Fortschritte und Finanzprobleme: Boeings Tanker KC-46A Pegasus

Fortschritte und Finanzprobleme
Boeings Tanker KC-46A Pegasus

Veröffentlicht am 28.08.2022

General Mike Minihan, Befehlshaber des Air Mobility Command der USAF, kann erst einmal zufrieden sein. Mit der siebten sogenannten Interim Capability Release vom 31. Mai ist die Boeing KC-46A Pegasus nun formal in der Lage, 97 Prozent des Luftbetankungsbedarfs der US-Streitkräfte abzudecken und damit für eine Entlastung der KC-135- und KC-10-Tankerflotten zu sorgen. Noch "im Mai 2021 war die KC-46A nicht für die operative Unterstützung von USTRANSCOM-Missionen zugelassen", erinnert sich Minihan, und so steht die US Air Force heute mit dem noch von General Jacqueline Van Ovost initiierten Interim-Capability-Prozess (ICR) in der Tat um vieles besser da.

Die erste ICR-Genehmigung vom 9. Juli 2021 betraf das Centerline Drogue System (Schlauchsystem im Rumpf) zur Betankung von F-18-Kampfjets der US Navy. Der zweite ICR- Meilenstein wurde am 5. August 2021 genehmigt und betraf die Verwendung des Tankauslegers. Dies ermöglichte es USTRANSCOM, die KC-46A zur Unterstützung der C-17 Globemaster III, der B-52H Stratofortress und anderer KC-46A einzusetzen. Die Freigabe erfolgte neun Monate früher als ursprünglich geplant. Am 13. Oktober 2021 zeichnete Minihan die dritte ICR ab. Diese Entscheidung ermöglichte es der KC-46A, alle Varianten der F-15 Eagle und der F-16 Fighting Falcon während der von USTRANSCOM beauftragten Missionen zu betanken. Mit der vierten ICR, die am 6. Dezember 2021 unterzeichnet wurde, kam die Genehmigung zur Betankung der AC-130J Ghostrider, der HC-130J Combat King II, der MC-130J Commando II, der C-5M Super Galaxy und der E-3G Sentry.

Boeing

Seit Februar dürfen auch Stealth-Muster betankt werden

Am 22. Februar 2022 folgte dann die fünfte ICR, welche die Luftbetankung mit der F-35A Lightning II und der F-22 Raptor erlaubte, das heißt, erstmals durften auch Stealth-Muster betankt werden. Mit dieser Entscheidung wurde die KC-46A auch für die Unterstützung einer Reihe von Alarmeinsätzen freigegeben. Die sechste ICR erlaubte den Einsatz des Flugzeugs sowohl für die Beförderung von Passagieren als auch für medizinische Evakuierungsmissionen. Neben den ICR-Zulassungen wurde am 18. April 2022 ein weiterer wichtiger Meilenstein für das KC-46A-Programm erreicht, als eine Pegasus spanische EF-18 Hornet während der ersten Einsatzübung (ECE 22-03) auf dem Luftwaffenstützpunkt Moron betankte. "Diese Mission markierte die erste operative Betankung eines internationalen Empfängers für die KC-46A und ebnete den Weg für eine stärkere Interoperabilität mit Verbündeten und Partnern", sagte Oberstleutnant Joshua Renfro, stellvertretender Leiter des KC-46A Cross Functional Teams. "Nach der Entscheidung, kanadische und spanische F-18 Anfang 2022 zuzulassen, werden mit dieser ICR fünf weitere Nationen in die Liste der zugelassenen internationalen Empfänger aufgenommen, darunter Finnland, Italien, Australien, Malaysia und die Schweiz."

USAF

Verbesserungen nötig

Und nun also die ICR 7 vom 31. Mai, mit der Minihan den täglichen Einsatz der KC-46A für die Betankung der B-1B Lancer, der C-135-Varianten, des E-8 Joint Surveillance Target Attack Radar System, der EC-130H Compass Call, der F-35B/C Lightning II, der KC-10 Extender und der P-8 Poseidon im Rahmen von Missionen des US Transportation Command freigab. An wichtigen Mustern fehlen nun noch die V-22 Osprey, die A-10C Thunderbolt II und der Stealth-Bomber B-2A Spirit. Deren Freigabe hängt vermutlich an Verbesserungen des Tanksystems, die momentan in Arbeit sind und ohne die die KC-46 ihre anfängliche Einsatzbereitschaft nicht erreichen wird.

Die Probleme sind dabei lange bekannt. Sie betreffen unter anderem das Sichtsystem für den Betankungsbediener, der bei der Pegasus hinter dem Cockpit sitzt und die Umgebung nur über Kamerabilder präsentiert bekommt. Die erste Ausführung des Remote Vision System (RVS) hat diverse Mängel wie Überbelichtung bei bestimmten Sonnenständen oder Verzerrungen im Nahbereich des Tankauslegers, welche die Arbeit erschweren und zum Beispiel zur nicht tolerierbaren Gefahr von Kratzern an Stealth-Beschichtungen führten. Als ersten Schritt hat Boeing einen Software-Fix entwickelt, der ab Dezember 2021 bei zwei KC-46A eingespielt wurde. Auch dieser zeigte – jedoch bei bestimmten Umgebungsbedingungen Mängel, sodass eine weitere Nachrüstung vorerst gestoppt wurde.

Unterdessen wurde Mitte Mai nach einigen Verzögerungen die vorläufige Entwurfsüberprüfung für das RVS "2.0" abgeschlossen. Hier geht es vor allem um den Einbau neuer Panoramakameras, die allerdings noch nicht ausgewählt sind. Auch wird das Display für den Operator erheblich vergrößert und die Bildverzögerung auf eine Tausendstelsekunde verkürzt. Insgesamt ist das System laut Boeing weit besser als das vor etwa zehn Jahren entwickelte, mit 4K-Auflösung und Bildübertragung über Glasfaserkabel. Die Kosten von einigen Hundert Millionen Dollar werden sich Boeing (Kabel, Integration) und die Air Force (Kameras) teilen. Sollte die Entwicklung einigermaßen reibungslos laufen, wird mit einer Nachrüstung ab 2024 gerechnet. Ein zweites Problem der KC-46A betrifft den Tankausleger, der für einige Flugzeugmuster zu "steif" ist. Deshalb muss der Boom Telescoping Actuator umkonstruiert werden, was ebenfalls die USAF bezahlt. Auch hier könnte eine Nachrüstung ab 2024 laufen, voraussichtlich in San Antonio. Noch ist unklar, ob die Arbeiten kombiniert werden können, um die Verfügbarkeit der Flotte nicht zu sehr zu beeinträchtigen.

Boeing hofft auf mehr Exportkunden

Seit der Erstauslieferung im Dezember 2019 ist die Pegasus-Flotte der US Air Force nämlich auf über 60 Flugzeuge angewachsen, und pro Jahr kommen etwa 17 neue Tanker hinzu. Diese werden bei Boeing in Everett auf der 767-Frachter-Endmontagelinie gebaut und dann auch dort mit den militärischen Systemen ausgerüstet. Dazu gehören zum Beispiel auch umfangreiche Sensoren und DIRCM-Abwehreinheiten (Directed Infrared Counter Measures) für den Selbstschutz oder zusätzliche Funkgeräte für die Kommunikation im Einsatz. Langfristig könnte der Tanker damit auch taktische Koordinierungsaufgaben übernehmen, so Boeing.

Mit mehr als 100 KC-46A, die laut offiziellem Programmplan von 179 Maschinen allein für die US Air Force noch gebaut werden müssen, ist die Linie also noch einige Jahre beschäftigt. Zudem hofft Boeing, neben Japan (vier) und Israel (bis zu acht) weitere Exportkunden zu gewinnen, was gegen den bisher auf dem Weltmarkt dominierenden Airbus A330 MRTT nicht einfach ist. Man hofft auf etwa 40 Verkäufe, so Mike Hafer, KC-46-Verkaufschef bei Boeing. Ankündigungen sind vielleicht Ende 2022 zu erwarten, heißt es, wobei keine konkreten Ländernamen fallen.

Mehr Geschäft wäre wichtig für Boeing, denn bisher ist die KC-46A finanziell gesehen ein Katastrophenprogramm für den Konzern. 5,443 Milliarden Dollar (5,38 Mrd. Euro) mussten über die Jahre in den Bilanzen abgeschrieben werden, um Zusatzkosten abzudecken. Der Festpreis-Entwicklungsvertrag hatte einst ein Volumen von 4,9 Milliarden Dollar (4,85 Mrd. Euro), und jede Ausgabe darüber hinaus muss von Boeing getragen werden. Insofern wäre es auch gut für Boeing, wenn weitere Tanker als Ersatz für die KC-135 und KC-10 wieder KC-46 wären. Allerdings drängt der US-Kongress auf einen Wettbewerb um den sogenannten KC-Y-Tanker. Lockheed Martin bietet dafür eine Version des Airbus A330 MRTT an, die in Alabama endmontiert und ausgerüstet würde. Zuletzt hatte Air-Force-Staatssekretär Frank Kendall allerdings gesagt, kurzfristig sähen die Anforderungen für die KC-Y "eher nach einer modifizierten KC-46 aus als nach einer völlig neuen Konstruktion".

Israel MoD

KC-Y-Wettbewerb

Die USAF hatte zuvor erklärt, sie betrachte die KC-Y als "Brückentanker" bis zur Entwicklung eines Flugzeugs der nächsten Generation. Nun heißt es, man sammle immer noch Daten über die Anforderungen an die KC-Y und der Prozess werde "im Herbst" abgeschlossen sein. Der dreistufige KC-X-, KC-Y- und KC-Z-Plan für den Ersatz der vorhandenen, jahrzehntealten Tankflugzeuge "wurde wahrscheinlich vor einem Jahrzehnt formuliert, und das Umfeld hat sich seitdem erheblich weiterent- wickelt", so das Pentagon. Insofern will man sein Geld wohl lieber für eine komplette Neuentwicklung mit Stealth-Eigenschaften investieren als in einen Wettbewerb, aber sicher ist hier noch nichts.