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Otto Lilienthal am Hang - Vor 125 Jahren wude der Traum vom Fliegen wahr

Vor 125 Jahren wude der Traum vom Fliegen wahr
Otto Lilienthal am Hang

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Otto Lilienthal gilt heute als der erste erfolgreiche Flieger der Menschheit. Seine grundlegenden Untersuchungen und Messungen an Modell­flügeln sowie die Flugversuche schufen mit die Basis zur Verwirklichung des Motorflugs durch die Gebrüder Wright.

Otto Lilienthal am Hang

Frühling 1891, in der Nähe des Dörfchens Derwitz an der Bahnstrecke zwischen Potsdam und Magdeburg: Etwa 15 oder 25 Meter weit soll das Flügelpaar aus Weidenruten, mit Baumwollstoff überzogen, seinen Piloten Otto Lilienthal erstmals getragen haben. Kein Ereignis, dessen Tag und Stunde Lilienthal notiert hätte, weil er ihm eine historische Bedeutung beigemessen hätte. Aber er war in seinem Übungsprogramm nun an einem Punkt angekommen, an dem eine sichere Landung nach kurzem Anlauf und kurzem Flug kein Zufall mehr war. Er fühlte sich nun sicher genug, um Carl Kassner vom Preußischen Meteorologischen Institut zu bitten, ihn zu begleiten. Lilienthal hatte erfahren, dass dieser fotografiere. Im Protokoll der Sitzung des Vereins zur Förderung der Luftschifffahrt vom 16. November 1891 heißt es dann zu Lilienthals Vortrag: „Einige Moment-Photographien, welche den Experimentator mit seinem Apparat in der Luft schwebend darstellen, veranschaulichen die Versuche.“ 

Es war der französische Flugpionier Ferdinand Ferber, der als einer der Ersten die epochale Bedeutung dieser ersten Sprünge Lilienthals hervorhob und den unbekannten Tag des Jahres 1891 als den Tag bezeichnete, an dem die Menschheit fliegen gelernt habe. Für Lilienthal waren diese ersten tatsächlichen Flüge nur ein weiterer Schritt in seinem Trainingsprogramm, welches er 1889, nach der Veröffentlichung seines Buches „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“, aufgenommen hatte.

Die 1891 in Derwitz beginnenden Flugübungen beschreibt Lilienthal selbst recht anschaulich: „Fast allsonntäglich und auch, wenn meine Zeit in der Woche es irgend erlaubte, befand ich mich auf dem Uebungsterrain zwischen Großkreutz und Werder, um von den dortigen Hügeln Tausende von Malen den Segelflug gegen den Wind zu üben. Ein Techniker meiner Maschinenfabrik, Herr Hugo Eulitz, und ich wechselten uns derart ab, dass der eine vom Berge herabsegelte, und gleich darauf den Apparat wieder zur Höhe trug, während der andere sich ausgeruht hatte und sofort einen neuen Sprung vornahm.“

Im Folgejahr, mit neuem Fluggerät und in wieder neuem Fluggelände, trug ihn sein Apparat bereits 80 Meter weit. 1893 waren daraus 250 Meter weite Flüge im Ländchen Rhinow zwischen Neustadt an der Dosse und Rathenow geworden. Es folgten der Bau seiner Fliegestation in Steglitz und seines Fliegeberges in Lichterfelde sowie Motorflugversuche, Experimente zur Steuerung, die Konstruktion zweier Doppeldecker und die erste Serienproduktion eines Flugzeugs in der Geschichte. Als er 1896 auf sein „Leistungsfluggelände“ bei Rhinow zurückkehrte, folgte er vermutlich dem Wunsch, in den „dauernd horizontalen wirklichen Segelflug“ zu gelangen, wie er formulierte. Am 9. August stürzte Lilienthal ab, einen Tag später starb er an seinen Verletzungen.

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Lilienthals Leistung aus heutiger Sicht

Der kleine Schlagflügelapparat am Fliegeberg am 16. August des Jahres 1894. Foto und Copyright: Lilienthal Museum

125 Jahre nach Lilienthals ersten Flügen und 120 Jahre nach seinem Tod ist die von Lilienthal formulierte Vision des „weltumspannenden Luftverkehrs“ nicht nur Wirklichkeit, sondern zur alltäglichen Selbstverständlichkeit geworden. Ebenso allgegenwärtig ist jedoch auch das Scheitern des zweiten Teils seiner Prophezeiung: dass das Flugzeug dem „ewigen Frieden“ zum Durchbruch verhelfen werde.

So, wie immer wieder Zweifel am „ersten Motorflug“ der Wrights angemeldet werden, sind neben und vor Lilienthal die Namen vieler anderer zu nennen. Für die Entwicklung zum heutigen Flugzeug sind es auch eher Lilienthals Laborexperimente, die den Durchbruch zum Menschenflug darstellen, hatte Lilienthal in seinem Buch doch das „Geheimnis“ des Flügels entschlüsselt und vor allem und vor allen anderen durch praktische Experimente und Versuchsreihen quantifiziert. Seine Technik, gemessene Auftriebs- und Widerstandswerte von Modellflügeln in seinem „Polardiagramm“ darzustellen, ist bis heute Stand der Technik und Kenngröße jedes Flügelprofils geblieben. Lilienthals Flugtechnik wurde dagegen bereits ab 1900 durch die Arbeiten der Gebrüder Wright abgelöst und zum heutigen Flugzeug weiterentwickelt.

Aber auch für die technische Entwicklung zum Flugzeug war der entscheidende Antrieb nicht das von Lilienthal geschaffene theoretische Rüstzeug, sondern seine Leistung, das Thema aus der akademischen Diskussion in die Wirklichkeit (und in die Zeitungen) gebracht zu haben. Es waren die sensationellen Momentfotografien, die Lilienthals Flüge international populär machten und den Startpunkt der Flugzeuggeschichte markieren. Und es war auch für ihn die glänzende praktische Bestätigung des in seinem Buch veröffentlichten theoretischen Fundaments.

Lilienthals Übergang von der Theorie des Flügels zur Flugpraxis war allerdings alles andere als die einfache Bestätigung seiner Theorie und stellte ihn – wohl auch zu seiner eigenen Überraschung – vor völlig neue Probleme. Der Schritt zu praktischen Flügen war gleichsam ein Übergang vom wissenschaftlich vorgehenden Experimentator zum Empiriker und zum mutigen und sportlichen Artisten. Zur Erforschung des Fluges war seine Orientierung am Vorbild Vogel der erfolgreiche Schlüssel gewesen. Für die praktische Beherrschung des Flugapparates war dieses Vorbild jedoch kaum hilfreich. Der Antrieb durch Flügelschlag und die Steuerung durch Körperbeherrschung waren für den Menschen nur sehr begrenzt nachahmbar, wie Lilienthal feststellen musste. Lilienthal formulierte, das Problem bestehe darin, „dass man das Fliegen nur lernen kann, wenn man es übt, dass man aber das Fliegen ohne den Hals zu brechen nur üben kann, wenn man das Fliegen versteht!“. Lilienthal fand wiederum den wohl einzig gangbaren Ausweg aus dieser Situation. Seine Trainingsmethode wurde mit der Formel „vom Schritt zum Sprung, vom Sprung zum Flug“ treffend beschrieben und von seinen Nachfolgern, namentlich den Gebrüdern Wright, übernommen.

Die Gebrüder Wright haben Lilienthals Leistung in treffender Weise gewürdigt. Sein Buch bezeichneten sie als „das seit 20 Jahren Beste, was gedruckt vorlag“. Aber auch sie sahen seine größte Leistung darin, das Problem aus den Studierzimmern vor die Tür, in den praktischen Wind gebracht zu haben. Ein 1912 postum veröffentlichter Artikel von Wilbur Wright endet mit den Worten: „Niemand glich ihm im vollen klaren Verständnis der Prinzipien des Fluges. [… Er] war ohne Zweifel der Größte der Vorläufer, und die Welt steht tief in seiner Schuld.“

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