Weltmarktführer der Electric Urban Air Mobility – so bezeichnet sich Lilium gerne selbst, wenn es in Pressemitteilungen die frohe Kunde der alsbald marktreifen emissionsfreien Fortbewegung unters unkritische Medienvolk streut. Das hat lange ziemlich gut funktioniert und gleichsam Investoren und Politiker beeindruckt. Lilium konnte hohe Summen an Risikokapital einwerben und damit die Entwicklung seines futuristisch anmutenden Fluggeräts finanzieren.
Zweifel an der Machbarkeit gab es von Anfang an. Zu optimistisch schienen die postulierten Leistungsdaten, zu offensichtlich die Probleme der Auslegung mit vielen kleinen Mantelpropellern, die, schwenkbar an Auslegern befestigt, sowohl für den Schwebe- als auch für den Reiseflug genügend Schub liefern sollten. Über die Schwächen des Konzepts hatte der aerokurier Anfang 2020 ein umfangreiches Dossier veröffentlicht, das in der Szene hohe Wellen schlug, Lilium zu einer juristischen Drohung wegen geschäftschädigenden Verhaltens veranlasste und schlussendlich mit dem Hugo-Junkers-Preis für herausragenden Luftfahrtjournalismus ausgezeichnet wurde.
Zwischenzeitlich war es etwas ruhiger um das Unternehmen aus Weßling bei München geworden, bis man 2021 den Gang an die Börse ankündigte, um frisches Kapital in die Kassen zu spülen. Die Fusion mit der eigens dafür gegründeten Special Purpose Aquisition Company "Qell" erfolgte im September 2021. Seitdem allerdings ist der Börsenkurs beständig im Sinkflug. War eine Aktie am 21. September 2021 10,85 US-Dollar wert, liegt sie aktuell bei gerade mal 2,59 Dollar.
Ursächlich dafür dürften auch kritische Bewertungen aus der Investmentszene sein. Die jüngste Veröffentlichung dazu findet sich auf dem Finanzblog Iceberg Research, dessen Betreiber es sich zur Aufgabe gemacht haben, undurchsichtiges Gebahren der Finanzindustrie zu durchleuchten und Investoren vor möglichen Fehlanlagen zu warnen.
Neben zahlreichen bekannten Kritikpunkten, die zu Lilium immer wieder geäußert und zumeist mit der klassischen Flugtaxi-PR abgebügelt wurden, bringt Iceberg Research einige interessante neue Punkte ins Gespräch. So habe Lilium erklärt, dass man Zugang zu Batteriezellen mit einer Energiedichte von 320-330 Wh/kg hat. Eine der Quellen, auf die sich Lilium diesbezüglich beruft, ist demnach Zenlabs Energy Inc, ein assoziiertes Unternehmen, an dem Lilium 34,8 % der Anteile hält. Dessen CEO Sujeet Kumar sei laut Eisberg Research vor einiger Zeit von General Motors beschuldigt worden, die Batterieleistung falsch dargestellt zu haben, während er bei seinem früheren Unternehmen Envia Systems tätig war. Weiterhin seien für die avisierte Marktzulassung eine Vielzahl an Testflügen notwendig. Lilium habe mit seinem fünften Demonstrator weniger als 50 solcher Flüge absolviert, wohingegen Konkurrent Joby mit rund 1000 Testflügen ein Vielfaches an Erfahrung sammeln konnte. Lilium habe demnach kaum eine Chance, diesen Rückstand aufzuholen.

Auch zur Kassenlage wagt Iceberg Research eine düstere Prognose und postuliert, dass die Kassen in eineinhalb Jahren leer sind, wenn nicht weitere Mittel aquiriert werden können. "Ausgehend vom Durchschnitt der in den letzten beiden Quartalen ausgegebenen Summen von rund 65 Millionen US-Dollar, 56,5 Mio. Dollar im dritten Quartal 2021 und 72,7 Mio. Dollar in Q4 – und einer Liquidität von 400 Mio. USD Ende 2021 hat Lilium noch etwa 18 Monate Zeit, bevor seine Barmittel versiegen", erklärt das Portal mit Verweis auf die Zahlen, die Lilium selbst im Rahmen seiner Börsentätigkeit regelmäßig veröffentlichen muss. Diese Schätzung sei noch großzügig, da Lilium weiter Personal aufbaut und der Finanzbedarf infolge dessen steige.
Inzwischen habe Lilium seine Haltung offenbar geändert, erklärt Eisberg mit Verweis auf eine Publikation vom Oktober 2021. Dort heißt es demnach, dass mit den Barmitteln nur "...ein Teil der Zertifizierung, Produktion und Kommerzialisierung..." vorangetrieben werden soll. Dies bedeute, schlussfolgert man, dass bald weitere Kapitalerhöhungen notwendig seien. Allerdings steige das Risiko, da der Markt beginne, die Fortschritte von Lilium im Vergleich zu anderen Unternehmen zu prüfen.
Vor diesem Hintergrund und mit einem Liquiditätsspielraum von 18 Monaten wird Lilium laut Iceberg Research keine andere Wahl haben, als zusätzliche Aktien zur Kapitalbeschaffung auszugeben. Aus diesem Grund und angesichts der Tatsache, dass Lilium im Gegensatz beispielsweise zu Tesla nicht den Vorteil haben wird, als erster auf einem neuen Markt Fuß zu fassen, raten die Autoren von einem Investment ab.
Fazit
Bis heute kann Lilium keine substanziellen Fortschritte in seinen Testflugkampagnen vermelden. Ob das Unternehmen seinen Zeitplan, bis 2024 kommerziell FLüge anbieten zu können, halten kann, ist mehr als fraglich. Konkurrenten wie Joby oder Volocopter können auf zahlreiche Testflüge und zertifizierte Prototypen verweisen, haben also einen deutlichen Entwicklungsvorsprung und dürften den Markt bereits aufgemischt haben, falls es der Lilium Jet tatsächlich in die Luft schafft. Angesichts dieser Fakten kann man die Selbstdarstellung des nur als Hybris, als völlig Selbstüberschätzung, bewerten.