Tatsächlich hat die NASA allen Grund, stolz zu sein, denn erstmals in ihrer langen Geschichte ist es ihr gelungen, ein bedeutendes Programm der bemannten Raumfahrt sowohl im Zeit- als auch im Kostenrahmen zu realisieren. Auf leidvoller Erfahrung basierte nämlich die große Skepsis, welche dem ambitionierten Zeitplan der Agentur entgegenschlug, als sie vor gar nicht allzu langer Zeit das Orion-Programm ins Leben rief. Da war die Erinnerung an das missglückte, weil am Ende viel zu teure Experiment zur Entwicklung der Ares-Trägerraketen-Familie dem amerikanischen Steuerzahler noch allzu frisch in Erinnerung. Überhaupt hatte sich das einst gefeierte Projekt „Moon, Mars and Beyond“ des früheren Präsidenten Bush als zwar wohlklingend, aber unbezahlbar erwiesen.
Inzwischen also scheint sich die neue NASA-Politik der Konzentration auf strategische Fragen auszuzahlen, während man das Tagesgeschäft, wie den routinemäßigen Frachttransport zur Internationalen Raumstation, kommerzialisiert und an private Firmen auslagert. Die Verhandlung von Fixpreisen und nicht zuletzt die öffentlichen Appelle an den Patriotismus aller Beteiligten zwangen die beteiligten Unternehmen schließlich zu mehr Disziplin, denn diese hatten zwar an Ares bis zum ersten und einzigen Testflug sehr gut verdient, ernteten aber nach dem Abbruch des Programms mit vollem Recht öffentliche Vorwürfe wegen ihrer maßlosen Preistreiberei. In diesem Geschäft darf man aber nur einmal am Pranger stehen, wenn man weiter dabei bleiben will.
Sollten tatsächlich endlich alle aus der Vergangenheit gelernt haben, aus den bitteren Jahren, in denen die USA ihren Astronauten keinen eigenen Zugang zum All garantieren konnten? Es scheint so, denn als am 6. Dezember 2014 die Delta IV Heavy am Cape abhob und die erste Orion-Kapsel zum Exploration Flight Test 1 in den Himmel schickte, stand buchstäblich die ganze Nation geschlossen hinter der NASA. Die hatte allerdings auch alles in ihren Kräften Stehende getan, um die Öffentlichkeit mit dem Programm vertraut zu machen, und sowohl Fachleute als auch Laien bis hin zu den Schulkindern mit ihrer Kampagne „I‘m on board!“ ganz persönlich angesprochen.
Hunderttausende im ganzen Land und Raumfahrtfans aus aller Welt trugen sich dann auch in die „Passagierlisten“ ein und druckten stolz das attraktiv gestaltete Flugticket mit ihrem Namen darauf aus. Nicht wenige werden später beim ersten Flug zum Mars dieses Ticket hervorholen und sagen können, dass sie damals dabei waren, bei diesem ersten Flug einer Orion-Kapsel ins All.
Tatsächlich dabei waren Tausende an den traditionellen Beobachtungsplätzen beiderseits des Damms, der das Raumfahrtzentrum mit dem Hinterland verbindet. Hier hatten schon in den allerersten Tagen der bemannten US-Raumfahrt Fans aus allen Landesteilen ihr Lager aufgeschlagen, um die besten Plätze für die Starts zu ergattern und das Abheben der Raketen dann mit eigenen Augen zu verfolgen. So war es auch dieses Mal.
Am Cape herrschte Volksfeststimmung

Zahllose Autos und Wohnwagen, hunderte Autobusse, große und kleine Zelte und wie immer ein gutes Geschäft für die ortsansässigen Händler für Snacks und Getränke – man spürte bereits wieder die Volksfeststimmung wie in den guten alten Tagen von Apollo und Space Shuttle.
Morgens, fünf Minuten nach sieben Uhr Ortszeit, zündeten die mächtigen Triebwerke auf dem Space Launch Complex 37, und vor dem dunkelblauen Hintergrund der langsam versinkenden Nacht kamen die rotgoldenen Abgaswolken und der gleißende Feuerstrahl der Rakete besonders gut zur Geltung. Das Publikum vor Ort und an den TV-Geräten im ganzen Land war begeistert und selbstverständlich auch alle Beteiligten – jene, die das System erdacht und gebaut hatten, und schließlich jene, die jetzt im Flugleitzentrum, in den Kontrollstationen und bei der Bergungsflotte Dienst taten, um das Projekt zum ersehnten Erfolg zu führen. Das waren schon einige Tausende, die jetzt die Daumen drückten, dass nur ja alles glatt verliefe!
Sie wurden aber auch nicht enttäuscht, denn zahllose Sensoren und eine ganze Reihe an Bord montierter Kameras gaben lückenlose Auskunft über den Zustand des Systems und den Ablauf der Mission. So konnte man sich mit eigenen Augen davon überzeugen, wie erst das Rettungssystem abgesprengt wurde, sich wenig später die Nutzlast von der Rakete trennte und kurz darauf die Schalen der Nutzlastverkleidung davonflogen. Selbst ein Blick auf die Erde war den Zuschauern vergönnt, schließlich sogar Wolken glühenden Plasmas beim Sturz durch die Erdatmosphäre und zum glücklichen Ende die Öffnung der drei riesigen orangerot-weiß gestreiften Fallschirme.
Der Missionserfolg ist Ansporn für die Arbeit





Auch die Bergungsmannschaften waren zur rechten Zeit am rechten Ort und praktizierten ihre Arbeit wie laut Handbuch für Bergungstaucher. Anschließend brachte die USS „Anchorage“ die Kapsel sicher wieder an Land. Die Marine konnte zufrieden sein mit ihrem Beitrag zum Gelingen dieser historischen Mission. Inzwischen ist die Kapsel im Triumphzug per Landtransport wieder zum Cape überführt worden und wird auf das Gründlichste begutachtet.
Geht man von den bisherigen guten Erfahrungen aus, könnten wohl auch die nächsten Programmpunkte dem Zeitplan entsprechend abgehakt werden.
Exploration Mission 1: Am 30. September 2018 soll erstmals die neue Trägerrakete SLS (Space Launch System) eine unbemannte Orion-Kapsel zur Mondumrundung bringen. Die Flugdauer beträgt etwa zehn Tage.
Exploration Mission 2: Anfang 2021 ist die erste bemannte Mondumrundung geplant.
Exploration Mission 3: Das Startdatum 15. August 2023 wurde für diesen bemannten Flug zwar bereits geblockt, aber der Missionsablauf ist noch nicht geplant.
Im Anschluss an all diese Erprobungs- und Zulassungsflüge dürfte das Crew Exploration Vehicle (CEV) Orion für bemannte Missionen über die Erdumlaufbahn hinaus zertifiziert sein. Die bemannte Raumfahrt der USA ist auf dem besten Wege, zu alter Größe zurückzufinden.
FLUG REVUE Ausgabe 03/2015