Tupolew Tu-22M3M: So hält Russland den "Backfire"-Bomber fit

Bomber Tupolew Tu-22M3M
Warum Russland weiter auf die „Backfire“ setzt

Veröffentlicht am 18.04.2024

Nur 1500 Meter hoch ging es für die Crew um Testpilot Oleg Petunin am 28. Dezember 2018 beim ersten Flug der Tupolew Tu-22M3M (Nr. 42, Kennung RF-94267) vom Werksflugplatz in Kasan aus. Schlechtes Wetter mit tief hängenden Wolken begrenzte den Start in das "auf einige Jahre" angelegte Testprogramm auf 37 Minuten. Am 20. März 2020 flog dann die zweite Tu-22M3M zum ersten Mal. Die OAK sieht in der modernisierten Tu-22M3M großes Potenzial, sodass es sogar Überlegungen gibt, neben den derzeit etwa 60 aktiven Schwenkflüglern auch seit Jahren abgestellte Maschinen zu reaktivieren. Mehrere Dutzend Tu-22M3 sind in Depots eingelagert oder stehen auf Flugplätzen wie Olenegorsk (25) und Belaja (20) herum. Wie weit das Programm inzwischen gediehen ist, bleibt unklar. Zuletzt hieß es Ende Dezember 2022, Tupolew habe einen "weiteren raketentragenden Bomber (...) ausgeliefert".

Alexander Beltyukov (CC BY-SA 3.0)

Umfangreiche Modernisierung der Avionik

Das im September 2014 beauftragte Tu-22M3M-Entwicklungsprogramm betrifft vor allem die Avionik, die zu 80 Prozent ausgetauscht wird und nun aus "einheimischen Komponenten" besteht. So weit möglich, werden Gleichteile mit dem strategischen Bomber Tu-160M verwendet. Als Radar dient nun ein NV45M (Novella-45M) von Zaslon. Außerdem wird das Navigationssystem NO-45.03M inklusive der Trägheitsnavigationsplattform INS-2000-04 eingebaut. Weitere Arbeiten betreffen das Kommunikationssystem S-505-45 und das IFF (Freund-Feind-Kennung, 623-3D-23). Das alte Ural-M-Selbstschutzsystem L229 wird durch das neue L501 Redut-45M ersetzt. Damit entfällt auch die Kanone im Heck, um Platz zu schaffen. Avionik ist wohl auch in der Verkleidung auf der Nase installiert, die aussieht wie die frühere Luftbetankungssonde. Das Flugkontrollsystem ABSU-145MT arbeitet nun digital, und für die Besatzung gibt es Farbdisplays. Als Triebwerke verbleiben die Kusnezow NK-25, die allerdings ein neues Kontrollsystem erhalten.

Piotr Butowski

Waffenlast

Was die Bewaffnung betrifft, so wird weiterhin die große Raduga-Ch-22- Lenkwaffe (AS-4 "Kitchen") verwendet, die ausschließlich mit der Tu-22M im Einsatz ist. Sie wiegt sechs Tonnen und kann bei Überschallgeschwindigkeit gestartet werden. Die Geschwindigkeit der Ch-22 liegt bei Mach 3, im Sturzflug zum Ziel sogar bei Mach 4.15. Als Reichweite werden 510 Kilometer oder 350 Kilometer für die Version zur Schiffsbekämpfung angegeben. Letztere verfügt über einen Radarsuchkopf, während die normale Ausführung mit Dopplernavigation arbeitet und mit Atomsprengkopf oder konventionellem Sprengkopf bestückt werden kann. Nachfolger der Ch-22 ist die Raduga Ch-32 in gleicher Größe und Form, aber mit neuem Triebwerkskontrollsystem. Sie erzielt mit optimierten Flugprofilen angeblich die doppelte Reichweite und wird seit etwa 2005 in geringen Stückzahlen produziert. Seit 2012 ist die weiter verbesserte Ch-32M mit GPS-Navigation und neuer Elektronik im Test. Alternativ zu den Lenkwaffen kann die Tu-22M3M konventionelle Bomben oder Präzisionsbomben (KAB-1500S, KAB-500S) im Waffenschacht sowie an zwei Aufhängungen unter dem inneren Flügelteil tragen. Spekuliert wird über eine Ausrüstung mit der Hyperschall-Lenkwaffe Kinschal (Ch-47M2), die zunächst nur an der MiG-31 gesehen wurde.

Piotr Butowski

Wichtiger Bestandteil der russischen Streitkräfte

Auch mit der Modernisierung fällt die Tu-22M3M nach Aussage des russischen Außenministeriums nicht unter die Beschränkungen des New-START-Rüstungskontrollvertrags, da die Reichweite unter 8000 Kilometer liege und sie nicht mit atomaren Marschflugkörpern mit über 600 Kilometern Reichweite ausgestattet werde. Vielmehr gehe es um die Verlängerung der Lebensdauer, wie es in einem Schreiben an den US-Senat vom Dezember 2018 heißt. Von den 268 Tupolew Tu-22M3, die zwischen 1978 und 1993 in der Flugzeugfabrik in Kasan gebaut wurden, sind heute bei den russischen Langstrecken-Bomberkräften wohl noch etwa 60 im regulären Dienst, und zwar beim 200 TBAP (schweres Bomberregiment) in Belaja, beim 52 TBAP in Schaikowka und beim 40 SAP (verbundenes Flugzeugregiment) in Olenegorsk. Dazu kommt das 43. Umschulungszentrum in Rjasan. Maximal hatte die Sowjetunion etwa 380 "Backfires" gleichzeitig im Einsatz, 60 Prozent bei den Luftstreitkräften und 40 Prozent bei den Marinefliegern (die ihre Flugzeuge 2011 an die Luftstreitkräfte abgaben). Neben der endgültigen Serienversion Tu-22M3 – sie verfügt unter anderem über eine drei Tonnen höhere Abflugmasse sowie stärkere und kraftstoffsparende Triebwerke Kusnezow NK-25 statt NK-22 – wurden zehn Tu-22M0, neun Tu-22M1 und 211 Tu-22M2 gebaut. Der Erstflug der Tu-22M fand bereits vor über 50 Jahren statt, am 30. August 1969. Die Typenbezeichnung war dabei irreführend, denn mit der vorherigen Tu-22 "Blinder" (Erstflug 1958) hat die Tupolew-Entwicklung (Izdelije 45) nichts mehr zu tun.

Zu Zeiten des Kalten Kriegs war die Tu-22M als vielseitige Plattform für Langstrecken-Lenkwaffen und Bomben gedacht, die dank Schwenkflügeln sowohl hohe Überschallgeschwindigkeit als auch die Fähigkeit zum Tiefflug knapp unter Mach 1 bieten sollte. Die Marineflieger der UdSSR wollten mit der "Backfire" amerikanische Flugzeugträger und mit Tomahawk-Marschflugkörpern bestückte Kreuzer ausschalten – eine Gefahr, die man bei der US Navy durchaus sehr ernst nahm. Im Fall eines Krieges in Europa sollten die Tu-22M vor allem NATO-Flugplätze und Häfen zerstören, um so den Nachschub aus den USA zu unterbinden. Ziele wären auch Kommandozentralen, Eisenbahnknotenpunkte und Truppenkonzentrationen gewesen.

Piotr Butowski

Einsatz in Syrien

Zum ersten Mal zum Einsatz kam die Tupolew Tu-22M allerdings in einem "Buschkrieg". 1984 und dann wieder von Oktober 1988 bis Januar 1989 flogen die Bomber in Afghanistan, zuletzt, um die Rückzugsrouten der russischen Truppen zu sichern. Zwischen November 1994 und Januar 1996 folgten etwa 100 Missionen über Tschetschenien. Beim Krieg gegen Georgien ging im August 2008 die bisher einzige Tu-22M durch Abschuss verloren, als sie auf dem Nachhauseweg von einer Flugabwehrrakete getroffen wurde. Die "Backfire C" wurden dann zwischen November 2015 und August 2018 beim russischen Einsatz in Syrien verwendet. Bis auf eine kurze Verlegung nach Khmeimim im August 2016 wurde von Mozdok (Nord-Ossetien) aus geflogen. Die Rede ist von knapp 375 Einsätzen, wobei meist Salven von bis zu zwölf 250-kg-Bomben abgegeben wurden. Auch gegen die Ukraine werden die Tu-22M3 eingesetzt.

Rostec

Technische Daten

Allgemeine Angaben
Konstrukteur: OKB Tupolew, Moskau
Produktion: Werk 22, Kasan
Besatzung: 4

Bewaffnung
Bomben: FAB-100 (bis zu 69), FAB-250 (bis zu 69), FAB-500 (bis zu 42), FAB-1500 (acht intern) FAB-3000 (zwei)
Minen: RM-1, UDM, UDM-5, USM-50, APM, AMD-2/2M, Leera, Serpey (je acht), AMD-500M (zwölf), IGDM-500 (18)
Lenkwaffen:
Tu-22M2/M3: Ch-22M, Ch-22N, Ch-22NA, (bis zu drei), Ch-22MP (zwei), Ch-32 (drei)
Tu-22M3: 10 x Ch-15/Ch-15P, Ch-32M
Für die Selbstverteidigung ist im Heck eine schwenkbare Kanone installiert:
Tu-22M1/M2: 2 x GSch-23
Tu-22M3: 2 x GSch-23M
Die Tu-22M3M verzichtet auf die Kanone.

Antrieb
Tu-22M0/M1: 2 x NK-144-22
Tu-22M2: 2 x NK-22
Tu-22M3: 2 x NK-25

Leistung
Trockenschub:
Kusnezow NK-144-22: 146,95 kN
Kusnezow NK-25: 140,2 kN mit Nachbrenner
Kusnezow NK-144-22: 195,95 kN
Kusnezow NK-22: 195,95 kN
Kusnezow NK-25: 245,18 kN

Abmessungen
Länge:
Tu-22M0/M1/M2: 41,46 m
Tu-22M3: 42,46 m
Höhe: 11,05 m
Spannweite, Flügel nach vorn:
Tu-22M0: 31,6 m
Tu-22M1/M2/M3: 34,28 m
Spannweite, Flügel nach hinten:
Tu-22M0: 22,75 m
Tu-22M1/M2: 25,00 m
Tu-22M3: 23,30 m
Flügelfläche: 175 – 183 m2
Spurweite: 7,3 m
Radstand: 13,67 m
Tu-22M3: 13,51 m

Massen
Leermasse:
Tu-22M0: 67 700 kg
Tu-22M1: 66 500 kg
Tu-22M3: 78 000 kg
Waffenlast:
Tu-22M1: 12 000 kg
Tu-22M2/M3: 24 000 kg
Kraftstoff:
Tu-22M3: 67 700 l
normale Startmasse:
Tu-22M3: 112 000 kg
maximale Startmasse:
Tu-22M0: 95 000 kg
Tu-22M1: 110 000 kg
Tu-22M2: 122 000 kg
Tu-22M3: 124 000 kg

Flugleistungen
Höchstgeschwindigkeit:
Tu-22M0: 1530 km/h
Tu-22M1: 1660 km/h
Tu-22M2: 1800 km/h
Tu-22M3: 2300 km/h
Marschgeschwindigkeit:
Tu-22M3: ca. 900 km/h
Landegeschwindigkeit:
Tu-22M3: 285 km/h
Dienstgipfelhöhe:
Tu-22M0/M1: 12 000 m
Tu-22M2: 12 600 m
Tu-22M3: ca. 14 000 m
Startrollstrecke:
Tu-22M0: 2600 m
Tu-22M1/M2: 2300 m
Tu-22M3: 2000 – 2100 m
Landerollstrecke:
Tu-22M0/M1/M2: 1130 – 1450 m
Tu-22M3: 1200 – 1300 m
Reichweite (Unterschall):
Tu-22M0: 4110 km
Tu-22M1: 5000 km
Tu-22M2: 5100 km
Tu-22M3: 6800 km
Einsatzradius:
Tu-22M2 hi-lo-hi: 2200 km
Tu-22M3 hi-lo-hi: 2410 km
Tu-22M3mit Ch-22, teils Überschall: ca. 2200 km