Nacht-Express
Luftfracht-Drehkreuz Leipzig/Halle

Der Flughafen Leipzig/Halle hat sich erfolgreich im anspruchsvollen Luftfrachtgeschäft etabliert. Jede Nacht kämpfen tausende Mitarbeiter gegen die Uhr, wenn weltweit reisende Expresssendungen unter hohem Zeitdruck ausgeladen, umsortiert und fehlerfrei auf die Anschlussflüge verteilt werden müssen.

Luftfracht-Drehkreuz Leipzig/Halle

Maximal sieben Minuten braucht eine Expressfrachtsendung in Leipzig/Halle vom Scanner am Eingang des 413 Meter langen und 300 Millionen Euro teuren DHL-„Warehouse“ bis zum Ausgangsschalter, wo sie in den Luftfrachtcontainer für ihren Zielort verladen werden kann. In dieser Zeit reist die Fracht auf langen Förderbändern zunächst unter die Decke der 48 000 Quadratmeter großen Halle und wird dann in ein 6,5 Kilometer langes Gewirr von Transportbändern in mehreren Etagen eingespeist. 60 000 Pakete und 36 000 Dokumente pro Stunde schafft die Anlage. Immer wieder lenken computergesteuerte Weichen das Ladegut auf „Nebengleise“ und bringen es mit einer gleichmäßigen Geschwindigkeit von 9 km/h zu seinem Abfluggate. In diesem gigantischen Ameisenhaufen werden die Sendungen, anders als manches Passagiergepäck, auffallend schonend behandelt. Nichts plumpst, fällt oder kullert. Eine Mischung aus Schwerkraft und perfekt platzierten Leitblechen lenkt jede Sendung sanft an ihr Ziel. Im westlichen Teil der Halle befinden sich die  Schalter der europäischen  Zielorte von Amsterdam bis Warschau, im östlichen die globalen Ziele von Cincinnati bis Hongkong. Rund 60 Frachtflugzeuge, von der zweimotorigen Antonow An-32 über Boeing 757SF,  767F, Airbus A300-600 bis zur Boeing 777F und 747SF, treffen hier an jedem Werktag beziehungsweise in jeder „Werknacht“ ein. Nur rund zwei Stunden ist das Ladegut am Boden und wird zwischen 260 Be- und Entladeplätzen sortiert – 1900 Tonnen pro Nacht. Danach geht es bereits per Anschlussflug weiter. Expressfracht ist ein reines Nachtgeschäft, denn erst am Ende eines Werktags versenden die Kunden ihre Fracht, und möglichst schon am nächsten Morgen soll die Sendung am Ziel sein. Nur dafür bezahlt der Kunde gut. 

Dank seiner zentralen Lage mit mehreren Autobahnanschlüssen, viel Platz, einer optimal ausgebauten Infrastruktur und einer 24-Stunden-Betriebsgenehmigung für Fracht mischt Leipzig in diesem anspruchsvollen Geschäft erfolgreich mit und ist bereits zu Deutschlands zweitgrößtem Frachtflughafen herangewachsen. Etwa zwei Drittel der Sendungen sind gewerblich, darunter dringende Ersatzteile, Materialproben, Maschinenteile und Computerplatinen. Keineswegs werden hier nur leichte Dokumente in Polsterumschlägen oder etwa  DVDs versandt. Die erste Frage beim Ausladen am „LEJ Hub“, so das interne Kürzel des Luftfrachtzentrums, lautet deshalb „conveyable“ oder „non-conveyable“, förderbandtauglich oder nicht? Nur die leichttesten Umschläge reisen über die Bänder eines 2,5 Kilometer langen „Dokumentensorters“. Reguläre Päckchen und Pakete werden über die normale Maschinerie per Band im Standardverfahren abgefertigt. Was aber zu groß und zu schwer ist, etwa ein komplettes Oldtimerfahrzeug oder eine schwere Maschine, bleibt gleich auf der Vorfeldebene und wird mit den passenden Spezialfahrzeugen bewegt. Auch Gefahrgut wird getrennt von der übrigen Fracht umgeschlagen. Ein sogenannter „Bunker“ mit dicken Betonwänden und einer besonders aufwändigen  Überwachungs- und Brandschutzanlage dient als geschützter Lagerraum. Hier landen auch eilige radioaktive Sendungen, etwa Medikamente für Bestrahlungen mit geringer Halbwertzeit. Sie müssen unverzüglich zu den Arztpraxen ihrer Zielorte und zu den Patienten gelangen, bevor die kurzzeitige Wirkung nachlässt.

Ein ganzes Heer von fleißigen Arbeitern füttert und entlädt die riesige Förderbandanlage. Alle Luftfrachtcontainer werden per Menschenhand beladen. Nur durch gekonntes Stapeln kann man den kostbaren Raum optimal ausnutzen, eine körperlich schwere Arbeit. Ständiges Scannen der Sendungen, sogar mit Fingerscannern an den Händen der Verlader, gibt dem Computer Auskunft über den Fortgang der Sortierarbeiten. Er achtet auch auf die zulässige Frachtmasse pro Flugzeug und auf die richtige Ladereihenfolge und Schwerpunktverteilung an Bord, die am Ende noch einmal von Lademeistern geprüft und freigegeben wird. Bis zur letzten Minute füllen sich die Ausgabeschächte. Eine Countdown-Uhr zeigt die verbleibende Zeit bis zum Abflug. 

3800 Arbeiter und Angestellte sind hier jede Nacht im Einsatz. Nur am Sonnabend ist es etwas ruhiger, weil am Sonntagmorgen nur wenige Sendungen zugestellt werden. Gerade werden in Leipzig 400 zusätzliche Stellen besetzt. Das Spektrum der angebotenen Ausbildungen reicht von Luftverkehrskaufleuten, Fachlageristen, Kaufleuten für Spedition und Logistikdienstleistung, Fachinformatikern, Mechatronikern, Kaufleuten für Bürokommunikation bis zu Lagerlogistikern. 133 Auszubildende erlernen hier derzeit ihren Beruf. Auch Flugzeugmechaniker und natürlich Piloten sind in Leipzig/Halle beschäftigt. Alleine bei der Leizpiger Frachtfluggesellschaft Aerologic sind 200 Piloten und 80 Personen für Bodendienste angestellt. Für Leipzig/Halle lohnt sich das Frachtengagement auch finanziell. Alleine für  den Aufbau des Luftfracht-Drehkreuzes ab 2004 investierte DHL 360 Millionen Euro. Schon im Mai 2008 folgte das nächste Investitionspaket in Höhe von 150 Millionen Euro. Erst Ende November wurde die jüngste Ausbaustufe des Expressfrachtzentrums in Betrieb genommen, mit der die Kapazität um 50 Prozent auf dann 150 000 Sendungen pro Stunde zulegt. Dafür wird die Sortierhalle jetzt schrittweise auf die doppelte Fläche erweitert. Alleine das zugehörige Frachtvorfeld ist 1600 Meter lang und 400 Meter tief. Eine Tankstation mit drei Tanks à 3800 Kubikmetern Volumen versorgt die Jets jederzeit für ihre nächsten Einsätze.

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