Sie ist schon eine ziemlich alte Dame, diese DC-8. 1969 ging sie bei Alitalia in Dienst und war dort und später bei Braniff mehr als 40000 Stunden im Einsatz, bevor sie 1984 günstig von der NASA gekauft wurde. Heute, im vorgerückten Alter, muss sie nicht mehr so hart arbeiten, aber was sie jetzt macht, ist vom Feinsten. „Bei einer Airline wären 3000 Flugstunden oder mehr pro Jahr normal“, sagt Richard G. Ewers, mit 43 Dienstjahren und mehr als 12750 Flugstunden auf den verschiedensten Flugzeugtypen einer der erfahrensten Forschungspiloten beim Dryden Flight Research Center der NASA am Rogers Dry Lake in Kalifornien. „Die NASA braucht sie für 400 bis 500 Stunden im Jahr, und auf diese Weise kann sie uns noch rund 20 Jahre lang dienen – wenn wir noch so lange Ersatzteile finden.“
Warum aber nutzt die NASA ausgerechnet eine DC-8 für die unterschiedlichsten Messkampagnen? Schließlich gibt es weltweit nur noch 32 fliegende Exemplare dieses Typs, von denen in Nord- und Südamerika einschließlich „unserer“ N817NA gerade einmal die Hälfte unterwegs ist. Doch gerade die Flugeigenschaften machen die Beliebtheit dieses Flugzeuges aus, das immer wieder beweist, dass alt nicht gleich unmodern ist. Immerhin ist sie nach ihrer Indienststellung bei der Nationalen Luft- und Raumfahrtagentur der USA erst einmal zwei Jahre lang auf den technisch neuesten Stand gebracht worden, was unter anderem die Ausstattung mit CFM56-Triebwerken beinhaltete.
„In dieser 72er Konfiguration ist das Flugzeug sparsam im Verbrauch und entspricht den Forderungen der Lärmkategorie III“, berichtet Dick Ewers. „Vor allem aber können wir im Durchschnitt elf Stunden lang fliegen, bis zu 14 Stunden sogar, ohne dass der Sprit knapp wird.“ Das bedeutet, dass rund 3000 Kilometer lange Anflüge zu einem Messgebiet möglich sind, mit zweistündiger Operation zum Sammeln der Daten und anschließendem Heimflug. Ein anderes Missionsziel könnte mit 1600 Kilometer Anflug und fünf Stunden Messung in und um einen Hurrican herum beschrieben werden; der Vielfalt sind wahrlich kaum Grenzen gesetzt.
Ein solides, gut gebautes Flugzeug

„1999 sind wir einmal vier Wochen lang Missionen von der Insel Kwajalein im Pazifik aus geflogen, mit Starts und Landungen auf einer Bahn, die nur 2032 Meter lang ist und auf beiden Seiten im Ozean endet. Die DC-8 jedoch ist ein solides, gut gebautes Flugzeug, mit einer Konstruktionsphilosophie und Festigkeit aus den 1960ern, der solche Anforderungen nichts ausmachen. Sie ist praktisch überall auf der Welt einsetzbar.“ Dick Ewers berichtet, dass er selbst sowohl über dem Nord- als auch über dem Südpol geflogen ist, und das ist sogar für einen Mann seiner Erfahrung etwas Besonderes.
Die Festigkeit der Zelle war es auch, die es ermöglichte, zahlreiche Löcher in die Außenhaut zu schneiden, um hier oder in den Fensteröffnungen wissenschaftliche Instrumente bis hin zu unterschiedlichen Lasermessgeräten zu installieren. So wurde aus dem Passagierflugzeug mit 175 Sitzen von einst ein fliegendes Labor mit mehr als 15 Sensoren pro Mission und Arbeitsplätzen für 40 Wissenschaftler in der Kabine.
„Als ich im Mai 1998 bei der NASA anfing, hatte ich noch nie zuvor im Cockpit einer DC-8 gesessen“, erzählt Ewers. Vorher war er Testpilot bei der Northrop Grumman Electronic Sensors and Systems Division, wo Radar- und FLIR-Systeme getestet wurden, doch seine Karriere begann 1970 bei der Naval Air Station in Pensacola. Beim Marine Corps flog er F-4, A-4 und F/A-18 sowohl in der Angriffs- als auch in der Aufklärungsrolle, und zwei Jahre lang kommandierte er eine Staffel F-4S, die letzte Marineversion der Phantom II. 1981 absolvierte er die Testpilotenschule der US Navy in Patuxent River, und als er 1998 das Marinekorps mit dem Rang eines Oberstleutnants verließ, war es mit dem Fliegen noch nicht vorbei. Seitdem arbeitet er als Forschungspilot bei der NASA.
In dieser Zeit hat er von den 52362 Flugstunden, welche die DC-8 bis März dieses Jahres hinter sich gebracht hat, 1890 Stunden lang auf dem Pilotensitz gesessen. „Eine spezielle Lizenz für Forschungsflüge brauchte ich allerdings nicht“, sagt er, „mein DC-8-Typerating genügte für diese Arbeit. Damit bin ich weltweit als Kommandant qualifiziert und darf sogar mit einem Co-Piloten fliegen, der selbst nicht für diesen Typ zertifiziert ist.“
Piloten reagieren auch auf Sonderwünsche der Wissenschaftler

Im Normalfall, zum Beispiel bei einer Ice-Bridge-Mission, besteht die Crew aus zwei Piloten, einem Flugingenieur und einem Navigator im Cockpit. Hinzu kommen zwei Missionsmanager in der Kabine, welche die wissenschaftliche Arbeit koordinieren, und zwei Sicherheitstechniker sind für Hilfestellungen bei Notfällen oder auch für die zuverlässige Arbeit der Messgeräte zuständig. Damit befinden sich bei einem solchen Flug acht Mann NASA-Personal an Bord. Hinzu kommen zwei bis drei Wissenschaftler pro installiertem Experiment, was 20 bis 25 Experten pro Mission bedeutet.
„Allerdings sind wir während des Fluges so ziemlich von den Wissenschaftlern isoliert“, sagt Dick Ewers. „Wenn sie spezielle Wünsche haben, teilen uns das die Missionsmanager mit. Meistens sollen wir entweder etwas höher fliegen oder sinken, über einemspeziellen Punkt auf der Erdoberfläche oder nahe einer bestimmten Wolke, schneller oder langsamer fliegen oder gar in einer Spirale steigen oder sinken. All diese Wünsche erfüllen wir, aber die meiste Zeit fliegen wir in einer Höhe von etwa 500 Metern über Grund, in der die Instrumente die besten Daten erfassen können.“
IceBridge war im Jahre 2009 ins Leben gerufen worden, als der NASA-Satellit ICESat (Ice, Cloud and Land Elevation Satellite) seine Arbeit eingestellt hatte. Damit will die NASA das „Datenloch“ in der Eisforschung schließen, bis im Jahre 2016 ICESat-2 gestartet werden wird. Immerhin ist die Datenerfassung über die Eiszustände äußerst wichtig, war doch erst im vergangenen Jahr ein Rekordrückgang verzeichnet worden. Bereits jetzt werden dramatische Auswirkungen auf das Klima, aber auch auf die Lebensumstände der Menschen und Tiere der Region beobachtet.
Im Dienst einer Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen






IceBridge gehört zu einem von vier Missionstypen, welche üblicherweise von der DC-8 geflogen werden, nämlich zur Grundlagenforschung über die Erdoberfläche und die Atmosphäre. Das betrifft eine Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen, wie zum Beispiel Archäologie, Umweltforschung, Geografie, Hydrologie, Meteorologie, Ozeanografie, Vulkanologie, Atmosphärenchemie oder Biologie, um nur einige zu nennen.
Hinzu kommen Flüge für die Sensorentwicklung, die Abgleichung von Satellitengeräten mit luftgestützten Mitteln sowie die optische Verfolgung von Raumfahrtstarts oder des Wiedereintritts von Raumflugkörpern, einschließlich der damit verbundenen Datenübertragung. Nutzer sind US-Bundesbehörden und Universitäten, aber auch ausländische Wissenschaftler, die mit ihren US-Kollegen bei bestimmten Forschungsvorhaben kooperieren. Sie alle könnten ihre Ziele nicht erreichen, wenn sie die DC-8 nicht hätten und Männer wie Richard Ewers im Cockpit, die weltweit im Dienst der Wissenschaft unterwegs sind.
FLUG REVUE Ausgabe 05/2013