Das "Next Generation Rotorcraft" (NGRC) der NATO könnte von Airbus Helicopters kommen. Oder von Sikorsky. Oder von Leonardo. Das jedenfalls sind die drei Unternehmen, die von der Beschaffungsagentur des Bündnisses, der NATO Support and Procurement Agency (NSPA), federführend damit beauftragt wurden, entsprechende Studien für einen mittelgroßen Mehrzweckhubschrauber der nächsten Generation auszuarbeiten. Die "Konzeptstudie Nummer 5" ist auf eine Dauer von 13 Monaten festgelegt.

Die NATO blickt in die Zukunft - und sucht einen Nachfolger-Hubschrauber für NH90 (Foto), Black Hawk und Co.
Der zukünftige NATO-Helikopter
Das Next-Generation-Rotorcraft-Capability-Programm wurde Mitte 2022 von den sechs NATO-Mitgliedern Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien und den Niederlanden lanciert, mit dem Ziel, bis spätestens zum Jahr 2040 einen neuen, mittleren Militärhubschrauber in Dienst zu stellen. Das zukünftige Muster soll die gegenwärtig gängigen Typen wie UH-60 Black Hawk, Cougar, Leonardo AW101 und NH90 ersetzen.
Die Anforderungen an die beauftragten Konzeptstudien sind weitreichend. Im Lastenheft der NATO steht unter anderem die Fähigkeit, optional auch unbemannt und ferngesteuert zu operieren. Weitere Voraussetzungen sind außerdem eine offene Systemarchitektur mit KI-Unterstützung, ein Stückpreis von maximal 35 Millionen Euro, Flugstundenkosten von optimalerweise 5.000 und maximal 10.000 Euro, über vier Tonnen Nutzlast (davon 2,5 Tonnen intern), mindestens 1.650 Kilometer Reichweite und eine Reisegeschwindigkeit von mindestens 180 Knoten, besser jedoch 220 Knoten oder mehr. Auch die Interaktion mit Drohnen wird gefordert, sowie ein möglichst breites Einsatzspektrum.
Airbus-Konzept auf RACER-Basis
Die drei genannten Unternehmen gehen dabei mit teils sehr unterschiedlichen Grundkonzepten ins Rennen. Airbus arbeitet mit MBDA sowie den RTX-Töchtern Collins Aerospace und Raytheon zusammen und dürfte wohl einen für militärische Zwecke optimierten Abkömmling des Highspeed-Helikopters RACER in den Fokus nehmen.
Der RACER flog erstmals im April und absolviert aktuell eine Testkampagne im Rahmen des zivilen Forschungsprogramms Clean Sky 2. Bei seinem siebten Testflug Ende Juni erreichte der Prototyp eine Spitzengeschwindigkeit von 420 km/h. Airbus setzt beim RACER auf ein Hybridkonzept, bestehend aus einem konventionellen Hauptrotor und zwei Druckpropellern für den Vortrieb, seitlich montiert an kastenförmigen Auslegern. Zur Verfügung stehen maximal 5.000 WPS Leistung, erzeugt von zwei je 2.500 WPS starken Aneto 1X-Triebwerken des französischen Herstellers Safran Helicopter Engines.
Neue Chance für Sikorsky?
Ebenfalls auf eine Kombination aus Hauptrotor und Druckpropeller, allerdings in anderer Gestalt, setzt Sikorsky. Bereits vor über 15 Jahren etablierte die heutige Lockheed Martin-Tochter das Flugschrauber-Konzept X2, mit zwei koaxialen Hauptrotoren und einem zentral am Heck montierten Schubpropeller. Auf dieser Basis entstanden der Kampfhubschrauber-Entwurf Raider X sowie der projektierte Mehrzweckhelikopter Defiant X. Beide Derivate wurden für Wettbewerbe der US Army entwickelt, scheiterten jedoch: Das Programm FARA, bei dem der Raider X gegen den Bell 360 Invictus ins Rennen ging, wurde aus Budgetgründen komplett eingestampft. Im Duell um einen Black Hawk-Nachfolger hatte Sikorsky mit dem Defiant X gegen das Kipprotorflugzeug V-280 Valor von Bell das Nachsehen.
Und noch ein Kipprotorflugzeug
Womit wir beim Stichwort für den dritten Entwurf wären, denn unter der Leitung des italienischen Rüstungsriesen Leonardo wird auch ein Tiltrotor-Konzept bei der NGRC-Konzeptstudie der NATO mitmischen. Mit im Boot sind Bell, General Electric, Hensoldt, MBDA Italia, NLR, Rolls-Royce sowie Safran. Leonardo und Bell haben bereits das – ursprünglich für den zivilen Markt gedachte – Kipprotorflugzeug AW609 weitgehend gemeinsam entwickelt. Der für die NATO optimierte Entwurf wird wohl weitgehend auf der bereits im US Army-Wettbewerb siegreichen V-280 Valor beruhen, die ihrerseits bei Testflügen eine Geschwindigkeit von mehr als 520 km/h erreichte.