Mein verzweifelt langer Weg zum MiG-21-Abschied in Indien

Grünes Licht auf den letzten Drücker
Mein verzweifelt langer Weg zum MiG-21-Abschied in Indien

ArtikeldatumVeröffentlicht am 08.11.2025
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Indische MiG-21 bei der Abschiedszeremonie zu ihrem Dienstende.
Foto: Holger Müller

Zwei Mal in rund 30 Jahren hingen meine Reisen in Sachen Luftfahrt wirklich am seidenen Faden. Und jedes Mal war es natürlich eine ganz besondere Reise.

Mein Besuch der Nigerian Air Force Expo in Kaduna im Jahre 2010 drohte zunächst an der fehlenden Gelbfieberimpfung zu scheitern, die ich mir erst im letzten Moment während einer Geschäftsreise "verpassen" lassen konnte. Dann verzögerte der Tod des Präsidenten die Ausstellung des Visums, so dass ich drei Tage vor der Abreise persönlich nach Berlin fuhr, um mein Visum aus einem Berg von nicht verschickten Sendungen auszugraben. Und dann sorgte ein Vulkan auf Island namens "Eyjafjallajökull" dafür, dass alle Buchungsplattformen überlastet waren, so dass ich mein Ticket erst am Vorabend meiner Reise, acht Stunden vor der geplanten Abfahrt, endlich in den Händen hielt.

Bei der Reise zu meinem einzigen Air-to-Air-Shooting mit MiG-21 im Jahre 2015 in Bulgarien bauten sich alle Hindernisse – eine gesperrte Autobahn, eine völlig überlastete Ausweichstrecke und volle Parkplätze – erst bei der Anreise und unmittelbar nacheinander auf und sorgten dafür, dass ich mein Flugzeug nur durch einen Sprint über das Vorfeld erreichen konnte.

Indien – eine Herausforderung der Extraklasse

In beiden Fällen war der Stress gewaltig und doch sind beide kein Vergleich mit dem, was mich auf meiner Reise zum indischen MiG-21-Abschied in Chandigarh erwarten sollte.

Nun ist Indien ohnehin kein einfaches Reiseland, wenn mehr als eine touristische Pauschalreise geplant ist. Meine Versuche, einen Besuch einer indischen MiG-21-Basis zu organisieren, waren rund 25 Jahre lang stets gescheitert – ein Besuch auf der Aero India in Bangalore im Jahre 2003 war mein erster und einziger Kontakt mit den MiG-21 der IAF. Dass es so kam, lag oft an der Ablehnung der indischen Seite, zumeist aber schlicht daran, dass meine Anfragen komplett unbeantwortet blieben. Wie ich jetzt gelernt habe, lag es wohl auch daran, dass ich stets zu früh aufgegeben hatte.

Diesmal sollte alles anders sein. Als Ende Juli 2025 die indische Presse davon berichtet, dass der lang geplante Abschied von der MiG-21 im September in Chandigarh stattfinden sollte, ist klar: ich muss dabei sein! Eine weitere Chance wird es nicht geben. Alle anderen geplanten oder zumindest angedachten Aktivitäten müssen dahinter zurückstehen.

Die letzten MiG-21 in Indien.
Holger Müller

Schon der erste Kontakt gestaltet sich schwierig

Bereits im Vorjahr habe ich parallel über die deutsche Botschaft in Indien und den indischen Militärattaché in Berlin nochmals den Besuch einer Basis angefragt, aber wieder eine Ablehnung erhalten. Angesichts der nun eingetretenen "Zwangslage" kontaktiere ich beide Stellen erneut. Von Seiten des Militärattachéstabs in Neu-Delhi kassiere ich abermals eine Abfuhr (und das, obwohl sich der deutsche Militärattaché in Zagreb, Oberstleutnant Weber, der schon meinen Abschiedsbesuch in Zagreb-Pleso möglich gemacht hat, bei seinen Kollegen ausdrücklich für mich einsetzt). Der indische "Defence Advisor" AP Singh zeigt sich dagegen gewillt, mich zu unterstützen. Seiner Hilfe wird, wie ich bald sehe, entscheidende Bedeutung zukommen.

Zunächst entschließe ich mich jedoch, auf allen Kanälen anzufragen, um am Schluss vielleicht doch nicht in irgendeiner Amtsstube zu scheitern. Das Problem ist nur, dass sich auf keinem meiner PCs die Websites von Indian Air Force und indischem Verteidigungsministerium öffnen lassen, um dort die entsprechenden Kontaktadressen herauszufinden. Glücklicherweise kann ich das eine oder andere aus den Suchergebnissen entnehmen und auch frühere Korrespondenz liefert mögliche Kontaktstellen – unklar ist nur, ob diese Informationen noch aktuell sind. Jedenfalls verschicke ich Anfang August zahlreiche E-Mails in alle Richtungen, mit Referenzen und einer detaillierten Schilderung meines Hintergrunds und meiner Intention. Das Ergebnis: Funkstille.

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Holger Müller

Netzwerke auf verschlungenen Pfaden

Zeit also für die nächste Stufe: Social Media. Bei LinkedIn gehe ich auf die Suche nach hochrangigen aktuellen oder früheren IAF-Offizieren, darunter ein leibhaftiger Air Marshal und früherer Defence Advisor. Und tatsächlich sind er und einige seiner Kollegen bereit, mich zu unterstützen, leiten meine Anfrage weiter und haken nach. Am Schluss kristallisiert sich aber immer wieder heraus, dass die Pressestelle der IAF der Dreh- und Angelpunkt ist. Dahin habe ich längst geschrieben, aber – wieder einmal – keine Antwort bekommen.

Noch bin ich mit meinem Latein nicht ganz am Ende, schließlich habe ich dank zahlreicher Publikationen ja auch noch eine Menge Kontakte zu Leuten außerhalb der offiziellen Strukturen, die ihrerseits vielfältig vernetzt sind. Zu den Angesprochenen zählt Tom Cooper, Experte für das Luftkriegsgeschehen im Nahen Osten und aktuell zudem einer meiner Series Editors für die beiden Bände zu den chinesischen MiG-21-Exportversionen, die gerade bei Helion & Company in Großbritannien erschienen sind. Tom liefert über sein vielfältiges Netzwerk die entscheidende Information – die Telefonnummer des Presseoffiziers der IAF, Wing Commander Jaideep Singh. Und tatsächlich kommt auf die entsprechende Anfrage über diesen Kanal auch gleich eine Rückmeldung – einschließlich der Bestätigung, dass mein Schreiben eingegangen sei.

Allerdings wird im Zuge der Kommunikation mit dem indischen Pressemann klar: ein Journalistenvisum ist die Voraussetzung für die Teilnahme.

Nächste Hürde: Journalistenvisum!

Schon vor Jahren hätte ich eines für den Besuch der Medientage der Aero India benötigt, war aber an den Voraussetzungen gescheitert und habe mich vor Ort dann irgendwie durchgemogelt. Diesmal ist das keine Option, die Gefahr des endgültigen Scheiterns ist einfach zu groß.

Die erste Recherche verläuft ernüchternd: zur Beantragung ist – anders als beim E-Visum – für Journalisten die persönliche Fürsprache bei der von der indischen Botschaft beauftragten Firma notwendig. Die liegt mindestens 300 Kilometer von meinem Wohnort entfernt und ist im Falle der nächstgelegenen Berliner Geschäftsstelle auch auf zwei Wochen im Voraus ausgebucht. Und der indische MiG-Termin rückt immer näher. Zwar ist er im Vorfeld um eine Woche vom 19. auf den 26. September verschoben worden, aber wir schreiben mittlerweile Anfang September – und es ist ja noch viel mehr zu organisieren.

Noch problematischer als die Terminsituation erweist sich die Tatsache, dass zu den Voraussetzungen für ein Journalistenvisum ein gültiger Journalistenausweis gehört, den ich als Hobby-Autor natürlich nicht besitze.

An dieser Stelle kommt wieder der Defense Advisor ins Spiel. Auf meine telefonische Nachfrage erklärt er sich freundlicherweise bereit herauszufinden, wie ich dennoch zum benötigten Visum kommen könne und verspricht, mich bei der Beantragung zu unterstützen. Und tatsächlich – einige Stunden später kommt aus Berlin die Nachricht, dass ich mein Journalistenvisum bekommen könne. Ich müsse dazu aber persönlich in Berlin beim Militärattachéstab vorsprechen und meine Unterlagen einreichen.

Verstrickt im Bürokratie-Apparat

Bereit, mich am nächsten Tag auf den Weg zu machen, beantworte ich die E-Mail dahingehend, dass ich nach entsprechender Bestätigung am nächsten Tag gegen Mittag in Berlin sein könne. Die Bestätigung bleibt aber aus und auch telefonisch ist niemand zu erreichen, um den weiteren Fortgang zu klären. Und das wird die nächsten Tage auch so bleiben.

Erst am 10. September habe ich dann endlich den Assistenten am Telefon – der Attaché ist auf Dienstreise – und noch am Abend des gleichen Tages erhalte ich die Bestätigung, dass ich am nächsten Morgen zwecks Visumsbeantragung in Berlin vorsprechen könne.

Dort angekommen, folgt sogleich wieder die Ernüchterung: Als der Assistent des Attachés nach einer halben Stunde aus der Visa-Abteilung zurückkehrt, hält er nicht das erhoffte Visum in der Hand, sondern nur meine Unterlagen und teilt mir mit, dass die Beantragung mindestens drei Arbeitstage dauern würde. Entsprechend frustriert mache ich mich auf den Heimweg, schließlich wird es jetzt immer unwahrscheinlicher, dass mein Visum rechtzeitig vorliegt.

Hoffen und Bangen um mein Visum

Die Stimmung sinkt weiter, als ein Anruf am folgenden Montag ergibt, dass das Visum immer noch nicht da ist. Jetzt ist es nur noch eine Woche bis zum geplanten Abflug. Und die Laune fällt ins Bodenlose, als ich aus Indien erfahre, dass zusätzlich zum Visum noch ein NOC, eine non objection confirmation (Unbedenklichkeitsbestätigung) der Botschaft benötigt wird. Davon habe ich überhaupt noch nie gehört und demzufolge auch keine Idee, wie ich dazu kommen könnte.

Am Dienstag, der auch mein Geburtstag ist, dann die erlösende Nachricht: das Visum ist fertig und abholbereit. Allerdings weiß der Mitarbeiter auf Nachfrage nichts vom NOC. Also rufe ich nochmals Brigadegeneral AP Singh an, der mir zusichert, dass, wenn ich morgen nach Berlin komme, auch dieses Dokument abholbereit auf seinem Schreibtisch liegt. Na dann…

Am nächsten Tag, nach sechs Stunden Fahrt und einer halben Stunde in der Botschaft, bin ich zum ersten Mal wirklich hoffnungsfroh und gehe gleich daran, die Flüge zu buchen und das Hotel. Schon vor meiner Abreise aus Berlin habe ich Fotos von Visum und NOC an den Presseoffizier nach Delhi geschickt. Unmittelbar nach Rückkehr sende ich sie auch noch per E-Mail – und erhalte eine Empfangsbestätigung.

Das Wochenende ist mit Vorbereitungen angefüllt. Am Montag packe ich meine Sachen, um am Nachmittag nach Frankfurt zu fahren und von da aus nach Delhi zu starten. Ich informiere den IAF-Presseoffizier, dass ich mich auf dem Weg machen will. Der antwortet mir, ich solle doch warten, bis die clearance vorliege. Unruhig schaue ich immer wieder auf mein Handy in der Erwartung einer Rückmeldung aus Delhi.

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Und schon folgt der nächste Knieschuss

Als sie dann endlich kommt, bin ich fassungslos. Es gebe ein Problem mit meinem Visum, heißt es plötzlich. Da stehe nämlich "Not valid for prohibited / restricted and cantonment areas" drauf und das würde meinen Zugang zum Flugplatz verhindern. Gesehen hatte ich den Text, mir allerdings keine Gedanken darum gemacht, schließlich ist das Visum ja genau für einen bestimmten Zweck ausgestellt worden. Meine Stimmung schwankt zwischen Wut und Verzweiflung.

Ich sende eine Nachricht an Brigadegeneral Singh und er antwortet umgehend, dass er sich kümmern werde. Er ruft auch in Indien an und versucht den ganzen Vormittag lang, die Dinge glattzuziehen, leider vergeblich. Ich bräuchte ein neues Visum, das ich auch sofort erhalten könnte, müsste aber vor der Abreise nach Frankfurt nochmals nach Berlin kommen. Doch: Selbst wenn ich wollte, wäre das zeitlich unmöglich. Der Flug ist nicht umbuchbar und außerdem käme ich zu spät in Indien an, um das Training am Mittwoch zu sehen. Wie ich nämlich zwischenzeitlich aus der indischen Presse erfahren habe, findet zwei Tage vor dem eigentlichen Ereignis eine Generalprobe statt. Und natürlich will ich da dabei sein.

Die erlösende Nachricht

Auf meine Nachfrage nach Indien, was ich tun könnte, um die Sache doch noch zum Erfolg zu bringen, kommt die lakonische Antwort: nichts. Ich könne nur auf die clearance warten. Was aber wiederum heißt: es besteht noch Hoffnung!

So mache ich mich auf den Weg zum Frankfurter Flughafen, im strömenden Regen und in banger Erwartung. Auf halber Strecke dann tatsächlich die erlösende Nachricht: "You are cleared". Juhu! Gleichzeitig reißt der Himmel auf und über der Wartburg in Eisenach, die gerade an mir vorbeizieht, scheint die Sonne durch die Wolken. Jetzt kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.

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Holger Müller

Ankunft in Indien

Eine Air India-787 bringt mich ohne außerplanmäßige Zwischenfälle nach Delhi. Dort angekommen, sattle ich direkt um auf meinen Zubringerflug für den 230-Kilometer-Hüpfer nach Chandigarh. Warum ich diese lächerlich kurze Strecke fliege und mich nicht für ein vergleichsweise billiges Taxi entscheide: weil ich den indischen Straßenverkehr von zwei vorangegangenen Reisen kenne und das Risiko minimieren will. Meinen Mitreisenden geht es wohl genauso, jedenfalls ist die Maschine gut gefüllt, von Business Class bis Economy.

Beim Landeanflug auf Chandigarh halte ich Ausschau nach den beiden MiG-21 mit der indischen Flagge am ganzen Seitenleitwerk, die zwischenzeitlich dorthin überführt wurden – vergeblich. Ich sehe die Tribünen für die Veranstaltung und die in Chandigarh stationierten Transportflugzeuge und -hubschrauber – C-17, Il-76, Chinook – aber keine MiG. Das Rätsel wird sich dann am nächsten Tag lösen. Die MiGs – es sind sieben statt der vermuteten zwei – stehen im Shelter-Bereich auf der anderen Seite der Bahn.

Heiß und feucht – aber gutes Essen

Beim Verlassen des Flugzeugs – wir steigen über eine Gangway aus und laufen über das Vorfeld – trifft mich die Hitze wie ein Hammer. 35°C und extreme Luftfeuchte herrschen hier – ein Schock nach den eher kühlen Temperaturen zu Hause. Das Gepäck ist (weitgehend) wohlbehalten angekommen, ein Taxi ist schnell gefunden und die Fahrt zum Hotel durch den alltäglichen Stau gestaltet sich dank Klimaanlage im koreanischen Kleinwagen erträglich.

Das Hotel ist annehmbar, das abendliche Essen köstlich und opulent (so wird es die nächsten vier Tage weitergehen). Aber alles das ist nicht so wichtig wie die Frage, ob es mir am nächsten Tag gelingen wird, etwas von der Generalprobe mitzubekommen und idealerweise zu fotografieren (natürlich hätte ich gern offiziell am Training teilgenommen und die Gelegenheit genutzt, ohne Protokoll und damit sicher mit mehr Bewegungsfreiheit den Ablauf zu erleben, aber da ich vorher nichts vom Training wusste, hatte ich die Teilnahme auch nicht beantragt und meine nachträgliche Nachfrage wurde abschlägig beschieden).

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Holger Müller

Auf der Pirsch rund um den Flughafen

Am nächsten Tag mache ich mich so zeitig auf den Weg, dass ich zwei Stunden vor dem angekündigten Beginn am Flughafen bin, um das Terrain zu sondieren und nach möglichen Fotostandorten Ausschau zu halten. Der Start ist nicht sehr erfolgversprechend. Der Zutritt zum Terminal wird mir verwehrt, da ich kein gültiges Ticket habe. Gleichzeitig wird mein Pass verlangt und als ich den aus dem Rucksack hole, gibt der Reißverschluss den Geist auf. Ab da kann ich den Rucksack nicht mehr richtig verschließen und meine Kamera schaut oben heraus.

Zumindest kann ich aber auf der Abflugebene draußen vorm Gebäude entlanglaufen – und da sehe ich sie: sieben MiG-21 mit leuchtenden rot-weiß-grünen Seitenleitwerken. Eigentlich wäre die Abflugebene der ideale Standort zum Fotografieren. Aber es gibt keine Chance, das unbeobachtet zu tun. Überall uniformierte Sicherheitskräfte, die mich ohnehin schon neugierig anstarren, da außer mir kaum Ausländer unterwegs sind.

Hinzu kommen Massen von Flughafenangestellten, die offensichtlich auch viel Zeit haben, sich außerhalb ihrer Büros aufzuhalten. Und dann sind da natürlich auch die Passagiere, die immer wieder ins Gebäude strömen.

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Alle Augen auf den Ausländer

Im Vorfeld habe ich mir mögliche Standplätze in der Umgebung angeschaut, nicht zuletzt auf der Website von Scramble, dem niederländischen Luftfahrtmagazin, wo es zu Chandigarh einen ausführlichen Führer gibt. Aber offensichtlich hatten sich die holländischen Kollegen ein Auto gemietet, was für mich wegen des völlig chaotischen indischen Verkehrs keinesfalls infrage kommt. Jedenfalls sind die beschriebenen Plätze wegen der Hitze und der Tatsache, dass Fußgänger im indischen Verkehr irgendwie nicht vorgesehen sind, völlig unerreichbar. Es bleibt also nur ein Ort in der Nähe.

Auf der Ankunftsebene kann ich aber keinen Schritt gehen, ohne irgendwie angesprochen zu werden, ob ich ein Taxi brauche oder was ich hier wolle. Ich muss also erst einmal Abstand gewinnen und umkreise den An- und Abfahrtsbereich sowie die Parkplätze.

Mangels Fußwegen und entsprechender Rücksichtnahme seitens der Fahrzeuglenker ist auch das beschwerlich und nicht ganz ungefährlich. Ein einziger Bereich neben der Abfahrtsrampe kommt überhaupt als möglicher Fotospot in Frage. Hier ist die Sicht einigermaßen frei und auch Uniformierte sind nicht in Sicht, zumindest nicht in unmittelbarer Nähe.

Werde ich die MiGs zu sehen bekommen?

Aber nur etwa 100 Meter weiter hat sich ein militärisches Empfangskomitee unter Fahnen aufgereiht, das offensichtlich hochrangige Besucher erwartet. Außerdem ist hier eine Baustelle und Bauarbeiter sitzen in ihren Fahrzeugen und beäugen mich misstrauisch. Also gehe ich weiter, vom Flughafen weg, folge einer Straße, die zwischen Gebäuden hindurchführt.

Ich bin noch keine hundert Meter gelaufen, da knattert neben mir ein Motorrad und der Fahrer in Tarnuniform fragt mich, wohin ich wolle. Ich antworte (fast) wahrheitsgemäß, dass ich nur ein wenig herumlaufen würde, werde aber nachdrücklich beschieden, zum Flughafen zurückzukehren. Noch weiter einen geeigneten Platz zu suchen, ist also keine Option. Es läuft auf hit and run hinaus.

Um möglichst wenig aufzufallen, gehe ich zum Terminal zurück, setze mich auf eine Bank und warte. Als der angekündigte Starttermin gekommen ist, mache ich mich nochmals auf den Weg zur Abflugebene, um zu schauen, ob die MiGs angelassen haben. Ein Fehler, denn oben angekommen, sehe ich, dass die Standplätze schon leer sind, und im gleichen Moment höre ich den Nachbrenner startender Maschinen. Zügig, aber ohne zu rennen, gehe ich zu meinem Sitzplatz zurück und sehe zwei MiG-21 Bison abheben.

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Warten, hoffen – Kamera zücken!

Jetzt gilt es also. Ich mache mich wieder auf den Weg zur freien Fläche – und laufe direkt auf einen uniformierten Wachposten zu, der eines der Gebäude am Flughafen sichert. Also biege ich Richtung der Parkplätze ab – da sind ja immer Menschen, so dass ein einzelner nicht auffällt – und gehe von dort aus unter einer Unterführung in Richtung meines Zielorts.

Das Empfangskomitee ist verschwunden, die Bauarbeiter arbeiten jetzt woanders, das ist doch schon mal etwas. Ich lehne mich an einen Baum und vergewissere mich, dass mich der Wachposten von eben nicht sehen kann. Jetzt heißt es warten und hoffen. Ein paar Autos fahren vorbei, weitere Motorräder mit Uniformierten, aber keiner nimmt von mir Notiz. Ich bereite die Kamera vor und starre an den Himmel.

Da kommen drei MiGs angeschossen. Die Kamera aus dem Rucksack ziehen und draufhalten ist eins. Ich schieße Dauerfeuer, sehe, dass sich eine Maschine aus der Formation löst, mehr aber auch nicht. Ich packe die Kamera schnellstmöglich wieder weg und habe keine Ahnung, ob ich überhaupt vernünftige Bilder gemacht habe. Soll ich noch auf einen weiteren Anflug warten und riskieren, dass ich doch noch entdeckt werde? Zwei Maschinen, die eine Vollkurve machen und ihre Oberseite zeigen, beantworten die Frage. Ich halte nochmals drauf, packe dann sofort zusammen und verschwinde. Niemand nimmt von mir Notiz, niemand ruft nach mir.

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Die erste Mission ist erfüllt

Was jetzt noch passiert, will ich mir einfach anschauen und kehre auf die Abflugebene zurück. Dort haben sich Flughafenangestellte und Passagiere eingefunden, angelockt von dem Spektakel. Unter denen kann ich mich verstecken und zumindest noch ein paar Handyvideos drehen. Und schon kommt die Gelegenheit: drei MiG-21, flankiert von zwei Tejas und gefolgt vom Kunstflugteam Surya Kiran, das die indischen Farben hinter sich herzieht, fliegen über der Bahn an. Das wäre natürlich ein tolles Fotomotiv, aber Sicherheit geht jetzt vor.

Wie alle anderen zücke ich das Handy und filme, wie die beiden Tejas nach oben steigen, während die MiGs und die Hawks des Kunstflugteams über die Bahn ziehen. Die MiG-21 kreisen dann auch über uns, bevor sie nacheinander zur Landung kommen. Auch das beobachte ich von meinem erhöhten Standort aus und spiele immer wieder mit dem Gedanken, doch noch zu fotografieren. Aber zum einen gibt es wirklich keinen unbeobachteten Ort, zum anderen wären die Ergebnisse das Risiko nicht wert: die Bahn ist weit weg und der Boden flimmert in der Hitze.

Im Hotel angekommen, übertrage ich meine Ausbeute gleich nach Hause – sicher ist sicher – und bin zufrieden und glücklich, da mein Minimalziel, fliegende MiG-21 auch im 32. Jahr in Folge zu sehen, erreicht ist.

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Der große Tag kann kommen

Der Donnerstag vergeht mit einem Museumsbesuch, ein wenig Shopping und Sightseeing – sofern bei 35° Celsius überhaupt möglich. Und dann ist der große Tag auch schon gekommen.

Wg Cdr Singh hatte in seiner Einladungs-E-Mail (die hat mich ohne Probleme erreicht) die Koordinaten des Presseeingangs mitgeschickt. Das und die Tatsache, dass ich diese Koordinaten direkt in die Uber-App eingeben kann, erspart mir das ellenlange Palaver mit Taxifahrern, die kaum Englisch sprechen und ihre Stadt auch nicht wirklich kennen. Zügig und mit viel Zeitreserve geht es zum Zielort, doch auf den letzten Metern baut sich abermals ein Hindernis auf: Einer der zahlreichen Posten, die alle paar Meter die Straße bewachen und die Besucher kontrollieren, ist der Meinung, dass ich ganz woanders hinmüsse.

Mein Brief vom Defence Advisor in Berlin mit vielen offiziellen Stempeln und nachdrückliche Forderungen meinerseits zeigen aber Wirkung – zum Glück! Kurze Zeit später rollen wir auf einen Parkplatz, wo an einem Tisch zwei Offiziere sitzen, hunderte von Badges vor sich. Hier sind wir richtig. Ich bezahle meinen Taxifahrer, nenne meinen Namen und habe schon den mir zugedachten Presseausweis umhängen. Das ging ja einfach!

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Und dann geht es wirklich los!

Schnell komme ich ins Gespräch mit den Umstehenden: alles indische Luftfahrtenthusiasten und Spotter, die beim Ereignis dabei sein und schöne Bilder mitbringen wollen. Ich bin froh, dass die Mehrheit der "Medienvertreter" ähnliche Interessen hat wie ich, hatte ich doch die Sorge, mich möglicherweise ganz anders gearteten Ansprüchen der Tagespresse unterordnen zu müssen.

Kurze Zeit später steigen wir auch schon in den angenehm klimatisierten Bus, der uns auf die Basis und zum Veranstaltungsort bringt. Irgendwann sind wir drin und machen uns zu Fuß auf den Weg zu großen Zelten, in denen Büffets mit Sandwiches, Gebäck und Getränken aufgebaut sind. Essen kann ich nichts, dafür bin ich viel zu aufgeregt, aber trinken muss ich, denn es wird ein langer heißer Tag werden.

Ich halte mich an die indischen Kollegen, denn die kennen sich aus und kennen auch viele der Militärs, die hier herumlaufen. Und als sich der erste Pulk auf den Weg macht – wohin auch immer – gehe ich mit. Kurze Zeit später stehen wir auf einem Podest für die Medien, unmittelbar vor den überdachten Tribünen für Besucher und Ehrengästen.

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Das Gegenlicht als Endgegner

Nicht weit entfernt stehen zwei MiG-21 – eine UM und ein Bison – mit komplettem Waffenspektrum. Natürlich sind die mein erstes Fotomotiv, leider gegen die Sonne, aber egal – Hauptsache ich bin hier. Der "Kampf mit dem Gegenlicht" wird den ganzen Tag bestimmen und eine richtige Kameraeinstellung werde ich nie finden, aber am Schluss zählt das Erlebnis.

Plötzlich klingelt mein Telefon. Wg Cdr Jaideep Singh ist dran und will wissen, wo ich denn wäre. Als ich erkläre, dass ich schon auf dem Platz bin, will er das erst gar nicht glauben. Offensichtlich überrascht ihn die reibungslose Organisation. Jedenfalls verabreden wir uns an meinem aktuellen Standort und kurze Zeit später stehe ich dem Sikh – er trägt heute Zivil statt Uniform – gegenüber. Von ihm erfahre ich, dass ausgewählte indische Fotografen und die Ausländer – neben mir sind noch zwei Taiwanesen vor Ort – vom Dach des Towers aus fotografieren dürfen.

Ich bin hin- und hergerissen, weil der Tower zwar einen tollen Überblick bietet, aber auch deutlich weiter weg von der Bahn ist als das Fotografenpodest. Am Schluss entscheide ich mich aber für diesen exklusiven Standort.

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Fotografieren auf dem Dach des Kontrollturms

Oben auf dem Towerdach – ohne Geländer und Absperrungen, worauf uns die Gastgeber immer wieder hinweisen – bietet sich ein toller Überblick. Neben der Handvoll Fotografen sind auf dem Dach nur noch ein paar Offiziere der Towerbesatzung und einzelne Soldaten einer Spezialeinheit, die uns freundlich begrüßen. Wie die es in ihren offensichtlich nicht sehr luftigen und bis oben geschlossenen Kampfanzügen aushalten, ist mir ein Rätsel. Nur mit einer dünnen Jeans und einem Leinenhemd bekleidet, bin ich schon klatschnass geschwitzt.

Vorn bei den MiGs kommt jetzt Bewegung in die Szenerie. Techniker laufen hin und her, schließlich rollen die Maschinen zur Bahn – und geben Gas!

Der Chief of Air Staff (CAS) der Indian Air Force, Air Chief Marshal Amar Preet Singh, lässt es sich nicht nehmen, die Luftparade anzuführen und startet zuerst. Ihm folgen paarweise sechs weitere Maschinen. Wie immer, wenn MiG-21 fliegen, bin ich aufgeregt und nicht jedes Bild gelingt. Aber ich mache so viele, dass sicher ein paar gute Fotos dabei sind. Das große Problem ist das Gegenlicht. Blende hoch, Blende runter – in der Vorschau sieht keine Einstellung wirklich gut aus.

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Große Show in vollem Gange

Jetzt kommen die MiGs aus Osten. Die erste Formation kenne ich: drei Maschinen, wovon eine, gesteuert vom CAS, nach oben davonzieht. Diesmal sind die Maschinen viel näher als im Training, allerdings ist der Kontrast gegen Sonne und Dunst auch viel geringer. Und schon kommt die Solomaschine zur Landung. Von oben ist der Kontrast ein wenig größer, aber das Gegenlicht verhindert, dass das Seitenleitwerk in indischen Farben seine volle Wirkung entfaltet.

Die indischen Kollegen weisen mich darauf hin, was als nächstes folgt und was ich beim Training durch meinen Standortwechsel verpasst hatte. Zwei Jaguar "greifen den Flugplatz an" und werden von den MiGs abgefangen. Da sind sie auch schon und auch schon wieder weg. Die MiGs sehe ich nur aus dem Augenwinkel (und entdecke erst später auf den Fotos, dass ich sie im Anflug erwischt hatte).

Die Maschine des CAS ist zwischen den Transportern westlich von uns zum Stehen gekommen und obwohl die Entfernung recht groß ist, scheint die Sonne von der richtigen Seite auf das Flugzeug, womit das Bild gleich ganz anders aussieht.

Dann naht bereits die große Abschiedsformation: drei MiG-21, flankiert von zwei LCA Tejas und gefolgt von den neun BAe Hawk von Surya Kiran, die die indischen Farben an den Himmel malen. Die Tejas steigen in den Himmel, die MiGs lösen die Formation auf, kommen einzeln zur Landung und rollen ans westliche Bahnende, wo sie verharren.

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Der letzte Appell – vor meinen Füßen

Dann beginnen die Maschinen, paarweise über die Bahn Richtung Tribüne zu rollen. Unter einem Wassersalut der Feuerwehr rollen sie bis unmittelbar vor die Zuschauer, wo sie einen Halbkreis bilden. Auf Kommando werden die Triebwerke abgestellt, die Piloten steigen aus und machen dem Verteidigungsminister und dem CAS Meldung. Damit ist der 62 Jahre währende Einsatz der MiG-21 bei der IAF Geschichte.

Wir verlassen das Towerdach und machen uns auf den Weg zur Abstellfläche vor den Tribünen, die jetzt von Zuschauern geflutet wird, die alle zu den MiG-21 streben. Mit Bildern der Flugzeuge wird es wohl nichts mehr werden für mich. Aber egal, auch hier zählt das Erlebnis. Zumindest die beiden ausgestellten MiGs mit Bewaffnungspalette sind durch Absperrbänder vor den Zuschauern "geschützt" und bilden ein schönes Motiv.

Unzählige frühere und heutige Piloten, Techniker und ihre Angehörigen, offizielle Gäste und Besucher nutzen die Gelegenheit, sich mit dem bekanntesten Flugzeugmuster der IAF fotografieren zu lassen. Und ich natürlich auch! Schade nur, dass die Cockpits tabu sind und es auch kaum gelingt, die Maschinen aus dem Flugprogramm ohne Personen im Vorder- oder Hintergrund zu fotografieren. Aber egal, dafür ist es eine außerordentlich stimmungsvolle Veranstaltung.

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Das glückliche Ende – für mich und die MiG

Unsere Begleiter versuchen immer wieder, uns zum Bus zu treiben, mit der Ankündigung, man hätte in der Offiziersmesse das Mittagessen für uns vorbereitet. Aber da bin ich mir mit meinen indischen Kollegen einig: wer braucht schon etwas zu essen, wenn man MiG-21 hautnah erleben kann.

Letztlich lassen wir uns aber doch umstimmen: Nach kurzer Fahrt erreichen wir die Offiziersmesse und angesichts der dort aufgebauten Pfannen mit wohlriechenden Speisen und vielen Getränken wird allen klar, wie hungrig und durstig sie doch waren.

Im Tausch gegen unsere Presseausweise erhalten wir nach dem Essen ein tolles Abschiedspräsent: eine Tasche, gefüllt mit einer Holztafel zur indischen MiG-21-Geschichte, Flaschenöffner, Gedenkmedaille, Anstecker und Krawattennadel – alles im MiG-21-Design.

Der Bus bringt uns nach draußen, ein Taxi fährt mich zurück ins Hotel. Für den Heimflug am nächsten Morgen muss ich früh aufstehen, in Delhi habe ich viele Stunden Aufenthalt, in Frankfurt landen wir verspätet und die Gepäckausgabe dauert ewig. Aber das ist alles völlig nebensächlich: ich war beim Abschied von den indischen MiG-21 dabei. Und diese Erinnerung bleibt!