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Grumman X-29 – Was spricht gegen nach vorn gepfeilte Flügel?

Grumman X-29
Was spricht gegen nach vorn gepfeilte Flügel?

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Flugzeuge mit nach vorn gepfeilten Tragflächen gehören zu den Raritäten der Luftfahrtgeschichte. Auch die Grumman X-29, die in den 1980er-Jahren zahlreiche Testflüge absolvierte, hatte keinen bleibenden Einfluss auf die Fighter-Entwicklung. Aber warum eigentlich?

X-29
Foto: NASA

Nach der Einführung ihres neuen Luftüberlegenheitsjägers, der F-15 Eagle, im Jahr 1976 untersuchte die US Air Force mit Unterstützung der Forschungsbehörde DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency) eine ganze Palette von Technologien, die für die nächste Fighter-Generation interessant sein konnten. Alle namhaften amerikanischen Hersteller versuchten Studienaufträge und Versuchsprogramme an Land zu ziehen, um sich für den erwarteten Wettbewerb um das Milliardenprogramm zu positionieren.

Bei Grumman, dem traditionsreichen Kampfflugzeug-Lieferanten der US Navy, nutzte man zum Beispiel ein Windkanalmodell, das nach der Niederlage im Wettbewerb um den Bau des HiMAT-Demonstrators (unbemanntes Fluggerät zur Erforschung extremer Agilität) 1975 übrig geblieben war, um die Eigenschaften verschiedener Flügelkonfigurationen zu untersuchen. Projektingenieur Glenn L. Spacht und seine Mannschaft stellten dabei erstaunt fest, dass ein vorwärts gepfeilter Flügel die niedrigsten Widerstandsbeiwerte aufwies.

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Theoretisch bieten Tragflächen mit starker Vorwärtspfeilung für Kampfflugzeuge in der Tat eine ganze Reihe von Vorteilen. Dazu zählen bedeutend höhere Auftriebsbeiwerte bei Flugmanövern im hohen Unterschallbereich, ein geringerer Trimmwiderstand – was zu höherer Reichweite im Überschallflug führt –, geringere Überziehgeschwindigkeiten, Resistenz gegen Trudeln, bessere Eigenschaften im Langsamflug und eine höhere Flexibilität bei der Entwurfsauslegung.

Das alles klingt vielversprechend und war lange bekannt. Der vorwärts gepfeilte Flügel hat jedoch einen entscheidenden Nachteil. Durch elastische Verformung unter Last erhöht sich der Anstellwinkel an den Flügelspitzen, was zu einer weiteren Lasterhöhung führt. Dies kann im Extremfall zum Bruch führen, wenn die Struktur nicht extrem steif ausgelegt ist. Bei konventioneller Metallbauweise führt das schnell zu einer inakzeptablen Zunahme des Gewichts.

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Neue Werkstoffe – neue Möglichkeiten

Einen Ausweg wiesen die in den 1970er Jahren aufkommenden Verbundwerkstoffe. Oberst Norris Krone, Jr., ein erfahrener Kampfpilot der USAF, rechnete in seiner Dissertation "Divergence Elimination with Advanced Composites" jedenfalls bereits 1973 vor, wie mit den neuen Materialien ein Flügel ohne Nachteile so gebaut werden konnte, dass der kritische Überlastungsfall außerhalb des gewünschten Flugbereichs liegt.

Krones Arbeit stieß zunächst auf geringe Resonanz, aber als er später zur DARPA wechselte, hatte er die Möglichkeit, für seine Ideen zu werben und 1977 kleine Studienaufträge im Wert von je 100 000 Dollar an Grumman, General Dynamics und Rockwell zu vergeben. Nach Auswertung der Analysen und Windkanalversuchen folgte 1978 eine zweite Phase, für die insgesamt eine Million Dollar bereitgestellt wurden. Dazu kamen Firmenmittel.

Bei der X-29 wirkten Canards, Flügelklappen und Steuerflächen am Heck zusammen. Foto und Copyright: NASA



Erste Tests im Windkanal

Mit dem Geld wurden weitere Windkanalmodelle gebaut, die man bei der NASA in Langley untersuchte. Grumman und Rockwell bauten zudem 1,8 Meter lange Tragflächen, die für aeroelastische Tests im Arnold Engineering Development Center verwendet wurden. Ziel war es hierbei, die Rechenverfahren zu verifizieren. Grumman verwendete auch ein ferngesteuertes Modell mit einer Spannweite von 2,1 Metern, das ein Konzept mit Forward Swept Wing (FSW) und Canards im Flug erprobte.

Die insgesamt positiven Ergebnisse der Studien und Versuche sollten schließlich im Flugtest bestätigt werden. Zunächst war ein Umbau des unbemannten HiMAT im Gespräch, doch Oberst Krone gelang es nach intensiver Überzeugungsarbeit, gleich die Gelder für den Bau eines bemannten Versuchsträgers freizumachen.

Im Januar 1981 erhielt Grumman nach einem Wettbewerb mit Rockwell und General Dynamics den Zuschlag für den Bau des ersten bedeutenden X-Flugzeugs seit den Auftriebskörpern X-24 der 1970er Jahre. Der eigentliche Auftrag für zwei X-29A in Höhe von zunächst 71,3 Millionen Dollar wurde dann im Dezember 1981 erteilt.

Der Vorschlag von Grumman basierte auf der Verwendung des damals neuen F404-Triebwerks aus dem F-18-Hornet-Programm und einigen Teilen aus anderen Mustern. So stammte die komplette Bugsektion bis hinter das Cockpit von der F-5A Tiger. Das Hauptfahrwerk wurde von der F-16 übernommen, genauso wie verschiedene Stellmotoren.

Forschungsobjekt Flügel

Völlig neu war selbstverständlich das eigentliche Forschungsobjekt, der Flügel. Bei diesem verwendete Grumman einen Vorderholm aus Titan sowie Rippen und Hinterholm aus Aluminium. Die Beplankung bestand aus Kohlefaser-Verbundwerkstoffen. Bis zu 150 Kohlefasermatten wurden nach einem genau berechneten Muster übereinander gelegt, um die gewünschten Eigenschaften zu erhalten. Die Matten wurden so angeordnet, dass rund 70 Prozent der Fasern etwa neun Grad stärker nach vorn gepfeilt waren als die Flügelvorderkante. Das Ergebnis war ein asymmetrisches Scherverhalten, das zu einem Biegemoment führte, mit dem die aeroelastischen Kräfte kompensiert werden konnten.

Aerodynamisch setzte das Entwicklungsteam auf ein dünnes, superkritisches Profil (K Mod 2, mit 6,2 Prozent Profildicke an der Wurzel). Die Flügelwurzel wurde nach vorn gepfeilt, um die Fläche in diesem Bereich zu vergrößern. An den Hinterkanten waren über die gesamte Spannweite reichende Wölbklappen montiert, die eine zwar stufenweise, aber doch wirksame Profilveränderung bewirkten. Sie waren zweifach angelenkt und auf etwa halber Tiefe geteilt: Wenn sich der vordere Abschnitt bewegte, schlug der hintere noch einmal um die gleiche Gradzahl aus.

Komplexe Steuerung

Ein weiteres Merkmal der X-29 waren die eng gekoppelten Canards, kleine bewegliche Steuerflächen knapp vor dem Flügel, die mit ihren großen Ausschlägen von + 30/- 60 Grad für die Kontrolle um die Querachse sorgten. Dazu kamen am Ende der nach hinten gezogenen Flügelwurzel Klappen mit Höhenruderwirkung.

Insgesamt war das Steuersystem der X-29 also sehr komplex, was aber auch nötig war, um die aerodynamisch selbst für heutige Standards extrem instabile X-29 im Zaum zu halten. Bei niedrigen Geschwindigkeiten wanderte der Auftriebspunkt weiter nach vorn, bis er 35 Prozent der Sehnenlänge vor dem Schwerpunkt lag. Die F-16 brachte es damals gerade auf eine reduzierte Stabilität von drei Prozent.

Für ein Flugzeug wie die X-29 kam natürlich nur ein elektronisches Steuersystem in Betracht. Das von Honeywell entwickelte Fly-by-Wire-System hatte drei parallele digitale Kanäle mit jeweils einem eigenen Rechner, in dem wiederum zwei Prozessoren arbeiteten. Dazu kam ein analoges Reservesystem. Angesichts der vielen Unbekannten wurde die Software zunächst mit sehr konservativen Grenzwerten programmiert.

Die Entwicklung der Flugsteuersoftware war eine der schwierigsten und zeitaufwändigsten Aufgaben im X-29-Programm. Bei Beginn der Entwicklungsarbeiten im Januar 1981 (vor der offiziellen Auftragserteilung) ging Grumman noch von einem Erstflug Ende 1983 aus. Im September 1983 war im Werk Bethpage aber erst die Montage der Zelle beendet, die dann noch Belastungstests zu absolvieren hatte.

Roll-out mit George Bush

Im Juli 1984 folgte dann per Lastwagen der Transport ins 80 Kilometer entfernte Flugtestzentrum Calverton, wo Kraftstofftests und Triebwerksläufe durchgeführt wurden. In Calverton fand am 27. August 1984 auch die Roll-out-Feier statt, auf der auch der damalige US-Vizepräsident George H. W. Bush sprach.

Nach Abschluss der Versuche in Calverton wurde die X-29A mit einer C-5 Galaxy zur Edwards AFB in Kalifornien geflogen. Dort hob Grumman-Cheftestpilot Chuck Sewell am 14. Dezember 1984 um 9.36 Uhr Ortszeit zum Jungfernflug ab. Sewell stieg zunächst auf 4500 Meter, um die Flugeigenschaften der X-29 um alle Achsen zu überprüfen. Das Programm wurde dann in 3500 Metern Höhe wiederholt. Nach 57 Minuten setzte die X-29A wieder in Edwards auf. Insgesamt vier Werksflüge folgten bis Februar 1985, bevor die Maschine von einem Joint Test Team mit Personal der NASA, des Air Force Flight Test Center und der Aeronautical Systems Division übernommen wurde. Der fünfte Flug fand dann am 2. April statt. In einer ersten Evaluierungsphase des Konzepts wurden etwa 30 Flüge durchgeführt. Der erste Überschallflug stand am 13. Dezember 1985 an. Bei ihm erreichte NASA-Testpilot Stephen Ishmael in 12 200 Metern Höhe Mach 1.05.

Viele Testflüge

Insgesamt kam das Flugtestprogramm nur langsam voran, was nicht an mangelnder Zuverlässigkeit des Flugzeugs selbst, sondern an immer wieder notwendigen kleinen Änderungen der Versuchsausrüstung und an Verbesserungen der Flugsteuersoftware lag, die jeweils ein umfangreiches Verifikationsprogramm durchlaufen mussten. Dennoch kamen für die erste X-29 bis Dezember 1988 beeindruckende 242 Flüge zusammen, so viel wie bei keinem X-Flugzeug zuvor. Ihr Potenzial als Fighter konnte die Maschine jedoch nicht nachweisen, dazu war die Steuerung wegen der vorsichtigen Programmierung zu träge und hatte zu viele Restriktionen wie beispielsweise einen Anstellwinkel von maximal 24 Grad.

Die zweite X-29A, die man parallel zum ersten Flugzeug gebaut und dann zunächst in Reserve gehalten hatte, bot da schon mehr. Sie wurde mit einem Trudelschirm ausgerüstet und Anfang 1989 fertiggestellt. Ihren ersten Flug führte sie am 23. Mai 1989 in Edwards AFB durch, er dauerte 52 Minuten. Dies war der Auftakt zu einem Programm, in dem die Eigenschaften des vorwärts gepfeilten Flügels bei hohen Anstellwinkeln untersucht werden sollte.

Während der ersten fünf Flüge wurden zunächst die geänderten Flugsteuerungsgesetze überprüft, und man löste zwei Mal den Trudelschirm aus, um seine Funktion zu testen. Schrittweise wurden dann von Herbst 1989 bis Mai 1990 die Anstellwinkel auf 50 Grad erhöht. Die Stabilität und Steuerbarkeit der X-29 war dabei überraschenderweise deutlich besser als zuvor berechnet. Für die Forscher ging es deshalb darum, zu verstehen, woran diese Abweichungen lagen.

Zunächst ging es um die Eigenschaften des Forward Swept Wing allgemein, später wurden mit der zweiten Maschine Versuche bei hohen Anstellwinkeln durchgeführt.

Tests mit hohen Anstellwinkeln

Diese Testphase dauerte bis Februar 1991, dann musste die US Air Force erst einmal frisches Geld locker machen, um weitere Untersuchungen über das taktische Potenzial der Manöver durchführen zu können. Weitere Flüge fanden im Sommer 1991 statt, bis zum Ende des Haushaltsjahres im September für die zweite X-29 etwa 120 Flüge zu Buche standen.

Danach gab es eine Pause, bis die zweite X-29 in der Nase mit einem System zur Strömungsbeeinflussung ausgerüstet war. Beim so genannten Vortex Flow Control Program, das die USAF und Grumman finanzierten, ging es darum, durch Gasausstoß die sich am Bug ablösenden Wirbel zu beeinflussen und so die bei hohen Anstellwinkeln nachlassende Wirkung des Seitenruders auszugleichen. Dies war zuvor noch nie versucht worden, zeigte aber gleich eine gute Wirkung mit Gierraten von bis zu 20 Grad pro Sekunde. Dazu wurde von zwei Düsen in kurzen Stößen (ein bis drei Sekunden) Stickstoff asymmetrisch über die Nase geblasen.

Ende im Museum

Wegen des geringen Volumens des Stickstofftanks waren dabei bis zu sechs Missionen pro Tag nötig, um die gewünschten Datenpunkte zu erfliegen. Den letzten von 58 Flügen im VFC-Programm machte NASA-Testpilot Steve Ishmael am 28. August 1992. Der letzte Flug einer X-29 erfolgte dann mit Major Regis Hancock am Steuer beim Open House auf der Edwards AFB am 18. Oktober. Danach wurde auch die Nummer zwei eingemottet. Sie ist heute immer noch beim Dryden Flight Research Center der NASA zu sehen, während die erste X-29 Ende 1994 per Tieflader zum National Museum of the United States Air Force nach Dayton in Ohio gebracht wurde. Dort ist sie derzeit im Prototypenhangar ausgestellt.

Mit 436 Flügen gehört das X-29-Programm zu den umfangreichsten, die jemals mit einem Versuchsflugzeug durchgeführt wurden. Im Verlauf von acht Jahren konnten auf der Edwards AFB umfangreiche Erkenntnisse über die Eigenschaften eines nach vorn gepfeilten Flügels in Faserverbundbauweise gesammelt werden. Die Fighterentwicklung hat die X-29 jedoch trotz des Hypes bei ihrem Erscheinen nicht beeinflusst.

Technische Daten

Grumman X-29A

Verwendung: Versuchsflugzeug
Besatzung: 1
Antrieb: 1 x General Electric F4040-GE-400
Schub: 71,2 kN
Länge: 16,44 m mit Staurohr
Höhe: 4,36 m
Spannweite: 8,29 m
Flügelfläche: 17,54 m2
Canard-Fläche: 3,34 m2
Leermasse: 6260 kg
Kraftstoff: 1805 kg
max. Startmasse: 8075 kg
max. Geschwindigkeit: ca. Mach 1.5
Gipfelhöhe: ca. 15 200 m
Flugdauer: ca. 1 h

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Erscheinungsdatum 22.05.2023