Der mit der europäischen Trägerrakete Vega-C am 29. April gestartete Satellit Biomass schlägt ein neues Kapitel in der Fernerkundung der Erdoberfläche aus dem All auf. Sein einzigartiges Radar, das in Deutschland bei Airbus Defence and Space in Friedrichshafen gebaut wurde, ist speziell für die Untersuchung unserer Wälder konzipiert worden und soll erstmals einen 3D-Blick in die Waldstrukturen unterhalb der Baumkronen ermöglichen. Der Satellit ist Teil der "Earth Explorer Research"-Missionen der ESA und der siebte Satellit dieser Serie. Fernerkundungssatelliten, die der zivilen Untersuchung und Überwachung dienen, gibt es inzwischen viele. 1972 wurde mit Landsat 1 von den USA der erste speziell dafür ausgelegte Satellit ins All befördert. 1978 hatte der amerikanische Seasat erstmals ein Radar für die Fernerkundung an Bord. Damit können auch bei starker Bewölkung und nachts brauchbare Ergebnisse erzielt werden. 1991 schickte die ESA mit ERS 1 einen Fernerkundungssatelliten in den Orbit, der neben den üblichen Instrumenten ebenfalls über ein Radar verfügte. Es galt als ein Meilenstein in der Fernerkundung. Biomass setzt also die lange Tradition europäischer Fernerkundungssatelliten fort.

Ende April brachte eine Vega-C-Trägerrakete Biomass ins All.
Biomass schließt eine Wissenslücke
Was ist nun die Aufgabe von Biomass? Bisher gibt es nur Schätzungen, wie viel Waldbiomasse weltweit vorhanden ist. Das Wissen darum ist jedoch wichtig, denn die Wälder entziehen der Atmosphäre einen nicht unbeträchtlichen Teil des für das Klima schädlichen Kohlendioxids (CO2) mittels Photosynthese und speichern die entstehenden Kohlenstoffverbindungen als Biomasse. Andererseits wird bei Waldbränden wieder CO2 freigesetzt. Diese entstehen nicht nur durch Unachtsamkeit oder Blitzeinschläge. Vor allem in Südamerika brennen skrupellose Unternehmen riesige Waldflächen ab, um so Land für die Landwirtschaft oder den Abbau von Bodenschätzen zu gewinnen. In vielen Ländern gibt es wiederum Wiederaufforstungsmaßnahmen. Dieser komplexe Kohlenstoffkreislauf ist noch unvollständig erforscht. "Der Mechanismus – wo geben Wälder CO2 ab, wo nehmen sie CO2 auf? – ist das, was man mit dieser Mission besser begreifen will", sagt Klaus Scipal, der Biomass-Missionsmanager der ESA. Das gilt nicht nur für die qualitative Untersuchung der Prozesse, sondern auch für die quantitative Erfassung der Waldbiomasse sowie deren Aufnahme und Abgabe von CO2. Die Daten sind entscheidend, um die globale Erwärmung genauer berechnen zu können und so die Klimamodelle weiter zu verbessern sowie Gegenmaßnahmen zu planen. Zudem sollen die Daten des Radars zur Überwachung der Ionosphäre, der Gletscher und der Eisschilde sowie zur Kartierung der Untergrundgeologie in Wüsten und Oberflächentopografien unterhalb dichter Vegetation verwendet werden.

Der auffällige Reflektor misst zwölf Meter im Durchmesser und besteht aus einem feinen Drahtgeflecht.
Riesiger "Regenschirm"
Der Satellit hat als einzige Nutzlast ein Radarinstrument an Bord. Es handelt sich um ein sogenanntes Synthetic Aperture Radar (SAR). Mit dieser elektronischen Technologie ist es möglich, riesige Antennen für das Senden und Empfangen der Radarsignale zu simulieren. So können die realen Antennen mit erträglichen Abmessungen konstruiert und trotzdem hohe Auflösungen erreicht werden. Das Radar arbeitet im Frequenzband P mit einer großen Wellenlänge von 70 Zentimetern (siehe Kasten rechts). Das hat den Vorteil, dass die abgestrahlten Radarimpulse die Baumkronen tief durchdringen und so bisher nicht erhältliche Informationen gewonnen werden können. Ein solches P-Band-Radar wird erstmals auf einem Satelliten eingesetzt. Trotz der SAR-Technologie ist ein großer Reflektor der Antenne nötig. Er sieht aus wie ein riesiger Regenschirm und hat einen Durchmesser von zwölf Metern. Für den Transport in der Trägerrakete muss er deshalb zusammengeklappt und erst im All entfaltet werden. Das hat nach dem Start auch anstandslos geklappt. Er wurde von der amerikanischen Firma L3Harris gebaut, die bereits 90 solche Reflektoren, zum Teil noch wesentlich größere, für zivile und militärische Satelliten geliefert hat. Die für das Senden und Empfangen der Radarimpulse nötigen Feed Arrays sind am Satellitenkörper befestigt und strahlen die Impulse Richtung Reflektor ab, wo sie zur Erde umgeleitet werden. Der Empfang erfolgt umgekehrt.

Die Kalibrierung erledigt ein Biomass Calibration Transponder (BCT). Der spezielle Transponder steht in Australien.
Kalibrierung in Australien
Zunächst muss der Satellit eine halbjährige Inbetriebnahmeprozedur durchlaufen. Wichtigster Punkt ist die Kalibrierung des Radars, sodass es auch die richtigen Ergebnisse liefert. Das erledigt ein Biomass Calibration Transponder (BCT), der in New Norcia, Australien, installiert und für den die ESA verantwortlich ist. Dort befindet sich bereits eine 35-Meter-Antenne der ESA für die Verbindung mit Tiefraummissionen. Der maßgeschneiderte 5-Meter-Transponder sitzt in einer Schutzhülle, dem Radom, und ähnelt von außen einem Fußball. Der BCT beantwortet die Radarsignale von Biomass beim Überflug mit definierten Signalen, die dann dem Feintuning des Instruments an Bord dienen. Die Kosten für die gesamte Mission belaufen sich auf etwa 500 Millionen Euro. Daran ist Deutschland mit über 20 Prozent beteiligt. Der Satellit wurde unter Leitung von Airbus UK (Großbritannien) von über 50 Unternehmen entwickelt. Dabei sind neben Airbus Defence and Space weitere Unternehmen aus Deutschland involviert, deren Beiträge durch die Deutsche Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) koordiniert wurden. Die OHB System AG ist mit ihren Tochterunternehmen in Italien und Schweden beteiligt und lieferte Teile der Plattformstruktur sowie das Reaction-Control-Subsystem. Die ArianeGroup steuerte Komponenten des Antriebssystems bei. Die Tesat-Spacecom GmbH baute die Kommunikationssysteme und entwickelte zusammen mit United Monolithic Semiconductors zwei GaN-Leistungstransistortypen (mit 15 W und 80 W Leistung) für Verstärker des Radars, die erstmalig für den Einsatz im All zertifiziert waren.

Gebaut wurde der neue ESA-Satellit von Airbus Defence and Space.
Bitte nicht stören
Das Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) in Bremen baute den Magnettorquer und Collins Aerospace in Heidelberg die Drallräder. Beide Komponenten dienen der präzisen Lageregelung des Satelliten. Das DLR-Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme entwickelte den Prototypen des Datenprozessors sowie den Software-Simulator für das Radarsystem. Zur Koordination der wissenschaftlichen Nutzung der aus dem ESA Centre for Earth Observation (ESRIN, Italien) gelieferten Daten wurde im Auftrag der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR ein Projektbüro in Kollaboration zwischen dem Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena, der Friedrich-Schiller-Universität Jena, dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung sowie dem DLR eingerichtet. Dort werden Fachinformationen für deutsche Nutzer erarbeitet, Datensätze bereitgestellt und die Kommunikation der deutschen und internationalen Fachcommunity gefördert. Einen Wermutstropfen muss die Mission jedoch verkraften. Das P-Band-Radar sendet im selben Frequenzbereich wie bestimmte Radare des US-Militärs und anderer Einrichtungen, die zur Frühwarnung vor Interkontinentalraketen oder für die Überwachung von Weltraumschrott in der Umlaufbahn der Erde genutzt werden. Eine UN-Sonderorganisation ist für solche Konflikte zuständig und gibt militärischen Instrumenten den Vorrang. Deshalb muss das Biomass-Radar über Europa, Nord- und Mittelamerika und Teilen Nordafrikas abgeschaltet werden. Die ESA sieht das jedoch gelassen, da die Kenntnisse über die mitteleuropäischen Wälder, die weniger dicht sind, durch die irdische Forschung bereits recht gut sind. Anders sieht es in den tropischen Regionen rund um den Erdball aus, denn dort finden fast 96 Prozent der gesamten Entwaldung statt. Dies bedarf deshalb der besonderen Beobachtung. Bleibt zu hoffen, dass die mit Biomass gewonnenen Erkenntnisse nicht nur in den Archiven verschwinden, sondern auch produktiv in Maßnahmen für eine bessere Umwelt einfließen.

Das zwölf Meter große P-Band-Radar erlaubt erstmals 3D-Blicke unter Baumkronen.
Technische Daten Biomass
Start: 29. April 2025, 11:15 Uhr MESZ
Startort: Europäischer Weltraumbahnhof Kourou (Französisch-Guayana)
Trägerrakete: Vega-C
Auftraggeber: ESA
Hauptauftragnehmer: Airbus UK (Großbritannien)
Betreiber: ESA
Missionsbetrieb: ESOC Darmstadt
Flugbahn: sonnensynchroner Polarorbit bei 98 Grad Bahnneigung
Bahnhöhe: etwa 666 km
Betriebsdauer: 5,5 Jahre (als Minimum geplant)
Satellitenplattform: dreiachsenstabilisiert, 5,8 m hoch, 2 m breit, 2 m lang
Masse: 1250 kg (einschl. 132 kg Treibstoff)
Elektrische Leistung: 1,5 kW
Energieversorgung: 7 m² Solarzellenpanel
Nutzlast: Synthetic Aperture Radar (SAR) mit passivem Reflektor; Reflektor aufgeklappt 12 m Durchmesser; arbeitet im P-Band (70 cm Wellenlänge)
Datenprozessierung: ESA Centre for Earth Observation (ESRIN) in Frascati (Italien)