Als er vom Absturz des Flugs ET302 erfuhr, war er wütend – dann wurde ihm schlecht. Lange vor jenem schicksalshaften 10. März 2019 hat der damalige Ethiopian Airlines-Käpitan Bernd Kai von Hösslin offenbar das Airline-Management vor den potenziellen Gefahren der 737 MAX gewarnt. Das zumindest schreibt die Nachrichtenagentur Bloomberg. Seit dem Absturz der Lion Air 737 MAX im Oktober 2018 habe er Pilotenkollegen und Manager gebeten, die potenziellen Risiken des automatischen Fluglagekorrektors MCAS genauer zu erforschen, das Pilotentraining für den Umgang damit zu intensivieren und die Piloten umfassend über dessen Funktion zu informieren, sagte von Hösslin in einem Interview mit „Bloomberg“.
Warnung vor MCAS-Fehler
Das MCAS steht im Verdacht, für den Absturz sowohl der Lion Air-Boeing 737 MAX als auch der Ethiopian Boeing 737 MAX verantwortlich zu sein. In Emails warnte von Hösslin das Management Monate vor dem zweiten Absturz davor, dass Crews von den zahlreichen Cockpit-Alarmsignalen überfordert sein würden, die bei einer Fehlfunktion des MCAS anschlagen. „Es wird sicher zum Absturz führen“, wenn Piloten mit einer solchen Fehlfunktion kämpfen müssten und zum Beispiel gleichzeitig die Warnung erhielten, dass sie zu tief fliegen, schrieb von Hösslin am 13. Dezember.
Anschuldigungen „falsch und sachlich unrichtig“
Der Kanadier mit deutschen Wurzeln ist bei Ethiopian Airlines in Ungnade gefallen, weil er seine frühen Zweifel und die wiederholten Bitten um ein intensiveres Pilotentraining für die 737 MAX nach dem Absturz von ET302 öffentlich gemacht hat. Inzwischen hat die Nachrichtenagentur „Bloomberg“ hunderte Seiten seiner Emails, Videoaufnahmen und andere Dokumente ausgewertet, die laut von Hösslin seine Warnungen an das Airline-Management belegen. Ethiopian Airlines bestreitet die Echtheit der Emails nicht, von Hösslins Anschuldigungen bezeichnet die Airline-Kommunikation jedoch als „falsch und sachlich unrichtig“.
Die Airline hat ihre Piloten benachrichtigt, nachdem Boeing einen Sicherheitshinweis zu der Fehlfunktion des Fluglagekorrektors MCAS herausgegeben hat. Das war nach dem Absturz des Lion Air-Fluges JT610 im Oktober 2018, bei dem 189 Menschen ums Leben gekommen sind. Nach dem Absturz des Fluges ET302 hat das Ethiopian Airlines-Management mehrfach betont, dass die Airline alle internationalen Sicherheitsstandards einhalte und weltweit eine der ersten Airlines gewesen sei, die einen 737 MAX Simulator gekauft habe.
Von Hösslin sieht sich als „Whistleblower“
Der 57-jährige von Hösslin hat sich in Altersteilzeit zurückgezogen und ist nach Kanada zurückgekehrt. Er glaubt nicht, dass er noch einen Job bei einer anderen Airline bekommt nachdem er zum – wie er sich selbst nennt – Whistleblower im Zusammenhang mit einem der aufsehenerregendsten Unfälle der jüngeren Luftfahrtgeschichte geworden ist. Er befürchtet, dass er in einen Rechtsstreit verwickelt wird. „Ich muss das nicht wirklich fortsetzen um zu versuchen, die Luftfahrt zu perfektionieren“, sagte er gegenüber „Bloomberg“. „Das belastet mich seelisch und körperlich.“
Die Untersuchungen zum Absturz des Fluges ET302 laufen noch – es ist daher nicht möglich, einzuschätzen, ob eine intensiveres Training nach dem ersten Absturz einer Boeing 737 MAX im Oktober einen Unterschied gemacht hätte und die Sicherheits- und Wartungsmängel, die von Hösslin beobachtet haben will, zu dem Unfall beigetragen haben.
Ethiopian: „Ein verbitterter Ex-Mitarbeiter“
Von Hösslin hat für über ein Dutzend Airlines weltweit gearbeitet, meistens als 737-Pilot. Eine südamerikanische Airline hat er eigenen Angaben zufolge verlassen, nachdem er sie wegen Sicherheitsmängeln auf einem Flug nach Miami bei der US-amerikanischen Flugsicherheitsbehörde FAA angezeigt hatte. Ethiopian Airlines sieht den ehenaligen Angestellten dagegen in einem etwas anderen Licht: Von Hösslin sei „ein verbitterter ehemaliger Mitarbeiter, der alle möglichen Anschuldigungen gegen seine ehemalige Arbeitgeberin hervorbringt, um die Öffentlichkeit in die Irre zu führen“, schreibt Ethiopian Airlines-Sprecher Asrat Begashaw „Bloomberg“. Doch: „In Bezug auf seine angebliche Forderung nach einer zusätzlichen Ausbildung von Piloten vor dem jüngsten Unfall möchte ich Ihnen mitteilen, dass Ethiopian Airlines sich nicht zu einer Angelegenheit äußern wird, die derzeit untersucht wird.“