Als sich das Logistikthema gut etabliert hatte, haben wir uns gefragt: Wie können wir auch bei der Passage den Anschluss schaffen?“ erinnert sich Leipzigs Flughafendirektor Dierk Näther im Gespräch mit der FLUG REVUE , während über das Leipziger Vorfeld der Orkan „Xaver“ fegt. Erst am Vortag hatte Näther seine neueste Route eingeweiht, einen zweimal wöchentlich mit einem Airbus A319 stattfindenden Germania-Flug von Leipzig/Halle nach Moskau-Domodedowo.
Eine neue Route hat auch SunExpress mit Alanya in der Türkei aufgenommen. Condor nimmt im Winter neu die Ziele Lanzarote, Madeira und Agadir auf und hat neben einem Airbus A320 auch noch eine Boeing 757-300 in Leipzig stationiert. Auch airberlin und SunExpress haben je ein Flugzeug in Leipzig beheimatet. Gerade die Flüge in die Feriengebiete sind im bevölkerungsreichen Sachsen das Kerngeschäft im Passagierflugverkehr. Sie machen rund zwei Drittel des Jahresaufkommens von 2,3 Millionen Passagieren aus. In den Ferienzeiten herrscht daher Hochbetrieb. Sieben Millionen Menschen wohnen im 90-Anreiseminuten-Umfeld um den Flughafen.
Dank systematischer Kontakte auch zu zahlreichen kleineren Veranstaltern schafft es Leipzig, Flugzeuge auch zu exotischen Ferienzielen zu füllen. Der neue Star im Leipziger Passagiergeschäft ist Turkish Airlines, die seit Ende Mai 2012 täglich vom Bosporus an die Pleiße fliegt. „Das ist wie ein Sechser im Lotto“, freut sich Flughafen-Vertriebschef Klaus Marx über den Ansiedlungserfolg. Die bereits gute Auslastung der türkischen Airline lasse auf noch mehr Flüge hoffen. Der Hesse ist als traditioneller „Airliner“ die neue „Geheimwaffe“ des Flughafens bei der Akquise neuer Passagierairlines. Er nutzt ein dichtes Kontaktnetzwerk und betrachtet Leipzig mit den Augen einer Fluggesellschaft.
Bei den Istanbul-Flügen von Turkish Airlines kommt dem Flughafen Leipzig/Halle auch seine verkehrsgünstige Lage direkt an den Autobahnen A9 und A14 zugute. Für Berliner ist das nur rund 150 Kilometer entfernte sächsische Drehkreuz bequem per Auto in unter zwei Stunden zu erreichen. Auch ein S-Bahnhof, Fahrzeit nach Leipzig-Hauptbahnhof 15 Minuten, liegt direkt am Terminal. Kein Wunder, dass schon 35 Prozent der Turkish-Passagiere in Leipzig aus Berlin anreisen. Bekanntlich lohnt sich, gerade zum Schulferienbeginn, das Ausweichen in ein anderes Bundesland preislich. Aber auch direkt in Sachsen leben mittlerweile zahlreiche Türken und Deutsche türkischer Herkunft. Alleine in der Stadt Leipzig seien es 2500 Menschen, heißt es seitens des Flughafens. Dabei kannibalisiere man den Berliner Markt ausdrücklich nicht. Vielmehr wachse Turkish parallel auch dort weiter.
Leipzigs Anbindung an die britische Hauptstadt London stellt dagegen seit zwei Jahren Ryanair her. Die Iren, einst steuerten sie das thüringische Altenburg vor den Toren Leipzigs an, starten viermal wöchentlich nach Stansted. Ihre Passagierzahlen sind von 18 000 im Jahr 2011 auf aktuell 180 000 im Jahr geklettert. Vier Ryanair-Ziele im Süden – Faro, Malaga, Trapani und Pisa – werden dagegen im Winter nicht bedient. Um Abfertigungsgebühren zu sparen, gehen die Passagiere, typisch für Ryanair, in Leipzig kurz über das Vorfeld zum Flugzeug. Die an der Parkposition vorhandenen Fluggastbrücken bleiben ungenutzt.
„Wir haben es einvernehmlich hinbekommen, den Low-Cost-Verkehr ohne Verluste bei den Bestandskunden aufzubauen“, sagt Flughafendirektor Näther stolz. Zwar gewähre auch Leipzig die branchenüblichen Anlaufhilfen für neue Strecken, deutet der studierte Verkehrsingenieur an, aber dafür müsse sich Ryanair auch bei ihrer Zielauswahl mit dem Flughafen abstimmen. In Richtung Spanien scheint dies bereits geklappt zu haben. Ab Sommer 2014 bedient die spanische IAG-Niedrigpreistochter Vueling als Neueinsteiger in Sachsen dreimal wöchentlich eine neue Route von Barcelona-El Prat nach Leipzig.
Noch weiter ging der Flughafen Leipzig/Halle beim Thema Regionalflug. Hier startete man erst im September 2013 mit Darwin Airline aus der Schweiz und deren Saab-2000-Turboprops ein Joint Venture, um strategische Destinationen wie die Drehkreuzflughäfen Amsterdam und Paris (CDG) direkt an Leipzig anzubinden. Nicht nur das auch von französischen Investoren beackerte „Chemiedreieck“ in der sächsischen Industrieregion verlangt nach guten Anbindungen an Paris, sondern auch sächsische Passagiere, die westwärts auf Langstrecken umsteigen wollen. Zu den großen Industrie- und Handelsunternehmen im Flughafenumland gehören zum Beispiel BMW, Porsche, Dow Chemical, Amazon und Future Electronics.
„Mit Darwin Airline haben wir einen Partner gewinnen können, der dank seiner strategischen Ausrichtung und Flottenstruktur über die spezifischen Voraussetzungen verfügt, ab Mitteldeutschland hochfrequente Linienverkehre zu europäischen Metropolen anzubieten. Diese Kooperation eröffnet beiden Unternehmen die Chance, nachhaltig wachsen zu können“, sagte Markus Kopp, Vorstand des Flughafeneigentümers Mitteldeutsche Airport Holding, bei der Bekanntgabe des Gemeinschaftsprojekts.
Leipzig/Halle hatte zuvor mit rund 40 Regionalfluggesellschaften verhandelt. „Die Anbindung ist wesentlich, in alle Himmelsrichtungen“, sagt Näther über Darwin Airline, die bald auch noch Flüge nach Zürich anbieten werde. „Es war der richtige Griff“, meint der Flughafenchef auch mit Blick auf den mittlerweile angekündigten 33-Prozent-Einstieg von Etihad Airways bei Darwin Airline, die deshalb ihren Namen in „Etihad Regional“ ändert. Allerdings gab die Fluglinie Anfang 2015 die Verbindungen nach Leipzig aufgrund der Umstellung ihres Geschäftsmodells wieder auf. Die Deutsche Lufthansa bedient dagegen ab Leipzig Frankfurt, Düsseldorf und München. Nach Stuttgart und Köln verkehrt dagegen Germanwings für den Konzern. Außerdem bedient Austrian Airlines das Drehkreuz Wien.
Das Hauptstandbein des Flughafens Leipzig/Halle bleibt aber weiterhin die Fracht. Der gesamte Airport ist auf deren Bedürfnisse ausgerichtet. So führen die Schnellabrollwege von der Südbahn direkt auf die riesigen Frachtvorfelder. Und von dort direkt zur Nordbahn führt ein doppelter Rollweg, so dass auch bei Schneeräumungen oder anderen Unterbrechungen der zeitkritische Frachtbetrieb immer völlig ungestört laufen kann. Dank einer 24-Stunden-Betriebserlaubnis für Frachtflüge (nicht aber für Passagierflüge) und der zentralen Lage im mitteldeutschen Industrieraum stieg Leipzig seit der Deutschen Einheit zum zweitgrößten Luftfrachtflughafen Deutschlands auf. Im Jahr 2012 wurden hier 864 000 Tonnen Luftfracht abgefertigt.
Ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht. Im Dezember 2013 kündigte die Deutsche Post DHL eine Erweiterung der Leipziger Frachtkapazität um rund 50 Prozent an. Rund 150 Millionen Euro wird DHL in Büros, eine neue Frachthalle und die entsprechende Sortiertechnik investieren. Die Zahl der Flugbewegungen werde dagegen nicht wachsen: da immer mehr neu umgebaute A300-600-Frachter zum Einsatz kommen, die gegenüber den bisher eingesetzten Boeing 757-200 mehr Kapazität haben und leiser sind. Noch mehr Kapazität bietet die - ebenfalls leise - Boeing 777F. Acht dieser Zweistrahler sind in Leipzig zu Hause. Sie gehören AeroLogic, einem in Leipzig ansässigen Gemeinschaftsunternehmen von Lufthansa Cargo und DHL Express.
Noch größer wird das Gerät bei einem weiteren Homecarrier aus Leipzig, dem Luftfrachtkonsortium Ruslan SALIS GmbH: Das von der NATO initiierte und mit Personal in Leipzig beheimatete Projekt „Strategic Airlift Interim Solution“ bedient sich sechs russisch-ukrainischer Schwerlasttransporter vom Typ Antonow An-124-100, um dringende Militärfracht weltweit für die NATO zu transportieren. Gerade erst hat SALIS eine deutsche „Feldhaubitze 2000“ aus Afghanistan zurückgebracht, ein Ladegut, bei dessen Maßen und Massen andere Flugzeuge schnell an ihre Grenzen stießen. In einem eigenen Leipziger Hangar kann Volga-Dnepr-Technics sogar Flugzeuge in An-124- oder A380-Größe warten.
Um den, größtenteils nächtlichen, Frachtverkehr möglichst lärmschonend für die Anwohner abzuwickeln, hat Leipzig beim Neubau seiner beiden Pisten 2000 und 2007 aufwändig die Startbahnachsen geschwenkt. Dadurch werden die Innenstädte weder von Leipzig noch von Halle überflogen. Früher übliche Abkürzungen bei Landungen im Sichtflug, mit Kurven über dicht besiedelten Gebieten, werden aus Lärmschutzgründen für landende Frachter grundsätzlich nicht mehr erlaubt. Stattdessen müssen sich die Jets schon kilometerweit vor der Landung auf dem endgültigen Anflugkurs einfädeln. Zehn stationäre und vier mobile Fluglärm-Messstationen überwachen die Geräuschentwicklung am Flughafen Leipzig/Halle.
FLUG REVUE Ausgabe 02/2014




