Die Vorstellung der Stratolaunch am 31. Mai war eine seltene, öffentliche Premiere am sonst meistens menschenleeren Flughafen von Mojave in Kalifornien, der auf den ersten Blick nur aus einer weitläufig verstreuten Anordnung von Hangars und ein paar Barracken besteht. An dem einsamen Wüstenflugplatz, gut zwei Autostunden von Los Angeles entfernt, parken bei sengender Hitze einige Dutzend ausgemusterte Verkehrsflugzeuge in den sandigen Weiten. Irgendwo am fernen Horizont fährt ein endlos langer Güterzug mit doppelt hoch gestapelten Containern durch die Landschaft. Baumlose Berge rahmen das Panorama ein. Dabei schlägt genau hier, in Sichtweite der Edwards Air Force Base, das Herz der Luftfahrtentwickler. Hier entwickeln die besten Ingenieure der USA in klimatisierten Hangars teilweise geheim gehaltene Zukunftsflugzeuge, Drohnen und Raketen. Jetzt rollte das mit 117 Metern Spannweite spektakulärste und größte Flugzeug der Welt aus der Halle, die Stratolaunch. „Dieses Flugzeug soll den bequemen, zuverlässigen und routinemäßigen Zugang zu niedrigen Erdumlaufbahnen erschließen“, kündigte Stratolaunch-Vorstandschef Jean Floyd beim Roll-out an.
Spezialflugzeug für den Start von Satelliten
Der amerikanische Milliardär Paul Allen ließ sich den sechsstrahligen Riesen für seine Tochterfirma Vulcan Aerospace maßschneidern, um damit Satelliten zum Raketenstart auf etwa zehn Kilometer Höhe schleppen zu lassen. Allen will damit Satellitenstarts radikal verbilligen und vom Korsett beschränkter Raketenstartplätze mit relativ unflexiblen Startzeiten befreien. Meistens müssen für jeden Start angrenzende Seegebiete aufwendig für den Schiffsverkehr gesperrt werden, weil die ausgebrannte erste Stufe nach dem Start zurückstürzt. Diese erste Stufe spart sich Paul Allen künftig, denn die Stratolaunch bringt die Nutzlast direkt auf 10 700 Meter.
Entwickelt und gebaut hat das exotische Trägerflugzeug die rekorderprobte Flugzeugschmiede von Scaled Compo-sites in Mojave. Als Doppelrumpfkonstruktion aus CFK bietet der Schulterdecker unter dem mittleren Flügelsegment viel Platz für eine bis zu 250 Tonnen schwere Nutzlast – zum Beispiel drei Pegasus-XL-Raketen zugleich, die jede jeweils 500 Kilogramm Satellitennutzlast in eine niedrige Erdumlaufbahn befördern können.
Zwei Piloten und ein Ingenieur werden dabei im Cockpit im rechten der beiden Rümpfe sitzen. Nur dieses Cockpit ist druckbelüftet und eingerichtet, im linken Rumpf sind eine Hilfsgasturbine und Computer für die Nutzlastunterstützung installiert. Die kastenförmigen Zwillingsrümpfe, die nach vorne spitz zulaufen und jeweils in einem eigenen Leitwerk enden, sind innen ansonsten größtenteils leer. Das linke Cockpit bleibt ungenutzt, wie schon beim wesentlich kleineren Scaled-Trägerflugzeug WhiteKnightTwo für den Virgin-Raumgleiter SpaceShipTwo.
Alte Jumbos halfen als Organspender
Um den Entwicklungsaufwand zu senken und Kosten zu sparen, nutzte das Unternehmen für sein Model 351, so die interne Musterbezeichnung des Stratolaunch-Trägerflugzeugs, zwei ausgediente Boeing 747-400, die man gleich auf dem benachbarten Flugzeugfriedhof ausschlachtete. Sie spendeten ihre Jumbo-Cockpitsektionen mitsamt Cockpitscheiben wie auch die sechs originalen, steuerbaren Rumpffahrwerke und viele Systeme, etwa die Hydraulik. Von Nutzen waren ferner auch die PW4056-Triebwerke, von denen nun sechs die Stratolaunch antreiben. Die 28 Räder des Fahrwerks haben Carbonbremsen, allerdings ist der neue Riese nicht mehr mit Schubumkehr ausgestattet. Bis zu 7,92 Meter lautet die Maßvorgabe für den maximalen Durchmesser einer Nutzlast, die unter dem mittleren Flügel befördert werden soll. Der dank vier Holmen sehr steife Flügel ist viel dicker als bei einer normalen Boeing 747 und nicht gepfeilt. Er ist mit seinem stark gewölbten Profil einseitig auf einen sehr hohen Auftrieb hin optimiert. Die Höchstgeschwindigkeit spielt dagegen keine Rolle.
Der fliegende Moloch benötigt ex-trem breite Rollwege. Er wurde so kon-struiert, dass er in Mojave gerade noch auf die dortige, extra auf 3660 Meter verlängerte Startbahn passt. Sie soll nur knapp als Startstrecke reichen. Der neu errichtete, überbreite Stratolaunch-Hangar wurde seitlich der Startbahn so positioniert, dass man ohne umständliche Manöver auf die Runway kommt. Hier soll das Riesenflugzeug künftig zum Einsatz abheben.
Für 2019 hat die Firma Stratolaunch die erste Nutzlastdemonstration mit einer einzelnen Orbital ATK Pegasus XL angekündigt. Später passen bis zu drei dieser Raketen unter das Trägerflugzeug.
Gleich nach dem Roll-out begann Stratolaunch mit Betankungstests. Danach folgen Triebwerksläufe und Rolltests. Jahrelang hatte man von dem Projekt nur noch wenige Lebenszeichen empfangen. 2015 durfte dann ein kleiner Lokalsender im Stratolaunch-Hangar filmen. Nun war klar, dass das im Rohbau schon fast fertige Flugzeug Realität werden würde. Allerdings hat sich der Satellitenmarkt während der jahrelangen Bauzeit stark verändert: Statt möglichst großer Einzelnutzlasten sind heute viele Kleinsatelliten als Ladegut gefragt, die sich billig in Serie bauen lassen und weniger teuer in der Anschaffung sind. Stratolaunch schafft viel mehr Nutzlast, als man für die Kleinsatelliten braucht.

Das Stratolaunch-Trägerflugzeug soll künftig bis zu drei Pegasus-XL-Raketen mit Satelliten an Bord auf eine Höhe von rund 10 700 Meter heben. Auf Reiseflughöhe klinken sich die dreistufigen Raketen mit Feststoffantrieb nacheinander aus, zünden nach etwa fünf Sekunden ihre Triebwerke und befördern ihre Nutzlast in eine niedrige Erdumlaufbahn (zwischen 200 und 2000 Kilometer Höhe). Die etwa 23 Tonnen schwere Pegasus XL ist knapp 17 Meter lang, hat einen Durchmesser von 1,3 Metern und und kann bis zu 454 Kilogramm Nutzlast transportieren. Damit zielt Stratolaunch vor allem auf den Markt der Kleinsatelliten, der durch Mega-Satellitenkonstellationen, wie sie OneWeb oder SpaceX planen, anzieht.
Die Pegasus-Raketen sind bereits erprobt in Sachen Luftstart. Seit 1990 hat Orbital ATK mit verschiedenen Versionen 43 Missionen absolviert und dabei 94 Satelliten im All ausgesetzt. Bisher wurden die Raketen von der firmeneigenen Lockheed L-1011 TriStar abgeworfen. Obwohl Orbital ATK mit der Pegasus seit 1996 keinen Fehlstart mehr hatte, ist die Auftragslage mau, für 2017 ist bislang nur ein Start vorgesehen.
Ursprünglich hatte Paul Allen mit der Stratolaunch deutlich größere Nutzlasten im Visier. Im Gespräch war eine Variante der Falcon-9-Rakete von SpaceX. Nach einem Jahr zog sich SpaceX jedoch aus der Partnerschaft zurück, und Orbital ATK sprang ein. Orbital wollte für Stratolaunch eine dreistufige, 40 Meter lange und 227 Tonnen schwere Rakete namens Thunderbolt entwickeln. Sowohl Falcon 9 als auch Thunderbolt hätten mittelgroße Nutzlasten bis rund fünf Tonnen in eine niedrige Erdumlaufbahn bringen können, wie es beispielsweise früher die Delta II vom Boden aus tat. Diese Pläne liegen vorerst auf Eis. Nach wie vor gibt es aber die Idee, einmal eine verkleinerte Version des wiederverwendbaren Raumgleiters Dream Chaser der Sierra Nevada Corporation bemannt und unbemannt vom Stratolaunch-Trägerflugzeug aus zu starten.
Mit dem Raketenstart aus der Luft will Stratolaunch mehrere Vorteile nutzen: Da das Trägerflugzeug als wiederverwendbare erste Stufe dient, müssen die Raketen weniger Treibstoff mitführen und können dadurch kleiner ausfallen. Zudem ist keine aufwendige konventionelle Bodeninfrastruktur mit Startrampe notwendig. Dadurch werden Satelliten-starts mit kürzeren Vorlaufzeiten und höherer Flexibilität möglich.
von ULRIKE EBNER
FLUG REVUE Ausgabe 08/2017