Wenn Musa Zwane auf Afrikas wichtigstem Flughafen landet, dann fehlt ihm etwas. „Alle unsere Flugzeuge stehen irgendwo verteilt herum“, moniert der derzeitige Interimschef der krisengeschüttelten South African Airways (SAA) im Gespräch mit der FLUG REVUE. Am liebsten hätte er ein eigenes SAA-Terminal, doch das wird Wunschtraum bleiben. Was vor allem an der räumlichen Enge der Gebäude liegt, die 1953 in ihrer Ursprungsform eröffnet, zu düsteren Apartheid-Zeiten in den 1960er- und 1970er-Jahren mehrfach verändert und dann erst zur Fußball-WM 2010 wesentlich erweitert wurden.
Der lange Gebäudeschlauch ist für ein modernes Drehkreuz ziemlich untauglich. Bei jedem Umsteigen zwischen internationalem und Inlandsflug müssen die Passagiere den Sicherheitsbereich verlassen und das Terminal auf langem Fußweg wechseln, um erneut die Kontrollen zu passieren. Allerdings liegt der Anteil der Transfer-Passagiere in Johannesburg insgesamt nur bei 20 Prozent, von einem wirklichen Hub lässt sich hier also nicht sprechen. Kapstadt, die bei Touristen beliebte zweitgrößte Stadt des Landes zwei Flugstunden südlich, bietet kaum noch Nonstop-Langstreckenflüge. Die SAA hat ihre seit Jahren ganz eingestellt, daher sind fast alle internationalen Reisenden in die Stadt am Tafelberg gezwungen, in Johannesburg zwischenzulanden.
„Wir hätten es gern, wenn wir eine größere Rolle an unserem Heimatflughafen spielen würden, so wie man sofort überall Ethiopian Airlines sieht, wenn man nach Addis Abeba kommt“, sagt der SAA-Chef. Wenigstens lobt er die verbesserte Sicherheit am OR Tambo International Airport, wo früher häufig Diebstähle aus aufgegebenem Passagiergepäck vorkamen. Dagegen kritisiert er, wie vermutlich alle Airlines an ihrem jeweiligen Heimatflughafen, die „zu hohen Gebühren“, wünscht sich aber gleichzeitig eine engere Zusammenarbeit mit der Flughafenbehörde ACSA.
Deren wichtigster Kunde ist naturgemäß SAA. Der Marktanteil der chronisch Verluste einfliegenden Staatsgesellschaft an ihrem Hub hat durch stetige Verkleinerung von Flotte und Streckennetz allerdings von etwa 60 Prozent vor zehn Jahren auf rund 50 Prozent heute abgenommen. Mithin sind sowieso weniger SAA-Flugzeuge vorhanden, die der Präsenz der Heimatgesellschaft an ihrem Drehkreuz wirkungsvollen Ausdruck verleihen könnten. Aber auch Flughafenchefin Bongiwe Pityi, eine der wenigen Frauen, die weltweit einen großen Airport führen, sagt gegenüber der FLUG REVUE: „Ein anhaltenderes Engagement der SAA hier am Flughafen wäre sicher wünschenswert und sinnvoll.“
Sie ist stolz, mit dem OR Tambo International Airport endlich eine lange angestrebte Wegmarke erreicht zu haben: mehr als 20 Millionen Passagiere in einem Jahr. 2015 war es, mit 20,07 Millionen Fluggästen von und nach Johannesburg, erstmals so weit.
Passagierzahl schwankt um die 20 Millionen
Seit Jahren pendelte die Passagierzahl unterhalb dieser Marke, die unstete Entwicklung spiegelt die wirtschaftlich schwierige Lage Südafrikas, der größten Volkswirtschaft Afrikas. Nach 19,4 Millionen Passagieren 2007 ging das Aufkommen 2009 wieder auf 17,5 Millionen zurück und stieg selbst im WM-Jahr 2010 nur auf 18,6 Millionen. Zum Fußball-Weltereignis erhielt der OR-Tambo-Flughafen, benannt nach einem früheren Präsidenten des regierenden African National Congress, den größten Modernisierungsschub seiner Geschichte. „Aber das verlangsamte Wirtschaftswachstum in Südafrika, die Ebola-Krise, die ausländerfeindlichen Ausschreitungen hier und die restriktive Visa-Politik etwa gegenüber Chinesen machten uns letztes Jahr zu schaffen“, sagt Bongiwe Pityi. Trotzdem geht sie davon aus, dass 2016 die Passagierzahl weiter leicht steigen wird. Optimistisch stimmt sie, dass jetzt zwei neue internationale Airlines nach Südafrika kommen: Im Falle von Iberia ist es im August die Wiederaufnahme von Flügen nach Madrid, und ab Oktober wird LATAM Brasil Johannesburg mit Sao Paulo verbinden, eine Strecke, die bereits SAA bedient.
Seit 20 Jahren ist Johannesburg Afrikas größter Flughafen, nachdem er Kairo überholte. Aber nicht nur die unstete Entwicklung Südafrikas selbst, sondern auch die immer noch sehr wenig liberalisierte Luftverkehrslandschaft Afrikas erschwert das Wachstum. Ebenso die Armut vieler der 53 Millionen Südafrikaner – nur fünf bis acht Prozent von ihnen benutzen überhaupt das Flugzeug. Hier liegen große Potenziale brach, genau wie in ganz Afrika. Sechs der zehn wachstumsstärksten Volkswirtschaften der Welt liegen auf dem Kontinent, aber der intra-afrikanische Flugverkehr ist wegen restriktiver Verkehrsrechte bis heute unterentwickelt. Das zeigt sich schon bei den Niedrigpreis-Airlines am Flughafen Johannesburg: Deren Anteil beziffert die Flughafenchefin auf 32 bis 35 Prozent, aber das bezieht sich beinahe ausschließlich auf den Inlandsverkehr in Südafrika, vor allem auf das „goldene Dreieck“ Johannesburg-Kapstadt-Durban, den drei größten Städten des Landes. Hier kämpfen derzeit drei größere NiedrigpreisFluggesellschaften um Kunden, plus zwei klassische Linien-Airlines.
Viel schwieriger haben es grenzüberschreitende Niedrigpreis-Airlines. Davon kann die panafrikanische Fastjet ein Lied singen, die mit mehreren Tochterfirmen etwa in Tansania und Simbabwe arbeiten muss, um beispielsweise die Strecken von Johannesburg nach Dar es Salaam und Harare zu bedienen. Absurderweise sind die Verbindungen von Johannesburg nach Europa am dichtesten und machen 45 Prozent des Angebots bzw. Aufkommens aus, während innerafrikanischer und Inlandsverkehr zusammen 40 Prozent Anteil aufweisen. SAA selbst bedient nur noch Frankfurt, München und London, dagegen fliegen acht europäische Airlines Johannesburg an.
Da die Flüge alle nachts stattfinden – es gibt keine oder nur minimale Zeitverschiebungen zwischen Europa und Afrika –, stehen die Flugzeuge der Europäer täglich bis zu zwölf Stunden am Boden auf dem OR Tambo Airport. Die Passagiere wollen angeblich nicht tagsüber fliegen. Nach anfänglicher Euphorie hat die Präsenz des Airbus A380 in Johannesburg bei stagnierenden Passagierzahlen stark nachgelassen.
Lufthansa taufte 2011 sogar die D-AIME auf den Namen der Stadt, schickt seit Herbst 2015 aber nur noch eine Boeing 747-8 nach Johannesburg. Auch Air France hat ihre A380 wieder abgezogen und durch die 777-300ER ersetzt, einzig British Airways hält die A380-Flagge der Europäer hoch. „Wir können insgesamt bis zu sechs A380 gleichzeitig abfertigen“, sagt Flughafenchefin Pityi, „aber neben BA kommt nur noch Emirates auf einer von drei täglichen Verbindungen mit der A380.“
Extrem lange Startbahn wegen der Höhenlage
Kapazitätsprobleme jedenfalls hat der OR Tambo Airport derzeit nicht: Die aktuellen Terminals können bis zu 28 Millionen Passagiere jährlich bewältigen. Trotzdem gibt es weiter den Masterplan, irgendwann ein Midfield-Satellitenterminal zwischen den beiden Parallelbahnen zu errichten. „Die größten Engpässe herrschen im Frachtbereich“, sagt Bongiwe Pityi. Engpässe gibt es auch in der Kapazität der Gepäckabfertigung für Passagierflüge, daher erlaubt der Flughafen keine Aufgabe von Koffern länger als vier Stunden vor Abflug, auch kein Durchchecken bei längerem Aufenthalt, eine sehr kundenunfreundliche Politik.
Das Bahnsystem in Johannesburg musste in seiner Leistungsfähigkeit beschränkt werden, weil die Flugsicherung nicht mehr Flüge abfertigen konnte. Vor zehn Jahren konnten stündlich 65 bis 70 Flugbewegungen bewältigt werden auf den beiden Bahnen, heute nur noch 53 pro Stunde im Durchschnitt. Dank der von über 600 auf derzeit 533 Starts und Landungen täglich geschrumpften Auslastung ist das kein großes Problem. „Zwischen acht Uhr morgens und zwölf Uhr mittags sind wir ohnehin bis oben hin voll“, sagt Bongiwe Pityi, weil dann alle Europa-Flüge ankommen. Die zweite Verkehrsspitze folgt zwischen 14 und 17 Uhr, da allerdings gibt es noch ein paar Slots.
Die beiden in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Parallelbahnen sind auf die „Hot-and-High“-Bedingungen des Flughafens ausgelegt, der auf 1694 Metern Höhe über dem Meeresspiegel liegt. Die dem Terminal näher gelegene Bahn 03L/21R ist mit 4400 Metern eine der längsten der Welt auf einem internationalen Flughafen. Direktorin Bongiwe Pityi plant ehrgeizig. Derzeit bedienen 38 internationale Airlines Johannesburg, 1997 waren es 70, und Pityi hofft wieder auf mehr. „Südamerika hat noch Potenzial, etwa Argentinien, aber auch Chicago und die US-Westküste hätten wir gern im Angebot, dazu Flüge nach Mexiko und Indien, in Europa fehlen uns Italien, Portugal und Griechenland.“
FLUG REVUE Ausgabe 11/2016