Simulierte Reise ins All: Vorbereitung auf Mars-Missionen

Vorbereitung auf Marsflüge
Analog-Missionen: Simulierte Reisen ins All

Veröffentlicht am 15.11.2024

Die meiste Vorarbeit für lange Aufenthalte im All wird durch Langzeit-Crews an Bord der Raumstationen im Erdorbit geleistet. So lebte der russische Kosmonaut Oleg Kononenko (60) bereits zum fünften Mal an Bord der Internationalen Raumstation ISS und hält jetzt den Weltrekord der längsten Aufenthaltsdauer von Menschen im Weltraum. Nach seiner Landung am 23. September 2024 mit Sojus MS-25 ist Kononenko der erste Mensch, der insgesamt 1111 Tage – drei Jahre – in Schwerelosigkeit verbracht hat. Er und sein Landsmann Nikolai Chub, der ebenfalls ein Jahr lang (374 Tage) im All verbrachte, waren am 15. September 2023 mit der US-Amerikanerin Loral O‘Hara gestartet, die im April zur Erde zurückkehrte. Kononenko und Chub landeten mit der NASA-Astronautin Tracy Dyson in Kasachstan. Der frühere Rekordhalter Gennadi Padalka (878 Tage im Weltraum bei fünf Missionen) sagt: "Die größte Herausforderung, ob ein Team unter den extremen Umständen einer Langzeitmission bestehen kann, ist die psychologische Kompatibilität der Crewmitglieder. Wir können nicht einfach die Tür zwischen uns und den Kollegen zuwerfen. Die Besatzung ist dazu verdammt, eine gemeinsame Sprache zu finden und Kompromisse einzugehen." Dazu verdammt treffe es genau, denn anders als im erdnahen Raum sei eine Crew sehr weit weg von der Erde weitgehend auf sich selbst angewiesen.

NASA/Josh Valcarcel

Freiwillig Eingesperrt

Die NASA und Roskosmos wählen seit Jahren laufend Freiwillige aus, die als sogenannte Analog-Astronauten Reisen im All simulieren. Sie müssen gesund sein, Rauchen und Alkohol sind verboten. Mit den Simulationen gewinnt man Erkenntnisse über die optimalen Abläufe und die Herausforderungen, welche physischen und psychologischen Probleme auftreten, wie man sie lösen kann und wer die Besten sind, die man auf solche Missionen schicken soll. Überwacht von der jeweiligen Mission Control, können die Wissenschaftler untersuchen, wie sich die Crews an die Isolation, die Enge und die Bedingungen anpassen, denen Astronauten bei Raumflügen ausgesetzt sind. Der Kontakt zur Außenwelt sind die Mission Control, Anrufe oder E-Mails. Die Ernährung ist identisch mit der Kost an Bord der Raumstation. Die Crews beschäftigen sich mit medizinischen Untersuchungen, Forschungen, regelmäßigem Fitnesstraining, Habitats- und Körperpflege, Kontroll- und Wartungsarbeiten, Pflanzenwachstum, Aktionen mit Robotern, Außenbordarbeiten und mit Stressfaktoren wie begrenzten Ressourcen, technischen Pannen und Kommunikationsverzögerungen mit der Erde. Mond- oder marsähnliche Landschaften der Erde ermöglichen zudem geologische Feldstudien ähnlich einer echten Mission. Das Institut für Medizinisch-Biologische Probleme (IMBP) in Moskau befasst sich bereits seit 1963 mit Raumflugmedizin. 2009 haben sich dort in einem Habitat (180 m², 550 m³) sechs Männer 105 Tage lang für eine russisch-europäische Vorbereitung eines Marsfluges einsperren lassen, darunter der Deutsche Oliver Knickel und der Franzose Cyrille Fournier (beide ESA). Ab Mitte 2010 verbrachten dort sieben Männer sogar 520 Tage – fast eineinhalb Jahre – auf engstem Raum und mit ausschließlich künstlichem Licht. An dieser russisch-europäisch-chinesischen Mission Mars500 nahmen vier Russen, der Franzose Romain Charles, der Italiener Diego Urbina (beide ESA) und der Chinese Yue Wang teil.

IMBP

Ein Jahr auf dem Mond

Kürzlich simulierte im IMBP Sirius-23 (Scientific International Research In a Unique terrestrial Station) mit vier Frauen, eine aus Belarus, und zwei Männern bis November 2024 einen einjährigen Aufenthalt auf dem Mond (366 Tage) und Vorarbeiten für den Bau einer Siedlung in den 2030er-Jahren. Dabei erprobte die Crew den neuen russischen Androiden Martha, einen mannshohen anthropomorphen Roboter auf einer mobilen Plattform, der beim Bau der Mondbasis helfen soll. Seit 2012 gibt es HI-SEAS (Hawaii Space Exploration Analog and Simulation) für analoge Missionen an den Hängen des Vulkans Mauna Loa auf Hawaii. Das Habitat der "International MoonBase Alliance" ist eine große Kuppel 2500 Meter über dem Meeresspiegel und war Ort fünf erfolgreicher Simulationen der NASA, die zwischen vier und zwölf Monaten dauerten, sowie 40 anderer Missionen in Zusammenarbeit mit Agenturen. Deutsche Crewmitglieder waren 2014 Lucie Poulet vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und während der einjährigen Mission 2015/16 Christiane Heinicke, die nun am "Moon and Mars Base Analog" der Universität Bremen arbeitet. "Wir simulieren, wie die ersten Siedlungen auf Mond und Mars sein werden", sagt die langjährige HI-SEAS-Direktorin Michaela Musilova (Slowakei). "Die Agenturen wählen für analoge Missionen Ingenieure und Wissenschaftler aus, wie sie sich Astronauten eben vorstellen. Wir haben viele Frauen wegen ihrer Qualifikation als Analog-Astronauten ausgewählt." In dem Labor Yuegong (Mondpalast) in Peking lebten 2014 vier chinesische Freiwillige 105 Tage lang. In diesem sich selbst versorgenden Prototyp einer Mondbasis wurden Pflanzen und Gemüse in einem Gewächshaus angebaut, um später möglichst wenig Nachschub zum Mond bringen zu müssen. 2017/18 verbrachten zwei Männer und zwei Frauen dort 200 Tage ohne Nachschub von außen.

International MoonBase Alliance

Marsmissionen in Houston

Im Johnson Space Center der NASA in Houston, Texas, werden seit 2014 mit HERA (Human Exploration Research Analog) Missionen aus je vier Personen zwischen 7 und 45 Tagen Dauer durchgeführt. HERA ist ein zweistöckiges Habitat mit einer Fläche von 60 m2. Mit Hera-25 simulierten vier Frauen, darunter die Deutsche Sandra Herrmann, ab Januar 2023 eine Mission zum Marsmond Phobos. 2024 führt man mit HERA vier simulierte Marsmissionen mit jeweils 45 Tagen Dauer durch. Die Crew bis März sowie jene bis Juni und September lieferte Messdaten auch für Wissenschaftler der Vereinigten Arabischen Emirate und der ESA. Die aktuelle HERA-Crew soll bis Dezember 2024 arbeiten. Ebenfalls im Johnson Space Center begannen Mitte 2023 zwei Männer und zwei Frauen die erste CHAPEA-Mission (Crew Health and Performance Exploration Analog). Nathan Jones, Ross Brockwell, Kelly Haston und Anca Selariu simulierten in dem 158 m² großen temporären Zuhause "Mars Dune Alpha” bis 6. Juli 2024 die Herausforderungen eines 378 Tage langen Aufenthalts. Bisher sind bis 2027 drei CHAPEA-Missionen aus je vier Personen geplant. Dabei will die NASA lernen, wie sie die Crew auf dem Mars am besten unterstützen kann. Zurück im Alltag sagte die Missionskommandantin Haston, wie wichtig Teamwork und Anpassungsfähigkeit sind: "Wir mussten uns aufeinander verlassen, um die Herausforderungen zu meistern, mit denen wir konfrontiert waren. Jeder Tag brachte neue Hindernisse, aber auch Möglichkeiten, zu lernen." Brockwell ergänzte: "Natürlich braucht man Geduld, Selbstbeherrschung, emotionale Kontrolle und Sinn für Humor." Das "Space Analog for the Moon and Mars" (SAM) um das Testmodul Biosphere-2 in Arizona, USA, hat zusammen mit Freiwilligen der Universität Arizona und der NASA im April 2023 begonnen, Crews aufzunehmen. Die seither dritte Besatzung aus Künstlern, einem Mann und drei Frauen, simulierte im März 2024 eine sechstägige Mondmission. Der zweijährige Biosphere-2-Versuch von 1991 bis 1993, bei dem acht Teilnehmer autark von der Außenwelt leben sollten, war kein Erfolg.

NASA

Private Initiativen

Auch private Organisationen bieten simulierte Allaufenthalte an. So betreibt die amerikanische Mars Society seit 2001 die private Mars Desert Research Station (MDRS) in Utah, USA, und eine auf Devon Island in der kanadischen Arktis. Teams aus sechs bis acht Freiwilligen leben meist zwei bis drei Wochen oder auch Monate im Habitat, das insgesamt bereits 300 Crews und rund 2000 Teilnehmer beherbergte. Davon gut ein Dutzend Deutsche, darunter Christiane Heinicke und Maria Grulich, Nutzlast-Ingenieurin vom ISS-Modul Columbus der ESA. Auch die 2017 gegründete private "Lunares Research Station" im polnischen Pila simuliert Aufenthalte auf Mond und Mars, auch dort lebte Heinicke zehn Tage. Das "Mars Camp" in der Wüste Gobi in China bietet Kurse in der Marserkundung an. In Noordwijk, Niederlande, organisiert EuroMoonMars, eine Initiative der "International Lunar Exploration Working Group", in Zusammenarbeit mit ESA, NASA und Universitäten seit 2009 analoge Missionen und Feldtests für Forscher und Studenten in HI-SEAS, MDRS und Polen. Außerdem unterstützten EuroMoonMars und das Konsortium EuroSpaceHub Mondbasis-Isolationssimulationen in Polen und HI-SEAS, Feldkampagnen wie CHILL-ICE (Habitat in einer Lavaröhre) und Amadee, und haben auch ein Mondbasis-Simulator-Habitat für analoge Missionen entwickelt.