easyJet übernimmt ihr 250. Flugzeug
Wir sind die jüngste Airline, die jemals einen 250. Airbus übernommen hat“, sagte easyJet-Chefin Carolyn McCall bei der Übernahme ihres neuesten Airbus A320 in Hamburg Ende April stolz. Alle 17 Tage erhält die britische Niedrigpreis-Airline derzeit einen neuen Jet, um bis zum Jahr 2019 die Flottengröße auf über 300 Airbus-Flugzeuge zu erhöhen. Von denen soll ein Drittel zu neuen Zielen starten. Auch 100 Airbus A320neo sind schon fest bestellt.
Fünf Prozent Wachstum pro Jahr sind die Zielvorgabe bei easyJet, die derzeit mit sieben Prozent deutlich übertroffen wird. Gerade erzielte das Unternehmen erstmals auch in einem Winterhalbjahr einen Gewinn und wies für die sechs Monate bis Ende März 2015 ein Vorsteuerergebnis von umgerechnet 9,75 Millionen Euro aus.
„easyJet ist Europas bevorzugte Kurzstreckenairline“, lobte Airbus-A320-Programmvorstand Klaus Röwe bei der Übergabe seinen Stammkunden aus Großbritannien. Einst war es eine Erstbestellung von easyJet für die A319, die in der damals neuen Konfiguration dank doppelter Notausgänge über dem Flügel erstmals 156 Fluggäste befördern durfte und der A319 damit endgültig zum Durchbruch verhalf. Heute bevorzugt easyJet die größere A320, die derzeit 180 und ab den Auslieferungen im Mai 2016 186 Passagiere bei easyJet befördern kann. Während der Sitzabstand dank dünnerer Rückenlehnen nicht abnimmt, gewinnt man den erforderlichen Raum durch eine Umgestaltung des Kabinenhecks. Hier gruppiert Airbus im Rahmen der „Space Flex“-Option künftig die Küchenzeile und zwei Toiletten so um, dass alle drei Elemente nebeneinander an die Kabinenrückwand direkt vor dem Druckschott passen. An den hinteren Kabinentüren stehen dann keine „Monumente“ mehr, so der Fachbegriff, so dass dort eine weitere Sitzreihe installiert werden kann. „Wir haben Leichtbau-Sitze, extraleichte Teppiche in der Kabine und Leichtbau-Servierwagen“, berichtet easyJet-Chefin McCall über ihre maßgeschneiderten Einbauten. „Wir machen alles anders: Wir fliegen jüngere Flugzeuge mit einer höheren Nutzungsdauer pro Tag, lassen diese treibstoffsparend einmotorig am Boden rollen und haben durchgehend schlanke Prozesse bis hin zur Unternehmenskultur. Keiner bei uns stellt das Low-Cost-Modell in Frage. Deshalb ist es für die Legacy-Airlines (klassische Linienfluggesellschaften – Anm. d. Red.) so schwer, uns zu kopieren“, sagt die in Indien geborene Britin. „Nur wir als Low-Cost-Airline haben die Freiheit, das komplette Niedrigpreismodell umzusetzen. Und das muss man von Anfang an so machen. Die Passagiere wollen keine Lounge, denn die haben ja gar keine Zeit.“ Dagegen honorierten die Passagiere eine junge Flotte durchaus, sagt die Airline-Chefin.
Zum schlanken Modell von easyJet gehört, dass die Airline seit Jahren ihre Airbus-Flugzeugübernahmen mit allen Abnahmekontrollen an den Hersteller Airbus ausgelagert hat, so dass man keine eigene Abnahmemannschaft braucht. Bisher bewähre sich dieser Vertrauensbeweis gut, sagt easyJet. Bei Airbus heißt es, man sei eher pingeliger, wenn man technische Abnahmen im Auftrag eines Kunden durchführe und verlange mehr technische Nacharbeiten, als sie ein typischer Kunde selbst reklamiere. „easyJet ist zwar sehr schlank aufgestellt, aber sie hat Ansprüche wie eine ganz große Firma“, sagt auch CFM-Präsident und -Vorstandschef Jean-Paul Ebanga in Hamburg. Die Briten seien heute schon der weltgrößte Betreiber seines Triebwerks CFM56-5B.
Schon denkt easyJet über größere Airbus-Muster nach: „Wir erwägen derzeit auch die Beschaffung von Airbus A321“, offenbart Carolyn McCall erstmals auf Nachfrage der FLUG REVUE. „Aber die Diskussion darüber ist vertraulich.“
Keine Langstreckenpläne wie bei Ryanair





Dagegen schließt sie eigene Langstreckenflüge oder die Beschaffung von Großraumflugzeugen derzeit aus. „Wir sehen Langstreckenflüge nicht als unser kommendes Geschäftsmodell, die Kurz- und Mittelstrecke ist viel weniger risikobehaftet.“ Etwaige Kapazitätsprobleme befürchtet die Airline-Chefin für ihren Heimatmarkt London übrigens nicht. Der Flughafen Gatwick, wo sie 60 Flugzeuge stationiert hat, sei für Kurzstrecken gut ausgebaut, und die Nachbarstandorte Stansted und Luton könnten kapazitätsseitig noch auf das Doppelte wachsen, sagt McCall. Im Europaverkehr hilft easyJet ihre junge Flotte mit hoher Zuverlässigkeit. Die A320 erreiche eine Einsatzzuverlässigkeit von 99,7 Prozent, lobt Airbus-Programmvorstand Klaus Röwe. Airbus habe derzeit einen festen Auftragsbestand von 5085 Flugzeugen der A320-Familie und werde 2015 rund 500 Standardrumpfflugzeuge ausliefern. Rund 300 Millionen Euro investiere der Hersteller jedes Jahr in seine Standardrumpfjets. Dank der Einführung von Sharklets habe man zum Beispiel den Verbrauch schon im Jahr 2012 um drei bis vier Prozent gesenkt, jetzt folge mit der Generation A320neo eine Verbesserung um 15 Prozent. Gegenüber einer frühen „A320ceo“ ohne Sharklets werde man am Ende bei der neo sogar auf bis zu 25 Prozent bessere Verbrauchswerte kommen. „Normalerweise müssten wir für 25 Prozent Verbesserung etwa zehn Milliarden Euro für eine komplett neue Flugzeugfamilie aufwenden. Jetzt gelingt der gleiche Verbesserungsschub stattdessen mit Detailarbeiten“, sagt Klaus Röwe.
Wegen des hohen Auftragsbestands erhöhe der Hersteller die A320-Produktionsrate von heute 43 Flugzeugen im Monat zum ersten Quartal 2016 auf 44, zum zweiten Quartal 2016 auf 46 und zum Jahresanfang 20 17 sogar auf 50 Flugzeuge. Airbus sei „ausverkauft“ und erwäge deshalb nochmals höhere Produktionsraten von über 60 Flugzeugen pro Monat.
Bis zum Jahr 2033 benötige der globale Markt 22 000 neue Flugzeuge dieser Größe, so dass alleine Airbus auf 600 Auslieferungen im Jahr hoffen könne. „Wir erhöhen die Rate nur dauerhaft und nicht etwa nur für kurzzeitige Nachfragespitzen“, stellt Röwe klar. Er will seine Produkte durch zusätzliche Sitze in der Kabine noch attraktiver machen. So könne man die A320 derzeit schon mit bis zu 189 Sitzen und die A321 sogar mit bis zu 230 Sitzen bestuhlen. Ab 2018 biete Airbus für die A321neo optional auch eine Verdichtung auf 240 Sitze „und darüber hinaus“ an.
Die längste Version, der Airbus A321, einst eine Art Exot neben der viel stärker verkauften A320, nimmt allmählich in der Standardrumpffamilie eine Führungsrolle ein und wird bald mehr als die Hälfte der Produktion ausmachen. Dagegen sinkt die Nachfrage nach der kleineren A319. Von dem kürzesten Muster, der A318, hat Airbus – wie Boeing bei der 737-600 – sogar überhaupt keine neo- beziehungsweise „MAX“-Version mehr abgeleitet, die klassischen Ausführungen werden aber weiterhin angeboten.
Gerade gegenüber der Boeing-Konkurrenz sieht sich Airbus bei der eigenen A320-Familie am oberen Spektrum der „Narrowbodies“ im Vorteil, zumal die A321neo dank neuester Getriebefan-Triebwerke bald auch transatlantische Reichweite schaffe und noch unter Hitze- und Höhenbedingungen gute Leistungen liefere. Klaus Röwe stichelt, dass sich bei der Boeing-Standardrumpffamilie von der künftigen MAX nur die 737 MAX 8 wirklich gut verkaufe.
Frank Horch, Hamburgs Senator für Wirtschaft, Verkehr und Innovation, lobte bei der Airbus-Übergabefeier, dass die Airline rund 100 Piloten und Flugbegleiter in Hamburg beschäftige. Mit Arbeitsplätzen am Flughafen und in der Fremdenverkehrsbranche seien dank des Engagements von easyJet rund 1000 zusätzliche Stellen geschaffen worden. Dabei hätten die Briten in der Hansestadt zum Beispiel für 26 Prozent mehr Besucher aus Dänemark gesorgt und für 33 Prozent mehr Besucher aus Italien.
FLUG REVUE Ausgabe 07/2015