei der Konkurrenz auf der anderen Seite des Atlantiks. Erst im August 1963 wies US-Präsident John F. Kennedy die Federal Aviation Agency (FAA) an, mit entsprechenden Studien für das nationale Programm zu beginnen. An der folgenden Ausschreibung beteiligten sich zunächst in der ersten Phase die Firmen Boeing, Lockheed und North American. Im Juni 1964 vergab die US-Luftfahrtbehörde schließlich in der Phase II entsprechende Entwicklungsaufträge an Boeing und Lockheed sowie an General Electric und Pratt & Whitney für die Triebwerke. Dabei sollte die Regierung jeweils 75 Prozent der Kosten übernehmen. Im Jahr 1966 verlängerte die Behörde die Arbeiten in der sogenannten Phase II-C, die auf 18 Monate angelegt war und je 60 Millionen Dollar für die Flugzeugbauer sowie je 50 Millionen Dollar für die Triebwerksfirmen umfasste. Wieder übernahm der Staat drei Viertel der Kosten.
Die Erwartungen waren hoch: "Ab 1975 werden alle Flüge in den USA über 2400 Kilometer von Überschallflugzeugen durchgeführt", sagte Lockheeds Chef-Forschungsingenieur Richard Heppe schon im Juni 1963. Zum eigenen L-2000-Projekt meinte er: "Das dreifach überschallschnelle Flugzeug könnte ab 1973 bei den Airlines fliegen und 120 bis 125 Passagiere in zweieinhalb Stunden von New York nach Paris transportieren." Im Gegensatz zur europäischen Concorde sollte der Lockheed-Entwurf aus Titan und speziellen Stahlarten bestehen und so die bei Mach 3 entstehenden Temperaturen von bis zu 385 Grad aushalten. Zu Testzwecken fertigte das Unternehmen damals unter anderem zwei Flügelkästen und ein Rumpfsegment aus Titan.
Airliner mit Schwenkflügel

Als Eckpunkte sah Lockheed eine maximale Startmasse von 267 Tonnen sowie eine Nutzlast von 26 Tonnen bei einer Reichweite von 6400 Kilometern vor. Die geplante Reisegeschwindigkeit lag bei 2900 km/h. Zum Erreichen dieser ehrgeizigen Ziele setzten die Ingenieure auf einen Doppeldelta-Flügel mit einer Spannweite von 35,30 Metern, da dieser sowohl im Über- als auch im Unterschallbereich gute Eigenschaften versprach. Die Triebwerke waren in einzelnen Gondeln an der Unterseite der Tragfläche angeordnet.
Auch eine verlängerte Version für bis zu 308 Fluggäste (L-2000-7B) befand sich in der Planung, eingereicht wurde aber der Entwurf für die kürzere L-2000-7A. Am 27. Juni 1966 gab das Unternehmen eine Attrappe in Originalgröße zur Besichtigung frei, die auch als Funktionsmodell diente. Die Nase ließ sich, wie für das spätere Serienflugzeug vorgesehen, um 15 Grad absenken, um die Sicht bei Start und Landung aufgrund des hohen Anstellwinkels zu verbessern. Die riesige Maschine enthielt auch eine voll ausgestattete Passagierkabine und ein Cockpit.
Die letzten Vorschläge mussten bis zum 6. September 1966 bei der FAA eingereicht werden, sie umfassten jeweils bis zu 24000 Seiten. Die Entscheidung sollte dann am 31. Dezember fallen, um in der Phase III mit dem Bau von zwei Prototypen beginnen zu können. Diese hatten bereits dem Serienstandard zu entsprechen. Die Verantwortlichen wählten einen derart engen Zeitplan, um der europäischen Concorde nicht zu viele mögliche Verkäufe zu überlassen.
Boeing ging mit der 2707 ins Rennen, die mit ihren schwenkbaren Tragflächen den radikaleren Entwurf darstellte. Im Überschallflug bildeten die nach hinten geschwenkten Flügel mit dem Höhenleitwerk eine Einheit. Die Spannweite betrug 32,23 bis 53,11 Meter. Unter dem Höhenleitwerk waren die vier Triebwerke angeordnet. Auch hier war die Nase nach unten schwenkbar, knickte aber an der Spitze wieder nach oben, um für einen ausreichenden Abstand zum Boden zu sorgen. Der 93,26 Meter lange Jet war für maximal 350 Passagiere ausgelegt, denn die Sitzmeilenkosten sollten mit denen der Boeing 747 vergleichbar sein.
Boeing hat die Nase vorn
Pünktlich zum Jahresende 1966 fiel schließlich die Entscheidung zugunsten von Boeing. Die Firma war damals auf den Auftrag angewiesen, da die Airliner-Verkäufe zurückgingen und hohe Investitionen für die Entwicklung der 737-Versionen und der 747 anstanden. Die Zukunft Lockheeds schien dagegen aufgrund mehrerer Militärprogramme gesichert. Beim Antrieb hatte sich General Electric mit dem GE4 gegen das JTF17A von Pratt & Whitney durchgesetzt. Bei dem siegreichen Modell handelte es sich im Wesentlichen um eine größere Version des J93 der North American XB-70A. Das einwellige Triebwerk erhielt einen achtstufigen Axialverdichter mit hohlen Verdichterschaufeln, um Gewicht zu sparen. Das GE4 bekam den bisher größten Nachbrenner; für dessen Tests musste man zwei J79 zusammenschalten.
Im Gegensatz zur Concorde schritt die Entwicklung der 2707 eher schleppend voran. Als Knackpunkt erwiesen sich die garantierten Werte für Nutzlast und Reichweite, denn die Wirtschaftlichkeit des SST stand an oberster Stelle. Die Herausforderung lag im Gewicht des Entwurfs, da die zusätzliche Masse des Schwenkflügelmechanismus von 18 Tonnen auszugleichen war. Jedoch traten bei den Windkanalversuchen der 2707 Stabilitätsprobleme um die Nickachse auf. Das ursprüngliche Modell (später als 2707-100 bezeichnet) ließ sich daher nicht verwirklichen und wurde im Juni 1967 aufgegeben. Boeing besserte mit der 2707-200 nach, die einen längeren Rumpf und zusätzliche Steuerflächen hinter dem Cockpit erhielt. Dadurch stieg das Gewicht, der Überschuss zehrte mit knapp 28 Tonnen fast die gesamte Nutzlast auf. Die Flugzeugbauer aus Seattle baten die FAA um einen Aufschub von einem Jahr und erhielten ihn im Dezember 1967.
US-Senat dreht den Geldhahn zu
Letztendlich musste man im September 1968 das Schwenkflügelkonzept aufgeben, es hatte sich schlussendlich als zu schwer und zu teuer erwiesen. Die Ingenieure schwenkten schließlich auf die 2707-300 mit einem starren Flügel um. Die neue Version war kleiner und eher im Größenbereich der L-2000 angesiedelt. Sie besaß aber einen weniger stark gepfeilten, konventionellen Deltaflügel (50 Grad) sowie traditionelle Leitwerke. Die Triebwerke fanden jetzt Platz in Gondeln unter dem Flügel.
Allerdings schreckten mittlerweile nicht nur die Politiker vor den hohen Kosten zurück. Zwei Jahre, nachdem Boeing den Auftrag gewonnen hatte und mehr als 8,5 Millionen Mann-Stunden an Entwicklungsarbeit aufgewendet hatte, war die endgültige Entscheidung zum Bau der Prototypen immer noch nicht gefallen. Concorde und Tu-144 befanden sich längst in der Flugerprobung. Gleichzeitig hatte sich eine starke Opposition auf allen Ebenen geformt, die neben den enormen Kosten auch erhebliche Umweltschäden durch den SST-Einsatz fürchtete.
Anfang der 70er Jahre hatte der Staat bereits 700 Millionen Dollar ausgegeben, bis zur Indienststellung wurden Kosten von insgesamt 1,3 Milliarden erwartet. Diese sollten erst ab dem 300. ausgelieferten Flugzeug zurückerstattet werden. Insgesamt hatten sich 26 Fluglinien Lieferpositionen gesichert und dafür beim US-Finanzministerium 200000 Dollar pro Flugzeug hinterlegt. Darunter befand sich neben den führenden US-Linien wie American, Continental, Delta, Eastern, Northwest, Pan Am, TWA oder United auch die Lufthansa (Lieferpositionen 77, 80 und 85). Ebenfalls mit dabei waren beispielsweise Air France, Alitalia, BOAC, El Al, JAL und Qantas. Zusätzlich steckten neun US-Airlines und eine ausländische Gesellschaft 58,5 Millionen Dollar in das Programm. Doch die Mühe war vergebens: Am 20. Mai 1971 verweigerte der Senat in einem Mehrheitsbeschluss weitere Geldmittel für das SST-Programm, fügte damit US-Präsident Richard Nixon eine herbe Niederlage zu und brachte Boeing an den Rand des Ruins.
Heute existieren kaum noch Erinnerungsstücke an das SST-Debakel. Teile der Attrappe der 2707-300 sind im Hiller Aviation Museum in Nordkalifornien zu sehen, nachdem sie gleich mehrfach vor der Verschrottung gerettet werden mussten. Außerdem befindet sich noch ein GE4-Triebwerk im Bestand des Smithsonian.Zu