Sikorsky S-55 Chickasaw
Bereits in den 30er Jahren und auch während des Zweiten Weltkriegs arbeitete der geniale Flugpionier Igor Sikorsky aus Kiew – 1919 in die USA emigriert – an Entwürfen von größeren Helikoptern, die nicht nur zwei Besatzungsmitglieder aufnehmen konnten. Sowohl die Militärverantwortlichen in den USA als auch Igor Sikorsky selbst hatten schnell erkannt, dass der Helikopter zu weitaus mehr fähig sein müsste. Nach dem Anfangserfolg mit der S-51 entwickelte sein Unternehmen Ende der 40er Jahre den ersten echten Transporthubschrauber: die S-55, die später auch Chickasaw, nach einem Indianerstamm aus dem Mittleren Westen, benannt wurde.
Mit Bravour bestand sie ihre Feuertaufe im Koreakrieg und wurde später auch in Lizenz in anderen Ländern gebaut. Streng genommen, gelangen mit der S-55/H-19 der wahre Durchbruch und der Beweis, dass der Helikopter ein ausgezeichnetes Transportvehikel für mannigfache Aufgaben ist.
Dass dies bis heute so ist, ist nicht zuletzt der Genialität Sikorskys zu verdanken. Er entwickelte für den Ausgleich des Drehmoments einen starken Heckrotor, was schließlich wegweisend für Flexibilität und Leistung des modernen Transporthelikopters wurde.
Die S-55/H-19 war der erste für die Streitkräfte der USA verwendbare Hubschrauber mit einer praktisch nutzbaren Zuladung von bis zu zehn Passagieren, ersatzweise konnten auch bis zu acht Liegen in der geräumigen Kabine untergebracht werden.
Schon damals war das Thema Gewicht ein wichtiges Kriterium. Deshalb war der Rumpf in Ganzmetall-Halbschalenbauweise gefertigt, die Beplankung aus einer Aluminium-Magnesiumlegierung. Ungewöhnlich war die Einbauposition des Motors. Er saß schräg in der runden Nase des Helikopters. Damit war er über zwei große Wartungsklappen sehr leicht zugänglich.
Oberhalb des Motorraums befand sich das Cockpit für zwei Piloten mit einer für beide Pilotenplätze ausgelegten Steuerung (Dual Controls). Direkt dahinter befand sich das Hauptgetriebe. Die damals völlig ungewöhnliche, neue Bauweise, die übrigens ein Markenzeichen für die Sikorsky-Modelle bis zur S-58 wurde, ermöglichte einen sehr geräumigen Frachtraum, Sie war auch flugtechnisch von großem Vorteil, weil so die Verschiebung des Schwerpunkts bei voller Beladung ausgeschlossen werden konnte. Der damaligen Zeit entsprechend waren die Rotorblätter (drei für den Hauptrotor und zwei für den Heckrotor) komplett aus Metall gefertigt. Jeweils vorn und hinten unter der Kabine befanden sich die Treibstofftanks, deren Fassungsvermögen 700 Liter betrug. Das verlängerte die Reichweite gegenüber den bis dato gefertigten Mustern um ein Vielfaches. Zudem war dies hilfreich für die neuen logistischen Herausforderungen der militärischen Einsatzprofile im Koreakrieg.
Die schräge Aufhängung des Motors mit der neuartigen Anordnung der Hauptantriebswelle erlaubte mehrere Motorvarianten und ließ eine problemlose Wartung ohne Leitern oder Wartungsbühnen zu. Zum Amphibium wurde die S-55/H-19 durch Schwimmer (mit Rädern), die das klassische Vierbein-Radfahrwerk entweder ergänzten oder ersetzten. Während die Urform (S-55A) mit einem Pratt & Whitney-Sternmotor R-1340-57 mit 405 kW (550 PS) ausgestattet war, verfügte die B-Version bereits über einen 515 Kilowatt (700 PS) starken Wright-Sternmotor R-1300-3, hatte einen vergrößerten Hauptrotor und einen weiter nach unten geneigten Heckausleger, womit der Abstand zu den Hauptrotorblättern erhöht wurde.
Überzeugt von der damals beachtlichen Reichweite des Helikopters (340 km), gab die US Air Force fünf Exemplare (YH-19) in Auftrag, Der Erstflug fand am 10. November 1949 statt. Schon bald bestätigten sich die Leistungsdaten der S-55, die bis dahin von keinem anderen Helikopter erreicht worden waren. Allerdings erforderte ihre Bedienung auch gutes fliegerisches Gefühl, das längst nicht jeder Flugschüler umsetzen konnte.
Beim Serienmuster H-19A, von dem die Air Force 50 Exemplare orderte (1951), war der Leitwerksträger nochmals verbessert worden. Letztlich blieb dies aber die wesentliche Konfiguration der S-55. 1952 wurden die ersten H-19B an die 3. Luftrettungsstaffel sowie an weitere SAR-Einheiten übergeben. Die Rettungshubschrauber-Version SH-19B (später HH-19B) war mit einer über der rechten Kabinentür angebrachten, hydraulisch angetriebenen Seilwinde ausgestattet. Unter anderem wurde während des Koreakriegs so auch das abgeschossene Fliegerass Cpt. Joseph McConnell gerettet, er war später Inspekteur und Generalstabschef der Luftwaffe.
Auch bei den Heeresfliegern der US Army, die im selben Jahr 72 Einheiten (H-19C und H-19D) bestellten, hatte sich das Muster als effektiv bei der Artillerieaufklärung sowie der Verwundetenbergung und dem Truppentransport erwiesen. Vom Marine Cops waren bereits zuvor 60 Einheiten mit kugelsicheren Kraftstofftanks bestellt worden. Der erste Transport mit Kampftruppen erfolgte laut Kriegstagebuch am 13. September 1951 in Korea durch die Infanterie des Marine Corps mit HRS-1 über eine Zone von elf Kilometern eines umkämpften Gebiets zu einem Hügel, der von chinesischen Truppen angegriffen wurde. Insgesamt beförderten allein die S-55 der Marines bei 18 600 Einsätzen in Korea mehr als 60 000 Soldaten.
Last but not least, hatte auch die US Navy zehn Exemplare der H-19A (als HO4S-1) erhalten. 1951 wurden von insgesamt 60 gebauten HOS3-1 (identisch mit der H-19B) 30 an die US Coast Guard für SAR-Aufgaben übergeben. Diese Maschinen wurden ab 1962 umbenannt in UH-19F und HH-19G. Zudem erweiterte das Marine Corps seine Flotte um 91 HRS-2 und 89 HRS-3 (später UH-19E/mit Wright-Motor). Die H-19D wurde 1956 einer der ersten bewaffneten Helikopter der Welt (127-mm-Raketen und 12,7-mm-Maschinengewehre).
Varianten der S-55
YH-19: Testmaschine zur Truppenerprobung bei der US Air Force mit P&W-R-1340-Antrieb, mit noch keillosem Rumpf-/Leitwerksträger. 5 Exemplare wurden gebaut.
H-19A: Erste Serienversion für die US Air Force, zusätzlich mit V-förmiger Flosse am hinteren Ende des Leitwerksträgers; mit P&W R-1340-57 (472 kW/600 PS). 55 Exemplare
H-19B (UH-19B): Serienversion der Air Force mit Wright-Sternmotor R-1300-3 (522 kW/700 PS); 270 Exemplare
SH-19B (HH-19B): H-19-Variante als Rettungshubschrauber für den Such- und Rettungsdienst beim US Military Air Transport Service (MATS)
H-19C (HH-19C): Version der H-19A für die US Army; 72 Exemplare
H-19 D (UH-19D): Version der H-19B für die US Army; 338 Exemplare
HO4S-1: Version der H-19A für die US Navy; 10 Exemplare
HO4S-2: vorgesehene Variante als Rettungshubschrauber für die US Coast Guard; wurde nicht gebaut.
HO4S-3 (HH-19G): Version als Rettungshubschrauber für die Coast Guard; 30 Exemplare
HRS-1: Version der H-19A als Transporthubschrauber für das Marine Corps mit selbstdichtenden Tanks; 60 Exemplare
HRS-2: Truppentransporter mit kleineren Änderungen für das Marine Corps; 91 Exemplare
HRS-3 (CH-19E): Version der H-19B als Truppentransporter für das Marine Corps. Einige entstanden aus Umrüstungen der HRS-2. 89 Exemplare
Kommerzielle Varianten: S-55, S-55A, S-55B, S-55C, S-55T (mit Garrett-TPE-331-3U-303-Turbinenantrieb), S-55QT (ultraleise Version für Sightseeingflüge), OHA-S-55 Heli Camper (Konversion von Orlando Helicopters), OHA-S-55 Nite Writer (mit computergesteuerter Beleuchtung), OHA-S-55 Bearcat (für landwirtschaftliche Einsätze), OHA-S-55 Heavy Lift (fliegender Kran) , QS-55 Aggressors (Umbau zu fliegenden Zielen), OHA-AT-55 Defender (bewaffnete Militärversion)
Militärische Nutzer der H-19: Argentinien, Belgien, Belgisch-Kongo, Brasilien, Chile, Dänemark, Deutschland, Dominikanische Republik, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Guatemala, Haiti, Honduras, Israel, Italien, Japan, Jugoslawien, Kanada, Kolumbien, Kuwait, Nicaragua, Niederlande, Norwegen, Pakistan, Philippinen, Portugal, Taiwan, Südvietnam, Spanien, Südkorea, Thailand, Türkei, Uruguay, Vereinigte Staaten
Insgesamt wurden 1281 Exemplare fertiggestellt, 547 weitere von Lizenznehmern. Westland Aircraft produzierte die S-55 als Westland Whirlwind in England, Mitsubishi in Japan, Sud Aviation (später Aérospatiale) in Frankreich
Whirlwind in England

Der Name Chickasaw wurde nie wirklich verwendet, und auch sonst fand man für die S-55 keinen echten Beinamen. Anders allerdings in Europa: Die Briten tauften ihre in Lizenz gebaute S-55 „Whirlwind“. Auf der Grundlage eines Lizenzvertrags, der auf der S-51 (Dragonfly) beruhte, richtete Westland im Werk in Yeovilton eine Produktionsstätte für Royal Air Force und Royal Navy ein. Am 15. August 1953 fand der Erstflug der Whirlwind (HAR Mk 1) statt. Als Antrieb diente ein Kolbenmotor Pratt & Whitney R-1340-40, später kam die Motorvariante R-1340-57 zum Einsatz. Erste Einheit der Whirlwind war die No. 22 Squadron des Costal Command in Thorney Island. Im SAR-Einsatz lagen die meisten Gewässer rund um die Britischen Inseln in Reichweite der Whirlwind. Mit der HAR Mk 5 kam dann auch der britische Alvis-Leonidis-Major-Motor mit 522 Kilowatt (700 PS) zum Einsatz bei der RAF und bei den österreichischen Streitkräften.
Eine neue Whirlwind-Generation entstand 1959. Danach rüstete Westland alle existierenden Whirlwind-Helikopter für das Bristol-Siddeley-Gnome- Wellentriebwerk mit 783 Kilowatt (1050 shp) um. Dazu wurde der Bug des Helikopters gestreckt. Die Turbine wurde seitlich rechts versetzt installiert, während links Raum für einen Elektrik-Ausrüstungsschacht geschaffen wurde (HAR Mk 10). Auch bei der RAF Germany flog der markante Helikopter bis weit in die 60er Jahre.
Die zivile Variante S-55 war nicht minder bedeutend. Die zukunftweisende Geschäftsidee bei Sikorsky hieß: Zulassung und Akzeptanz als Passagier- und Frachtmaschine. So führte New York Airways ab 1952 den Zubringerdienst zwischen den Flughäfen LaGuardia, Idlewild (heute John F. Kennedy) und Newark durch, später flog man auch New Brunswick, Princetown, Trenton und New Jersey an. Auch Los Angeles Airways setzte ab 1953 den Hubschrauber als Verbindungsmaschine zwischen Flughäfen ein, zudem nutzte das US-Innenministerium sechs S-55 für die Forstwirtschaft. Die belgische Sabena setzte das Muster ab 1953 als Passagiertransporter zwischen dem Hubschrauberlandeplatz in Brüssel und dem Landeplatz der South Bank in London ein. Der erste planmäßige Helikopterflugverkehr nahm am 1. September 1953 den Dienst auf: zwischen Brüssel, Maastricht, Rotterdam und Lille. Damit war auch im zivilen Bereich der Durchbruch des Helikopters als Transportmittel geschafft, der sich dann mit der außerordentlich erfolgreichen S-58 weiter fortsetzte.
Varianten der Whirlwind

Whirlwind HAR Mk 1: Rettungshubschrauber-Version mit P&W-R-1340-30-Triebwerk für die Royal Navy
Whirlwind HAR Mk 2: RAF-Version der Mk 1
Whirlwind HAR Mk 3: Rettungshubschrauber-Version mit P&W-R-1340-57-Triebwerk für die Royal Navy
Whirlwind HAR Mk 4: RAF-Version der HAR Mk 3
Whirlwind HAR Mk 5: Rettungshubschrauber-Version mit Alvis-Leonides-Major-Motor für die Royal Navy und Österreich
Whirlwind HAS Mk 7: Royal-Navy-Version zur U-Boot-Bekämpfung und als Verbindungshubschrauber
Whirlwind HCC Mk 8: Variante als Verbindungshubschrauber für The Queen’s Flight mit Alvis-Leonides-Major-Triebwerk
Whirlwind HAR Mk 9: umgerüstete HAS Mk 7 als Rettungshubschrauber für die Royal Navy
Whirlwind HAR Mk 10: Rettungshubschrauber-Version mit Bristol-Siddeley-Gnome-Turbinenantrieb für die RAF (alle vorhandenen Maschinen wurden auf Turbinentriebwerk umgerüstet)
Whirlwind HCC Mk 12: Verbindungshubschrauber für The Queen’s Flight, Gnome-Triebwerk
Whirlwind HAR Mk 21: von Sikorsky gebaute Rettungshubschrauber-Version mit R-1340-40-Motor für die Royal Navy, 10 Exemplare
Whirlwind HAS Mk 22: von Sikorsky gebaute Version zur U-Boot-Bekämpfung und als Verbindungshubschrauber mit R-1300-Motor für die Royal Navy, 15 Exemplare
Technische Daten
Sikorsky S-55/H-19B
Hersteller: Sikorsky Aircraft, Stratford, Connecticut, USA
Antrieb: Wright-Sternmotor R-1300-3
Leistung: 521 kW (700 PS)
Besatzung/Soldaten: 2 + 12
Länge: 19,07 m
Rumpflänge: 12,88 m
Kabinenlänge: 5,05 m
Kabinenbreite: 1,68 m
Kabinenhöhe: 1,82 m
Gesamthöhe: 4,06 m
Hauptrotor-Durchmesser: 16,15 m
Heckrotor-Durchmesser: 2,64 m
Leermasse: 2292 kg
max. Startmasse: 3407 kg
Zuladung: 1115 kg
max. Geschwindigkeit: 187 km/h
Reisegeschwindigkeit: 150 km/h
Steigleistung: 5 m/s
Schwebeflughöhe außerhalb des Bodeneffekts: 1585 m
Dienstgipfelhöhe: 3660 m
Reichweite: 635 km
Klassiker der Luftfahrt Ausgabe 08/2015