Freud und Leid lagen im August dicht beieinander, als die Welt gespannt auf unseren Erdtrabanten schaute und die Landung zweier Sonden am Südpol des Mondes erwartete. Zunächst sollte die russische Sonde Luna 25 weich aufsetzen. Doch ein Lageregelungstriebwerk arbeitete 43 Sekunden zu lang im Mondorbit und brachte damit das Landegerät am 19. August zum Absturz. Vorher war schon die Kommunikation mit der Bodenstation abgebrochen. Eigentlich sollte eine Kamera (Pilot-D) der Europäischen Weltraumagentur ESA, die speziell Präzisionslandungen unterstützen kann, an Bord sein. Aufgrund des Ukrainekrieges hatte die ESA jedoch die Zusammenarbeit gekappt und so mussten die Russen auf die Kamera verzichten. Die Landung wäre 47 Jahre nach Luna 24 der Auftakt für ein neues russisches Mondprogramm gewesen.

Luna 25 war die erste Mondmission Russlands seit fast 50 Jahren. Sie scheiterte, weil ein Triebwerk zu lange feuerte.
Indien gelingt das Manöver
Vier Tage später waren dagegen die Inder nach der gelungenen Landung von Chandrayaan-3 (Sanskrit für Mondfahrzeug) vor Freude und berechtigtem Stolz nicht mehr auf ihren Sitzen zu halten. Über zwei Millionen Interessierte verfolgten das Ereignis live im Internet. Sogar Indiens Ministerpräsident Narendra Modi wurde aus Südafrika, wo er gerade an der Konferenz der BRICS-Staaten teilnahm, per Videokonferenz zugeschaltet. Indien ist damit nach der Sowjetunion, den USA und China das vierte Land, dem eine Mondlandung gelang. Es war der zweite Anlauf, denn Chandrayaan-2 war 2019 abgestürzt. Der 23. August, der Tag der erfolgreichen Landung von Chandrayaan-3, soll künftig als indischer Nationaler Tag der Raumfahrt gefeiert werden.

Landestelle von Chandrayaan-3 aus Sicht des Chandrayaa-2-Orbiters.
Mission in der Mission
Nur vier Stunden nach dem Landeerfolg von Vikram, so der Name des Landers (benannt nach Vikram Sarabhai, "Vater" des indischen Weltraumprogramms und erster Chef der indischen Weltraumbehörde ISRO), rollte der Rover Pragyan (Weisheit oder Schlaukopf) auf die Mondoberfläche. Er lieferte fantastische Bilder seiner Umgebung und sammelte mit seinen Instrumenten Daten vom Staub und Gestein der Mondoberfläche. Dabei kam auch die Kopie eines Röntgenspektrometers (APXS) vom Philae-Lander der europäischen Kometenmission Rosetta zum Einsatz. Der Spektrometer des Rovers hat in der südlichen Mondregion Schwefel, Aluminium, Eisen, Kalzium, Chrom, Titan, Mangan, Sauerstoff und Silizium nachgewiesen.

Verglichen mit Chandrayaan-2 enthält der Vikram-Lander einige Verbesserungen, zum Beispiel stärkere Landebeine. Dieses Bild ist vom Rover Pragyan aus aufgenommen worden.
Lebensdauer: ein Mondtag
Sowohl Vikram als auch Pragyan arbeiteten planmäßig nur etwa 14 Tage (solange dauert ein Mondtag), weil die Energieversorgung durch Solarzellen erfolgte. Da eine Mondnacht ebenfalls 14 Tage dauert, haben Landegerät und Rover dafür Akkumulatoren zur Energiespeicherung und wurden am Ende des Mondtages in einen Schlafmodus versetzt, um diese Zeit zu überbrücken. Bei Sonnenaufgang am 22. September wurde versucht, beide Geräte wieder zu wecken, was jedoch nicht gelang. Ein Sprecher der ISRO sagte, dass Chandrayaan-3 seine Aufgaben aber schon nach zwei Wochen übererfüllt habe. Dazu gehörte nach dem Absetzen des Rovers auch ein 40 Zentimeter hoher Sprung des Landegeräts durch Zündung des Bremstriebwerks. Damit wurden Erfahrungen für künftige Missionen gesammelt. Übrigens bestand Chandrayaan-3 nur aus dem Landegerät mit Rover und einem Antriebsmodul. Ein Orbiter erübrigte sich, da jener von der Vorgängermission noch aktiv ist. Für 2025 planen die indischen Wissenschaftler zusammen mit der japanischen Raumfahrtagentur JAXA die umfangreichere Mondmission "Lunar Polar Exploration" oder auch "Lupex" genannt. Diese Mission soll in den Polarregionen des Mondes nach Wasserressourcen suchen sowie über Art und Umfang der Wasservorkommen Daten sammeln. Es wird sicherlich nicht die letzte Mondaktivität des bevölkerungsreichsten Landes der Erde sein.

Eine LVM3-Trägerrakete brachte Chandrayaan-3 vom Satish Dhawan Space Centre aus ins All.
Trabantenjagd
Aber nicht nur die USA, Russland, China und Indien wollen sich einen Platz auf dem Mond sichern. Inzwischen greifen auch andere nach unserem Erdtrabanten, und es scheint sich eine Goldrauschstimmung wie Ende des 19. Jahrhunderts in Alaska zu entwickeln. So beteiligt sich auch Japan seit mehr als 30 Jahren am Rennen. Bereits 1990 schickte das Weltrauminstitut ISAS die Sonde Hiten in einen Mondorbit. Es war eine rein technologische Mission mit dem kleinen Tochterorbiter Hagoromo, zu dem der Kontakt verloren ging. 2007 folgte der Orbiter Kaguya. Dann musste Japan zwei Rückschläge verkraften. Zunächst gelang es im November 2022 nicht, den Minilander der Sonde Omotenashi weich zu landen, da kein Funkkontakt mehr bestand. Er wäre das leichteste Landegerät – er wog nur 700 Gramm – auf dem Mond gewesen. Omotenashi war ein Cubesat und flog als Sekundärnutzlast bei der amerikanischen Artemis-1-Mission mit.

Viele Nationen und Unternehmen wollen zum Mond. Auch SpaceX, hier eine Falcon 9, plant Flüge mit dem Starship dorthin, im Auftrag der NASA.
Deutsch-Japanische Kooperation
Im April 2023 scheiterte die zweite private Mission am Mond, die Sonde Hakuto-R M1 des japanischen Unternehmens ispace Technologies. Genaugenommen ist es eine japanisch-deutsche Mondsonde. Da das Start-up keinerlei Erfahrungen mit der Entwicklung und dem Bau von Landegeräten hatte, wandten sich die Japaner an die ArianeGroup in Lampoldshausen in Baden-Württemberg. Der Standort ist als Testgelände für Raketentriebwerke bekannt. Die ArianeGroup fertigt dort aber auch Antriebe und andere Komponenten für orbitale und interplanetare Raumflugkörper. In Lampoldshausen wurde Hakuto durch gemeinsame Teams beider Unternehmen integriert und die funktionalen Tests wurden durchgeführt. Die beiden Antriebssysteme kamen von der ArianeGroup. An Bord von Hakuto-R befand sich der kleine Rover "Rashid" des Mohammed Bin Rashid Center (MBRC) aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, der durch die vergeigte Landung nicht zum Einsatz kam.

Der japanische SLIM-Lander soll zwischen Januar und März 2024 punktgenau auf dem Mond landen.
Intelligente Bildverarbeitung für die SLIM Mission
Nun hat die japanische Weltraumagentur JAXA einen erneuten Anlauf genommen. SLIM (Smart Lander for Investigating Moon) wurde am 6. September gestartet und soll in vier bis sechs Monaten auf dem Mond aufsetzen. Ziel des Projektes ist eine punktgenaue Landung mit einer höchsten Abweichung von 100 Metern vom Zielpunkt. Durch intelligente Bildverarbeitung mit Hinderniserkennung und einem Landeradar hoffen die japanischen Experten, in der Abstiegsphase das Ziel, den Krater Shioli innerhalb des größeren Kraters Cyrillus, genau ansteuern zu können. Der Durchmesser des kleinen Kraters beträgt nur 270 Meter. Spätere Versionen der kommerziellen Hakuto-Sonde sollen als günstige Frachttaxis für die Route Erde – Mond weiterentwickelt werden.

Die SLIM-Sonde der japansichen Raumfahrtagentur JAXA ist mit rund 200 Kilogramm Trockengewicht recht leicht.
EU, Israel, China – viele Interessenten, große Pläne
Auch die ESA hat mit SMART 2003 einen Orbiter in die Umlaufbahn gebracht. 2019 versuchte ein israelisches Unternehmen, den Lander Beresheet weich abzusetzen, was misslang. Das Projekt war die erste privat finanzierte Mondmission. 2022 schickte schließlich Südkorea den Orbiter Danuri in einen Mondorbit. Weil noch genügend Treibstoff vorhanden ist, wurde die Mission um zwei Jahre bis Dezember 2025 verlängert. Noch erfolgreicher war China. Nach zwei Orbitern (Chang’e 1 und 2) landete Chang’e 3 2013 auf dem Mond und setzte den Rover Yutu 1 (Jadehase) aus. Chang’e 4 mit dem Rover Yutu 2 landete 2019 als erste irdische Sonde auf der Mondrückseite und Chang’e 5 brachte 2020 Mondproben zur Erde zurück.

Alle Raumfahrtnationen haben ungeachtet mancher Misserfolge weitreichende Pläne. Die USA wollen mit Partnern im Rahmen des Artemis-Programms ab 2025 wieder Menschen zum Mond schicken und mittelfristig eine kleine Raumstation im Mondorbit (Lunar Gateway) bauen und von dort aus unbemannte und bemannte Missionen auf der Mondoberfläche durchführen. Mit Artemis 3 sollen mehr als 50 Jahre nach Apollo 17 wieder Astronauten auf dem Erdbegleiter landen. Dies wird jedoch nicht vor 2026/27 passieren.

Landeplätze der bisherigen, geglückten Mondlandungen (südliche Hemisphäre).
Wie geht’s weiter?
Auch Russland und China haben ehrgeizige Ziele. Beide wollen in den 2030er-Jahren Mondbasen aufbauen. Ob all diese schönen Pläne in den angedachten Zeiträumen Realität werden, ist zweifelhaft. Schon jetzt verschieben sich die meisten Missionen aus technischen und finanziellen Gründen um Jahre, und manche werden wahrscheinlich schöne PowerPoint-Folien bleiben. Zunächst werden kleinere Brötchen gebacken. Allein bis 2028 sind um die zwanzig Mondsonden von verschiedenen staatlichen Organisationen sowie zunehmend privaten Initiativen und Firmen in Vorbereitung oder geplant. Dazu gehören auch die beiden russischen Sonden Luna 26 und 27, die nach 2025 materielle Ressourcen für künftige Mondbasen erkunden und Bodenproben von der Südpolgegend zur Erde bringen sollen.

Metalle, seltene Erden, Wasser, Helium-3: Der Mond ist reich an Bodenschätzen.
Warum dieses große Interesse am Mond? Anders als in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, wo es in der Hochzeit des Kalten Krieges der damaligen Sowjetunion und den USA darum ging, zu zeigen, wer das bessere Gesellschaftssystem und die modernste Technologie hat, stehen diesmal mittel- und langfristig die Ausbeutung von Ressourcen und der Aufbau von Basen für weitergehende Missionen bis zum Mars und darüber hinaus im Fokus. Bis es soweit ist, werden noch viele Jahre vergehen. Heute geht es darum, schon mal die Claims abzustecken.
Rechtliche Fragen – wer unterschreibt, darf mitmachen
Eigentlich lag 1984 bei den Vereinten Nationen ein, volkstümlich ausgedrückt, "Mondvertrag" als Ergänzung zum Weltraumvertrag von 1967 zur Unterschrift vor, der aber nur von 18 Staaten unterzeichnet wurde. Damit gilt er als gescheitert. Die führenden Raumfahrtnationen USA, Russland, China und Japan haben ihn jedenfalls nicht ratifiziert. Er beinhaltete im Wesentlichen drei Punkte: keine militärische Präsenz, keine einzelnen profitorientierten Aktivitäten und Anmeldung sowie Genehmigung aller Aktionen bei und durch die UNO. Das Gegenteil wollen die USA mit den "Artemis Accords", die 2020 vorgelegt wurden, erreichen. Wer den Vertrag nicht unterzeichnet, darf bei Artemis nicht mitmachen. Deutschland hat Mitte September als 29. Land unterzeichnet.

In Zukunft könnten staatliche Akteure und private Firmen Ressourcen auf dem Mond abbauen und sie dort beispielsweise zu Trinkwasser oder Sauerstoff für bemannte Missionen verarbeiten.
Die Amerikaner wollen so den Weltraumvertrag aushebeln und ein Gewohnheitsrecht als neuen Standard für staatliche und private Aktivitäten auf dem Mond schaffen. Dabei geht es um viel. Nach Schätzungen der britischen Daily Mail von 2022 wird der Wert des dortigen Wassers auf rund 200 Milliarden Dollar, der von Helium-3 für künftige Kernfusionsanlagen auf 1,5 Billiarden und der von Metallen auf 2,5 Billionen Dollar geschätzt. Kein Wunder, dass gierige Investoren dabei leuchtende Augen bekommen.