Der Pilot der Super Hornet traute wohl seinen eigenen Augen nicht: "Siehst Du das?", fragte er seinen Hintermann im Cockpit der zweisitzigen F/A-18F, als er die SM-2-Boden-Luft-Rakete gefährlich nahe auf sie zufliegen sah. Eigentlich war der als fliegende Tankstelle fungierende Navy-Kampfjet nach einer nächtlichen Luftbetankungsmission über dem Roten Meer am 22. Dezember 2024 gegen 2 Uhr morgens gerade im Landeanflug auf seine schwimmende Heimatbasis, den Flugzeugträger Harry S. Truman. Doch binnen weniger Sekunden wurde beiden Insassen im Hornet-Cockpit klar, dass sie das Trägerdeck wider Erwarten wohl nicht trockenen Fußes erreichen würden – und schon gar nicht auf geplantem Wege.
"Ja, ich beobachte es", bekam der Pilot von hinten auf seine Frage als Antwort zu hören – und entgegnete: "Willst Du aussteigen?" Auf eine neuerliche Antwort wartete er nicht. Sekunden später schoss sich die Super-Hornet-Crew tatsächlich aus ihrem Jet – und entging damit nur knapp einem sehr viel schlimmeren Ende. Denn tatsächlich hatte der Navy-Kreuzer USS Gettysburg, als Begleitschiff Teil der Flugzeugträger-Kampfgruppe rund um die Truman, gerade irrtümlich ihr eigenes Flugzeug vom Himmel geholt.
Fast sogar ein zweiter Abschuss
Er sei zu dem Schluss gekommen, "dass wir keine Optionen hatten", lässt sich der verantwortliche Flugzeugführer später im Untersuchungsbericht der US Navy zitieren. Deshalb habe er, ohne weitere Kommunikation, die Ausschusssequenz in Gang gesetzt – und rettete damit aller Wahrscheinlichkeit nach sich selbst und seinem Backseater das Leben. Zumindest stufte der Bericht der Navy die Entscheidung, das Flugzeug aufzugeben, als gerechtfertigt ein.
Um ein Haar wäre es dabei jedoch nicht geblieben. Beinahe hätte die Gettysburg in dieser Nacht mit einer weiteren SM-2-Rakete nämlich noch eine zweite zweisitzige Super Hornet erwischt. Deren Besatzung beobachtete zunächst aus der Ferne ungläubig, wie die F/A-18F, von der sie sich vorhin noch in der Luft mit Sprit hatte versorgen lassen, vom Himmel geholt wurde. Als die Piloten sahen, dass sich auch ihnen eine Boden-Luft-Rakete näherte und Kurs auf ihr Flugzeug nahm, machten sie sich ebenfalls zum Aussteigen bereit.

Die Kampfjets der USS Harry S. Truman flogen Ende 2024 zahlreiche Einsätze gegen die Huthi-Milizen im Jemen.
Super Hornet knapp verfehlt
"Noch eine Sekunde", sagte der Pilot zum Waffensystemoffizier, während er die Nachbrenner zündete, um der Rakete zu entkommen. "Ich habe die Hand schon am Schleudersitzgriff." Der Pilot beobachtete, wie der Motor der zweiten SM-2 ausbrannte, "etwa fünf Sekunden, bevor die Rakete das Flugzeug passierte", wie der Untersuchungsbericht der US Navy zu diesem zweiten Vorfall vermerkt. Im Nachhinein wisse er gar nicht mehr, warum er nicht den Abzug betätigt habe, wird der Pilot der zweiten Super Hornet dort weiter zitiert. Aber er hatte beim Abschuss der ersten F/A-18 wohl bemerkt, dass der Raketenmotor die ganze Zeit eine Flamme hinter sich hergezogen hatte – was dieses Mal nicht der Fall war. "Das war der Grund, warum ich gezögert habe."
Tatsächlich flog die SM-2 kurz darauf "eine bis zwei Flugzeuglängen" hinter der Super Hornet vorbei – um danach antriebslos ins Meer zu fallen. Die zweite F/A-18 landete wenig später sicher auf der USS Truman.

Die Besatzungd es Kreuzers USS Gettysburg (Foto) schoss in der Nacht zum 22. Dezember 2024 irrtümlich eine zur eigenen Streitmacht gehörende F/A-18F ab. Einen zweiten US-Jet verfehlte sie knapp.
Systemausfälle und Besatzungsfehler
Wie aber konnte es überhaupt dazu kommen, dass der Navy-Kreuzer Gettysburg einen Navy-Kampfjet abschoss und einen zweiten nur knapp verfehlte?
Die Ermittler identifizieren in ihrem (großenteils geschwärzten) Bericht ein Zusammenspiel mehrerer Gründe als Ursache für den ebenso peinlichen wie kostspieligen Zwischenfall. Auf der einen Seite kommt die gesamte Besatzung der Gettysburg nicht besonders gut weg – habe sie doch Warnsignale nicht erkannt, an keiner Stelle Bedenken geäußert und sich zu blind auf die Korrektheit der ihr von den Systemen des Kreuzers zur Verfügung gestellten Informationen verlassen.
Gerade diese aber hatten sich in den Tagen und Stunden vor den Super-Hornet-Zwischenfällen als fehleranfällig erwiesen, halten die Ermittler in ihrem Bericht fest. So sei "die Leistung des Link-16-Systems", über das die Schiffe des Trägerverbandes miteinander kommunizieren und Daten austauschen, im Vorfeld auf der Gettysburg "merklich beeinträchtigt" gewesen. Auch das Freund-Feind-Erkennungssystem des Kreuzers war während der Einsatzfahrt des Verbandes, die sich gegen die Huthi-Rebellen im Jemen richtete, bereits mehrfach ausgefallen. Die Systemausfälle seien von den diensthabenden Soldaten allerdings nicht vorschriftsmäßig gemeldet worden. So hätten die Wachhabenden, die am 22. Dezember 2024 nachts um 2 Uhr Dienst schoben, gar nicht gewusst, dass die Freud-Feind-Erkennung ihres Schiffes ausgefallen sein könnte. An Bord des Schiffes habe vielmehr Verwirrung darüber geherrscht, worauf man die Raketen überhaupt abfeuerte.
Mangelndes Training, falsches Lagebewusstsein
Auf der anderen Seite sehen die Ermittler die Hauptverantwortung beim Kommandanten der Gettysburg. Dessen Entscheidung, die anfliegenden F/A-18 anzugreifen, sei "weder vernünftig noch klug" gewesen. Dem Feuerbefehl lag demnach ein mangelhaftes Situationsbewusstsein zugrunde, aus dem sich eine falsche Beurteilung der Lage ergab. Weiter kritisiert der Bericht den "mangelnden Zusammenhalt innerhalb der Carrier Strike Group". Außerdem habe die Crew der Gettysburg zu wenig Gelegenheit gehabt, das Zusammenspiel mit dem Rest des Trägerverbandes zu trainieren. Den Ausführungen des Berichts zufolge war das Schiff erst drei Tage vor den untersuchten Vorfällen (wieder) zur Gruppe gestoßen. In den unmittelbaren 45 Tagen vor dem Unfall habe die Gettysburg nur an sieben Tagen mit der Einsatzgruppe operiert.

Die Carrier Strike Group um die Harry S. Truman hatte der USS Gettysburg im Einsatz gegen die Huthi-Rebellen nicht nur "friendly fire" zu verdanken.
Nicht nur "friendly fire"
Der Kreuzer USS Gettysburg (CG-64) ist ein 1989 vom Stapel gelaufenes und seit 1991 im Dienst stehendes Schiff der Ticonderoga-Klasse. Im Trägerverband fungiert er als Kommandozentrale für die Flugabwehr des Trägers und seiner Begleitschiffe. Bevor sie eine F/A-18F der eigenen Luftmacht aus dem Spiel nahm, hatte die Crew der Gettysburg in der Nacht zuvor mehrere von den Huthi-Rebellen gestartete Drohnen sowie einen gegnerischen Marschflugkörper im Luftraum über dem Roten Meer zerstört.





