Mit der von Premierminister Churchill angeordneten Gründung des Brabazon Committee wurde ab Dezember 1942 untersucht, wie sich die britischen Hersteller nach dem damals noch nicht absehbaren Ende des Krieges für die zivile Luftfahrt in Großbritannien aufstellen sollten. Fortan beschäftigten sich die Mitglieder, unter Leitung des englischen Luftfahrtpioniers John Moore-Brabazon, mit diversen Vorschlägen. Im Endeffekt definierte die Kommission insgesamt fünf Anforderungsprofile. Die Spezifikationen wurden dann formal durch das Ministry of Supply an die Hersteller herausgegeben. Unter der Bezeichnung Typ IIA wurde ein Mittelstrecken-Zubringerflugzeug mit Kolbenmotor gesucht. Eingesetzt werden sollte es zwischen Großbritannien und Europa. Gedacht war an einen Ersatz für die DC-3, wobei Sternmotoren von Bristol Aircraft verwendet werden sollten. Weiterhin enthielt die Ausschreibung die Vorgaben, dass die Maschine 20 Passagiere befördern und eine Reisegeschwindigkeit von 322 km/h erreichen sollte. Das Ministerium führte die Anforderungen unter der Nummer C.25/43.
Airspeed, eine Tochterfirma der de Havilland Aircraft Company, hatte sich während des Krieges einen Namen mit der Entwicklung und dem Bau der bekannten Airspeed Oxford gemacht. Nicht weniger bekannt sind die beim D-Day eingesetzten Lastensegler Airspeed Horsa. Dort ruhte schon seit 1938 ein Entwurf für einen zweimotorigen Schulterdecker, der jedoch nicht realisiert wurde. Der Name war „Ambassador“.
Vom Lastenseglerbau zur AS.57
1945 erhielt Airspeed dann aber den Zuschlag für den Type IIA und begann mit den Arbeiten am Prototyp der AS.57 (Beiname wieder Ambassador). Das Team rund um Chefdesigner Arthur Hagg dachte weit voraus und übertraf die Anforderungen des Komitees um ein Vielfaches. Die Reisegeschwindigkeit lag sogar bei 483 km/h.
Der jetzt mit einer Druckkabine ausgelegte Passagierbereich bot Platz für maximal 50 Fluggäste. Rechteckige Fenster und die Auslegung als Schulterdecker ermöglichten den Passagieren eine gute Aussicht. Die erste Maschine (Kennzeichen G-AGUA) startete am 10. Juli 1947 in Christchurch (nahe Bournemouth) zu ihrem etwa 45-minütigen Erstflug, wobei Cheftestpilot George Errington und J. Pears als Testingenieur an Bord waren. Größere Probleme traten dabei nicht auf. Kleinere Probleme mit dem zentralen Ruder und der Elektrik wurden im Anschluss behoben.
Zwei weitere Prototypen folgten 1948 und 1950. Mit ihnen wurden die Abnahmeflüge durchgeführt – inzwischen mit den für die Serienproduktion vorgesehenen Centaurus-611-Motoren. Diese ermöglichten der knapp 23 Tonnen schweren Maschine eine Geschwindigkeit von über 400 km/h in über 7000 Metern Höhe.
Letztes Verkehrsflugzeug mit Kolbenantrieb in Diensten der BEA
Im September 1948 bestellte British European Airways (BEA) 20 AS.57. Die erste Serienmaschine (G-ALZN) hob am 10. April 1951 ab. Den Liniendienst nahm das von VEA als „Elizabethan“-Klasse bezeichnete Muster am 13. März 1952 auf. Erste Flüge erfolgten von Northolt (London) nach Le Bourget (Paris). Die AS.57 entwickelte sich schnell zu einem rentablen Muster. Sie verursachte die niedrigsten Betriebskosten der gesamten BEA-Flotte. Airspeed hatte bei der Entwicklung Wert auf Wartungsfreundlichkeit gelegt. Bei Arbeiten an den Motoren konnten zum Beispiel die Verkleidungen zu allen Seiten aufgeklappt werden. Ein weiterer Vorteil war, dass die Aggregate als gesamte Einheit austauschbar waren. Trotz aller Vorzüge des Modells blieb BEA der einzige Kunde für die Ambassador, und Airspeed stellte die Produktion schon nach den bestellten 20 Maschinen ein. Verschiedene Projekte wie eine Frachtversion wurden nicht realisiert.
Am 6. Februar 1958 erlangte die Ambassador traurige Berühmtheit. Auf dem Flughafen München-Riem kam es zu einem tragischen Startunfall. BEA Flug 609 befand sich auf dem Weg von Belgrad nach Manchester. München war als Zwischenstopp geplant. Nach unauffälligem Auftanken stellte die Cockpitbesatzung beim ersten und zweiten Startversuch Unregelmäßigkeiten bei den Ladedrücken der Motoren fest. Die Passagiere verließen nach Abbruch des zweiten Versuchs die Maschine, und ein Check begann. Nach nur 15 Minuten wurden sie jedoch bereits wieder aufgefordert, ihre Plätze einzunehmen. Die G-ALZU rollte auf die Bahn, und der dritte Startversuch erfolgte. Auf den letzten Metern kurz vor dem Abheben fiel die Geschwindigkeit rapide ab, und die Maschine schoss über die Bahn hinaus, traf ein Haus und fing Feuer. Von den 44 Personen an Bord verloren 23 bei diesem Unfall ihr Leben, darunter auch acht Spieler von Manchester United. Noch heute ist das „Munich Air Disaster“ vielen ManU-Fans ein Begriff. Letztendlich stellte sich heraus, dass Schneematsch am Ende der Startbahn für die Verlangsamung der Maschine gesorgt und das Erreichen der Abhebegeschwindigkeit verhindert hat. Der überlebende Kapitän wurde nach langen Untersuchungen 1968 von jeder Schuld freigesprochen.
Nach nur sechs Jahren im Dienst der BEA wurde die AS.57 von der Zeit überholt. Sie musste der schnelleren Vickers Viscount mit moderneren Turboprop-Motoren weichen. Der letzte BEA-Linienflug führte am 30. Juli 1958 von Köln nach London.
Nach der Ausmusterung wurden die Maschinen von anderen Fluglinien, darunter Dan-Air, GlobeAir und Autair, in Europa und Australien eingesetzt. Sogar als VIP-Transporter der jordanischen Luftwaffe flogen zwei Ambassadors in den 1960er Jahren.
Testträger für Wellenturbinen
In den 1960er Jahren kamen alle AS.57 zurück nach Großbritannien. Sie wurden noch rund zehn Jahre bei Bedarfsfluggesellschaften eingesetzt. Einige Exemplare dienten unter anderem bei der Shell-Petroleum-Gesellschaft als Geschäftsreiseflugzeug. Der zweite Prototyp sowie eine Serienmaschine wurden als fliegende Prüfstände zur Erprobung verschiedener Propellerturbinen genutzt. Die zweite gebaute Ambassador mit dem Kennzeichen G-AKRD wurde ab 1953 von der Bristol Aeroplane Company für Testflüge mit dem Proteus-705-Triebwerk genutzt. Rolls-Royce testete im Anschluss daran ab 1958 ihre Tyne-Triebwerke mit der Maschine. 1969 wurde das Flugzeug nach längerer Einlagerung verschrottet. Eine weitere Ambassador wurde für Testzwecke der Napier-Eland-Turbine genutzt.
Ende des Jahrzehnts fanden die letzten Flüge der AS.57 statt, und die meisten Maschinen wurden in Großbritannien verschrottet. Heute existiert nur noch ein Exemplar im Imperial War Museum in Duxford.
Technische Daten
Airspeed AS.57 Ambassador
Besatzung: 3 + 2
Passagiere: 47 – 60
Triebwerke: zwei luftgekühlte 18-Zylinder-Sternmotoren Bristol Centaurus 661 mit je 1945 kW
Länge: 25,05 m
Höhe: 5,60 m
Spannweite: 35,05 m
Startmasse: 23 814 kg
Reisegeschwindigkeit: 415 km/h
Dienstgipfelhöhe: 7600 m
Reichweite: 2200 km
Klassiker der Luftfahrt Ausgabe 01/2016