Kann, oder besser gefragt, darf man aus dem Schicksal von Freiwilligen eine Spielshow im Fernsehen machen? Die Veranstalter bejahen diese Frage, und der erste Ansturm von Enthusiasten, die unbedingt dabei sein wollen, schien ihnen Recht zu geben. Aus den zahlreichen Freiwilligen aus aller Welt sind im Frühjahr 2015 genau 50 Frauen und 50 Männer ausgewählt worden, und bis Ende des Jahres soll die erste Gruppe von 40 dieser Privatastronauten bestimmt werden, mit denen das Training beginnen soll. So weit, so gut.
Ob tatsächlich in den nächsten Jahren genügend Beitragszahler für dieses seltsame Bezahlfernsehen zusammenkommen, um die benötigten Milliarden für das Vorhaben einzusammeln, ist schon fraglich, denn die Voyeure bei diesem kosmischen „Big Brother“ schalten nur ein, wenn etwas passiert: Krach unter den Siedlern oder sonstige Probleme mit dem harten, täglichen Leben sind erfahrungsgemäß gute Voraussetzungen für hohe Einschaltquoten, und man darf Mars One unterstellen, dass sie genau mit solchen Vorkommnissen rechnen. Das war wohl auch der Grund, dass sich der bekannte Fernsehveranstalter Endemol, der sonst nicht gerade für höchste moralische Maßstäbe bekannt ist, im Frühjahr 2015 aus dem Projekt zurückgezogen hat.
Ist das Projekt technisch durchführbar?
Nach dem derzeitigen Stand der Dinge nicht, und das wird sich mit Sicherheit bis zum angepeilten Projektbeginn auch nicht wesentlich ändern. Man braucht zuerst unbemannte Transporter mit Versorgungsgütern, Ausrüstung, wenigstens einem Fahrzeug, Wasser, Lebensmitteln und, und, und. Die Liste ließe sich lange fortschreiben. Dann benötigt man natürlich die entsprechenden Trägerraketen. Abgesehen davon, wie man die Unsummen zur Bezahlung dieses Aufwandes aufbringen will – derzeit rechnen die Organisatoren des Spektakels mit 13 Milliarden Dollar bis zum Jahre 2032 –, ist festzustellen, dass es all das noch gar nicht gibt. Selbst wenn man den finanziellen Aspekt außen vor lässt, kann man diese Sachen nicht von der Stange kaufen, denn sie müssen erst entwickelt, erprobt und produziert werden. Alles in nur elf Jahren? Selbst die größten Optimisten winken da nur müde ab.
Erste Regel: Bei einem Staubsturm immer drin bleiben!

In den Kinos lief der Hollywood-Film „Der Marsianer“ mit Matt Damon in der Hauptrolle. Er spielt in naher Zukunft und schildert die Probleme eines Astronauten, den seine Kameraden im Staubsturm verloren und tot glauben. Er aber lebt und muss sich nun allein mit allen Widrigkeiten herumschlagen. Man kann ganz gute Vergleiche ziehen zu Mars One, auch wenn hier der erste Trupp aus vier Leuten bestehen soll und jedes Jahr, wenn alles gut geht, weitere vier hinzukommen werden.
„Der Marsianer“ ist zwar allein, verfügt aber über eine umfangreiche materielle Basis, vor allem über eine geräumige Station mit Gewächshaus. Davon werden die Enthusiasten nur träumen können, denn ihre enge Kapsel wird für lange Zeit ihr einziges, halbwegs sicheres Zuhause sein. Aufblasbare Iglus können zwar als Lager, Unterstände oder Gewächshaus dienen, schützen aber weder vor der harten kosmischen Strahlung noch vor der ständigen Gefahr vom Meteoriteneinschlägen: NASA-Sonden haben ermittelt, dass es davon mehr als 200 im Jahr gibt, und dann kracht es wegen der dünnen Atmosphäre des Planeten richtig! Kaum auszudenken, wenn so ein Brocken die Basis oder gar einen der Neu-Marsianer trifft.
Der Film-Astronaut scheint auch keine Probleme mit dem Wasser zu haben; das für die Leute von Mars One indessen muss teuer von der Erde importiert werden. Zwar behaupten Wissenschaftler regelmäßig, sie hätten auf dem Mars „Spuren“ von Wasser entdeckt, doch das kostbare Nass selbst haben sie noch nicht gefunden. Bis 2027 sollte das aber der Fall sein! Damon baut Kartoffeln an, um bis zum Eintreffen einer Rettungsmannschaft nicht verhungern zu müssen, während bei Mars One Getreide die Nahrungsgrundlage sein soll. Bis zu einer hoffentlich reichlichen Ernte braucht man aber wiederum viel Wasser und zudem ausreichende Vorräte zur Überbrückung der Wartezeit.
Überhaupt halten sich die wirklich lebensbedrohlichen Situationen im Film in einem engen Rahmen. Strahlenbelastung? Kein Problem. Ein bisschen Folie über den Kartoffeln, ein dünner Anzug, der mit seinen Ellenbogen-, Schulter- und Knieschützern aussieht, als gehöre er einem „Rollerball“-Spieler mit Helm auf Erden, usw. Überhaupt die Raumanzüge, denn die gibt es ja – was Wunder! – auch noch nicht. Solche, wie sie die ISS- oder die Apollo-Astronauten tragen beziehungsweise trugen, taugen nicht für den Mars, denn sie sind für Schwerelosigkeit oder sehr geringe Schwerkraft auf dem Mond konzipiert worden. Auf dem Mars ist die Schwerkraft zwar geringer als auf der Erde, aber größer als auf dem Mond. Experten haben ausgerechnet, dass Mars-Astronauten bei der Nutzung eines ISS-Anzuges den Tornister mit dem Lebenserhaltungssystem auf einem Karren hinter sich her ziehen müssten, um überhaupt ein paar Schritte gehen zu können.
Das klingt also auch nicht gerade gut, ganz abgesehen davon, dass die Verantwortlichen von Mars One bis heute noch keinen einzigen Entwicklungs-, Bau- oder gar Kaufvertrag unterzeichnet haben. Sie verfügen über kein Startgelände, keine Lager für die zum Mars zu transportierenden Vorräte, kein Kontrollzentrum, keine Trainingsstätte für ihre Freiwilligen – ja, was haben sie denn überhaupt?
Keine Antworten auf viele wichtige Fragen
Fehlanzeige auch bei allen lebensnotwendigen Ausrüstungen. Wasseraufbereitungs- oder Klimaanlagen? Toilettenpapier, Wäsche zum Wechseln? Wird die Wäsche gewaschen, und wenn ja, braucht man wohl auch Seifenpulver. Sollen die Marsbewohner bis zum letzten Tag Essen aus der Mikrowelle zu sich nehmen? Was wird mit dem Müll? Unzählige Fragen, aber keine Antworten. Mittlerweile ist es sträflicher Leichtsinn, den Freiwilligen und der Öffentlichkeit immer noch vorzugaukeln, das Projekt sei machbar. Apropos Öffentlichkeit: Viel war in letzter Zeit nicht von den Organisatoren zu hören. Wenn man an die Milliarden des zahlenden Publikums heranwill, muss man die Werbetrommel rühren, doch nichts davon.
Zu guter Letzt wurde noch nichts über die psychologischen Probleme gesagt, die zweifellos und vor allem schnell kommen werden. Das Zusammenleben auf engstem Raum provoziert Spannungen. Nie wieder knirschender Schnee unter den Schuhen, nie wieder den Frühling riechen, nie wieder im Meer baden, nie wieder die Familie oder enge Freunde umarmen? All diese Erinnerungen, all diese fehlenden sinnlichen Eindrücke kann man nicht mit TV-Bildern kompensieren. Das Heimweh wird heftig sein, denn bis ans Lebensende dominiert im kargen Leben der Siedler die Farbe Rot. Schließlich wird die mitleidige Menschheit die Leute mit öffentlichen Mitteln retten müssen. Von Mars One haben sie nämlich keine Rettung zu erwarten.
FLUG REVUE Ausgabe 12/2015