Schon seit Jahren ist die Not bei der Marine groß: Die Zahl der Flugstunden des Westland Sea King Mk 41 bewegt sich seit 2007 unter der „operativen Forderung“ und seit 2009 auch unter dem „Minimum“. Laut dem neuesten Bericht des Verteidigungsministeriums waren von 21 noch vorhandenen Hubschraubern durchschnittlich vier einsatzbereit. Damit konnte gerade einmal der zivile und militärische SAR-Dienst über See aufrechterhalten werden.
Ein Ersatz für die ab 1974 eingeführten Sea Kings ist also dringend. Und nachdem eine 2010 gestartete Ausschreibung für einen neuen Marinehubschrauber nicht zu einer Beschaffung geführt hatte, blieb der Marine keine Wahl: Im Rahmen der im März 2013 getroffenen Grundsatzvereinbarung des Verteidigungsministeriums mit Airbus Helicopters wurde der Kauf von 18 NH90 NTH Sea Lion festgelegt.
Dieser dient praktisch als Ausgleich für die Stückzahlreduzierungen beim Heereshubschrauber NH90 TTH (nur noch 80 in Einsatzverbänden) und beim Kampfhubschrauber Tiger (nur noch 40 in Einsatzverbänden). Im gleichen Atemzug wurden auch die Anforderungen an die Ausstattung des neuen Marinehubschraubers drastisch heruntergeschraubt. Er dient nun ausschließlich als Ersatz für die Sea Kings, hat also mit Schiffsbekämpfung und U-Boot-Jagd nichts zu tun.
Es verbleiben sechs vergleichsweise einfachere Aufgaben, als da sind:
• Materialtransport mit einer maximalen Zuladung von 4,2 Tonnen. Am Lasthaken können Fahrzeuge und andere Lasten bis zu vier Tonnen zum Einsatzort verbracht werden.
• Personentransport. Laut Hersteller finden 14 Soldaten in voller Ausrüstung im Sea Lion Platz. Alternativ können bis zu neun erkrankte oder verletzte Personen liegend transportiert werden.
• Boarding-Operationen zur Überprüfung von Handelsschiffen im Rahmen von Embargoüberwachung und Missionen gegen die Piraterie. Dafür müssen Teams von etwa zwölf Soldaten per Fast Roping abgesetzt werden.
• Taktischer Transport von Spezialkräften ins Einsatzgebiet und ihre Rückverbringung. Bei solchen Einsätzen können zwei M3M-MGs (Kaliber 12,7 mm) in der Kabine eingerüstet werden.
• Maritime Aufklärung mit dem 360-Grad-Radar (Thales European Naval Radar) und dem im Bug aufgehängten, drehbaren Sensorbehälter (Infrarot- und TV-Kamera, Laser-Entfernungsmesser). Darüber hinaus sind Systeme zur Erfassung und Identifizierung von elek-tromagnetischen Ausstrahlungen eingerüstet. AIS (Automatic Identification System) zeigt die Position von Schiffen. Mit Link 11 kann das Lagebild mit Schiffen eines Einsatzverbands ausgetauscht werden.
• Such- und Rettungsdienst über See, sowohl zivil entsprechend den Vorgaben der ICAO, als auch militärisch. Dafür gibt es eine umfassende Kommunika-
tionsausstattung wie digitaler Behördenfunk (BOS), Seefunk und Satellitenkommunikation.
Lieferungen ab Herbst 2019 geplant

Wie gut der Sea Lion diese Aufgaben erfüllen kann, darüber gibt es nach wie vor unterschiedliche Auffassungen. Jedenfalls macht es keinen guten Eindruck, wenn der neueste Hubschrauber der Marine nach Auskunft von Rüstungs-Staatssekretärin Katrin Suder nur „analog eines zivil zugelassenen Category-B-Hubschschraubers zertifiziert“ wird. Für zivile SAR-Einsätze sind nach den Vorschriften von JAR-OPS 3 Hubschrauber der Category A einzusetzen, die dank höherer Leistungsreserven bei Triebwerksproblemen im Schwebeflug deutlich mehr Sicherheit bieten.
Von solcher Kritik zeigt sich das Ministerium gewohnt unbeeindruckt: Der Sea Lion werde „seine vorgesehenen Aufträge erfüllen können“, so Suder. Außerdem wird auf die Erfahrungen der Verbündeten verwiesen, die ihre NH90-Marinehubschrauber bereits seit Jahren auch für SAR-Aufgaben verwenden. Dies gilt insbesondere für die Franzosen, auf deren Caiman-Modell des NH90 die deutsche Sea-Lion-Version aufbaut.
Die Entwicklung sollte daher nicht allzu schwierig sein. Nur 100 Flugstunden hat Airbus Helicopters wohl angesetzt, zumal Versuche auf Schiffen (Einsatzgruppenversorger der „Berlin“-Klasse) wegen bereits vorhandener Qualifikationen nicht notwendig sind. Dennoch ist man bei der Integration neuer Systeme natürlich nie vor Überraschungen gefeit. Und auch die behördlichen Abnahmeprozesse verschlingen Zeit.
Über vier Jahre stehen dafür zwischen der offiziellen Auftragsvergabe am 10. Juni 2015 und dem geplanten Auslieferungsbeginn im Oktober 2019 zur Verfügung. Auch wenn man laut neuestem BMVg-Bericht mit der Critical Design Review drei Monate im Verzug ist, „wird weiterhin von einer vertragskonformen Auslieferung der ersten Hubschrauber ausgegangen“. Ein hoffnungsvoller Meilenstein dafür war der Erstflug des ersten, noch nicht mit wichtigen Systemen ausgerüsteten Sea Lion am 1. Dezember 2016. Eine Woche später folgte in Donauwörth die offizielle Präsentation. Derweil war der zweite Sea-Lion-Prototyp in der Fertigung weit fortgeschritten. Er soll ab kommenden Juni für Flugversuche zur Verfügung stehen.
Viel Ärger in den letzten Jahren
Wie bereits erwähnt, sollen die Lieferungen der neuen Hubschrauber im Oktober 2019 beginnen. Schon im ersten Jahr ist die Übergabe von drei Maschinen vorgesehen. Jeweils sechs weitere sollen 2020 und 2021 folgen, die restlichen drei im Jahr darauf. Oberstes Ziel ist es dabei, die SAR-Rolle des Sea King im Jahr 2022 übernehmen zu können.
Dieser Plan fordert nicht nur die Industrie, auch die Marine hat bis dahin so einige Hürden zu überwinden, um einen bruchfreien Übergang zwischen Sea King und Sea Lion zu gewährleisten. Gerade im Personalbereich ist es schwierig, aktuelle Einsatzanforderungen und notwendige Ausbildungen unter einen Hut zu bringen. Immerhin hat man mit der Ausbildung von technischem und fliegerischem Personal (Piloten, Bordmechaniker, Luftfahrzeugoperationsoffiziere) schon begonnen. Dabei stützt man sich auf die Heereseinrichtungen in Bückeburg (Pilotenausbildung) und Faßberg (Techniker) ab. Darüber hinaus sind beim Marinefliegergeschwader 5 in Nordholz Änderungen an den vorhandenen Gebäuden und Neubauten zum Beispiel für den separat beschafften Simulator nötig. Und nicht zu vergessen: Der Sea Lion wird nach den neuen Regularien der DEMAR (German Military Airworthiness Requirements) betrieben, die mit denen der zivilen Luftfahrt vergleichbar sind. Dazu kommt die Verwendung der SASPF-Software für Betrieb und Materialbewirtschaftung, die auf Schiffen noch nicht eingesetzt wurde.
Insgesamt werden für die Beschaffung des Sea Lion 1,456 Milliarden Euro veranschlagt. Sie werden laut einer Unterrichtung des Haushaltsausschusses „teilweise finanziert aus einer Gutschrift des Auftragnehmers für bereits geleistete Zahlungen für die nicht mehr abzunehmenden 40 NH90-Heer“. Verträge für die Wartung sind darin nicht enthalten. Generell werde beim NH90 derzeit an einer Straffung des Wartungskonzepts gearbeitet. In diesem Zusammenhang fallen beim Sea Lion 18 Millionen Euro zusätzlich an für „Maßnahmen zur Erhöhung der Verfügbarkeit, die im Rahmen der Task Force Drehflügler beschlossen wurden“.
Mehr Kundenzufriedenheit ist für den Hersteller nach all dem Ärger der vergangenen Jahre mit technischen Problemen und geringer Verfügbarkeit – zuletzt waren beim Heer im Schnitt neun von 48 NH90 TTH einsatzbereit – sehr wichtig. Nur so lassen sich weitere Kunden gewinnen oder bestehende Kunden zu neuen Aufträgen animieren. Bei der deutschen Marine steht nach dem Sea-King-Ersatz ab 2025 die Ablösung der Bordhubschrauber Sea Lynx an. Entsprechende Planungen haben laut Vizeadmiral Andreas Krause bereits begonnen. Airbus Helicopters beziehungsweise NH Industries will da natürlich ein gewichtiges Wort mitreden. Schließlich gibt es bereits eine voll ausgerüstete und bewaffnete NFH-Variante des NH90 (NATO Frigate Helicopter), die zum Beispiel in den Niederlanden seit 2010 im Einsatz ist.