Moskau will weiter ins All - Der Kosmos ruft: Russlands Raumfahrtpläne

Der Kosmos ruft - reicht das Geld?
Moskau will ins All - Russlands Raumfahrtpläne

Veröffentlicht am 06.04.2025

Seit der 1976 gestarteten Station Saljut-6, den Nachfolgern Saljut-7, Mir und der Internationalen Raumstation lSS leben und arbeiten russische Kosmonauten seit nun bereits bald 50 Jahren schwerelos in der Erdumlaufbahn. US-Astronauten sind seit 25 Jahren auf der ISS präsent und chinesische Astronauten seit drei Jahren auf der Raumstation Tiangong. Alle werden in der Regel alle sechs Monate von der nächsten Besatzung abgelöst. So will Russland im April mit dem Raumschiff Sojus MS-27 Sergej Ryshikow, Alexej Subrizki und den NASA-Astronauten Jonathan Kim als die 73. Expedition zur ISS bringen. Zudem befördern im Cross-Flight-Programm die Dragons von SpaceX Besatzungen mit je einem Kosmonauten zur ISS, so im März 2025 die Crew-10 mit Kirill Peskow. "Seit den Zeiten der Sowjetunion hat Russland in der bemannten Raumfahrt eine führende Position und den Status einer großen Weltraummacht", sagte der frühere Roskosmos-Chef Juri Borissow 2024 im Parlament der Russischen Fö-deration. Borissow wurde im Februar durch Dmitri Bakanow ersetzt. Er leitete zuvor den Roskosmos-Partner JSC Gonets Satellite System, war Direktor im Verkehrsministerium und stellvertretender Minister. Aktuell umfasst Roskosmos 165 500 Beschäftigte in 75 Hightech-Unternehmen der Raketen- und Raumfahrtindustrie in mehr als 20 Regionen Russlands. Die Produktionskapazität beträgt pro Jahr bis zu 30 Trägerraketen verschiedener Klassen und bis zu 40 Raumflugkörper für diverse Zwecke.

Rendering der russischen Raumstation ROS
RKK Energija

Pläne für den Erdorbit

Da das erste Element der ISS, das russische Modul Sarja, bereits 1998 gestartet wurde, neigt sich dessen Betrieb "allmählich dem Ende zu, sodass wir die ISS bis 2030 verlassen müssen", sagte Borissow in der Staatsduma: "Um die Kontinuität und Unabhängigkeit unseres bemannten Programms zu gewährleisten, wurde ein föderales Projekt einer russischen Orbitalstation entwickelt und 2024 von der Regierung der Russischen Föderation genehmigt. Eine Unterbrechung der bemannten Raumfahrt würde unweigerlich zum Verlust des erreichten Potenzials und der Position in diesem Bereich führen." Die russische Orbitalstation ROS von RKK Energija in Koroljow bei Moskau soll in einem polaren Orbit mit 97° Bahnneigung in 300 bis 350 km Höhe die Erde umkreisen. Die neue Station sei in der Lage, nicht wie aus der ISS nur 12 Prozent, sondern 100 Prozent des russischen Territoriums zu sehen, den Nördlichen Seeweg 16-mal am Tag zu beobachten und ein neues Niveau der Experimente zu erreichen. Als Basisblock der Station soll Ende 2027 das Forschungs- und Energiemodul (russisches Kürzel NEM) gestartet werden. Die Kosten für die neue Raumstation werden auf rund sieben Milliarden Euro geschätzt. RKK Energija, Hersteller der Raumschiffe Sojus und Progress, entwickelt bereits seit 2008 das bemannte Raumschiff der neuen Generation, das anfangs Piloten-Transportkapsel PTK-NP hieß. Die Kapsel namens Orjol (Adler) soll die Sojus ablösen, zur künftigen Station fliegen und auch für Missionen zum Mond genutzt werden. Die Masse der Kapsel beträgt im Erdorbit 12 Tonnen. Sie ist, anders als die Sojus, bis zu zehn Mal wiederverwendbar und soll vier bis sechs Kosmonauten Platz bieten. Bei der Rückkehr soll Orjol mit Fallschirmen, Bremsraketen und vier ausklappbaren Landebeinen in Russland landen. Der erste unbemannte Start ist für 2028 von Wostotschny aus geplant, der erste bemannte Flug soll 2029 stattfinden.

Rendering des neue russischen bemannte Raumschiff Orjol (Adler)
Roskosmos / RKK Energija

Angara-5-Start in Fernost

Die drei Startgelände Plessezk, Wostotschny und Baikonur ermöglichen Russland den Zugang zum Weltraum. Auf diesen Kosmodromen sind derzeit fünf Raketentypen im Einsatz: zwei Sojus-2-Typen (plus eine Version, die für Starts von Wostotschny modifiziert wurde), zwei Angara-Typen sowie die Proton-M-Rakete, deren Einsatz sich dem Ende zuneigt. Neue Trägerraketen werden entwickelt (Kasten S. 79), hinzukommt auch die Superschwerlast-Rakete Jenissej (bis 2033), berichtete Borissow in der Duma in Moskau: "All dies zeigt das hohe Potenzial der Raketenindustrie und dass wir in diesem Bereich in der Weltrangliste der Raumfahrtmächte einen soliden dritten Platz nach den USA und China einnehmen." Als Ende 2024 der russische Satellit Kosmos-2580 startete, war das der 1000. Start der R-7-Raketen in Plessezk. Gleichzeitig feierte der Hersteller dieser Raketen, RCC Progress in Samara, den insgesamt 2000. Start der bewährten Sojus-Raketen als den besten Indikator für deren Zuverlässigkeit. Bereits 1994, also vor 30 Jahren, hat der Sicherheitsrat Russlands GKNPZ Chrunitschew beauftragt, die Angara als rein inländisches Produkt zu entwickeln. Seit 2014 wurde die Angara-A5 bisher drei Mal von Plessezk im Norden des europäischen Teils Russlands gestartet. Der vierte Testflug im April 2024 war der erste Start einer Angara-A5 von Wostotschny ("die Östlichste") im Fernen Osten Sibiriens. Die Oberstufe Orion von RKK Energija brachte das Mock-up eines Satelliten in den geostationären Orbit. Eine Extranutzlast war im niedrigen Erdorbit der kleine CubeSat Gagarinets vom Moskauer Privatunternehmen Avant Space. Auch die Version Angara-1.2 mit bis zu 3,7 Tonnen Last wurde bisher fünf Mal in Plessezk gestartet. Angara-A5 soll die Proton ersetzen und bis zu 24,5 Tonnen Nutzlast in den niedrigen Erdorbit bringen. Kernstück sind fünf Booster namens Universelles Raketenmodul URM-1 als die erste und zweite Stufe sowie URM-2 als die dritte Stufe. Das Triebwerk RD-191 von NPO Energomasch ist nach eigenen Angaben eines der besten Triebwerke für Kerosin und Flüssigsauerstoff. Die mit dem RD-191M modernisierten Angara-A5M für 27 Tonnen Last sollen die ROS-Module und auch Orjol starten.

Start der Schwerlast-Rakete Angara-A5 am 11. April 2024 vom Kosmodrom Wostotschny
Roskosmos

Neue Satelliten nötig

Mitte 2024 hatte Russland 244 aktive Satelliten, darunter drei geostationäre Elektro-L- und zwei Arktika-Satelliten, welche die Arktis und die nördliche Seeroute überwachen. Die Bereitstellung dieser hydrometeorologischen Daten soll eine Lücke in der Nachfrage nach Dienstleistungen aus dem All schließen. Der 2022 gestartete SKIF-D erprobt die Technik für den schnellen Breitband-Internetzugang. Anfang 2025 gab Russland bekannt, bis 2036 rund 2600 Satelliten verschiedener Typen einzusetzen, "die für die Sicherheit des Landes, die unabhängige Überwachung der Gebiete, die Informationssicherheit, die Vorhersage von Naturkatastrophen und den Schutz unserer Infrastruktur modernste Kommunikation, Navigation und Erdbeobachtung ermöglichen", so Borissow in der Duma. Das Ziel seien Dienste, die von Kunden genutzt werden. "Die derzeitige Orbitalgruppe kann die Nachfrage der Anwender nach Weltraumdiensten nicht voll befriedigen. Unser Remote Sensing liegt hinter ausländischen Diensten zurück, die Kommunikationssatelliten liegen beim Internetzugang zurück und persönliche Satellitenkommunikation fehlt im Inland überhaupt." Die Hauptpriorität der Industrie sei, die erforderlichen Weltraumdienste durch Multisatellitenkonstellationen bereitzustellen. "Leider sind wir heute in Produktions-, Technologie- und Personalfragen nicht dazu bereit. Das ist eine Herausforderung in naher Zukunft, dass wir so schnell wie möglich die gesamte Industrie radikal auf die Serienproduktion von Satelliten umstrukturieren müssen. Das ist keine leichte Aufgabe, aber wir werden es tun, denn Russland bleibt keine andere Wahl." Neue Produktionslinien sollen Tausende hochqualifizierte Arbeitsplätze in IT und Mikroelektronik schaffen. Die Innovationen, Investitionen und damit verbundene Dienstleistungen sollen zu einem langfristigen Wirtschaftswachstum beitragen. Falls sich auch private Raumfahrt-Start-ups in Russland beteiligen, könnten es noch mehr Satelliten werden. "Wir hoffen, dass die Orbitalgruppe die Unabhängigkeit russischer Kunden von Weltraumdienstleistungen ausländischer Betreiber in der Erdfernerkundung gewährleistet. Die Sättigung des Marktes mit inländischen Lösungen soll von heute 40 Prozent in den 2030er-Jahren auf 100 Prozent anwachsen und in der Satellitenkommunikation auf etwa 95 Prozent. Wir wollen die Kundenzufriedenheit für verschiedene Dienstleistungen auf 70 bis 100 Prozent erhöhen", sagte Borissow. Zudem entwickelt Roskosmos das automatisierte Warnsystem "Milchstraße", das vor Raumschrott, Meteoriten und Asteroiden schützen soll. Der Start der nächsten russischen Raumsonde, dem Mondorbiter Luna-26, ist für 2027 geplant. Der Mondlander Luna-27 soll ein Jahr später starten. Russland will 2025 bis 2027 rund zehn Milliarden Euro in seine Raumfahrt investieren. Das Budget der NASA beträgt allein für 2025 rund 24 Milliarden Euro, das der ESA 7,7 Mrd. Euro. Laut Borissow will man die Orbitalgruppen nicht nur aus dem Staatsbudget, sondern auch durch Bankkredite und private Investoren finanzieren.