Vor und noch während des Zweiten Weltkriegs war die Rolle der Seeaufklärung größtenteils Flugbooten vorbehalten. Allerdings erwiesen sich große Landflugzeuge aufgrund ihrer größeren Reichweite bald als besser geeignet. Daher kamen beim Coastal Command der Royal Air Force zunächst modifizierte Versionen von Langstreckenbombern wie Boeing B-17 Flying Fortress und Consolidated B-24 Liberator zum Einsatz. Sogar einige Avro Lancaster wurden umgerüstet. Ein leistungsfähiger Nachfolger musste dringend her, und so bestellte das britische Air Ministry am 21. März 1946 drei Prototypen und 29 Serienexemplare der von Avro vorgeschlagenen Lincoln B Mk.3. Das aus der berühmten Lancaster abgeleitete Muster bot jedoch nicht genug Platz für die geforderte zehnköpfige Besatzung und Aus-rüstung, so dass Avros Chefkonstrukteur Roy Chadwick und sein Team wieder an die Zeichentische mussten, um für die neue Spezifikation R.5/46 vom 17. März 1947 einen Entwurf zu präsentieren. Der Auftrag blieb jedoch bestehen. Der resultierende Typ 696 besaß die generelle Auslegung der Lincoln, wies aber einen Rumpf mit größerem Durchmesser auf. Das Höhenleitwerk war etwas weiter oben angeordnet und besaß größere Endscheiben. Den Antrieb lieferten nun nicht mehr die bewährten Merlins, sondern vier stärkere Rolls-Royce Griffon-Kolbenmotoren, die über gegenläufige Rotol-Luftschrauben verfügten. Der Triebwerks-hersteller hatte diese Kombination zuvor an zwei modifizierten Avro Lancastrians in Hucknall erprobt.
Der erste Prototyp mit der Kennung VW126 startete mit Cheftestpilot Jimmy Orrell am Steuer am 9. März 1949 in Woodford zu seinem Jungfernflug. Roy Chadwick sollte diesen Meilenstein jedoch nicht mehr erleben: Er starb am 23. August 1947 beim Absturz der Avro Tudor 2. Am 21. April 1949 begann schließlich die Erprobung der von Chadwick Shackleton genannten Type 696 beim Aeroplane & Armament Experimental Establishment in Boscombe Down. Wenig später kam auch die zweite Maschine (VW131) hinzu. Der dritte Prototyp (VW135) sollte so nah wie möglich am Produktionsstandard sein. Da die Serienfertigung aber bereits lief, flog die erste Shackleton MR Mk.1 (MR für Maritime Reconnaissance) mit der Kennung VP254 schon am 28. März 1950, einen Tag vor der VW135.
Einsatz zu "kolonialen Überwachunsgaufgaben"

Im März 1951 übernahm in Kinloss die No. 120 Squadron die ersten Exemplare. Dort wurde auch die Trainingseinheit No. 236 Operational Conversion Unit ins Leben gerufen. Bis 1952 rüsteten insgesamt sieben Staffeln auf den neuen Seeaufklärer um. Die Einführung lief relativ schnell und reibungslos ab. Dennoch gab es Raum für Verbesserungen. So erwies sich die in einem Gehäuse unter dem Bug angebrachte Antenne als empfindlich gegenüber Vogelschlag und wurde halb versenkbar weiter nach hinten unter den Rumpf verlagert. Die Konstrukteure gestalteten die Nase stromlinienförmiger und fügten zwei 20-mm-Kanonen ein, die nicht zur U-Boot-Bekämpfung, sondern eher für „koloniale Überwachungsaufgaben“ eingesetzt werden sollten. Das Heck verlängerten die Ingenieure konusförmig, wobei das Endstück mit seiner Verglasung als zusätzliche Beobachtungsstation diente. Die neue Variante bekam die Bezeichnung MR Mk.2. Als aerodynamisches Testflugzeug diente der erste Prototyp (VW126), der in seiner neuen Konfiguration erstmals am 19. Juli 1951 flog. Die erste Maschine mit der vollen Ausrüstung stellte die WB833 dar (Erstflug am 17. Juni 1952).
Obwohl die Shackleton bei vielen Einsätzen, Übungen und Verlegungen ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellte, forderte die Royal Air Force am 18. November 1953 eine weiter verbesserte Version. Die MR Mk.3 verfügte über ein Fahrwerk mit Bugrad und über Zusatztanks an den Flügelspitzen. Der Waffenturm auf der Rumpfoberseite fiel weg, dafür wurde eine Küche eingebaut. Im nicht druckbelüfteten Innenraum erleichterten Lärmdämmmaßnahmen und eine hellere statt der bisherigen schwarzen Verkleidungen das Leben der Besatzung. Schließlich dauerten die Missionen recht lang. Ein Flugzeug blieb einmal 24 Stunden und 21 Minuten in der Luft. Während der Luftfahrtmesse in Farnborough 1960 startete eine Shackleton am Ende des jeweiligen Flugprogramms, um zum Beginn des Displays am nächsten Tag wieder zu landen.
Umfangreiche Verbesserungen

Der erste Vertreter des neuen Standards hob am 2. September 1955 von der Piste ab. Allerdings ließ das Überziehverhalten zu wünschen übrig, so dass das A&AEE den Einbau eines modifizierten Strömungs-abrisswarners forderte. Am 7. Dezember 1955 flog die WR790 einen entsprechenden Versuch, bei dem die Piloten die Kontrolle verloren und abstürzten. Daraufhin erhielten die folgenden Exemplare modifizierte Vorderkanten der inneren Flügelsegmente. Die MR Mk.3 ging ab August 1957 bei der No. 220 Squadron in Dienst. Einen seiner ersten Einsätze führte der neue Typ während der Krise in Zypern durch: Mehrere Shackletons unterbanden durch ihre Patrouillen den Waffenschmuggel auf die Insel. Von Juli 1955 bis Dezember 1959 kamen so insgesamt 884 Einsätze zusammen. Auch in der Suezkrise von 1956 war die Viermot mit von der Partie. Die No. 38 Squadron flog Überwachungseinsätze über Ägypten und schützte die Invasionsflotte vor gegnerischen U-Booten.
Während ihrer Einsatzzeit ließ die RAF ihren Seeaufklärer ständig mit neuen Systemen verbessern. Das Programm war in drei Phasen aufgeteilt und beinhaltete zunächst das ASV21-Radar und andere Avionik. Der zweite Schritt konzentrierte sich unter anderem auf die Einführung von Systemen für elektronische Gegenmaßnahmen sowie von aktiven Sonarbojen. Die dritte Phase umfasste umfangreichere Änderungen. Das konstant angestiegene Gewicht sollten vor allem beim Start zusätzliche Jettriebwerke kompensieren. Die Designer integrierten je ein Bristol Siddeley Viper 203 in die äußeren Motorgondeln und verstärkten die Flügelstruktur entsprechend. Die Lebensdauer der Aggregate erwies sich jedoch als relativ kurz, da sie mit dem normalen Kraftstoff der Kolbenmotoren liefen und daher nur zum Start genutzt wurden. Die erste MR Mk.3 „Phase 3“ (WR973) flog am 29. Januar 1965. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Nachfolger schon in der Entwicklung, und im Laufe des Jahres 1970 übernahm die Hawker Siddeley Nimrod in RAF Kinloss. Die letzten MR Mk.3 gingen 1971 außer Dienst. Nur noch zwölf Mk.2 blieben als Such- und Rettungsflugzeuge in Dienst.
Zweite Karriere als Frühwarnflugzeug
Doch damit endete die Karriere von Avros letztem Kolbenmotorbomber nicht, denn Großbritannien benötigte dringend eine Plattform zur Radarfrühwarnung. Mit der Entscheidung, keine konventionellen Flugzeuge mehr bei der Royal Air Force einzu-setzen, fielen auch mit der Fairey Gannet die einzigen AEW-Flugzeuge weg (Airborne Early Warning). Als Übergangslösung fiel die Wahl auf die Shackleton, da sie eine lange Flugzeut bot. Hawker Siddeley (in der das Unternehmen Avro aufgegangen war) rüstete zwölf MR Mk.2 um. Die Mk.3 hatten nämlich aufgrund der Viper-Triebwerke mit erhöhter Materialermüdung zu kämpfen. Unter dem vorderen Rumpf saß nun eine Verkleidung für das von der Gannet AEW Mk.3 stammende APS-20-Radar. Die AEW Mk.2 mit der Kennung WL745 absolvierte ihren Erstflug am 30. September 1971 in Woodford. Im folgenden Jahr stellte die Royal Air Force mit der No. 8 Squadron in Lossiemouth ihre erste Frühwarneinheit auf. Im Jahr 1981 reduzierte die RAF aufgrund von Sparmaßnahmen die Zahl der eingesetzten AEW-Shackletons auf acht Exemplare. Dennoch sollte aus der ursprünglichen Zwischenlösung für die nächsten 20 Jahre eine dauerhafte Institution werden, denn der Nachfolger, die Nimrod AEW 3, ging nie in Dienst. Erst mit der Boeing E-3D Sentry kam das Aus. Am 1. Juli 1991 stellte die 8. Staffel ihre letzten fünf Shackletons in RAF Waddington außer Dienst. Vier davon ließen die Militärs von Sotheby’s versteigern. Eine Maschine flog zwischenzeitlich in den USA als Warbird. Derzeit existiert indes keine flugfähige „Shack“ mehr.
Den einzigen Exportkunden der Shackleton stellte Südafrika dar, das acht MR Mk.3 kaufte. Die No. 35 Squadron der South African Air Force (SAAF) in Malan bei Kapstadt übernahm ihre ersten zwei Exemplare am 16. Mai 1957. Aufgrund des gegen Südafrika verhängten Waffenembargos mussten die Patrouillenflugzeuge wesentlich länger durchhalten als geplant. Erst am 23. November 1984 absolvierten sie ihren letzten Einsatz. Das SAAF-Museum begann in den 90er Jahren mit einem ambitionierten Projekt: Eine Shackleton sollte wieder flugfertig gemacht werden und zu Vorführungen nach Großbritannien kommen. Die Überführung endete jedoch am 13. Juli 1994 mit einer Notlandung in der Wüste, nachdem zwei Motoren ausgefallen waren. Eine weitere Maschine, die 1722, wurde regelmäßig geflogen, musste aber aus Altersgründen endgültig gegroundet werden.
Klassiker der Luftfahrt Ausgabe 01/2009