Mit der Verfügbarkeit des ersten sowjetischen Zweikreistriebwerks D-20P des OKB-19 (Pavel A. Solowjow) begannen die Studien zur Tu-124 im Jahr 1958. Das Flugzeug sollte 36 bis 40 Passagiere (Nutzlast 5000 kg) bei einer Reisegeschwindigkeit von 750 bis 900 km/h über eine Entfernung von 1350 bis 1500 km befördern können. Die Höchstgeschwindigkeit wurde auf 950 km/h festgelegt, und insbesondere sollte die Startrollstrecke maximal 800 Meter betragen, um auch kleinere Plätze nutzen zu können. Die Besatzung bestand aus vier Personen (Piloten, Navigator, Flugingenieur). Darüber hinaus war vorgesehen, dass das Flugzeug für den Transport von Verletzten, Soldaten sowie militärischen Gütern umgerüstet werden kann.

Der erste von zwei Prototypen (SSSR-45000) begann seine Flugerprobung im März 1960.
Erstflug 1960
Mit dem Ministerratsbeschluss Nr. 786-378 wurde die Entwicklung im Juli 1958 abgesegnet, die unter der Leitung von D. S. Markow stand. Testpilot Alexander Kalina und seine Crew führten den Erstflug am 29. März 1960 in Schukowski bei Moskau durch. Die erste Vorserienmaschine verließ das für die Fertigung ausgewählte Werk Nr. 135 in Charkow (heute Ostukraine) im Mai, und bis Ende des Jahres waren vier Maschinen verfügbar. Die leitenden Testpiloten waren Konstantin Taursky und Nikolai Malinin. Sie berichteten, dass die Tu-124 gegenüber der Tu-104 eine deutlich bessere Längs- und Querstabilität sowie eine bessere Steuerreaktion des Höhenruders hatte. Wie bei den meisten Flugzeugen dieser Zeit gab es bei der Tu-124 viele betriebliche Einschränkungen. Insbesondere durfte die Geschwindigkeit während des regulären Betriebs Mach 0.78 nicht überschreiten. Die maximale Flughöhe war auf 11 200 m begrenzt. Aufgrund der Konstruktion des Mittelflügels blieb im Passagierraum der Tu-124 eine Stufe, wie sie auch bei der Tu-104 vorhanden war.

Mit der Tu-124 bediente Aeroflot Inlandsrouten mit kleinerem Verkehrsaufkommen.
Enge Kabine
Das Cockpit und die Kabine waren recht eng. Über Komfort in der Economy-Klasse konnte kaum gesprochen werden, da die Knie einer durchschnittlich großen Person an die Rückenlehne des Vordersitzes stießen. Die Tu-124 verfügte über kein Hilfstriebwerk, weshalb der Passagierraum im Winter mithilfe von bodengestützten Lufterhitzern beheizt werden musste. Im Sommer war es problematisch, das Flugzeug am Boden zu kühlen. Kraftstoffleitungssysteme innerhalb der Tragflächen fehlten ebenfalls, und der Kraftstoff musste in die einzelnen separaten Tanksektionen eingefüllt werden, was die Vorbereitung des Flugzeugs für den nächsten Abflug verzögerte. Um die Start- und Landeeigenschaften zu verbessern, sollte die Tu-124 mit einem Grenzschichtbeeinflussungssystem an den Flügeln ausgestattet werden. Tests im Windkanal zeigten eine mögliche Leistungserhöhung um etwa 20 Prozent, jedoch wurde diese Neuerung nicht umgesetzt. Die Auslieferung der Tu-124 an Aeroflot begann im August 1962. Der erste Passagierflug fand am 2. Oktober auf der Strecke Moskau –Tallinn statt. Im November begann der Passagierverkehr zwischen Moskau und Uljanowsk, im Dezember nach Vilnius und später zwischen anderen Städten der UdSSR. Ab April 1964 wurde die Tu-124 auch international eingesetzt – der erste Flug führte von Moskau nach Warschau.

Anfangs war die Kabine dreigeteilt. Vorn Sitze mit Tischen dazwischen.
Mehr Passagiere
Die erste Version des Flugzeugs war die Tu-124W. Durch eine Neukonfiguration der Kabine konnte die Anzahl der Passagiersitze auf 56 erhöht und somit die Wirtschaftlichkeit des Flugzeugs verbessert werden. In diesem Modell wurde aus drei Kabinen eine gemacht, indem unnötige Tische entfernt und leichtere Sitze mit Klapptischen installiert wurden. Die Reichweite und die Nutzlast blieben unverändert. In den Jahren 1963 und 1964 wurden drei solcher Maschinen an die tschechische Fluggesellschaft CˇSA geliefert. Genauso viele wurden an die DDR (durch das TG-44 für Regierungsflüge verwendet) und nach China verkauft. Zwei gingen an den Irak, und auch in Indien hatten die Streitkräfte die Tu-124 im Einsatz. Die Serienproduktion endete im Frühjahr 1966.

Das Cockpit zeigt den Standard der späten 1950er-Jahre.
Bessere Systeme
Im Jahr 1963 wurden drei Prototypen der Tu-124B mit D-20P-125-Triebwerken mit einem erhöhten Startschub von 56,87 kN und mit reduziertem Kraftstoffverbrauch gebaut. Die Erhöhung des Startgewichts und der Reichweite war jedoch nur geringfügig, und diese Maschinen wurden nie in die Flotte von Aeroflot aufgenommen. Am 29. Juli 1963 fand der Erstflug der Tu-124A statt, bei dem die Turbofan-Triebwerke auf beiden Seiten des hinteren Rumpfs montiert waren. Dieses Flugzeug wurde zum Prototyp der Tu-134 mit Triebwerken am Heck. Im Jahr 1966 wurde an der Tu-124 ein Instrumentenlandesystem getestet. Ab dem dritten Quartal 1967 begann man dann, bei der Tu-124 eine Methode zur Reduzierung des Lärmpegels beim Start sowie das Instrumentenlandesystem BSU-P einzuführen.

Für das Militär erhielt die Tu-124Sch Bombenaufhängungen unter der Tragfläche.
Weitere Versionen
Neben den Maschinen für die Aeroflot wurden auch VIP-Versionen für die Sowjetunion und das Ausland hergestellt. Drei solcher Flugzeuge waren in Indien in Betrieb. Es wurden zudem Fracht- und umrüstungsfähige Maschinen gebaut – die Tu-124K war für den Transport von Fracht und 36 Passagieren und die Tu-124K-2 für Fracht und 22 Passagiere bestimmt. Eine besondere Rolle spielte die Schulungs- und Navigationsvariante Tu-124Sch. Ihre Produktion begann 1962. Bei diesem Flugzeug wurde das Radar Rubin-1A mit zwei Anzeigegeräten eingebaut, und die Kabine war mit mehreren Arbeitsplätzen ausgestattet. Unter dem Flügel gab es Träger zum Aufhängen von Bomben mit einer Masse zwischen 50 und 250 kg. Das Flugzeug wurde in zwei Versionen hergestellt: Tu-124Sch-1 zur Schulung von Navigatoren und Tu-124Sch-2 für den Fronteinsatz. Zwischen 1962 und Anfang 1966 wurden 165 Flugzeuge des Typs Tu-124, davon 110 Passagierflugzeuge, im Werk in Charkow produziert. Ende der 1960er-Jahre verlängerte man die Lebensdauer des Jets auf 15 000 Betriebsstunden und ab 1973 sogar auf 20 000 Stunden. Aeroflot stellte den Betrieb der Tu-124 Anfang der 1980er-Jahre ein. Sie hatten bis dahin etwa 6,5 Millionen Passagiere transportiert. Einige Maschinen, die ihre Nutzungsdauer noch nicht ausgeschöpft hatten, wurden an die Luftstreitkräfte der Sowjetunion übergeben.

Die Tupolew Tu-124W hatte eine Spannweite von 25,55 Metern.
Technische Daten
Tupolew Tu-124W
Typ: Regionalverkehrsflugzeug
Besatzung: 4
Passagiere: 44, später 56
Antrieb: 2 x Solowjew D-20P
Schub: 2 x 52,95 kN
Länge: 30,58 m
Höhe: 8,08 m
Spannweite: 25,55 m
Flügelfläche: 119,37 m2
Nutzlast: 5000 kg
Startmasse: 36 500 kg
Höchstgeschwindigkeit: 970 km/h
Reisegeschwindigkeit: 750 – 900 km/h
Dienstgipfelhöhe: 11 500 m
Rollstrecke: 800 m
Reichweite (5000 kg Nutzlast): 2000 km