Hamburg-Finkenwerder im Juli 2025 – ein grauer Sommertag an der Elbe. Für jemanden, der sonst in der Hitzeglut des Sommers von Abu Dhabi am Persischen Golf lebt, ist das fast wie Wellness. Antonoaldo Neves, der CEO von Etihad Airways, strahlt denn auch beim Anblick des Flugzeugs auf dem Vorfeld des Hamburger Airbus-Auslieferungszentrums. "Die Hoffnung ist zurück, diese Maschine repräsentiert die Zukunft", ruft er. "Wir sind zurück im Spiel!" Der 48-jährige Brasilianer, vorher unter anderem Chef von Azul Airlines und TAP Air Portugal, hatte im Oktober 2022 den CEO-Job bei Etihad übernommen. Seine Aufgabe: der nach einem Jahrzehnt desaströser Über-Expansion geschrumpften und visionslos zurückgebliebenen Golf-Gesellschaft wieder Schwung und eine neue Mission zu geben. "Der Airbus A321LR war meine erste Flugzeugbestellung für Etihad im April 2023. Heute im Juli 2025 holen wir die erste in Rekordzeit ab, das macht mich stolz", sagt Neves.
"In den zweieinhalb Jahren, in denen ich CEO bin, hat es bei Etihad große Veränderungen gegeben. Von meinen sechs Direktoren sind nur zwei länger als zwei Jahre bei uns, vier hingegen völlig neue Führungskräfte, zusammen mit den langjährigen Mitarbeitern eine großartige Kombination. Ich bin sehr glücklich darüber, wie sich die Unternehmenskultur entwickelt hat. Wir haben alle viel gelernt und uns weiterentwickelt, das schließt mich ein", reflektiert er später im Gespräch mit der FLUG REVUE. "Etihad heute ist sehr diszipliniert. Wir definieren einen Plan, wir passen ihn an und wir haben viel Mut in dem, was wir tun. Natürlich funktioniert nicht alles, dann gehen wir einen Schritt zurück. Andere Dinge funktionieren sehr gut, da verdoppeln wir die Anstrengungen", erklärt der CEO. Bei der Auslieferung aus Finkenwerder war auch schon eine Schwester-LR zu sehen, die aber noch auf ihre Triebwerke wartete.
Disziplinierter Wachstumskurs bei Etihad: Profitabilität und flexible Flottenplanung im Fokus
Früher wurde bei Etihad geklotzt, nicht gekleckert: Wachstum, egal wie und mit welchen Partnern. Air Berlin, Alitalia und andere schwachbrüstige Gesellschaften wurden mit arabischem Geld aufgebläht, bevor erst sie und dann das ganze Konstrukt kollabierte. Seitdem versuchte Etihad stets im Schatten des im benachbarten Dubai beheimateten, fast zwei Jahrzehnte früher gegründeten Giganten Emirates ihr Glück als mittelgroße Qualitätsairline mit dem Fokus, ihre Basis Abu Dhabi mit der Welt zu verbinden. Doch plötzlich ist Wachstum wieder wichtig für Etihad; fast unbemerkt legt die nach Emirates und Qatar Airways drittgrößte Golf-Gesellschaft mächtiges Tempo vor bei ihrer erneuten Expansion.
"Die Bevölkerung in Abu Dhabi wächst jährlich um sieben Prozent. Im Jahr 2022 hatten wir zehn Millionen Passagiere bei Etihad, dieses Jahr erwarten wir 21,5 Millionen Kunden – bis 2030 wollen wir 38 Millionen Fluggäste im Jahr befördern", erklärt Antonoaldo Neves. "Unser Problem ist jetzt, dass wir mehr Flugzeuge brauchen, um die Nachfrage zu befriedigen." Genau 101 Passagierflugzeuge hatte Etihad Ende Juli 2025, da ist die erste A321LR schon mitgezählt. "Wir wollen unsere Flotte mit den bereits getätigten Festbestellungen auf 220 bis 230 Flugzeuge ausbauen", kündigt der CEO an.
Riesenbestellungen sind aus Abu Dhabi dennoch nicht zu erwarten. "Wir sind ziemlich durch für die nächsten Jahre und erwarten bereits etwa hundert Flugzeuge bis 2030. Aber dafür haben wir nicht eine Megaorder über hundert Jets angekündigt, wir kaufen stattdessen mal zwei Flugzeuge hier und fünf da, arbeiten mit dieser oder jener Leasinggesellschaft. Ich ziehe für Flottenzuwächse eine eher dynamische Herangehensweise vor und mag keine langfristigen Festlegungen. Ich habe mit Großbestellungen schon früher schlechte Erfahrungen gemacht, weil sich Nachfrage oder Wettbewerbssituation eben schnell ändern können", berichtet der Brasilianer.
Und die aktuelle Expansion ist kein Rückfall in alte Zeiten. "Es geht nicht um Wachstum nur des Wachstums wegen, entscheidend ist die Ansage unseres Eigentümers, der Regierung von Abu Dhabi: Es gibt kein Wachstum, wenn wir kein Geld verdienen. Aber wir verdienen gutes Geld und sind eine profitable Airline, daher wachsen wir. Sobald wir die Margen nicht erreichen, endet das Wachstum. Deshalb bauen wir Optionalität in unseren Flottenplan ein", betont der Firmenchef.
A321LR als Rückgrat der Expansion: 30 Jets bis 2028 und bewusst keine A321XLR
Etihad lässt ganz nebenbei fallen, dass die Airline nun bis 2028 statt der bisher bekannten 20 tatsächlich 30 Airbus A321LR bekommt, eine Mischung aus eigenen Bestellungen und Leasingflugzeugen. Noch 2025 und dann auch 2026 sollen jeweils zehn LR geliefert werden, in den beiden Folgejahren dann noch zweimal fünf. "Das ist nicht irgendein neues Flugzeug, das wir bekommen, sondern eins, das unser Wachstum bestimmen und das Rückgrat der Expansion sein wird mit seiner großen Reichweite", so der CEO.
Rund 570 Kilometer längere Distanzen als das Basismodell A321neo überbrückt die LR, während der Bestseller A321XLR fast 2000 Kilometer mehr als die gewöhnliche A321neo schafft. An der kommerziell für Airbus wesentlich erfolgreicheren A321XLR mit noch größerer Interkontinentalreichweite hat Etihad dagegen kein Interesse: "Wegen unserer geografischen Lage und der Hitze am Golf würde die zusätzliche Reichweite, die uns die XLR bieten könnte, kaum einen Unterschied machen. Sie könnte uns bis London bringen, aber da fliegen wir mit der A380 hin", so Neves.
Dreiklassen-A321LR als Frequenzbringer: schmaler Rumpf, Premiumprodukt und neue Märkte
Etihad sieht die A321LR gar nicht als den Standardrumpfjet, der sie ist, weil sie ihr neues Flugzeug genauso mit drei Klassen bestuhlt wie viele ihrer Großraumflugzeuge und genauso einsetzt. "Um unsere Kunden zu allen Zielen mindestens mit einem Flug täglich zu versorgen, zu anderen zweimal am Tag zu fliegen, ist es wesentlich geschickter, gerade in kleineren Märkten das mit einem Narrowbody zu machen. Das Spiel mit Frequenzen zu betreiben", betont Neves. "Zu den wichtigsten Zielen im Mittleren Osten und Indien wollen wir vier Flüge am Tag bieten. Nach Südostasien, Europa und in die USA sollen es zwei Verbindungen täglich sein, aber es gibt auch Ziele wie Bangkok, wo ich auch fünfmal täglich hinfliegen kann."
Vor allem geht es bei der A321LR auch darum, dass sie das ideale Vehikel ist, um das Streckennetz zu erweitern und neue Märkte zu erschließen. "Es gibt viele Ziele, die heute in Europa und Südostasien nicht von Großraumflugzeugen bedient werden, von niemandem. Und wir wollen diese Märkte anfliegen mit Narrowbodies. Die Sitzkosten der LR sind denen eines Widebodies sehr ähnlich, aber die Tripkosten pro Flug liegen viel niedriger. Darum kann sie Märkte bedienen, wo Großraumgerät keine Chance hätte, vor allem kann sie risikoloser neue Märkte erschließen, wo wir dann später größere Flugzeuge einsetzen", gibt der CEO Einblicke in die Strategie. "Das Gleiche passiert im Großen auch – nach Toronto sind wir anfangs mit der Boeing 777 geflogen, jetzt fliegt da die A380."
Geplante A321LR-Ziele und Starttermine bis Juni 2026
Die Bandbreite der 15 Strecken, die Etihad bis Juni 2026 mit ihren A321LR fliegen will, ist beeindruckend: Schon im Oktober soll sie nach Düsseldorf und Zürich kommen, dort erstmals auch First Class anbieten, die es auf den sonst eingesetzten Boeing 787-10 nicht gibt. Ähnlich ist es für Mailand-Malpensa, Kopenhagen und Paris-CDG, wohin die LR ebenfalls bald fliegt, genau wie nach Kalkutta. Als neues Ziel wird der Dreiklassen-Airbus ab Juni 2026 Krakau ansteuern, die nordafrikanischen Metropolen Algier und Tunis. Neustarts von Destinationen mit der LR stehen auch in Asien an: Chiang Mai, Krabi, Medan und Phnom Penh.
Hamburg als mögliche Mission – bilaterale Verkehrsrechte setzen vorerst Grenzen
"Dies kann auch das perfekte Flugzeug sein, um nach Hamburg zu fliegen", sagt der Etihad-CEO, wo er schon mal in Finkenwerder ist. "Das sind ja zwei große Städte, Abu Dhabi und Hamburg. Die LR erlaubt uns, zu experimentieren und neue Ziele erst zu schaffen, gerade wenn sie bisher gar nicht interkontinental angeflogen werden oder unterversorgt sind mit Verbindungen." Die Lokalreporter horchen auf, Etihad nach Hamburg? Gerade hat Qatar Airways ihre Frequenzen im Winter reduziert. Doch Neves rudert zurück: "Es ist zu früh, um darüber zu reden, aber das ist eine Mission, die die A321LR gut fliegen könnte. Mit dem derzeitigen Verkehrsabkommen zwischen Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten dürfen wir zu den festgelegten vier deutschen Zielen fliegen, die auch Emirates bedient. Drei davon bedienen wir bereits, nur Hamburg noch nicht, aber das hat im Moment keine Priorität."
Produkt-Konsistenz als Leitmotiv: First Class auch auf A321 und Phuket als Erstziel
Ein entscheidender Grund für die Konfiguration der A321LR-Kabine ist Produkt-Konsistenz, wichtig für eine Gesellschaft, die gern als Premium- oder "Boutique"-Airline gesehen werden möchte. "Wir wollen nicht, dass ein Passagier in der A380 von Toronto nach Abu Dhabi in First fliegt, dann aber auf seinem Anschlussflug nach Phuket keine First-Kabine vorfindet", sagt Antonoaldo Neves. Das könne jetzt nicht mehr passieren – denn Phuket war das erste Ziel des neuen Typs im August.
Etihad geht noch weiter: "Innerhalb von fünf Jahren werden wir alle A321, die wir haben, mit echten First-Class-Abteilen ausrüsten, auch die derzeit neun A321ceo", verkündet der CEO in Hamburg. Alle sollen drei Klassen bekommen, bei der Anzahl von Business- und Economy-Sitzen wird es zwei Versionen geben. Während die aktuell 15 älteren A320ceo die Flotte verlassen werden, geht es am anderen Ende des Spektrums gegenteilig zu: Wie die FLUG REVUE erfuhr, plant Etihad, noch zwei weitere ihrer ursprünglich zehn A380 zu reaktivieren, die aktive Flotte umfasst dann neun Doppelstöcker, heute sind es sieben.
A380-Comeback übertrifft Erwartungen: neun aktive Superjumbos und "The Residence"
Die A380 mit dem Kennzeichen A6-APC wird im Juni 2026 zurückerwartet, A6-APB im Januar 2027, eine A380 bleibt für Ersatzteile dauerhaft am Boden. Auch bei Etihad war das Comeback des Riesen vor kurzem noch unwahrscheinlich. "Ich war sehr skeptisch, die A380 zurückzubringen, aber sie hat mir gezeigt, dass ich falsch lag", sagt Chief Commercial Officer Arik De im Gespräch mit der FLUG REVUE. "Der Kompromiss war, vier davon wieder in Betrieb zu nehmen. Aber die A380 hat unsere Erwartungen bei weitem übertroffen, getrieben durch Etihads Fähigkeit, Premiumumsätze damit zu generieren. Die Flüge sind zu 80 Prozent voll, und wenn Flüge so gut ausgelastet sind, verdienen sie natürlich Geld", so De. Derzeit fliegt Etihad mit ihren sieben A380 London-Heathrow, New York JFK, Mumbai, Paris-CDG und Singapur an. "Es kann gut sein, dass das noch mehr als diese fünf Routen werden", deutet Arik De an.
Auch die Großraumflotte wächst mit neu bestellten A350-1000, 787 und 777X. Wieder aktiv sind auch bald neun Airbus A380 mit der Super-First-Class "The Residence", mit Doppel-Sitzabteil, Doppelbett-Schlafzimmer und eigener Dusche.
Erster Einsatz der A321LR: hoher Bordkomfort, etwas längere Flugzeit – EY3210 von Hamburg nach Abu Dhabi
Der Überführungsflug der ersten A321LR für Etihad von Finkenwerder nach Abu Dhabi trägt die Flugnummer EY3210. Es sind 78 Mitreisende an Bord bei 160 Sitzen, geladene Gäste und Mitarbeiter. Gerade 14 davon können in der Business Class reisen, ein First-Abteil ist für den CEO reserviert, das andere für Fotoaufnahmen des Produkts.
An Bord gibt es eine Kabine vor den Tragflächen für Business und First, dahinter die Economy Class. Alle Premiumplätze sind vom Sitztyp Stelia Opera und in 1+1-Konfiguration je Reihe in umgekehrter Fischgräten-Anordnung eingebaut. Das heißt v-förmig nach vorn Richtung Fenster ausgerichtet, die Rückenlehne steht schräg nach hinten zum Gang. Die beiden First-Sitze vorn haben Schiebetüren, etwas mehr Platz und noch eine kleine zweite Sitzbank vor der Trennwand. In den beiden vordersten First-Class-Suiten wird sogar Kaviar serviert. Ansonsten sind die Sitze weitgehend identisch mit denen der Business Class dahinter, auch in ihren knapp 55 cm Breite.
Was zuallererst positiv auffällt, sind die außergewöhnlich geräumigen Handgepäckfächer unter der Kabinendecke. Die sind Teil des neuesten "Airspace"-Kabinenkonzepts von Airbus. Wie hier die Trolleys nebeneinanderstehen können, ist ein echter Fortschritt. Obwohl dies ein Standardrumpfflugzeug ist, wirken die Dimensionen jeder Suite großzügig und keinesfalls enger als in einem Großraumjet. Auch die Economy Class bietet mit schnellem Internet und großen Monitoren guten Langstreckenkomfort.
Sensationell schnell ist das WLAN über eine Viasat-Verbindung. Etihad setzt zwei Flugbegleiter für die Business- und einen für First-Gäste ein, Letzterer hilft auch beim Business-Service. Die A321LR fliegt etwas langsamer als etwa die Boeing 787, die Etihad sonst meist auf Europastrecken einsetzt; die Reisegeschwindigkeit liegt mit rund 850 km/h etwa 50 km/h niedriger als beim Dreamliner. Die ungewöhnlich südliche, weitere Route führte zu einer extrem langen Flugzeit von 6 Stunden und 43 Minuten bis zum Aufsetzen in Abu Dhabi. Der Airline neue Flexibilität und geringere Betriebskosten bei weniger Risiko, die Passagiere sollen an Bord keinen Komfort-Unterschied spüren.
Etihad – Daten und Fakten
- IATA Code: EY
- ICAO Code: ETD
- Eigentümer: Regierung von Abu Dhabi über Staatsfond ADQ
- Betriebsaufnahme: 5. November 2003
- Mitarbeiter: 12 471
- Beförderte Passagiere: 2022 – 10,3 Mio., 2023 – 14 Mio., 2024 – 18,5 Mio., 2025 – 21,5 Mio. (Schätzung)
- Flotte (Juli 2025): 15 x Airbus A320, 1 x A320neo, 9 x A321, 6 x A321neo, 1 x A321LR, 7 x A350-1000, 7 x A380, 9 x Boeing 777-300ER, 36 x Boeing 787-9, 10 x Boeing 787-10
- Flugzeugbestellungen: 29 x A321LR, 13 x A350-1000, 5 x Boeing 787-9, 20 x Boeing 787-10, 8 x Boeing 777-8, 17 x Boeing 777-9
- Drehkreuz: Abu Dhabi
- Streckennetz: Bis Ende 2025 insgesamt 96 Ziele auf allen Kontinenten mit Ausnahme von Südamerika, darunter drei in Deutschland
- Gewinn: 2022: 25 Mio. US$, 2023: 143 Mio. US$, 2024: 476 Mio. US$
- Website: www.etihad.com