Wenn sich staatliche Stellen heute in Krisenzeiten schnell ein Bild der Lage machen müssen, bekommen sie innerhalb von Stunden Satellitenbilder von fast jedem Ort der Welt mit beeindruckender Auflösung geliefert. Um diese Art der "Spionage" geht es dem Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr in Geilenkirchen respektive der Abteilung "Offener Himmel" aber nicht – sondern um "Verifikation, Vertrauen und Völkerverständigung" und nach dem Ausstieg der USA Ende 2020 und später Russlands um eine "Stärkung des OH-Vertrages in schwierigen sicherheitspolitischen Zeiten".

So funktioniert "Open Skies"
Für die Kontrollmissionen steht der Bundeswehr ein neues, "einzigartiges Asset" zur Verfügung: der im vergangenen Herbst mit Verzögerung auch international zertifizierte Airbus A319 OH, der mit dem Kennzeichen 15+03 von der Flugbereitschaft der Luftwaffe in Köln-Wahn betrieben wird, aber formell der Streitkräftebasis als deren einziges Flugzeug gehört. Die penible Kontrolle des Flugzeugs und insbesondere seiner Kameras (und einer ebenfalls neu ausgestatteten Antonow An-30 der rumänischen Luftwaffe) fand vom 24. Oktober bis zum 4. November 2022 statt, als sich 52 Inspektoren aus 21 Vertragsstaaten in Köln-Wahn trafen. Dabei wurden auch diverse Flüge durchgeführt, zum Beispiel über kalibrierte Zielobjekte, die zum Beispiel in der Selfkant-Kaserne in Geilenkirchen aufgebaut wurden. Gleich nach der Zulassung folgte die erste offizielle Mission vom 5. bis 9. Dezember 2022 über Georgien, bei der neben deutschen und einheimischen Spezialisten auch Gäste aus Spanien und Schweden beteiligt waren. Etwa 20 Kontrollflüge pro Jahr hat das Zentrum für Verifikationsaufgaben künftig für die A319 OH ins Auge gefasst. Zwölf Flüge darf Deutschland laut Vertrag machen, der Rest soll von anderen Ländern gebucht werden, denn neben der A319 OH und der An-30 gibt es momentan keine anderen nutzbaren Flugzeuge.
Der 1992 geschlossene und 2002 ratifizierte Vertrag über den Offenen Himmel hat strenge Regularien. So müssen die Missionen 72 Stunden vorher angemeldet werden, 24 Stunden vorher ist dann die genaue Flugroute einzureichen. Nach der Fotomission steht die Auswertung der Daten an: Der überflogene Staat bekommt eine Kopie, andere Länder können ebenfalls das Rohmaterial ankaufen – also die auf fälschungssicheren Festplatten in einem ganz speziellen Datenformat gespeicherten Bilder. Die Art der Auswertung steht jedem Staat frei.

100-Megapixel-Kameras
Für die Bilder gilt ein Auflösungslimit von 30 Zentimetern. Das heißt bei den normalen Überflughöhen von 4650, 3100 und 1270 Metern kommen unterschiedliche Kameras zum Einsatz, die sich überlappende Bildserien mit einer Breite von 7900, 5700 oder 2900 Metern produzieren – für beste Qualität natürlich kreiselstabilisiert aufgehängt. Die Digitalkameras haben eine Auflösung von 11.600 x 8.700 Pixel (100 Megapixel gegenüber etwa 25 Megapixeln bei Spiegelreflexkameras). Dazu kommt ein Sensor, der im nahen Infrarotbereich arbeitet.
Gesteuert werden die Sensoren von zwei Bedienerstationen im vorderen Teil der Kabine aus, die jeweils Platz für zwei Personen bieten. Weitere 16 Inspektoren oder Beobachter haben an vier Tischen Platz, wo sie zum Beispiel mit ihren Laptops das Geschehen überwachen können. Dahinter schließt sich eine bequeme Bestuhlung für 25 weitere Gäste an, wobei dieser Bereich im Bedarfsfall mit zwei Patienten-Intensiveinheiten für den Kranken- oder Verwundetentransport genutzt werden kann. Corona-Patienten wurden 2021 bereits mit der A319 OH innerhalb Deutschlands verlegt.
Bis die A319 OH nun einsatzfähig ist, hat es nicht zuletzt wegen der Coronapandemie länger gedauert als gedacht. Ihre Beschaffung begann mit der Aufnahme in den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD aus dem Jahr 2013. Nachdem die Spezifikation geschrieben war, schloss die Bundeswehr im März 2017 einen Vertrag mit Lufthansa Technik, die einen ehemaligen Geschäftsreisejet von Volkswagen entsprechend umrüstete. Vorteil dabei: Zusatztanks im Frachtraum waren bereits vorhanden, um eine Überführungsreichweite von 7000 km zu ermöglichen.

Umrüstung bei Lufthansa
Nach 26 Monaten Liegezeit in Hamburg wurde die A319 OH am 21. Juni 2019 an die Bundeswehr übergeben. Sie wurde zunächst grundüberholt und erhielt anschließend mehr als 150 Änderungen– von der Umsetzung kleinerer Flugtüchtigkeitsdirektiven bis hin zu grundlegenden Eingriffen in die Struktur. Dazu zählten die ausgefrästen und verglasten Öffnungen im Flugzeugboden, die den Einsatz der Beobachtungs- und Kameratechnik auf Open-Skies-Flügen erst ermöglichen. Drei Supplemental Type Certificates waren für die Zulassung erforderlich: jeweils eines für die Modifikation der Struktur, für die Kamerafenster im Rumpf sowie für die Modifikation von Kabine und Cockpit.