FLUG REVUE: Zu Beginn Ihrer Amtszeit hatten Sie große Probleme bei der Einsatzbereitschaft der Luftwaffe ausgemacht. Welche Maßnahmen wurden ergriffen, und haben sie schon Wirkung gezeigt, zum Beispiel beim Eurofighter und dem A400M-Transporter?
Generalleutnant Gerhartz: Zuallererst war es wichtig, mir ein aktuelles Bild vom Zustand zu machen. Schnell habe ich nach zahlreichen Truppenbesuchen und vielen Gesprächen erfahren, wo ich zuerst ranmuss. Die Einsatzbereitschaft ist der Schlüssel. Ziel war und ist, alles zu tun, was in unserer Macht steht, damit es besser wird.
Und erste Erfolge sind bereits sichtbar! So haben wir beim Eurofighter im zweiten Halbjahr 2018 einige Veränderungen vollzogen. In Zusammenarbeit mit der Firma Airbus haben wir bei der Durchführung der Inspektion auf einen Zwei-Schicht-Betrieb umgestellt und die Anerkennung des firmeneigenen Prüfdienstes durchgesetzt. Für das Jahr 2019 erwarten wir 42 Eurofighter mit erfolgter Inspektion und liegen aktuell voll im Zeitplan. Zum Vergleich: Im kompletten Jahr 2017 haben nur 14 Eurofighter die 400 Stunden Inspektion durchlaufen.Auch beim A400M gibt es deutliche Verbesserungen. Wir haben mittlerweile 31 Maschinen übernommen und Anfang Juli das erste A400M-Tanker-Kontingent in den Einsatz verabschiedet. Unser A400M stellte von Jordanien aus die Luftbetankung für Kampfflugzeuge im Rahmen der Operation „Counter Daesh“ bereit. Wir sind damit die erste A400M-Nutzernation, die das System als Tanker in den Einsatz gebracht hat. Eine Leistung, auf die wir als Luftwaffe stolz sein können.
FLUG REVUE: Auch im personellen Bereich gibt es immer wieder Berichte über Engpässe. Wie sieht es zum Beispiel bei Piloten und Wartungspersonal aus? Wie wollen Sie erfahrenes Personal besser binden?
Generalleutnant Gerhartz: Obwohl wir im Großen und Ganzen zufrieden sein können, habe ich auch dieses Thema schnell zur Chefsache gemacht. Wenn ich von der Einsatzbereitschaft unserer Waffensysteme immer als Kern unseres Erfolges spreche, so ist das Team Luftwaffe unsere größte Stärke. Bei der Luftwaffe ist es nie nur darum gegangen, freie Dienstposten zu besetzen. Wir brauchen die Besten eines jeden Jahrgangs. Und das betrifft nicht nur unsere Piloten im Cockpit.
Damit die, die bereits bei uns sind, auch bei uns bleiben, müssen wir noch attraktiver werden. Auch hierzu haben wir einige sehr konkrete Schritte auf den Weg gebracht. Wir haben beispielsweise in den letzten Monaten die Attraktivität des Fliegerischen Dienstes eingehend un- tersucht und dabei über 30 Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung identifiziert, die wir nach und nach umsetzen.
Es muss für die Angehörigen der Luftwaffe spürbar werden, dass es vorangeht und dass uns gemeinsam ein neuer Aufbruch gelingt. Bei all meinen Gesprächen mit den Soldatinnen und Soldaten spüre ich immer wieder: Sie wollen zupacken, gestalten und der Zukunft unserer Luftwaffe eine neue Richtung geben.
FLUG REVUE: Die Nachwuchsgewinnung wird nicht einfacher. Wie will die Luftwaffe hierauf reagieren?
Generalleutnant Gerhartz: Wir müssen selbstkritisch erkennen, dass unser Bild in der Öffentlichkeit nicht immer positiv war. Negative Schlagzeilen schrecken potenzielle Bewerber ab – dies kann keine Werbemaßnahme wettmachen. Insofern ist auch hier unsere Einsatzbereitschaft ein Schlüssel zum Erfolg. Zudem müssen wir in der Personalgewinnung insgesamt neue und innovative Wege gehen, indem wir beispielsweise direkt den Kontakt zu potenziellen Bewerbern suchen und nicht auf Initiativbewerbungen warten.
In diesem Jahr haben wir außerdem einen weiteren, dritten Einstellungstermin für unsere Offiziersanwärter eingeführt. Wir zeigen damit, dass Bewerber jederzeit willkommen sind. Ab nächstem Jahr werden wir Seiteneinsteiger flexibel – das ganze Jahr hindurch – einstellen, und auch für unsere angehenden Unteroffiziere und Feldwebel gibt es dann die Möglichkeit, zu jedem Monatsersten Teil des Teams Luftwaffe zu werden. Unsere Türen stehen offen!
FLUG REVUE: Derzeit laufen noch diverse Auslandseinsätze, aber zuletzt rückte die Landes- und Bündnisverteidigung wieder mehr ins Zentrum der Aufgaben. Wie kann die Luftwaffe diesen Schwenk möglichst reibungslos bewältigen?
Generalleutnant Gerhartz: Vor der Annexion der Krim standen die Auslandseinsätze im Fokus, auch wenn die Landes- und Bündnisverteidigung immer Teil unseres Auftrages war. Viele Anforderungen, die im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung entscheidend sind, hatten wir aus dem Blick verloren. Die Bandbreite ist groß und reicht von Logistik, Infrastruktur und IT bis hin zu Bewaffnungskonzepten und Übungsplanungen. Wir arbeiten mit vollem Einsatz daran.
Ein Beispiel: In der Luftwaffe nutzen wir seit Jahresbeginn die „MAGDAYs“, Übungen der Luftwaffe mit internationalen Partnern zum Aufbau der Multinational Air Group, kurz: MAG. Wir trainieren zusammen mit unseren Kameraden im Bündnis Verfahren und Abläufe. Das ist wichtig, um gemeinsam Erfahrungen aufzubauen und die Handlungssicherheit zu steigern. Neben der Intensivierung der Zusammenarbeit ist auch hier eine verlässliche Einsatzbereitschaft entscheidend. Die Rückbesinnung auf Landes- und Bündnisverteidigung führt somit zu demselben zentralen Punkt.
FLUG REVUE: Die Ausrüstung ist nicht nur wegen mangelnder Verfügbarkeit in der Kritik, Muster wie der Airbus A400M erfüllen auch noch nicht die ursprünglichen Anforderungen. Wann wird es so weit sein?
Generalleutnant Gerhartz: In den letzten Monaten haben wir wichtige Meilensteine erreicht, so beispielsweise die 12-h-Bereitschaft für den qualifizierten Patientenlufttransport, Nachtflüge sowie die Luftbetankungen von Kampfflugzeugen im realen Einsatz. Wir tun alles, was in unserer Macht und Kraft steht, um unseren A400M mit all seinen enormen Fähigkeiten möglichst rasch und in vollem Umfang für unsere Einsätze nutzen zu können. Gerade den notwendigen Selbstschutz für das System A400M treiben wir mit großem Einsatz voran.
FLUG REVUE: Beim Eurofighter stehen ebenfalls neue Waffen und Systeme wie ein AESA-Radar im Raum. Gibt es hier Fortschritte und wie viel muss noch in das System investiert werden?
Generalleutnant Gerhartz: Der Eurofighter ist auch im Jahr 2019 in kontinuierlicher Evolution. Gerade im Bereich der Bewaffnung und Sensorik entwickeln wir das System ständig fort. Die Bewaffnung wird im Bereich Luft-Boden in den kommenden Jahren kontinuierlich erweitert, um bei Multi-Role-Einsätzen flexibel und angemessen reagieren zu können. Das Radar ist der Hauptsensor. Deshalb wird die Entwicklung des Captor-E Active Electronically Scanned Array (AESA) konsequent vorangetrieben.
Im Captor-E wird der Einsatz modernster Technik eine signifikante Erweiterung der Fähigkeiten des Eurofighters in den Bereichen Luft-Luft- und Luft- Boden-Einsatz ermöglichen. Mit den Umrüstungen werden wir voraussichtlich im Jahr 2022 beginnen. Zusätzlich setzen wir darauf, dass durch die Tranche 4 bei der Entwicklung des Radars Innovationen entfacht werden. Beim Neubau von Flugzeugen können Möglichkeiten genutzt werden, Entwicklungsprozesse zu beschleunigen und die Sensorik zu erweitern und zu optimieren.
FLUG REVUE: Wie steht es mit dem Tornado- Ersatz? Welche Rolle spielen dabei EloKa-Fähigkeiten und nukleare Teilhabe?
Generalleutnant Gerhartz: Unser seit 1982 genutztes Kampfflugzeug Tornado ist auf der Zielgeraden seiner Lebensdauer angekommen. Für uns ist wichtig, dass wir den Tornado so schnell wie möglich durch ein modernes Waffensystem ersetzen, welches die gleichen Einsatzrollen wie der Tornado übernehmen kann. Hierfür benötigen wir dringend eine Entscheidung. Die Zeit drängt, da wir natürlich auch Maßnahmen für die Einführung des Nachfolgesystems treffen müssen.
FLUG REVUE: Bei den unbemannten Systemen soll die Eurodrohne eingeführt werden. Ist diese nicht zu groß, teuer und komplex?
Generalleutnant Gerhartz: Das Projekt ist tatsächlich groß und komplex, aber es wird alles getan, um die Risiken zu minimieren. Aktuell konnten alle Meilensteine zeitgerecht erreicht werden. Wir haben einen ehrgeizigen und straffen Zeitplan vor Augen, um Kernforderungen wie beispielsweise die Luftraumintegration zu erfüllen. Alle Forderungen an das System stimmen wir eng mit unseren Partnern Frankreich, Italien und Spanien ab. Unser Ziel ist es, die europäischen Nationen auch im Betrieb eng zusammenzuhalten.

FLUG REVUE: Ein weiteres komplexes Großprojekt ist das neue taktische Luftverteidigungssystem TLVS. Stimmt hier das Preis-Leistungs-Verhältnis und ist das Entwicklungsrisiko beherrschbar?
Generalleutnant Gerhartz: Mit dem Taktischen Luftverteidigungssystem TLVS wollen wir unsere Fähigkeiten im Bereich der bodengebundenen Luftverteidigung deutlich erweitern. Die Vertragsverhandlungen haben sich langwieriger und komplexer gestaltet als erwartet. Um das angesprochene Entwicklungsrisiko beherrschbar zu machen, sind für uns sorgfältige Vertragsverhandlungen sowie ein transparentes und gewissenhaftes Risiko- und Projektmanagement von besonderer Bedeutung. Hier gilt Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Nur so können wir sicherstellen, dass wir ein Luftverteidigungssystem erhalten, das den Anforderungen der Zukunft gewachsen ist. Derzeit wird bei TLVS das Angebot ausgewertet, das die Bietergemeinschaft aus MBDA und Lockheed Martin abgegeben hat. Mit dem Waffensystem PATRIOT verfügen wir über ein modernes Luftverteidigungssystem. Damit können wir unsere Verpflichtungen im Bereich der bodengebundenen Luftverteidigung mindestens bis 2030 verlässlich erfüllen.

FLUG REVUE: Bei Transportern und Tankern setzt die Luftwaffe stark auf gemeinsame Lösungen mit Bündnispartnern. Welche Vorteile hat dies?
Generalleutnant Gerhartz: Gemeinsame Lösungen mit Bündnispartnern haben die Kraft, Prozesse positiv zu beschleunigen. Unsere multinationale Ausrichtung hat in vielen Bereichen geholfen, eine große Dynamik zu entfachen. Das betrifft nicht nur unseren Lufttransport und unsere Tanker – wobei die Fortschritte in diesem Bereich tatsächlich gewaltig sind, wie der gemeinsame Betrieb von C-130J Transportflugzeugen mit Frankreich und der Betrieb der Multi Role Transport Tanker in der Multinational MRTT Fleet belegen. Auch die Entscheidung, am Standort Untermeitingen eine Multinational Air Transport Unit mit zehn Transportflugzeugen A400M aufzubauen, ist ein klares Votum für eine weitere internationale Kooperation im Bereich des Lufttransports.
FLUG REVUE: Blicken wir zum Schluss in die weitere Zukunft, wo das sogenannte Future Combat Air System als Zielvorstellung beschrieben wird. Ist das nicht zu teuer und komplex?
Generalleutnant Gerhartz: Im Juni haben wir gemeinsam mit Frankreich und Spanien in Le Bourget den Bau eines neuen europäischen Kampfflugzeugs auf den Weg gebracht. Die Neubeschaffung und Entwicklung eines Kampfflugzeuges ist ein großes und äußerst komplexes Projekt. Ich gehe sogar noch weiter: Es ist das größte europäische Rüstungsprojekt überhaupt! Die Anforderungen sind hoch, und wir bringen uns als Luftwaffe mit Ideen, Expertise und Erfahrung in den Entstehungsprozess ein. Für uns ist das Projekt ein absoluter Meilenstein für unsere Zukunft. Gerade dieses Thema zeigt, dass wir neben dem Fokus auf unsere Einsatzbereitschaft den Blick für die Zukunft nicht verlieren.
Die Fragen stellte Karl Schwarz