Selbst hartgesottenen Flugtag-Besuchern stockte der Atem, als Kev Rumens beim Royal International Air Tattoo in Fairford die Vulcan sofort nach dem Abheben in eine Rechtskurve zwang – so tief, dass die Spitze des rechten Deltaflügels fast den Boden zu berühren schien. Auch der Rest der Vorführung mit den extremen Steigflügen, den Schräglagen von teils über 90 Grad und den im Kontrast dazu eingestreuten leisen Vorbeiflug beeindruckte.
„Wir sind immer im zulässigen Flugbereich geblieben“, versicherte Martin Withers, Chefpilot und Einsatzleiter des „Vulcan to the Sky Trust“. Jene, die die Vulcan in den 1980er und 1990er Jahren im Dienst der Royal Air Force gesehen haben, werden bestätigen, dass die zivil betriebene „XH558“ vergleichsweise zahm vorgeführt wurde. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Restlebensdauer der Zelle und der Triebwerke immer im Auge bleiben musste. Am Ende war die mehr als 60 Jahre alte Maschine zehn Prozent länger in der Luft als jede andere der einst 136 gebauten Vulcan-Bomber.
Nach der bejubelten Rückkehr in die Luft im Oktober 2007 hatte die Stiftung „Vulcan to the Sky“ als neuer Eigner des letzten britischen V-Bombers auf 250 Flugstunden gehofft – eine Zahl, die deutlich übertroffen wurde. Möglich wurde dies bei aller eigenen technischen Expertise des Wartungsteams der Vulcan Operating Company nur durch die Unterstützung zahlreicher Firmen der britischen Luftfahrtindustrie. Eine zentrale Rolle spielten dabei BAE Systems als Rechtsnachfolger des Herstellers Avro, Rolls-Royce als Hersteller der Olympus-Triebwerke (ursprünglich von Bristol) und Marshall Aerospace als gesamtverantwortlicher Ansprechpartner der Zulassungsbehörde CAA (Civil Aviation Authority).
„Marshall Aerospace schrieb der Stiftung im April 2013 mit dem Vorschlag, die Flüge Ende 2015 einzustellen“, bedauert Dr. Robert Pleming, Chef von Vulcan to the Sky. „Wir … arbeiteten mit Unterstützung von Rolls-Royce daran, wie man die Triebwerkslebensdauer als Schlüsselfaktor verlängern könnte. Im Januar 2015 schrieb uns Marshall Aerospace erneut, um nochmals klarzustellen, dass ihre Unterstützung und die von BAE Systems und Rolls-Royce Ende 2015 enden würde”, erzählt Pleming.
So blieb dem Vulcan to the Sky-Team nichts anderes übrig, als für eine unvergessliche Abschiedssaison des Deltaflüglers zu sorgen. Über 30 Airshows standen auf der Liste, von den üblichen Auftritten auf den großen Flugtagen wie dem Royal International Air Tattoo bis hin zu speziellen Touren quer übers Land. Unter dem Motto „Salute the V-Force“ wurden am 27. und 28. Juni zum Beispiel alle Orte in Großbritannien überflogen, an denen noch ein kompletter Bomber der Typen Vulcan, Victor oder Valiant zu sehen ist.
Der letzte Auftritt auf einem Flugtag war am 4. Oktober bei der auf dem Grasplatz in Old Warden angesiedelten Shuttleworth Collection. Diesen Termin hatte man zusätzlich ins Programm genommen, weil auch hier der „Vulcan Effect“ gewirkt hatte: Der erste Besuch über Old Warden am 5. Juli hatte dazu geführt, dass zum ersten Mal alle Tickets einer Veranstaltung der Shuttleworth Collection schon im Vorverkauf restlos weggingen.
Nach Old Warden folgten noch zwei Touren über Großbritannien. Am 10. Oktober wurden Orte wie Samlesbury und Woodford (BAE-Werke) oder Derby (Sitz von Rolls-Royce) überflogen, während es am 11. Oktober Richtung Süden ging. Auch hier warteten tausende von Zuschauern auf die Überflüge in Farnborough, Filton, Cardiff oder Bruntingthorpe.
Spendenmarathon

Der allerletzte, kurze Flug fand schließlich am 28. Oktober statt. Der Tag begann mit miserablem Wetter, und so mussten die Mitglieder der Stiftung, die Crew und die vielen Freiwilligen bis zum Mittag ausharren, bis die XH558 von ihrem Heimatplatz Robin Hood in Doncaster starten und einige Vorbeiflüge machen konnte.
Wehmut erfasste alle Beteiligten, denn damit geht eine Ära zu Ende. Wohl nie wieder wird es möglich sein, ein Militärflugzeug dieser Größe und dieser Komplexität von einer zivilen Organisation betreiben zu lassen. Dass die Vulcan überhaupt reaktiviert wurde, grenzt an ein Wunder. Die technischen, rechtlichen und finanziellen Hürden waren nämlich enorm hoch, als 1997 der „XH558 Supporters Club“ gegründet wurde. David Walton, der den Bomber 1993 vom Verteidigungsministerium ersteigert hatte, bat Dr. Robert Pleming, die Möglichkeiten zu prüfen, die XH558 wieder in die Luft zu bringen. Der ehemalige Manager bei IBM und Cisco arbeitete genaue Pläne aus und verhandelte geduldig mit Hersteller BAE und der Zivilluftfahrtbehörde CAA. Ab November 1999 führten Experten von Marshall Aerospace eine genaue Inspektion der in Bruntingthorpe abgestellten Maschine durch. Anfang 2003 hatte man sich dann die Unterstützung von über 100 Firmen gesichert, die einst am Bau der Vulcan mitgearbeitet hatten.
Neben den technischen Arbeiten hatte die Geldbeschaffung oberste Priorität. Von Anfang an spielten dabei große und kleine Spenden eine wichtige Rolle, zumal ein Antrag auf Mittel aus dem nationalen Heritage Lottery Fund zunächst abgelehnt wurde. Im Dezember 2003 wurden aus dieser Quelle schließlich doch 2,378 Millionen Pfund (3,3 Mio. Euro) bewilligt.
Im März 2005 erfolgte die formelle Übergabe der Vulcan von Walton an den Vulcan to the Sky Trust für „einen nominellen Betrag“. Die XH558 wurde einer Überholung wie einst bei der RAF unterzogen. Steigende Kosten sorgten aber 2006 für eine prekäre Finanzsituation, die durch eine weitere Spendenkampagne gerade noch rechtzeitig zum Roll-out der Maschine am 30. August 2006 behoben werden konnte.
Spät entdeckte Probleme mit Versteifungen in den Fahrwerksschächten verzögerten das Programm. So dauerte es bis zum 18. Oktober 2007, bevor die XH558 zum ersten Mal nach fast 15 Jahren wieder an den Start rollte. Die erste Flugvorführung fand dann am 5. Juli 2008 vor 70 000 Zuschauern in Waddington statt. Die Finanzkrise machte die Suche nach Sponsoren nicht einfacher. Das Vulcan-Team musste sich daher mit diversen Spendenkampagnen von Saison zu Saison hangeln. Es galt, nicht weniger als 1,6 bis zwei Millionen Pfund (2,25 bis 2,8 Mio. Euro) pro Jahr für die Wartung, die Versicherung und nicht zuletzt den Sprit aufzubringen.
Die Fans, die „ihre“ Vulcan bei den verschiedenen Flugtagen so begeistert unterstützt haben, werden sich in Zukunft mit einem Besuch in Doncaster begnügen müssen. Vulcan to the Sky plant dort ein „Vulcan Heritage Centre“, das später zur „Vulcan Aviation Academy“ werden soll.
Geschichte der Vulcan B.2 XH558





21. Mai 1960: Erstflug bei Avro in Woodford als 12. Vulcan B.2 der Serie.
Juli 1960: Die XH558 wurde als erste B.2 von der Royal Air Force übernommen und am 8. Juli zum 230 Operational Conversion Unit in Waddington geflogen.
September 1963: Die Maschine erhält als eine der ersten Vulcans eine Luftbetankungssonde.
17. August 1973: Übergabe an Hawker Siddeley in Bitteswell
zur Umrüstung mit einem Radar für die Seeüberwachung als Vulcan B.2 (MRR).
17. September 1974: Einsatz bei der 27 Squadron in Waddington.
12. Oktober 1982: Übergabe an die 50 Squadron in Waddington nach der viereinhalbmonatigen Umrüstung zum K.2-Tanker bei British Aerospace in Woodford.
19. November 1984: Zuweisung an den Vulcan Display Flight in Waddington. Rückbau auf den B.2-Standard und dann zunächst in Reserve.
14. Juni 1986: Einsatz als Vorführflugzeug als Ablösung der XL426.
20. September 1992: Letzte Flugvorführung durch die Royal Air Force in Cranfield, am nächsten Tag zurück nach Waddington.
Februar 1993: Das Verteidigungsministerium schreibt die XH558 zum Verkauf aus.
23. März 1993: Überführungsflug nach Bruntingthorpe, nachdem die Walton-Familie den Bomber ersteigert hatte.
1999: Beginn der Arbeiten in Bruntingthorpe, um die XH558 wieder flugfähig zu machen.
18. Oktober 2007: Erster Flug nach fast 15 Jahren.
5. Juli 2008: Erste Flugvorführung in Waddington, nachdem alle Genehmigungen der britischen CAA vorlagen.
28. Oktober 2015: Letzter Flug vom Robin Hood Airport in Doncaster aus.
FLUG REVUE Ausgabe 01/2016