Indiens größte Airline: IndiGo will nach Deutschland

Indiens größte Airline expandiert
IndiGo nimmt Kurs auf Europa - und auf Deutschland

ArtikeldatumVeröffentlicht am 22.11.2025
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Plötzlich reißt Pieter Elbers spontan beide angewinkelten Ellenbogen nach oben, eine Geste, wie sie Fußballer nach einem Torerfolg zeigen. In diesem Moment ist eine Boeing 787-9 am Gate im Amsterdam Schiphol zum Stehen gekommen, die soeben aus Mumbai gelandet war. Diese kurze Geste sagte so ziemlich alles über die Bedeutung dieses Morgens aus, zumindest für den CEO von IndiGo Airlines. "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, es wäre nicht emotional gewesen für mich, das war schon berührend", gibt Elbers später im Interview mit der FLUG REVUE zu. Seine Heimat Amsterdam ist streng genommen das zweite Ziel von IndiGo in Europa, bereits am Vortag war der vom norwegischen Billigflieger FlyNorse geleaste Dreamliner zum Premierenflug in Manchester gelandet. Aber als Niederländer in sein Land zurückzukehren, der in Indien verehrter Chef der größten Airline des Subkontinents ist, das ist für den früheren KLM-CEO Elbers noch eine ganz andere Nummer.

IndiGo CEO Pieter Elbers steigt nach dem ersten Flug nach Amsterdam aus dem Flugzeug
Indigo

Vom KLM-Vorfeld zur Spitze von IndiGo

"Ich habe meine Karriere in Schiphol 1992, also vor 33 Jahren, begonnen als Vorfeld-Supervisor bei der Gepäckverladung von KLM. Dann hatte ich diese wunderbare Karriere bei KLM. Ich habe damals genau auf dem Vorfeld für Langstreckenjets meine Karriere gestartet, wo jetzt unser IndiGo-Dreamliner steht. Ich hatte eine tolle Zeit bei KLM. Dann kam Covid, ich habe KLM verlassen und im September 2022 meinen neuen Posten in Indien angetreten", so Elbers. "Jetzt IndiGo auf diese Reise zu führen und Amsterdam zu einem Teil davon zu machen, ist etwas Besonderes für mich." Bis vor kurzem kannte kaum jemand außerhalb des Subkontinents den Namen der Gesellschaft. Im Mai 2023 hatte sie erstmals mit zwei von Turkish Airlines geleasten Boeing 777-300ER Flüge von Delhi und Mumbai nach Istanbul und damit erste Langstrecken aufgenommen. Spätestens seit der Weltrekord-Flugzeugbestellung auf der Pariser Luftfahrtmesse im Juni 2023 über 500 Flugzeuge der A320neo-Familie war der Name IndiGo weltweit bekannt und ein Synonym für den Aufstieg Indiens zu einem der größten Luftfahrtmärkte der Welt. Der CEO verkörpert diesen Aufstieg auch ganz persönlich: Er lernt Hindi, tritt in indischer Business-Kleidung auf, liebt es, sich unter sein Personal und die Passagiere zu mischen, Selfies zu machen. Der Niederländer macht keinen Hehl aus der neu entdeckten Liebe zu seiner Wahlheimat. Kein Zweifel: Pieter Elbers ist angekommen auf dem Sub- kontinent und ist dort beliebt, viele Inder verehren ihn wie eine Art Rockstar der Luftfahrtbranche. Elbers ist für sie ein Zeichen für Aufbruch und preisgünstige Flüge für alle, getreu dem Werbemotto von IndiGo, "der Nation Flügel zu verleihen".

Boeing 787-9 von IndiGo beim Start
AirTeamImages / Simon Willson

Indigo wächst am Limit

Der Low-Cost-Carrier wurde von zwei Milliardären 2006 gegründet, vom Industriellen Rahul Bhatia und dem aus der Airlinebranche kommenden amerikanisch-indischen Geschäftsmann Rakesh Gangwal. Bis heute wurden schon fast eine Dreiviertelmilliarde Passagiere transportiert. Während in Europa häufig noch immer das Vorpandemiejahr 2019 als Maßstab dient, den manche Airlines und Flughäfen hier noch nicht wieder erreichen, ist das in Indien alles längst Vergangenheit: Nach 64,7 Millionen Kunden 2019 flog IndiGo auf dem dichtesten und größten Airline-Streckennetz des Subkontinents 2024 bereits 118 Millionen Fluggäste. Die Flotte, hauptsächlich von Airbus (ergänzt durch ATR-Turboprops und geleaste Dreamliner) hat sich bis Mitte 2025 sogar verdoppelt, von 217 vor Corona bis auf 434 bei Redaktionsschluss. Alles ändert sich ständig, auch die Zahl der noch nicht gelieferten Festbestellungen, rund 880 sollen es sein. "Es könnten auch noch 890 sein, es ist in der Tat nicht einfach, stets die aktuellsten Zahlen parat zu haben", gibt der Firmenchef zu. "Denn wir bekommen ein neues Flugzeug pro Woche – und das noch aus Bestellungen, die aufgegeben wurden, bevor ich überhaupt mein Amt antrat. Letztes Jahr allein kamen 58. Als ich anfing, hatten wir noch gut 500 ausstehende Lieferungen und haben im Juni 2023 dann 500 weitere Airbus-Jets bestellt", so Elbers. Im Sommer 2024 hatte IndiGo erstmals 30 Exemplare der A350 geordert. Bis die ab 2027 kommen, setzt die Gesellschaft für ihre internationale Expansion erst mal sechs Boeing 787 von FlyNorse im Wet-Leasing ein, die Hälfte der Flotte der Skandinavier. Die haben dafür andere Strecken, etwa nach Berlin eingestellt. "Das ist ja ein großer Teil unserer Flotte, die wir verleasen, daher war es uns wichtig, einen verlässlichen Partner wie IndiGo zu haben, eine Vereinbarung, die beiden Seiten nützt", sagt FlyNorse-CEO Björn Tore Larsen in Amsterdam gegenüber der FLUG REVUE.

Und IndiGo steht nie still: "Seit der A350-Order sind wir schon wieder bestätigt worden, wie richtig das war, wenn wir uns allein das Wachstum der indischen Wirtschaftsleistung anschauen. Daher haben wir die Bestellung noch einmal auf 60 verdoppelt", ergänzt Pieter Elbers. "Indien ist als neuerdings bevölkerungsreichstes Land der Welt mit 1,42 Milliarden Einwohnern bei Flugzeugen massiv unterversorgt, derzeit gibt es nur etwa 900 Jets auf dem Subkontinent. In China mit vergleichbarer Bevölkerungszahl sind es über 4000", erklärt Elbers. IndiGos Vorherrschaft im Inlandsmarkt wächst unaufhaltsam bis auf 64 Prozent Marktanteil im April 2025, zwei Jahre zuvor waren es noch 57 Prozent. Allein im Januar 2025 verzeichnete IndiGo 9,5 Millionen Inlandspassagiere, ein satter Zuwachs von 20 Prozent innerhalb eines Jahres.

Airbus A321neo von Indigo am Airport Mumbai
AirTeamImages / Mehrad Watson

Marktdominanz und dichtes Streckennetz

IndiGo hat das mit Abstand dichteste Streckennetz in Indien: "In einem Land, das 3200 km von Nord nach Süd und 3000 km von Ost nach West misst, bedienen wir 91 Städte, haben zwölf Basen und bedeutende Operationen in allen sechs größten Ballungsräumen", erklärt Elbers. Allein von Delhi aus werden rund 70 Ziele angeflogen, auf der wichtigsten Route von dort nach Mumbai verkehren je Richtung bis zu 17 Flüge täglich, nach Hyderabad geht es 13-mal. Nach Passagieren war der indische Marktführer 2024 die zweitgrößte asiatische Gesellschaft hinter China Southern, weltweit nach Anzahl täglicher Starts (rund 2300) auf Rang sieben.

"Das spektakuläre Wachstum und die ambitionierten Bestellungen durch Indigo haben dabei geholfen, Indien von Platz 13 der wichtigsten Luftverkehrsmärkte der Welt bereits auf Platz drei zu bringen", sagt Mike Malik von der Luftfahrt-Datenanalysefirma Cirium. "Der indische Luftfahrtmarkt ist noch stark unterversorgt, darin liegen enor- me Wachstumsmöglichkeiten für die Zukunft", prognostiziert Pieter Elbers. Vor allem hat Indien immer noch ein riesiges unerschlossenes Potenzial an Flugpassagieren, nur vier Prozent der Bevölkerung sind bisher überhaupt geflogen. Das lag an zu hohen Flugpreisen und, gerade in ländlichen Gebieten, fehlenden Flughäfen und Verbindungen. Es gibt 50 Millionen Inder, die zur neuen Mittelklasse zählen und die in der Lage wären, sich einen Flug zu leisten, aber nur 20 bis 25 Millionen tun das bisher. "Wir expandieren schnell, weil wir massive Gelegenheiten sehen östlich, westlich und nördlich von Indien, die Internationalisierung ist ein großer Teil der Strategie", so der CEO. IndiGo bedient derzeit 44 internationale Ziele von Kopenhagen bis Kenia und Kasachstan. Erster Fokus der internationalen Expansion aus verschiedenen Basen war der Mittlere Osten, heute fliegt IndiGo aus 13 Städten nach Dubai. Dann folgte der nächste Schritt nach Südostasien – Singapur wird derzeit ab neun indischen Städten angeflogen. "Wir sind im Herzen indisch, aber interna- tional in unseren Ambitionen", fasst es Pieter Elbers zusammen.

IndiGo bestellt auf der Pariser Luftfahrtmesse 500 Airbus
IndiGo

Luftfahrtmarkt mit Potenzial

Indien hat bereits die größte Bevölkerung der Welt und die viertgrößte Wirtschaft. Noch trennt Deutschland im Ranking der Volkswirtschaften Indien von China und den USA, erst im Sommer 2025 überholte Indien jetzt Japan. "Und es wird Deutschland 2027 oder 2028 überholen, und das ist bei der Bevölkerungsstärke nicht überraschend", so Elbers. Als IndiGo gegründet wurde, richtete sie sich mit günstigen Angeboten vor allem an Abermillionen Leute, die zum ersten Mal flogen. "Der nächste Entwicklungsschritt für Indien ist, dass die Leute ins Ausland reisen. Heute haben nur neun Prozent aller Inder überhaupt einen Reisepass. Wenn sich das weiterentwickelt, wird die Internationalisierung noch viel weiter gehen als im Mittleren Osten oder in Südostasien", sagt Elbers voraus. "Zwischen Europa und Indien liegt der Marktanteil indischer Airlines bei unter 25 Prozent. Die Gelegenheit für uns, Teile dieses Marktes zu gewinnen, ihn zu stimulieren und zu vergrößern, ist enorm. Das hat uns bewogen, so viele A350 zu bestellen und jetzt schon Flüge nach Europa zu starten. Indien ist im Aufbruch, genau wie IndiGo."

Boeing 777-300ER von IndiGo am Flughafen in Mumbai
AirTeamImages / Anshul Kadam

Hybrid-Ansatz mit Premium-Elementen auf der Langstrecke

Bisher hatte sich IndiGo als Hybrid-Airline positioniert, auf ihren Langstrecken bietet sie vorne in den 787-9 die Premium-Economy-Sitze von FlyNorse. "Unser Angebot auf Inlandsflügen kommt dem einer Vollservice-Gesellschaft gleich, auch wenn wir dort Verpflegung verkaufen. Unser Premiumprodukt ‚Stretch‘ mit 2+2-Sitzen je Reihe ist vermutlich besser als viele Euro-Business-Class-Kabinen. Auf Langstrecken sind Catering und indische Premium-Spirituosen Teil des Ticketpreises", erklärt Elbers. "Eine unserer größten Stärken ist, dass wir die niedrigsten Kosten haben. Das müssen wir auch, um konkurrenzfähig gegenüber Wettbewerbern aus Indien, dem Mittleren Osten und Europa auftreten zu können." Bleibt die Frage, was IndiGo in ihrem Langstreckenflaggschiff A350 künftig bieten wird. "Beim Produkt kann es in fünf Jahren durchaus sein, dass wir ganz andere Dinge machen. Allerdings nicht im Inland oder der Region, aber etwa auf Flügen nach Europa. Da wird es eine Differenzierung geben", verspricht der niederländische CEO. Und geht davon aus, dass er selbst dann weiter am Ruder steht. "Mein Vertrag gilt unbegrenzt. Für mich ist das kein Job für ein paar Jahre und dann gehe ich wieder."

Airbus A321neo von IndiGo am Flugplatz Hamburg-Finkenwerder
AirTeamImages / Mathias Dueber

A321XLR eröffnet neue Optionen

Daher ist es wahrscheinlich, dass Pieter Elbers in nächster Zeit auch irgendwann mit Crewmitgliedern indische Fähnchen schwenkend auf einem deutschen Flughafen beim Erstflug die Gangway hinabschreitet. Denn IndiGo ist mit 69 Orders größter Kunde für die A321XLR, von denen die ersten noch 2025 erwartet werden. "Wir können mit der XLR nach Westen, nach Europa und Afrika fliegen. Nach Norden, nach Zentralasien, Korea, Japan. Oder nach Osten, nach Südostasien und Australien. Wir haben eine große Auswahl", freut sich Pieter Elbers über die aus Indien vielfältigen Optionen. "Vermutlich werden wir mit der XLR Denpasar auf Bali auch aus Delhi anfliegen, bisher geht das nur aus Bangalore. Genauso wie wir Nairobi bisher nur aus Mumbai bedienen können, andere indische Hubs sind zu weit. Mit der XLR könnten wir auch aus Delhi oder Ahmedabad fliegen", sinniert er. Seit Oktober fliegen die Norse- 787 für IndiGo bereits auch von Mum-bai nach Kopenhagen und London- Heathrow. "Ab Januar 2026 werden wir Flüge nach Athen als unsere erste A321XLR-Route anbieten", so Elbers, der dafür ein Codesharing-Abkommen mit dem griechischen Star-Alliance-Mitglied Aegean Airlines geschlossen hat.

Deutsche Ziele im Gespräch

Und Deutschland? "Das ist die größte Wirtschaft Europas und ein immer wichtigerer Handelspartner für Indien mit Firmenvertretungen und Tourismus-potenzial in beiden Richtungen. Natürlich schauen wir auch nach Deutschland", verrät der CEO. "Mit der XLR kann man auch Flughäfen abseits der Hubs anfliegen – und davon gibt es einige interessante in Deutschland und in Osteuropa." Der IndiGo-Chef bestätigt Gespräche mit dem Flughafen Berlin, bisher ohne Ergebnis. Die Frage scheint nicht, ob IndiGo bald hierzulande aufsetzt, sondern nur wann und wo.

Airbus A320neo von IndiGo bei der Landung
IndiGo

IndiGo-Telegramm

IATA-Code: 6E, ICAO-Code: IGO

Rufzeichen: IFLY, Gründung: 2005 als InterGlobe Aviation Limited, kurz IndiGo. Haupt-Drehkreuz: Delhi

Umsatz: ca. zehn Mrd. Dollar

Gewinn: ca. 860 Mio. Dollar

Flugbetrieb: tägliche Abflüge: 2300, 130 Ziele, sehr kurze Umkehrzeiten von oft nur 20 Minuten für hohe Flugzeugauslastung pro Tag, oft zwölf Stunden. Die 41 000 Mitarbeiter übernehmen oft mehrere Rollen, etwa Check-in und Gepäckverladung.

Flotte: ATR: 47, Airbus A320: 195, A321: 159, Boeing 777-300ER: 2, 787: 6 (geleast)

Bestellungen: A320neo: 237, A321neo: 563, A321XLR: 69, A350-900: 60