VIP-Interview
Generalleutnant Karl Müllner zum Geburtstag der Luftwaffe.

Generalleutnant Karl Müllner führt die Luftwaffe seit Mai 2012. Er durchlief eine typische Karriere als Kampfflugzeugpilot (Ausbildung auf der F-4F Phantom) mit dem Höhepunkt als Kommodore des Jagdgeschwaders 74 in Neuburg/Donau. Im Verteidigungsministerium kümmerte er sich um Militärpolitik und Rüstungskontrolle.

Generalleutnant Karl Müllner zum Geburtstag der Luftwaffe.

FLUG REVUE: Die Luftwaffe feiert ihren 60. Geburtstag. Wie steht sie heute im internationalen Vergleich da angesichts der Sparmaßnahmen der letzten Zeit?

Jede Nation entscheidet souverän, was zum Kern der eigenen Verteidigungsfähigkeit zählen soll und wie sie den eigenen außen- und sicherheitspolitischen Interessen Rechnung tragen will. Für uns ist daher nicht ein Vergleich mit anderen relevant, sondern die Frage, ob wir dem von der politischen Führung formulierten Auftrag gerecht werden können. Gemessen an unseren aktuellen Einsatzverpflichtungen komme ich hierbei zu einem überwiegend positiven Urteil. Unser Auftrag hat jedoch gerade in jüngster Zeit einen Wandel erfahren, der neben Einsätzen im internationalen Umfeld, wie beispielsweise aktuell in Syrien, im Irak, in Afghanistan und in Mali, zur stärkeren Betonung der gemeinsamen Bündnisverteidigung in Europa geführt hat.

Unsere Highlights

Konkret heißt das für die Luftwaffe, dass wir der Einsatzbereitschaft unserer Flugzeuge und Hubschrauber wieder ein deutlich größeres Gewicht beimessen müssen als in den letzten Jahren. Unsere Piloten und Besatzungen brauchen dazu mehr Flugstunden für ihre Ausbildung und Übungen. Und wir brauchen ausreichend Munition für unsere Flugzeuge, um letztendlich einen glaubwürdigen Beitrag zur gemeinsamen Abschreckung und Verteidigung Europas leisten zu können. Ich erwarte, dass das angekündigte Weißbuch hierfür die entsprechenden politischen Vorgaben geben wird.

FLUG REVUE: Sie beschreiben, dass sich das sicherheitspolitische Umfeld stetig wandelt. Kann sich die Luftwaffe schnell genug anpassen? Wo liegen heute die Prioritäten?
 

Wie schnell die Luftwaffe konkrete Einsatzverpflichtungen erfüllen kann, haben wir kurz vor der Jahreswende mit der raschen Verlegung unserer Tornados und unseres A310-Tankers nach den Anschlägen in Paris unter Beweis gestellt. Der notwendige Kampf gegen den „Islamischen Staat“ ließ die Entscheidung zu einem militärischen Einsatz in bis dato ungekannter Schnelligkeit erforderlich werden. Um so schnell reagieren zu können, brauchen wir ein breit gefächertes Spektrum an Fähigkeiten in hinlänglicher Einsatzbereitschaft. Dieses ist erforderlich, damit wir einen – an der konkreten Aufgabe gemessenen – bestmöglichen militärischen Beitrag liefern können, wenn die Politik danach ruft. Unsere Aufgabe als Luftwaffe ist es aber auch, darauf hinzuweisen, wenn sich Lücken im erforderlichen Fähigkeitsspektrum entwickeln. Unser kritischer Blick richtet sich dabei derzeit vor allem auf die Bereiche Aufklärung und Überwachung, Lufttransport, elektronischer Kampf, bodengebundene Luftverteidigung und Raketenabwehr sowie die Luftnahunterstützung für Kräfte am Boden.

FLUG REVUE: Es werden weiter bestens ausgebildete Spezialisten benötigt. Gibt es genügend Nachwuchs in allen Bereichen?

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Wir sind momentan sehr zufrieden mit unseren Bewerberzahlen. Damit dies auch in Zukunft so bleibt, entwickeln wir unsere Karrieremodelle kontinuierlich weiter. Außerdem wollen wir bereits vorhandenes Personal langfristig binden, zum Beispiel durch eine verbesserte Aus- und Weiterbildung. Dazu gehört auch das neue duale Bachelor-Studium „Aeronautical Engineering“ an der Universität der Bundeswehr in München. Seit Oktober des letzten Jahres gibt dieses Studium den Anwärtern des fliegerischen Dienstes die Möglichkeit, eine wissenschaftliche Qualifikation mit praktischen fliegerischen Erfahrungen zu verbinden. Ein weiterer Aspekt der letzten Monate ist, dass die Überbrückungslösung für ferngesteuerte Luftfahrzeuge der MALE-Klasse (Medium Altitude Long Endurance) zur Entstehung einer neuen tragenden Säule im Werdegang des fliegerischen Dienstes führt. Hier werden zivile Lizenzen Seiteneinsteigern zukünftig Perspektiven eröffnen, die eine Einstellung mit höherem Dienstgrad möglich werden lässt. Ich kann jedem Interessierten nur empfehlen, die Beratung in einem Karrierecenter der Bundeswehr zu nutzen. Vielleicht entdeckt der eine oder andere dabei ganz neue persönliche Perspektiven. Und wer weiß, ob derjenige dann nicht ganz schnell Teil des Teams Luftwaffe wird.

FLUG REVUE: Wenn Sie weiter in die Zukunft blicken, wie sieht die Luftwaffe in 25 Jahren aus? 

Die Fernlichtperspektive ist für denjenigen besonders wichtig, der sich auf widriger Strecke mit hoher Geschwindigkeit fortbewegt. Die Entwicklung hochkomplexer Waffensysteme ist langwierig, und die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen, aus denen sich unsere Anforderungen ergeben, ändern sich zunehmend schneller. Unseren Überlegungen zur Zukunft unserer Luftwaffe kommt daher große Bedeutung zu. In 25 Jahren werden uns neue Einsätze vor neue Herausforderungen stellen. Unsere Waffensysteme, unsere Ausbildung und unsere Organisation müssen sich darauf einstellen. Wir müssen uns entsprechend weiterentwickeln.

So steht bereits heute fest, dass beispielsweise unsere Tornados, die ihre Leistungsfähigkeit aktuell in der Operation Counter Daesh einmal mehr unter Beweis stellen, trotz aller Überlegungen zur Nutzungsdauerverlängerung eine endgültige Grenze erreicht haben werden. Die langen Entwicklungszeiten machen es hierbei notwendig, dass wir bereits jetzt und nicht erst in Jahrzehnten über die Entwicklung eines Next Generation Weapon System nachdenken. Unsere Überlegungen zielen darauf ab, luftgestützte Fähigkeiten in einem Systemverbund zusammenzuführen, den wir Future Combat Air System nennen und der in internationalen Fachkreisen auch unter dem Begriff „combat cloud“ bekannt ist. Bemannte und unbemannte Luftfahrzeuge sind Teil dieses Verbunds, der von einem Piloten im Cockpit eines Next Generation Weapon System geführt wird. Mit diesem Ansatz wollen wir der auch zukünftig wachsenden Relevanz unbemannter Luftfahrzeuge Rechnung tragen und zudem die spezifischen Vorteile bemannter Luftfahrzeuge konsequent nutzen.

FLUG REVUE Ausgabe 07/2016

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