Am Gate 55 des Flughafens Bukarest-Otopeni ist an diesem Freitag im Spätsommer mal wieder das ganze Dilemma von TAROM zu besichtigen. Als die Fluggäste sich mittags pünktlich zum erwarteten Boarding für den Inlandsflug ins 500 Kilometer entfernte Baia Mare in Nordwestrumänien anstellen, heißt es plötzlich in unverständlichen Durchsagen, es gäbe eine Verspätung. Damit endet die Kommunikation der Airline weitgehend, auf den Abflug-Bildschirmen steht nur "delayed". Erklärungen oder Ansagen, wann mit dem Start zu rechnen sei, gibt es keine. Am Gate sitzt stundenlang eine Mitarbeiterin, die aber auch nichts weiß, außer dass es etwa 90 Minuten dauern soll. Stunde um Stunde verrinnt. Als die Verspätung auf zwei Stunden zugeht, kommt die Airline immerhin ihrer Betreuungspflicht nach und lässt Sandwiches und Wasserflaschen verteilen – Abfütterung statt Abflug. Nach einer weiteren halben Stunde kommt TAROM-CEO Costin Iordache ans Gate,selbst Passagier auf diesem Flug und somit auch ein Opfer der Verspätung. Zu den Hintergründen sagt er: "Eine unserer ATRs hatte einen Schaden an der Kühlung des Bordcomputers, wir dachten, das sei bis heute morgen repariert, aber nun dauert es länger. Da wir so wenige Flugzeuge haben, gab es kurzfristig keinen Ersatz, wir müssen jetzt warten, bis eine andere Maschine zurückkommt."

TAROMs A318 kommen langsam in die Jahre, aber die Minibusse lassen sich nur noch schwer weiterverkaufen.
Knappe Kassen
Den Umgang mit den Passagieren, die ohne Informationen warten gelassen werden, entsetzt auch ihn. "Das geht natürlich nicht und sollte anders sein. Für ein neues IT-System, das den Passagieren Pushnachrichten schickt wie bei anderen Airlines, haben wir leider bisher kein Geld", bedauert er. Später, als der Flug Baia Mare, das nur fünfmal wöchentlich bedient wird, mit fast drei Stunden Verspätung doch noch erreicht hat, erklärt Costin Iordache der FLUG REVUE in einem Interview: "Wir haben mehr Probleme als andere Firmen, weil wir kein Geld haben, um zu investieren. Wir haben auch einige finanzielle Lücken, weil wir nicht kapitalisiert sind. Aber wir wollen den Passagieren ein Angebot für Inlands- und Regionalflüge machen."

TAROM lauert auf die EU-Freigabe von Staatshilfen im Rahmen eines Restrukturierungsplans.
Regierung regiert rein
Der neue Mann an der Spitze der rumänischen Staatsairline ist nicht zu beneiden. 1920 gegründet, ist sie eine der traditionsreichsten europäischen Fluggesellschaften und war zu Ostblock- Zeiten eine der größten Osteuropas. Schon 1974 durfte sie als erste und einzige mit der Boeing 707 westliche Jets beschaffen und damit Liniendienste nach New York und Peking anbieten. Solche Glanzzeiten sind lange vorbei, heute backt TAROM ganz kleine Brötchen. "Die staatliche Fluggesellschaft liegt seit 15 Jahren im Koma", befand kürzlich ein Touristik-Fachblatt aus der Schweiz. Die Probleme haben nichts mit der Pandemie zu tun, TAROM hat seit 2008 keinen Gewinn mehr eingeflogen. Zwischen 2008 und 2020 liefen Verluste in Höhe von über 415 Millionen Euro auf.
Fliegende Wechsel in der Führungsetage
In dieser Zeit kamen und gingen Dutzende von CEOs, manche blieben nur ein paar Monate im Amt. So wie die Firmenchefin, die nach nur drei Monaten im Oktober 2019 vom Verkehrsminister entlassen wurde. Grund: Sie hatte sich geweigert, künstlich Verspätungen von Inlandsflügen herbeizuführen, um Oppositionsabgeordnete davon abzuhalten, rechtzeitig zu einer wichtigen Abstimmung im Parlament in Bukarest zu sein. Die Regierung verlor die Abstimmung, die TAROM-Chefin ihren Job. Die Episode verdeutlicht drastisch, wie die Regierung ihre Rolle beim Staatscarrier sieht, und zeigt, dass es oft nicht auf fachliche Kriterien ankommt bei der Auswahl der TAROM-Spitze. Seit 2017 hat es, wenn sich die rumänische Presse nicht verzählt hat, zwölf Chefs oder Chefinnen gegeben. Costin Iordache, ein Finanzfachmann, kommt aus der Telekommunikations- und später eCommerce-Branche und fand als Fachfremder erst 2022 den Weg zu TAROM, zunächst als CFO, also Finanzvorstand.

Mit ihrer Lackierung im klassischen Stil würdigt diese Boeing 737 das langjährige Bestehen der Traditionsairline.
TAROM bleibt erhalten
Seit Januar 2023 amtiert er als CEO, der fünfte seit 2019. Sein Monatsgehalt ist in Rumänien öffentlich bekannt, umgerechnet 7500 Euro brutto. "Die Regierung will die Marke und das Unternehmen erhalten, das hat sie entschieden", sagt Iordache. Es müsste dringend investiert werden, vor allem in die Flotte. Aber derzeit sind dem CEO die Hände gebunden, bis die EU wie erhofft noch vor Ende 2023 grünes Licht für einen Restrukturierungsplan geben soll, der bereits im Mai 2021 eingereicht wurde. Bei einer Freigabe würde der Staat 190 Millionen Euro an Kapital in die Airline investieren, den letzten Notkredit von 157 Millionen Euro gab es erst im Dezember 2019 noch vor der Pandemie. Der Wert des gesamten Pakets zur Restrukturierung wird mit 363 Millionen Euro angegeben, dazu sind weitere Kredite nötig. Kurzum: TAROM ist ein Fass ohne Boden.

"Der große Markt Rumänien braucht einen Flag Carrier" - Costin Iordache, CEO TAROM.
"Ich glaube, Rumänien als großer Markt braucht einen Flag Carrier", sagt Iordache. "Mit einer Bevölkerung von 19 Millionen sind wir weit größer als etwa Österreich. Dies ist ein großes Land und wir müssen den Menschen Konnektivität bieten. Wie man diesen Flag Carrier fortentwickelt, liegt allerdings leider nicht auf meinem Schreibtisch, sondern bei der Regierung", bedauert der TAROM-CEO. Andere Länder lassen zum Beispiel ihre Flag Carrier von Lufthansa betreiben. "Rumänien verdient einen Flag Carrier und die Marke TAROM sollte weiter bestehen. Natürlich ist ein unprofitables Unternehmen schwer verkäuflich. Wenn es sich aber stabilisiert hat, gibt es gute Entwicklungsoptionen", so Iordache. Ob allerdings Privatisierung und Verkauf geplant seien, kann oder will er nicht sagen und verweist wiederum an die Regierung. Auch wenn auf seiner Visitenkarte nicht "Interims-CEO", sondern CEO steht, weiß er natürlich genau, dass die Halbwertszeit auf diesem Posten kurz ist.
Ausgedünntes Liniennetz
Die Zeiten, wo TAROM in Deutschland selbst in die Breite ging, sind vorbei. Noch 2018 flogen die Rumänen neben Frankfurt auch Hamburg und München aus Bukarest an, von Stuttgart aus direkt nach Temeschburg (Timisoara) und Hermannstadt (Sibiu), Letzteres war auch von München angebunden. Denn hierzulande, vor allem in Baden Württemberg, Bayern und Hessen, leben viele Rumänen oder Rumänischstämmige. Im Sommer 2023 flog TAROM nur noch zehnmal wöchentlich (einmal weniger als zuvor) nach Frankfurt. "Wir konnten unsere vielen Verbindungen nach Deutschland nicht mehr wirtschaftlich aufrechterhalten im Wettbewerb mit Lufthansa, aber im Prinzip gehört dieser Markt jetzt Wizz Air. Aus ihrer Sicht hat die Lufthansa mit der Bedienung des rumänischen Marktes einen guten Job gemacht", sagt auch Costin Iordache. Frankfurt als Hub-Zubringer laufe bei TAROM im Sommer hervorragend.

Als SkyTeam-Mitglied kann TAROM auf weltweite Routennetze der Partner zurückgreifen.
"In den drei Jahren, in denen der Restrukturierungsplannach der Genehmigung umgesetzt wird, dürfen wir das Streckennetz nicht erweitern, sondern müssen beweisen, dass die bestehenden Routen wirtschaftlich sind", wiegt er Wizz und Lufthansa in Gewissheit, dass ihnen TAROM nicht so bald in die Quere kommt. Von der Pleite des rumänischen Billigkonkurrenten Blue Air 2022, der zeitweise in direkter Konkurrenz zu TAROM von Bukarest nach Hamburg flog, konnte TAROM ebenfalls nicht profitieren. Heute fliegt TAROM vor allem von Bukarest aus zu großen Drehkreuzen im Süden, Osten und Westen Europas. Am häufigsten geht es mit 19 wöchentlichen Flügen nach Istanbul und nach Paris mit 14 Diensten, von wo die Passagiere jeweils mit SkyTeam-Gesellschaften wie Air France bzw. Turkish Airlines weiterreisen.
WizzAir drängt auf den Markt – und TAROM wird lokaler
"Wir haben die wichtigen Märkte in europäischen Ländern, wo viele Rumänen leben und arbeiten, komplett an Wizz Air verloren", konstatiert Costin Iordache. "Deshalb konzentrieren wir uns darauf, für Rumänien die interkontinentale Konnektivität mit der Bedienung wichtiger europäischer Hubs sicherzustellen, in den anderen Bereichen haben wir das Spiel verloren. Die Billigflieger können wir beim Preis nicht unterbieten und innerhalb Europas sind die Leute sehr preissensibel." Daher hat sich die Rolle TAROMs radikal geändert und ihre Bedeutung ist massiv geschrumpft – vor kaum mehr als 20 Jahren flog sie mit Airbus A310 noch Peking und Bangkok an sowie New York und Chicago. "Wir wollen Bukarest verbinden mit den wichtigsten europäischen Drehkreuzen und wir bedienen weiterhin einige traditionelle Ziele im Mittleren Osten wie Amman, Beirut und Kairo, wo TAROM schon lange präsent ist. Und wir nutzen Istanbul als wichtiges Drehkreuz, Turkish Airlines ist unser einziger Partner außerhalb von SkyTeam. Mit SkyTeam gibt es die wichtigsten Zubringer- Kooperationen in Paris und Madrid, und wir bauen Madrid aus, vor allem wegen der Verbindungen nach Lateinamerika mit Air Europa", erklärt der CEO.

Die Billigkonkurrenz hat sich auch in Rumänien ausgebreitet und macht der TAROM das Leben schwer.
TAROM hat mit SkyTeam, dem man 2010 beigetreten war, immer gefremdelt. Einer der vielen Vor-Vorgänger von Costin Iordache, der Deutsche Werner Wolff, hatte der FLUG REVUE schon 2018 gesagt: "Der große Gewinner bei SkyTeam aus unserer Mitgliedschaft ist jemand anders, nicht die TAROM. Da einzutreten war die falsche Entscheidung, die wahrscheinlich Air France-KLM damals vorangetrieben haben."
Ziel: Regionen anbinden
Jetzt sucht man lieber innerhalb des Landes, das aufgrund schlecht ausgebauter Infrastruktur auf Inlandsflüge angewiesen ist. "Wir sehen uns als regionalen Anbieter für Verbindungen über unseren Hub in Bukarest. Die regionalen Flug-häfen in Rumänien mit Bukarest zu verbinden, ist für die Billigflieger uninteressant, weil sie größere Flugzeuge haben", sieht der CEO die Marktnische. TAROM ist da manchmal auch furchtloser als andere. "Während sich Wizz Air aus Chisinau in Moldawien nahe der ukrainischen Grenze zurückzieht, mit der Begründung, es sei zu gefährlich, fliegen wir bis zu viermal täglich dorthin, 19-mal die Woche", sagt Iordache. "Und 40 Prozent aller TAROM-Flüge finden im Inland statt. Keiner dieser Flüge ist subventioniert, wir müssen allein sehen, dass das wirtschaftlich ist. Mit den neuen ATR72-600 können wir die Routen optimieren", so der CEO.

Die ATR 72-600 sind junge und wirtschaftlich zu betreibende Neubeschaffungen für Zubringerstrecken.
Womit er beim Thema der überalterten Flotte ist. Schon 2018 hatte TAROM in Farnborough fünf Boeing 737 MAX 8 bei einer Leasingfirma bestellt, bis heute sind sie nicht in Bukarest, nun aber soll es bald so weit sein. Im Februar 2020 nahm TAROM in Toulouse ihr erstes werksneues Flugzeug seit langem in Empfang, die erste von jetzt vier ATR 72-600. Anfang 2022 bot TAROM 14 ihrer bis dahin 29 Flugzeuge zum Verkauf an, mit mäßigem Erfolg. Die vier nicht mehr taufrischen Airbus A318 sind immer noch da, drei von vorher vier Boeing 737-700 auch. Die sieben ATR 42-500 gingen an InterCaribbean Airways in der Karibik.
Moderne Zukunft?
"Wir hoffen, dass wir nächstes Jahr unsere ATR-Flotte erneuert haben, noch haben wir zwei alte ATR 72-200. Und wir sind dabei, eine komplett neue Boeing-737-MAX-8-Flotte zu leasen. Am Anfang vier, und wenn die Leases für die 737NGs in den nächsten zwei Jahren auslaufen, stellen wir komplett auf die MAX um. In drei bis vier Jahren wird die Flotte nur noch aus ATR72-600 und der MAX 8 bestehen", beschreibt Costin Iordache die Planung. Falls er selbst so lange im Amt bliebe, wäre das allerdings untypisch für die rumänische Gesellschaft.