Herr Wörner, welche Bilanz ziehen Sie aus Ihrer bisherigen Amtszeit als ESA-Generaldirektor?
Für mich war der Einstieg in die ESA durchaus ein Sprung ins kalte Wasser: aus der deutschen Sicht des DLR in ein europäisches Umfeld mit 22 europäischen Mitgliedsstaaten plus Kanada. Das ist schon eine besondere Herausforderung. Es ist auch eine Herausforderung, die interne Struktur der ESA zu verstehen und zu gestalten. Diese Herausforderung dauert auch jetzt noch an.
Finanziell ist die ESA auf die Mitgliedsstaaten angewiesen. Welche Auswirkungen hat die Flüchtlingskrise auf das ESA-Budget?
Wenn man es mit harter Logik angehen würde, dann müsste es heißen, man erhöht das ESA-Budget massiv. Denn was wir gerade jetzt in diesen ökonomisch und politisch schwierigen Zeiten brauchen, ist Inspiration, Motivation, Faszination. Ich spüre natürlich in politischen Äußerungen einzelner ESA-Mitgliedsstaaten eine zunehmende Zurückhaltung. Gleichzeitig höre ich von EU-Bürgern das genaue Gegenteil. Die Menschen wollen diese Inspiration, wie sie beispielsweise Rosetta geliefert hat.
Wird die europäische Marsmission ExoMars ein ähnliches öffentliches Interesse wie Rosetta erzeugen können?
Mit Rosetta ist es gelungen, dieses Thema so zu positionieren, dass es in der breiten Öffentlichkeit angekommen ist. Es kommt also darauf an, wie man es kommuniziert. Die Marsmission hat auch das Zeug zur Faszination.
Bei der Entwicklung der Ariane 6 hat die Industrie die volle Verantwortung für das Design, die Finanzierung liegt aber zu einem Großteil in den Händen der ESA. Wird die Raumfahrt irgendwann komplett privatisiert?
Nein. Je mehr in der Raumfahrt kommerzialisiert wird, desto besser. Umso mehr Geld haben wir dann für Dinge, die nicht kommerzialisiert werden, zum Beispiel wissenschaftliche Missionen. Das, was wir als „New Space“ in Amerika beobachten, ist eine andere Welt als das, was wir in Europa machen. Wir haben eine veränderte Landschaft, und die Kommerzialisierung ist gut. Bei den Trägerraketen haben wir der Industrie mehr Verantwortung gegeben. Damit erreichen wir am Ende, dass wir einen deutlich wettbewerbsfähigeren Träger haben werden. Die Ariane 6 wird 50 Prozent günstiger sein als die Ariane 5.
Bereits kurz nach Ihrem Amtsantritt haben Sie die Idee eines „Moon Village“ als mögliche Nachfolge der ISS präsentiert. Welches Potenzial sehen Sie für eine solche permanente Mondmission?
Ich habe zwischendurch überlegt, ob ich die Idee überhaupt so in die Öffentlichkeit bringen sollte. Denn eigentlich lege ich erst einmal die Fakten auf den Tisch und schaue dann, wie ich diese Anforderungen umsetzen kann. Würde ich in der Öffentlichkeit aber nur die Anforderungen darstellen, würde das niemanden interessieren. „Moon Village“ hat das Potenzial zur Inspiration und Motivation. Die Idee hat aber gleichzeitig auch das Potenzial der globalen Kooperation, ohne den Ausschluss von bestimmten Ländern. Beginnen könnte „Moon Village“ mit der ersten unter dieser Überschrift stattfindenden Landung von einem robotischen System. Und das kann schon innerhalb der nächsten Jahre passieren, weil es mehrere Mondmissionen von verschiedenen Staaten gibt.
Wieso schließt sich die ESA nicht den NASA-Plänen einer bemannten Marsmission an?
Ich bin fest überzeugt, dass der Mensch zum Mars fliegen wird. Aber das ist eine lange Wegstrecke. Die kürzeste Entfernung zwischen Erde und Mars sind 50 Millionen Kilometer, zum Mond sind es 400 000 Kilometer. Das ist einfach eine andere Dimension. Wenn wir jemanden zum Mars und zurück schicken, dann dauert die gesamte Reisezeit fast zwei Jahre. Das ist eine massive Herausforderung. Da wird noch eine Menge Zeit vergehen. Auch der NASA ist bewusst, dass eben der Weg zum Mars im Moment das Thema ist. Der Mond ist Teil dieses Weges, und der Mars ist auch nicht das letzte Ziel.
FLUG REVUE Ausgabe 04/2016