Deutsches Weltraumlagezentrum: Überwachung und Schutz im All

Deutsches Weltraumlagezentrum
Die Weltraumwächter der Bundeswehr

ArtikeldatumVeröffentlicht am 15.11.2025
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Auf den Bildschirmen taucht plötzlich ein neues Pünktchen auf, das in den Datenbanken der erfassten Objekte nicht verzeichnet ist. Handelt es sich um neuen Weltraumschrott oder ist es ein noch unbekannter gegnerischer Raumflugkörper? Verändert es seine Bahn oder kommt es einem anderen Objekt bedrohlich nahe? Mit solchen Situationen haben es die Diensttuenden im Weltraumlagezentrum (WRLageZ) in Uedem nahe der niederländischen Grenze immer wieder zu tun. Es sind hoch qualifizierte Fachleute, die rund um die Uhr an ihren Bildschirmen die Flugbahnen von Satelliten, Weltraumschrott und möglichen Weltraumwaffen verfolgen, um gefährliche Situationen oder Bedrohungen zu erkennen und gegebenenfalls entsprechende Gegen- oder Schutzmaßnahmen zu veranlassen. Das WRLageZ ist eine zivil-militärische Einrichtung der Luftwaffe der Bundeswehr und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und wird gemeinsam betrieben. Auf militärischer Seite ist es dem Weltraumkommando der Bundeswehr unterstellt, das 2021 in Uedem aufgestellt wurde. An seiner Spitze steht Generalmajor Michael Traut.

Weltraumüberwachung im Weltraumlagezentrum Uedem
Bundeswehr

Die außerirdische Bedrohung

Im erdnahen Weltraum wimmelt es nur so von menschengemachten Objekten. Und es werden immer mehr. Ende 2024 waren es über 9000 aktive Satelliten, etwa 54 000 Objekte größer als zehn Zentimeter, 1,2 Millionen Objekte zwischen einem und zehn Zentimetern und rund 130 Millionen Teilchen mit einer Größe zwischen einem Millimeter und einem Zentimeter. Der größte Teil verglüht in der Erdatmosphäre, aber größere Objektteile stürzen immer wieder auf die Erdoberfläche. Andere Teile gefährden durch mögliche Zusammenstöße wiederum große Strukturen im Weltraum, wie die Internationale Raumstation ISS oder Satelliten. Die Folge können Störungen in der elektronischen Kommunikation, bei Navigationssignalen oder anderen Daten sein, mit möglicherweise katastrophalen Folgen für die irdische Wirtschaft und Gesellschaft. Aber es gibt auch noch andere Gefährdungen, beispielsweise das sogenannte Weltraumwetter, von der Sonne ausgehende Teilchenstrahlen. Und es geht im Weltraum nicht so friedlich zu, wie mancher denkt. Fast alle Raumfahrtnationen betreiben optische und elektronische Aufklärungssatelliten, einige Staaten auch Inspektionssatelliten, die sich anderen Satelliten annähern, um deren Aufgaben und Aktivitäten zu erkunden oder Drohszenarien zu schaffen. Bekannt sind schließlich auch sogenannte "Killersatelliten", die andere Raumflugkörper zerstören können. Sie wurden bisher, soweit bekannt, von Russland und China "nur" erprobt, stellen aber eine potenzielle Bedrohung dar. Deshalb gibt das WRLageZ wie auch andere internationale Partner Warnungen bei möglichen Kollisionen oder auch Prognosen über den Eintritt von Objekten in die Erdatmosphäre heraus. Zudem gilt es, eigene Satelliten, ob zivile oder militärische, zu schützen. Denn auch die Bundeswehr besitzt zur Erfüllung ihrer Aufgaben Kommunikations- und Radaraufklärungssatelliten.

Weltraumbeobachtungsradar TIRA (Tracking and Imaging Radar)
Fraunhofer FHR / Jens Fiege

TIRA in Wachtberg: Der weiße Riese

Zur Überwachung der Weltraumlage stehen dem WRLageZ leistungsfähige Radaranlagen zur Verfügung. Das größte und mit seiner Leistung in Europa einmalige System steht in Wachtberg bei Bonn. Die riesige weiße Schutzkuppel ist weithin zu sehen. TIRA, so seine Bezeichnung, kann sowohl sehr präzise Parameter von Flugbahnen bestimmen als auch hochauflösende Abbildungen von Objekten im All erstellen. Sein Betreiber, das Fraunhofer Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik (Fraunhofer FHR), wertet die erfassten Daten aus und liefert daraus gewonnene Erkenntnisse an das WRLageZ in Uedem, wo sie begutachtet werden und auch in eine Datenbank der Weltraumobjekte einfließen. Dieses Jahr im Mai konnte es zum Beispiel seine Leistungsfähigkeit beweisen, als das Landemodul der fehlgeschlagenen russischen Venussonde Kosmos 482 nach 53 Jahren im Weltraum in die Erdatmosphäre eindrang und am 10. Mai vermutlich in den Indischen Ozean stürzte. TIRA konnte eine Abbildung der Sonde erstellen und Infos für die Berechnung von Bahndatenprognosen zur Eingrenzung des Einschlaggebietes liefern. Ähnliche Beiträge lieferten die Wachtberger bereits 2018 beim Wiedereintritt und Absturz der chinesischen Raumstation Tiangong 1 und anderen Ereignissen.

Wichtige Daten TIRA (Tracking and Imaging Radar)

  • Durchmesser Radom (Schutzhülle): 47,5 Meter (größtes Starr-Radom der Welt)
  • Gebäudehöhe mit Radom: 54,5 Meter
  • Durchmesser Parabolspiegel: 34 Meter (Cassegrain-Antenne)
  • Bewegte Masse Antennensystem: rund 240 Tonnen
  • Drehbereich Azimut (horizontal): unbeschränkt
  • Schwenkbereich in Elevation (vertikal): 90 Grad
  • Horizontale Drehgeschwindigkeit: 24 Grad pro Sekunde (weltweit schnellste Antenne ihrer Klasse)
  • Zwei Radargeräte: Verfolgungsradar L-Band (1,333 GHz); Abbildungsradar Ku-Band (16,7 GHz)
  • Bekannte Auflösung bei Weltraumobjekten: kleiner 15 Zentimeter
  • Verfolgungsradar: unter anderem hochgenaue Orbitalparameter
  • Abbildungsradar: hochauflösende Abbildungen und ISAR-Abbildungen (Inverse Synthetic Aperture Radar) sowie Analysen von Weltraumobjekten
GESTRA-Empfangsantenne
Fraunhofer FHR / Uwe Bellhaeuser

GESTRA ergänzt TIRA

Ergänzt wird TIRA durch GESTRA. Das vom Fraunhofer FHR im Auftrag des DLR entwickelte System besteht aus zwei Radaren mit elektronischer Strahlschwenkung, je einem Sende- und einem Empfangsradar, und kann Objekte in großen Weltraumausschnitten erfassen. Die Verfolgung und Abbildung interessanter Objekte übernimmt dann TIRA. Im nächsten Jahr kommt noch ein optisches Teleskopsystem dazu, dessen Erfassungsfähigkeit bis zum geostationären Orbit reicht. Das teilmobile Radarsystem GESTRA (German Experimental Space Surveillance and Tracking Radar) dient der Überwachung des erdnahen Weltraums, vor allem von Weltraumschrott. Es wurde vom Fraunhofer FHR im Auftrag des DLR gebaut und ist auf der Schmidtenhöhe bei Koblenz stationiert. GESTRA wird vollständig aus dem WRLageZ in Uedem gesteuert.

Wichtige Daten GESTRA (German Experimental Space Surveillance and Tracking Radar)

  • Zwei Container mit je einer Antenne
  • Container: je 18 x 4 Meter Fläche
  • Antennendurchmesser: je 2,84 Meter
  • Antennentyp: Phased-Array mit je 256 Sende- bzw. Empfangsmodulen
  • Arbeitsfrequenz: L-Band (1,3 GHz)
  • Erfassungsbereich: Bahnhöhen von 300 – 36 000 Kilometer
Mockup eines optischen Teleskopsystems der Firma Baader
Baader

Europäische Vernetzung und Datenaustausch: ESA und EUSST

Daten von TIRA und GESTRA werden auch mit anderen Organisationen wie der Europäischen Raumfahrtagentur ESA oder dem EU Space Surveillance and Tracking Operational Center (EUSST) ausgetauscht. Das EUSST ist Teil des EU-Weltraumprogrammes, hat ähnliche zivile Aufgaben wie das WRLageZ und stellt seine Beobachtungsergebnisse über 200 Organisationen zur Verfügung. Dazu wertet es die Beobachtungsdaten von weltweit über 50 Radaren und Teleskopen aus. Um auch in Zukunft alle Anforderungen erfüllen zu können, erhält TIRA ein großes Upgrade und GESTRA wird um je eine Sende- und Empfangseinheit erweitert, die künftig auch vernetzt werden sollen.