Die Zeiten, in denen die russischen Kampfflugzeughersteller fast ausschließlich vom Export lebten, sind endgültig vorbei. 2014 wurden 142 Fighter, Trainer und Spezialflugzeuge an die Luft- und Seestreitkräfte des Landes geliefert (darunter 30 Upgrades), während gerade einmal sechs MiG-29K nach Indien und vier Su-30MK2V nach Vietnam gingen. Für 2015 wurden ähnliche Zahlen erwartet. Die lange verzögerte Modernisierung der russischen Verbände ist also in vollem Gang. Aktuell werden dabei die neuesten Versionen schon lange bekannter Muster beschafft, doch auch die nächste Fighter-Generation steht bereits in den Startlöchern.
Seit Januar 2010 fliegt jedenfalls die Suchoi T-50, auch als PAK FA (Perspektiwni Awiazionni Kompleks Frontowoi Awiazii, deutsch: Perspektivischer Flugkomplex der Frontfliegerkräfte) bekannt. Im Werk in Komsomolsk am Amur wurden fünf Prototypen gebaut, die seither etwa 700 bis 750 Stunden geflogen sind. Diese recht geringe Anzahl ergibt sich offenbar dadurch, dass immer wieder Überholungen und Nachbesserungen notwendig waren. So waren unter anderem Verstärkungen der Zelle nötig. Darüber hinaus gab es ein Feuer in der T-50-5, die zwar noch landen konnte, aber von Juni 2014 bis 16. Oktober 2015 in Reparatur war.
Seit Anfang 2014 fliegen die T-50 vor allem beim staatlichen Chalow-Flugtestzentrum Nummer 929 in Achtubinsk, 130 Kilometer von Wolgograd entfernt. Dort werden diverse Versuche durchgeführt, wobei aber unklar ist, ob schon Waffentests stattfanden. Die Pläne sehen den Kauf von sechs weiteren Versuchsmustern mit einer verstärkten Zelle vor sowie acht Vorserienflugzeuge. Die Serienproduktion könnte dann 2019 beginnen.
Ursprünglich hatte das nationale Rüstungsprogramm bis 2020 den Kauf von 60 PAK FA vorgesehen, was aus heutiger Sicht unrealistisch ist. Der stellvertretende Verteidigungsminister Juri Borisow sprach zuletzt von etwa einem Dutzend T-50. Auch die Entwicklung der „zweiten Stufe“ des Fighters der fünften Generation dürfte erst im kommenden Jahrzehnt in Angriff genommen werden. Hierbei geht es um neue Avioniksysteme und das sogenannte „Izdelije 30“-Triebwerk mit mehr Schub und einfacherem Aufbau. Seine Erprobung soll 2017 beginnen.
Die T-50 dient auch als Basis für die im Oktober 2007 mit Indien vereinbarte gemeinsame Entwicklung eines künftigen Mehrzweck-Kampfflugzeugs. Das auch als „Typ 79L“ bezeichnete Muster befindet sich seit Dezember 2010 in der Vorentwurfsphase. Weitere konkrete Verträge waren 2013 erwartet worden, stehen aber noch aus.
Suchoi Su-35S auch für China





Die Zeit bis zur Verfügbarkeit der T-50 werden die seit August 2015 als Wosduschno-Kosmitscheskije Sily (Luft- und Weltraum-Streitkräfte) neu organisierten russischen Luftstreitkräfte wohl durch die weitere Beschaffung von Kampfflugzeugen der sogenannten Generation 4++ überbrücken. Dazu zählen die Su-35S und die Su-30SM, deren Produktion derzeit läuft. Die einsitzige Su-35S ist der jüngste Spross der erfolgreichen „Flanker“-Familie, wobei die Systeme grundlegend überarbeitet wurden. Eingebaut ist das N135-Radar, das gegnerische Kampfjets auf Entfernungen von 200 Kilometern entdecken kann – in einem speziellen Sektor-Suchmodus angeblich sogar auf 350 bis 400 Kilometer Distanz. Die Reichweite des IR-Sensors OLS35 wird mit 35 Kilometern (Ziel von vorn) angegeben. Neu ist auch ein umfassendes Lenkwaffenwarnsystem. Die mit stärkeren AL-41F1S-Triebwerken ausgerüstete Su-35S kann an ihren zwölf Laststationen bis zu acht Tonnen Waffen mitführen. Das Spektrum reicht von Luft-Luft-Lenkflugkörpern über Bomben bis hin zu Seezielflugkörpern.
Die Su-35-1 startete im Februar 2008 zum Erstflug. Das Verteidigungsministerium in Moskau bestellte dann im August 2009 zunächst 48 Flugzeuge. Deren Lieferung begann Ende 2011, doch diverse technische Probleme führten zu Verzögerungen. Erst im Februar 2014 erhielt eine reguläre Einheit in Dzyomgi (Komsomolsk am Amur) ihre ersten Maschinen. Bis Herbst 2015 waren etwa 36 ausgeliefert. Eine zweite Bestellung für 48 Su-35S ist geplant. Darüber hinaus hofft der Hersteller auf Exportaufträge. Wie Sergej Chemezow von der Rüstungsholding Rostec am 19. November in einem Interview erklärte, wurde nun ein erster Vertrag mit China über 24 Flugzeuge im Wert von zwei Milliarden Dollar (1,9 Mrd. Euro) geschlossen. Auch Indonesien, Venezuela und Vietnam sowie Pakistan werden als mögliche Kunden genannt.
Während Russland lange der einzige Kunde für die Su-35 war, wurde die Su-30 viele Jahre nur für den Export gebaut. Erst im März 2012 gab es einen Auftrag Moskaus für 30 der „russifizierten“ Su-30SM, der im Dezember 2012 verdoppelt wurde. Die SM-Version entspricht mit Canards und Schubvektorsteuerung der Su-30MKI. Als Radar kommt das BARS-R mit elektronischer Strahlschwenkung zum Einbau.
Die erste Su-30SM flog im September 2012. Sie ging für Versuche nach Achtubinsk. Zunächst wurden dann ab November 2013 zwei Staffeln in Domna nahe der chinesischen Grenze mit dem Muster ausgerüstet. Neben den Luftstreitkräften haben auch die russischen Marineflieger 20 Su-30SM bestellt. Deren Lieferung begann im Juli 2014, zunächst zur Erprobung nach Jeisk und später an ein Jagdregiment in Millerowo, das zuvor mit MiG-29 ausgestattet war. Insgesamt wurden in Irkutsk bisher 40 Su-30SM fertiggestellt. Es wird erwartet, dass mit einem weiteren Auftrag für 60 bis 70 Flugzeuge die Fertigung bis 2019 ausgelastet sein wird.
Wie Irkutsk ist auch das Werk in Nowosibirsk derzeit gut beschäftigt. Dort wird die Su-34 gebaut. Dieser schwere Jagdbomber mit einer nebeneinander im Cockpit sitzenden Crew gehört ebenfalls zur Flanker-Familie. Bei einer maximalen Abflugmasse von 45 100 kg hat die Su-34 mit vier Tonnen Waffenzuladung einen Einsatzradius von rund 800 Kilometern. Mitgeführt werden kann das komplette Luft-Boden-Arsenal von Lenkwaffen (CH-31 und CH-59M) und Lenkbomben (KAB-500/1500).
Su-34-Fertigung ist bis 2019 gesichert





Ein Prototyp des zu Beginn auch als Su-32FN oder Su-32MF vermarkteten Jagdbombers flog bereits im April 1990. Erst 2005 gab das russische Verteidigungsministerium eine erste Bestellung für 18 Flugzeuge auf. Von diesen wurden letztlich aber nur fünf geliefert.
Einen neuen Anlauf gab es dann 2008 mit der Bestellung von 32 Su-34, deren Lieferung von 2010 bis 2013 erfolgte. Ein Großauftrag über 92 Flugzeuge vom Februar 2012 sichert nun die Fertigung bis etwa 2020.
Das Regiment in Woronesch wurde ab 2010 als erster Verband von der Su-24 auf die Su-34 umgerüstet, 2013 folgte Morozowsk. Wenn dort Ende 2015 die geplanten 24 Maschinen vorhanden sind, sollen Churba und Monchegorsk an die Reihe kommen. Im Export war die Su-34 noch nicht erfolgreich. Potenzielle Kunden sind Länder, die bisher die Su-24 nutzen.
Gegen die dominierende „Flanker“-Familie hatte die MiG-29 auch in Russland zuletzt einen schweren Stand. Dass die Luftstreitkräfte ein Regiment in Kursk-Chalino mit 28 MiG-29SMT ausrüsteten, lag zum Beispiel nur daran, dass Algerien sich 2008 weigerte, die bestellten Flugzeuge abzunehmen. Immerhin wurden im April 2014 noch weitere 16 SMT-Versionen bestellt, ihre Lieferung soll bald beginnen.
Mikojan MiG-29KR für die Marine





Daneben gab die russische Marine im Februar 2012 zwei Dutzend MiG-29KR für den Einsatz vom Flugzeugträger „Kusnetzow“ aus in Auftrag. Deren Lieferung begann 2013. Die Variante KR ist die russische Ausführung der ursprünglich für Indien entwickelten MiG-29K. Von diesen sind inzwischen 39 der 45 bestellten Maschinen ausgeliefert.
Bei der MiG-29K und der derzeit ebenfalls angebotenen MiG-29M/MiG-35 handelt es sich um eine grundlegende Überarbeitung der Anfang der 1970er Jahre entwickelten „Fulcrum“. In der modifizierten Zelle sind nun 40 bis 50 Prozent größere Tanks untergebracht, was einen wesentlichen Schwachpunkt des Musters behebt. Das RD-33MK-Triebwerk liefert 3,1 Kilonewton mehr Schub. Die Flugsteuerung wurde auf ein vierfach redundantes Fly-by-Wire-System umgestellt und auch sonstige Systeme den heutigen Anforderungen angepasst.
Seit Dezember 2011 fliegen zwei MiG-29M/MiG-35 für Test- und Demonstrationszwecke. Einziger Kunde bisher war Syrien mit zwölf Maschinen, deren Lieferung aber derzeit nicht erfolgt. Neuerdings gibt es Gerüchte, dass Ägypten 62 MiG-35 kaufen will. Auch die russischen Luft- und Weltraumstreitkräfte sollen die Absicht haben, „bis zu 37“ MiG-35S zu bestellen. Damit wäre auch die Zukunft dieses in Luchowizy und Nischni Nowgorod gebauten Fighters gesichert.
FLUG REVUE Ausgabe 01/2016




