Von Kugeln durchsiebt: Ju 188 im Überlebenskampf über Minsk

Mit der Ju 188 im Kampf
Von Kugeln durchsiebt - und trotzdem gelandet!

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Veröffentlicht am 19.04.2024

Die Junkers Ju 188 war ein sehr leistungsfähiges Aufklärungsflugzeug, das in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs für die Wehrmacht an der Ostfront unverzichtbar war. Die Besatzungen der Fernaufklärungseinheiten der Luftwaffe flogen weit über das von den Sowjets gehaltene Gebiet und sammelten wichtige Informationen über feindliche Truppen- und Eisenbahnbewegungen, die Besetzung von Flugplätzen und Häfen und vieles mehr. Die meisten Einsätze verliefen ereignislos und erfolgreich, da die Sowjets über kein fortschrittliches, integriertes Luftabwehrsystem verfügten wie die Briten und Amerikaner im Westen. Allerdings verliefen die Dinge auch für die Deutschen nicht immer nach Plan. Ein gutes Beispiel dafür ereignete sich am Ostersamstag, den 8. April 1944, als eine Ju-188-Besatzung der Fernaufklärungseinheit 4.(F)/Aufklärungsgruppe 14 gegen sowjetische Jäger kämpfte und unter heftigen Flakbeschuss geriet, es aber dennoch schaffte, sprichwörtlich nach Hause zu hinken.

4.(F)/Aufklärungsgruppe 14

Die 4.(F)/14 war zu Beginn des Zweiten Weltkriegs mit der anfälligen Dornier Do 17 ausgerüstet und setzte dann während der Luftschlacht um England 1940 die schnellere und robustere Messerschmitt Bf 110 ein. Nach der Umrüstung der Staffel auf die Junkers Ju 88 Anfang 1941 flog sie Einsätze über dem zentralen Sektor der Ostfront, nachdem die Deutschen am 22. Juni 1941 in die Sowjetunion einmarschiert waren. Die 4.(F)/14 war maßgeblich an der Schlacht um Moskau und der anschließenden sowjetischen Gegenoffensive im Winter 1941/1942 beteiligt und nahm auch an der Schlacht von Kursk im Sommer 1943 teil.

Ritt auf der Kanonenkugel

In den ersten Kriegsjahren trugen ihre Flugzeuge ein Emblem, das die Figur des legendären Freiherrn von Münchhausen mit einem Fernrohr in der Hand und auf einer Kanonenkugel reitend darstellte. Die Angehörigen der Einheit bezeichneten sich selbst stolz als "Münchhausen-Staffel". Die 4.(F)/14 rüstete im Januar 1944 auf die Ju 188 um und nahm zwölf nagelneue Ju 188 F-1 in ihre Reihen auf. Die Umschulung auf das neue Muster in Ostpreußen dauerte zwei Monate, und die 4.(F)/14 kehrte Ende März 1944, als im Frühjahr Tauwetter einsetzte, an die Ostfront zurück.

Die Ju 188 war eine würdige Nachfolgerin der bewährten Ju 88 und wurde wie ihre Vorgängerin als Bomber und Aufklärungsflugzeug eingesetzt. Die Ju 188 F-1 war eine spezielle Aufklärungsversion, von der bis Ende März 1944 fast 200 Exemplare gebaut wurden.

Die Rotarmisten sammeln sich

Anfang April 1944 war die 4.(F)/14 in Baranowitsche stationiert, einem bedeutenden deutschen Fliegerhorst südwestlich von Minsk in Belarus. In dieser Phase des Krieges bereiteten sich die Sowjettruppen auf ihre entscheidenden Sommeroffensiven vor, und die Aufklärungseinheiten der Luftwaffe hatten die wichtige Aufgabe, den Aufbau der Rotarmisten an der gesamten Ostfront zu überwachen. Die 4.(F)/14 operierte im wichtigen Sektor der Heeresgruppe Mitte, wo am 22. Juni 1944 der entscheidende sowjetische Schlag erfolgen sollte.

Der Einsatz am 8. April 1944

Am Morgen des 8. April startete eine Ju 188 mit der Kennzeichnung "5F + GM" von Baranowitsche aus zu einem routinemäßigen Aufklärungsflug, doch die Mission sollte sich als alles andere als alltäglich erweisen. Die Wetterbedingungen waren für den Flug nicht besonders günstig, aber von den Aufklärern der Luftwaffe wurde erwartet, dass sie unter fast allen Bedingungen operierten.

Eine Crew aus Experten

Am Steuer der Maschine saß Edgar Lahrssen, der seit dem 1. Mai 1943 mit der Ju 88 insgesamt 57 Einsätze geflogen hatte. Er gab an diesem Tag sein Debüt auf der Ju 188. Lahrssen hatte seine fliegerische Ausbildung 1940 in Österreich begonnen und war sehr gründlich auf den Kampf vorbereitet worden. Er hatte 783 Trainingsflüge absolviert, bevor er zur 4.(F)/14 kam. Die wichtige Beobachterposition in der Ju 188 wurde von keinem Geringeren als dem ehemaligen Bomberpiloten und Staffelkapitän der 4.(F)/14, Major Karl-Heinrich Fischer, besetzt. Die übrige Besatzung bestand aus dem Funker Feldwebel Helmut Schalwat und dem Richtschützen Unteroffizier Richard "Mops" Löffler.

Der Einsatz beginnt

Die vier Deutschen starteten um 07.05 Uhr von der 1000 Meter langen Graspiste und flogen über die von der Einkreisung durch die Rote Armee bedrohte Festungsstadt Vitebsk an die Front. Bei Liosno, nahe der weißrussisch-russischen Grenze, gerieten sie unter schweren Flakbeschuss. Anschließend flogen sie nach Norden zu dem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt Welikije Luki, der 1944 regelmäßig Ziel deutscher Nachtbomber war. Die Ju 188 wurde in diesem Gebiet erneut unter starken Beschuss genommen, doch es sollte noch viel schlimmer kommen.

Sowjetische Jäger im Anflug

Die Fernaufklärer der Luftwaffe führten ihre Einsätze im Alleingang durch, und da sie keinen Jagdschutz hatten, waren sie auf Schnelligkeit, sorgfältige Beobachtung, geschicktes Fliegen und mehr als eine Portion Glück angewiesen, um feindlichen Jägern zu entgehen. Doch diesmal war das Glück nicht auf der Seite von Major Fischer und seinen Männern, denn sie wurden in der Nähe von Welikije Luki von sowjetischen Jägern abgefangen, die von den Deutschen als zwei LaGG-5 und zwei MiG-3 identifiziert wurden.

30 Einschläge, doch die Ju 188 fliegt

Die sowjetischen Piloten führten 15 Minuten lang entschlossene Angriffe durch und unternahmen sogar zwei gescheiterte Rammversuche. Ihre Geschosse trafen die Ju 188 mindestens 30 Mal, aber erstaunlicherweise reichten sie nicht aus, um das Aufklärungsflugzeug zum Absturz zu bringen. Trotz der sowjetischen Bemühungen gelang es der Luftwaffenbesatzung schließlich, in Richtung Stützpunkt zu entkommen, doch die nächste Herausforderung bestand darin, wieder nach Hause zu gelangen. Aufgrund der erlittenen Schäden war das rechte Triebwerk ausgefallen, und auch das Höhenruder war getroffen worden und hatte sich anschließend verklemmt.

Die Verteidiger von Moskau erhalten neue Maschinen

Bei den sowjetischen Jägern handelte es sich übrigens um ein Paar Jakowlew Jak-7B des 441.IAP (441. Jägerregiment) der 106.IAD (106. Jagdfliegerdivision), die zur PWO (Luftverteidigungsstreitkräfte) gehörte und einen Kampf mit einer Ju 88 meldete. Das Regiment hatte 1941 Moskau verteidigt und erhielt im Winter 1943/1944 einige veraltete Hawker Hurricane Mk IID und Mk IV, um sie neben seinen LaGG-3 und La-5 einzusetzen.

Der Kommandeur des Regiments beantragte in der Folgezeit mehrfach die Zuteilung leistungsfähigerer Abfangjäger, da die Leistung der Hurricane nicht ausreichte, um moderne deutsche Aufklärungsflugzeuge wie die Ju 188 zu bekämpfen. Im Frühjahr 1944 wurde sein Wunsch erfüllt, und die 441.IAP erhielt aktuellere Flugzeugtypen. Die Einheit schützte in den ersten Monaten des Jahres 1944 spezielle Postzüge, insbesondere entlang der 150 Kilometer langen Eisenbahnstrecke zwischen Welikije Luki und Nelidovo.

Verletzte Angreifer

Während der Auseinandersetzung am 8. April 1944 wurde die Jak-7B von Leutnant Wiktor Ignatowitsch Rylkow von zwölf Maschinengewehrkugeln getroffen, die von Lahrssens Besatzung abgefeuert worden waren, aber er schaffte es, sicher zur Basis zurückzukehren. Der andere beteiligte Pilot der 441.IAP, Wassili Andrejewitsch Michailik, kehrte unversehrt zurück.

Fehlende Erfahrung rettet die Ju 188

Die 441.IAP war kaum eine Eliteeinheit, wie der Einsatz veralteter Hurricanes in dieser Phase des Krieges vermuten lässt. Tatsächlich flog Michailik zwischen dem 27. Februar 1943 und Kriegsende nur 40 Einsätze, während Rylkow vom 1. August 1943 bis zum 31. Juli 1944 nur 24 Einsätze absolvierte. Der Einsatz gegen die Ju 188 der 4.(F)/14 am 8. April 1944 sollte für beide Piloten der einzige Kampfeinsatz bleiben. Zweifelsohne trug ihre mangelnde Erfahrung dazu bei, dass die Besatzung der Ju 188 bei dieser Gelegenheit überlebte. Michailik und Rylkow waren zwar entschlossen, aber Piloten mit mehr Kampferfahrung hätten das stark beschädigte deutsche Flugzeug der 4.(F)/14 mühelos zu Boden gezwungen.

Das fliegende Wrack landet sicher

Dank Lahrssens geschicktem Flug schaffte es die Ju 188 zurück nach Baranowitsche und konnte dort auf den Rädern landen. Zu diesem Zeitpunkt war die "5F + GM" mehr ein Sieb als ein Flugzeug: Tragflächen, Rumpf und Leitwerk waren voller Löcher. Selbst die Reifen waren von Kugeln durchlöchert. Fotos zeigen die schweren Schäden, und die Besatzung konnte von Glück sagen, dass sie es zurück in eigenes Gebiet schaffte, geschweige denn zu ihrem eigenen Flugplatz, der etwa 460 Kilometer von Welikije Luki entfernt war.

Sekt und Schnaps für die Flieger

Major Oskar Otolski, Ritterkreuzträger und Kommandeur der Fernaufklärungsgruppe 2, dem kommandierenden Hauptquartier der 4.(F)/14, würdigte und belohnte den Einsatz der Besatzung mit der folgenden Nachricht, die später am selben Tag übermittelt wurde: "Ich spreche der Besatzung Major Fischer, insbesondere dem Flugzeugführer Feldwebel Lahrssen für die vorzügliche fliegerische Leistung, Einmotorenlandung mit ausgefallenem Höhenruder, meine besondere Anerkennung aus. Der Besatzung wird als Anerkennungszulage: 4 Flaschen Sekt, 4/2 Flaschen Cognac, 80 Zigaretten kostenlos zugewiesen."

Das Überleben wird bis in den Morgen gefeiert

Für die Flieger an der Ostfront, die weit weg von zu Hause waren, war dies eine Belohnung, die man genießen konnte. Wie nicht anders zu erwarten, feierte die Besatzung an diesem Abend ihr Überleben und ihr Glück, wie Edgar Lahrssen später schrieb: "Fischer, Schalwat, Mops‘ und ich auf Fischer‘s Stube bis tief in die Nacht hinein. Die von Otolski geschenkten Flaschen reichten nicht aus. Das Erlebte ließen wir Revue passieren. Jeder hatte es ja anders von seiner jeweiligen Position in der Maschine gesehen und erlebt. Der Ostermorgen war herrlich – ein neues Leben!"

Nach dem Krieg

Zum Leidwesen der Staffel verließ der beliebte Major Fischer bald das Kommando und wurde durch einen engagierten Nazi ersetzt, der Drill und politische Erziehung für das Personal der Einheit einführte. Edgar Lahrssen bezeichnete später den 8. April 1944 als seinen "längsten Flug und ... längsten Tag", obwohl er bis Kriegsende noch 28 weitere Aufklärungsflüge mit der Ju 188 absolvieren sollte. Er überlebte den Konflikt und verstarb 1990. Wassili Michailik überlebte ebenfalls, aber Viktor Rylkow sollte im kommenden Herbst sein Leben verlieren.