Besondere Weitsicht bewies das US Army Air Corps, als man im Juni 1936 ein ganz besonderes Flugzeug in Auftrag gab: Die Lockheed XC-35 sollte erstmals eine Druckkabine für Piloten und Passagiere erhalten und Flughöhen von mehr als 7620 Meter erreichen. Die Vorteile lagen auf der Hand: Künftige Verkehrsflugzeuge könnten schlechtes Wetter einfach überfliegen, während neue Bomber bessere Möglichkeiten bekamen, feindlichen Jägern zu entkommen. Schon fünf Jahre zuvor hatte die Junkers Ju 49 in diesem Bereich Geschichte geschrieben, denn die Maschine erhielt als erstes Flugzeug der Welt ein druckbelüftetes Abteil für die zweiköpfige Besatzung. Das Höhenversuchsflugzeug aus den USA baute allerdings auf einem später erfolgreichen Verkehrsflugzeug auf, der Lockheed 10A Electra. Diese hatte ihren Erstflug am 23. Februar 1934 und bot Platz für zehn Fluggäste.
Das Lockheed-Team unter Leitung von Ferris Smith behielt Tragfläche und Leitwerk bei. Dafür erhielt die XC-35 einen neu gestalteten Rumpf, der einen fast runden Querschnitt mit internen Versteifungen und schwererer Beplankung aufwies, um den Belastungen besser standhalten zu können. Der Entwurf des Druckbelüftungssystems oblag Carl Green und John Younger von der Air Corps Engineering Division. Zur Abdichtung kam ein neu entwickeltes Neopren-Dichtungsband von DuPont zum Einsatz, da sich die ursprüngliche Lösung aus in Klebstoff getränktem Stoff als wenig praktikabel erwiesen hatte. Die Gesamtkosten des Baus betrugen 112197 Dollar.
Der vordere, druckbelüftete Teil der Innenausstattung bot Platz für zwei Piloten und einen Ingenieur, der die Höhenausrüstung samt Anzeigen und Ventilen bediente, sowie zwei Passagiere. Hinter dem Druckschott befand sich noch ein kleines, nicht druckbelüftetes Abteil für eine Person, das jedoch nur in Höhen bis zu 3700 Metern genutzt werden konnte. Die Passagierfenster waren fast schlitzartig als kleine Rechtecke geformt. Als Antrieb wählten die Konstrukteure zwei XR-1340-Sternmotoren von Pratt & Whitney, die über Abgasturbolader verfügten, um die nötigen Höhen von mehr als 9000 Metern zu erreichen. Die Turbolader lieferten auch die für die Druckbelüftung notwendige Zapfluft. Der Druckunterschied betrug 0,7 kg/cm2.
Eine Herausforderung stellte dabei der Entwurf der Tür dar, die luftdicht abschließen musste. Die Lucke wurde von insgesamt 14 Bolzen gehalten, die mittels einer zentralen Nockenscheibe verriegelt wurden. Dabei drehte sich eine weitere Scheibe in der Tür um 90 Grad und brachte so einen Ventilsitz in Linie, um die Luft aus der Kabine zu lassen. In Öl getränktes Leder zwischen der Scheibe und deren Befestigung verhinderte das Entweichen des inneren Drucks.
Fertigstellung, Tests und Einsätze

Im April 1937 stellte die Lockheed-Mannschaft das ungewöhnliche Fluggerät fertig. Ihrem Spitznamen „The Boiler“ machte die XC-35 bei den anschließenden Bodentests alle Ehre. Wie bei einem Dampfkessel sorgten fehlerhafte Dichtungen im Türbereich anfangs für entsprechende Geräusche und mussten ersetzt werden. Nach dem Erstflug am 7. Mai 1937 in Burbank führte Lockheed zur allgemeinen Erprobung zunächst einige Flüge in normalen Höhen durch, die zufriedenstellend ausfielen. Dann übergab der Flugzeugbauer die umgebaute Electra (Konstruktionsnummer 3501, militärische Kennung 36-353) offiziell am 27. Juli 1937 an das Militär, das daraufhin in Wright Field, Ohio, mit einem umfangreichen Versuchsprogramm begann. Die XC-35 erzielte unter anderem bei einem Flug von Chicago und Washington, D.C., begünstigt von Heckwinden eine Durchschnittsgeschwindigkeit von damals beachtlichen 563 km/h in einer Höhe von 6095 Metern. Dabei musste die Besatzung weder Sauerstoffgeräte noch schwere Kleidung tragen.
Als problematisch erwies sich allerdings die gelegentliche Vereisung der fast zwei Zentimeter dicken Cockpitscheiben, die sich nur schwer von der Innenseite beheizen ließen. Ohnehin war die Sicht der Piloten durch die geringe Größe der Scheiben etwas eingeschränkt. Daher nannten die Flugzeugführer Berichten zufolge die XC-35 auch scherzhaft „Can't see 35“. Trotzdem setzen sie das Einzelstück zu der einen oder anderen nicht ungefährlichen Mission ein. So flog Herbert Henry Hoover, Testpilot bei der NASA-Vorgängerorganisation NACA in Hampton, Virginia, freiwillig in Gewitter, um Erkenntnisse über das Flugverhalten in schlechtem Wetter zu gewinnen. Damit gilt er als einer der ersten Piloten, der sich diesen Gefahren aussetzte. Er flog später übrigens auch die raketengetriebene Bell XS-1. Am 14. August 1952 kam Hoover beim Absturz einer North American B-45 Tornado über Virginia ums Leben.
Die XC-35 erwies sich insgesamt als recht zuverlässig und flog später auch normale Transporteinsätze. Noch im Jahr 1937 erhielt das Air Corps die Collier Trophy für das Forschungsprogramm als wichtigste Errungenschaft des Jahres in der Luftfahrt. Der Preis wird seit 1911 verliehen. Der aktuelle Preisträger ist übrigens Sikorsky, von der National Aeronautics Association ausgezeichnet für den X2-Demonstrator. Wie wertvoll die XC-35 gewesen war, zeigte sich einige Jahre später beim Bau von Flugzeugen mit Druckkabine wie der Boeing B-29 Superfortress und der Boeing 307 Stratoliner. Aufgrund seiner Leistungen endete das Versuchsflugzeug nicht auf dem Schrottplatz, sondern kam 1948 als bedeutende Errungenschaft der US-Industrie in die Sammlung der Smithsonian Institution. Sie bleibt jedoch weiterhin in Maryland eingelagert.
Technische Daten





Hersteller: Lockheed Aircraft Corporation, Burbank, USA
Typ: Forschungsflugzeug
Besatzung: 3 (Pilot, Copilot, Bordingenieur)
Triebwerke: 2 Pratt & Whitney XR-1340-43
Leistung: 404 kW (je 550 PS)
Länge: 12,83 m
Höhe: 3,07 m
Spannweite: 16,76 m
Flügelfläche: 42,59 m²
Leermasse: 3602 kg
max. Startmasse: 4757 kg
Höchstgeschwindigkeit: 380 km/h in 6095 m Höhe
Reisegeschwindigkeit: 344 km/h
Dienstgipfelhöhe: 9600 m
Reichweite: 1287 km
FLUG REVUE Ausgabe 03/2012