Kampfflugzeug-Radare zählen seit den 1960er Jahren zu den Spezialitäten von Hensoldt und seinen Vorgängerfirmen am Standort Ulm. Mit der Übernahme der gesamten Systemdesign-Verantwortung für das neue Eurofighter-Radar der deutschen und spanischen Luftstreitkräfte beginnt für das Unternehmen aber eine "neue Zeitrechnung" – und das auch finanziell, denn der Ende Juni über Airbus Defence and Space erteilte Auftrag für Entwicklung und Fertigung des sogenannten Eurofighter Common Radar System Mk1 hat einen Wert von fast 1,5 Milliarden Euro.
Entwurfsverantwortung
Hensoldt profitiert dabei nicht allein, denn das Programm wird von einem neuen deutsch-spanischen Industriekonsortium mit dem spanischen Konzern Indra abgewickelt. Die Spanier haben die "Entwurfsverantwortung für mehrere neue Module und übernehmen die Verantwortung für bestimmte kritische Funktionen". Darüber hinaus tragen die Elektronikbereiche des Leonardo-Konzerns in Großbritannien und Italien als Unterauftragnehmer ihren Teil bei. Hensoldt rechnet damit, dass "über die gesamte Programmlaufzeit 400 Arbeitsplätze für hochqualifizierte Mitarbeiter" in Deutschland geschaffen werden. Dazu kommt eine Stärkung der technologischen Kompetenz und der Rolle als Schlüssellieferant auf dem Gebiet der luftgestützten Sensoren, insbesondere im Hinblick auf das FCAS-Programm.
110 Radare für die Eurofighter der Luftwaffe
Entsprechend investiert Hensoldt substantiell in den Ausbau der notwendigen Kapazitäten, vorwiegend in Ulm. "5000 Quadratmeter Nutzfläche werden benötigt, von denen mehr als die Hälfte als Sperrzone ausgewiesen werden muss", heißt es. Ein Aufwand, der sich lohnt, denn "mit der Systemdesign-Verantwortung für das ECRS Mk1 bekommt Hensoldt die Chance, sich mittelfristig zum Systemanbieter für Fighter-Radare zu entwickeln", so Dr. Torben Brack, Leiter Airborne Radar Business Development.

Entwicklungs- und Bauprogramm
Vorerst gilt die Konzentration allerdings dem aktuellen, eng getakteten Entwicklungs- und Bauprogramm, das Hensoldt-Chef Thomas Müller als "ein Signal des Vertrauens in die europäische Verteidigungszusammenarbeit" wertete. Erste Arbeiten wurden dabei schon vor Vertragsunterzeichnung begonnen, wobei die "Teams aus verschiedenen Bereichen mit teilweise neu eingeführten, agilen Methoden" übergreifend zusammenarbeiteten. Die Integration in den Eurofighter und die Nachrüstung vorhandener Maschinen der Luftwaffe mit der anfänglichen "Step-0"-Konfiguration (im Wesentlichen CAPTOR-E mit neu entwickelten T/R-Modulen) sollen bereits ab 2023 erfolgen.
Gesamtkosten etwa 2,8 Milliarden Euro
Deutschland hat rund 110 Radare bestellt, wobei sich die Gesamtkosten auf etwa 2,8 Milliarden Euro belaufen. Spanien hat zunächst fünf Radare geordert, knapp 20 weitere sollen folgen, sobald Geld im Verteidigungshaushalt bereitsteht. Eingebaut werden die Radare bei Airbus in Manching und Getafe.

Active Electronically Scanned Array
Technisch gesehen baut das ECRS Mk1 auf über zwei Jahrzehnte Entwicklungsarbeit für AESA-Systeme (Active Electronically Scanned Array) auf, die die Militärelektronikfirmen der Eurofighter-Partnerländer im EuroRADAR-Konsortium in verschiedenen Programmen geleistet haben. Das CAPTOR-E Mk0 (alias Radar 1+) als Vorgänger des ECRS wird in den Eurofightern für die Exportkunden Kuwait (28 Flugzeuge, bestellt im April 2016) und Katar (24, bestellt im Dezember 2017) verbaut. Die Lieferungen dieser Jets sollen noch dieses Jahr beginnen.
ECRS Mk1
"Entscheidende Änderung beim ECRS Mk1 in der späteren "Step-1"-Ausführung ist die Verwendung eines komplett neu entwickelten, digitalen Multikanalempfängers mit sehr viel höherer Leistungsfähigkeit, um die Daten der zahlreichen Schmal- und Breitbandkanäle der Antenne aufzubereiten", erklärt Ulrich Pietzschmann, technischer Direktor im Eurofighter-Radar-Programm von Hensoldt. So wird der Radarprozessor, der von der Mk0-Version übernommen wird, entlastet und es sind neue Funktionen möglich.
Sende-/Empfangsmodule der Antenne
Als weitere Kernkomponente werden die Sende-/Empfangsmodule der Antenne neu entwickelt, vor allem mit dem Ziel einer erheblich höheren Bandbreite. Insgesamt besteht die Antenne aus über 1400 T/R-Modulen. Hensoldt hat in Ulm eine hochautomatisierte Fertigung für derartige Module aufgebaut ("größte Factory in Europa") und liefert solche auch für das Mk0-Radar.
Repositioner
Beibehalten wird selbstverständlich der "Repositioner". Er dreht die in einem Winkel von 30 Grad montierte Antenne. Dies geschieht zwar langsamer als bei einer mechanischen Antenne, sorgt aber dafür, dass das Radar-Sichtfeld nicht nur 120 Grad (wie bei den fixen Antennen der US-Systeme) sondern rund 200 Grad beträgt. Der Eurofighter kann also zum Beispiel früher abdrehen und den Gegner weiter im Blick behalten, was neue Luftkampftaktiken ermöglichen könnte. Auch die Ausrichtung nach schräg unten für Luft-Boden-Funktionen wird immer wichtiger. Diesbezüglich bietet das im sogenannten X-Band arbeitende AESA-Radar vielfältige Betriebsarten zur Entdeckung und Verfolgung von Boden- und Seezielen ebenso wie zur Erstellung von hochauflösenden Radarkarten im SAR-Mode.
Zahlreiche Funktionen
Im Luft-Luft-Bereich sind natürlich ebenfalls zahlreiche Funktionen implementiert, inklusive der Möglichkeit, ein Ziel auch außerhalb des aktuellen Suchbereichs zu verfolgen. Dazu springt der Radarstrahl (oder ein separater Strahl) in Milli- sekunden in eine andere Richtung. "Im Endausbau", so Pietzschmann, "wird das Mk1 damit umfangreiche operative Funktionserweiterungen bieten, darunter das ultra-hochauflösende bildgebende SAR (UHR-SAR), erweiterte elektronische Gegenmaßnahmen (ECCM), verbesserte Zielerkennung durch STAP-Prozessierung sowie Fähigkeiten der Elektronischen Kampfführung."
Radar als Force Multiplier für das Waffensystem
Insgesamt können bei einem AESA- Radar dank der praktisch verzögerungsfreien elektronischen Strahlschwenkung verschiedene Betriebsarten quasi gleichzeitig durchgeführt werden. Auch hinsichtlich der Störresistenz gibt es Vor-teile, da die Form des Suchstrahls an- gepasst und "Nullstellen" in Richtung Störsender gestellt werden können. Dazu kommen Fähigkeiten wie automatische Zielerkennung und die Übernahme von Datenlinkfunktionen.

Unverzichtbares System
Ein Radar mit elektronischer Strahlschwenkung ist somit heute ein unverzichtbares System für jedes Kampfflugzeug. "Das Radar ist der Hauptsensor des Flugzeugs, und Verbesserungen und die Einführung neuer Fähigkeiten wirken als Multiplikator für die gesamte Einsatzwirksamkeit des Waffensystems. Ein größeres Sichtfeld, mehr Radarleistung und automatisierter Multi-Mode-Betrieb sind nur einige der Merkmale. Ein größerer Erfassungsbereich und die intelligente Integration aller Sensoren werden dazu beitragen, die Arbeitsbelastung der Piloten zu verringern und gleichzeitig das Situationsbewusstsein zu verbessern", erklärt Raffael Klaschka, ehemaliger Eurofighter-Pilot und heute für das strategische Marketing des Jets bei der Eurofighter GmbH zuständig.
Britische Entwicklung mit starken Eloka-Funktionen
"Mehrere Strahlen ermöglichen eine äußerst präzise Zielverfolgung und geben dem Piloten maximale Autorität über Kampfreichweiten und taktische Entscheidungen. Dank des weiten Sichtfeldes besteht die Möglichkeit, die geometrische Annäherung an einen Gegner zu reduzieren und gleichzeitig den Überblick zu behalten", so Klaschka. Das neue Radar "bietet dem Piloten einen bedeutenden taktischen Vorteil".
Eigenständige CAPTOR-E-Variante
Das sieht sicher auch die Royal Air Force so, die aber – weil sie eine gemischte Flotte mit der F-35 Lightning II betreibt – ganz andere operationelle Schwerpunkte setzt und sich daher eine eigenständige CAPTOR-E-Variante bauen lässt. Der Hersteller Leonardo verweist dabei auf einen "völlig neuen Ansatz", bei dem das Mk2 zusätzlich zu den traditionellen Radarfunktionen eine "weltweit führende Fähigkeit zur elektronischen Kampfführung" erhält, einschließlich der Möglichkeit zum "elektronischen Breitband-Störangriff".
Multi-Functional Array
Das Radar – wie auch das deutsch-spanische ECRS Mk1 – "wird die RAF-Piloten mit der Fähigkeit ausstatten, feindliche Luftabwehrsysteme zu lokalisieren, zu identifizieren und mittels hochleistungsfähiger Störsender zu unterdrücken. Sie können Ziele bekämpfen, auch wenn sie sich außerhalb der Reichweite von Bedrohungen befinden", so Leonardo. Der Multi-Functional Array des Mk2 verfügt laut Hersteller "über wesentlich mehr Sende-/Empfangselemente als andere Radargeräte", gemischt in Gallium-Arsenid- und Gallium-Nitrid-Technik.
BAE Systems
Der Anfang September erteilte Entwicklungsvertrag im Wert von 317 Millionen Pfund (344 Mio. Euro) soll mehr als 600 hochqualifizierte Arbeitsplätze in Großbritannien sichern, darunter mehr als 300 am Leonardo-Standort in Edinburgh. BAE Systems wird den neuen Sensor integrieren. Eine Serien-Bestellung steht allerdings noch aus. Verteidigungsstaatsekretär Jeremy Quin sagte lediglich, dass das System "Mitte der 2020er Jahre" in Dienst gehen soll.
Potenzielle Eurofighter-Exportkunden
Dann haben potenzielle Eurofighter-Exportkunden die Wahl zwischen drei AESA-Radaren, und auch das aktuelle Captor-M mit mechanisch bewegter Antenne wird noch länger in Dienst bleiben. "Das Waffensystem selbst – die Avionik, das Cockpit, die Stromversorgung, die Kühlung, die Struktur, ... – ist so konfiguriert, dass es all diese verschiedenen Varianten unterstützt. Es handelt sich um ein Plug-and-Play- Konzept, ... eine gemeinsame Schnittstelle und Infrastruktur, innerhalb derer mehrere Radarvarianten genutzt werden können", so David Hulme. "Der gemeinsame Programmansatz ermöglicht es Eurofighter, auf unterschiedliche Kundenwünsche einzugehen, ohne dass die Kosten aufgrund unterschiedlicher Anforderungen und eigenständiger Entwick-lungsprogramme in die Höhe schnellen", versicherte der Vice President for E-Scan des Eurofighter-Konsortiums.

Die lange Geschichte von AMSAR bis ECRS
Der Stammbaum der heutigen ECRS-Radar- familie lässt sich bis in die 1990er Jahre zurückverfolgen, als erstmals die Notwendigkeit diskutiert wurde, den Eurofighter mit einem AESA-Radarsystem auszurüsten. Hier ein kurzer Überblick über die verwirrenden Abkürzungen.
AMSAR
Forschungsprogramm für ein Airborne Multi-Mode Solid-State Active-Array Radar, an dem ab 1993 Großbritannien und Frankreich, später auch Deutschland beteiligt waren. Testflüge in einer BAC One-Eleven.
CECAR
Captor E-Scan Risk Reduction, 2002 von Deutschland und Großbritannien als Teil von AMSAR begonnen, um das vorhandene konventionelle Captor des Eurofighters mit einer neuen Antenne mit aktiver elektronischer Strahlschwenkung auszustatten.
CAESAR
Captor AESA Radar, ein Demonstrator, der ab 24. Februar 2006 in einer BAC One-Eleven und ab 8. Mai 2007 im Eurofighter-Prototyp DA5 im Flug erprobt wurde.
Captor-E / ECRS Mk0
Advanced Wide Field of Regard Active Electronic Scanned Array mit beweglicher Antenne. Sollte bereits in der Eurofighter Tranche 3 eingebaut werden, doch die Partnerländer zeigten kein dringendes Interesse. Mit Firmenmitteln wurde ein Captor-E im Eurofighter IPA5 eingebaut, bevor am 19. November 2014 ein mit einer Milliarde Euro dotierter Entwicklungsvertrag zustande kam. Flugtests ab 8. Juli 2016. Kuwait und Katar erhalten diese Version, heute ECRS Mk0 genannt.
ECRS Mk1 und Mk2
Eurofighter Common Radar System Programm, aufbauend auf Captor-E, nachdem sich die vier Nationen nicht auf eine gemeinsame Entwicklung einigen konnten. ECRS Mk1 wird nun von Hensoldt/Indra für Deutschland und Spanien entwickelt und gebaut, ECRS Mk2 von Leonardo für die Royal Air Force. Italien hat noch keine Entscheidung getroffen, ob und welches AESA-Radar seine Eurofighter erhalten sollen.