Eine bemerkenswerte Neuheit auf der Aircraft Interiors Expo in Hamburg, der weltweit größten Messe für Kabinenausstattung, wurde streng hinter verschlossenen Türen gehalten. Nur ausgewählte Besucher durften Anfang April einen Blick in das Hinterzimmer am Stand des französischen Unternehmens Thales werfen. Zu Gesicht bekamen sie ein besonderes Bordunterhaltungssystem für die Economy- und die Premium-Economy-Klasse: hochformatige LCD-Touchscreens, die mit einer Bildschirmdiagonalen zwischen 21,3 und 26,5 Zoll die halbe Rückenlehne einnehmen. „Digital Sky“ heißt das System, über das Passagiere nicht nur Filme anschauen, sondern auch bequem elektronische Zeitschriften lesen, spielen und sich Informationen zum Flug in einer Moving Map, einer sich bewegenden Landkarte, anzeigen lassen können. Dank Split-Screen-Funktion können mehrere Fenster gleichzeitig geöffnet bleiben. Noch handelt es sich um einen Prototyp, Kunden gibt es bisher keine. Doch bis 2020 könnten laut Thales bei entsprechendem Interesse von Airlines die ersten Systeme auf Langstreckenflügen zum Einsatz kommen.
Mit der Bildschirmgröße von Digital Sky treibt Thales eine Qualität auf die Spitze, die nur ein integriertes Bordunterhaltungssystem mitbringt. Das ist eine mögliche Antwort auf den Trend des „Bring Your Own Device“ (BYOD). Seit die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA und ihr europäisches Pendant EASA von 2013 an die entsprechenden Regelungen sukzessive gelockert haben, nutzen Passagiere zunehmend ihre eigenen mobilen Geräte an Bord.
Bei Thales heißt es, man sehe in BYOD keine Gefahr, sondern eine Ergänzung. Beispielsweise hat Thales eine App im Portfolio, über die der Passagier am Boden einen ersten Vorgeschmack auf die Bordunterhaltung bekommt. Schon vor dem Check-in können Trailer angeschaut und eine Playlist für Filme erstellt werden. Eine ähnliche mobile Applikation hat die US-amerikanische Firma Panasonic Avionics seit rund drei Jahren im Angebot. Doch erst im März konnte mit Singapore Airlines der erste Kunde für die sogenannte „Companion App“ gewonnen werden. Damit ausgestattete Mobilgeräte verbinden sich über das Drahtlos-Netzwerk in der Kabine mit dem Bordunterhaltungssystem. So können zuvor erstellte Playlists für Filme und Musik abgespielt, Infos über das Flugzeug, die Route und das Reiseziel abgerufen und Einkäufe im Duty-Free-Bereich getätigt werden.
Was künftig alles möglich sein könnte, zeigte Panasonic Avionics erstmals in Hamburg mit dem Business-Class-Konzeptsitz namens „Waterfront Seat”: 4K-Monitor mit 24 Zoll, Verbindung des Passagier-Mobilgeräts über Bluetooth 4.0 und NFC (Nahfeldkommunikation), Auflademöglichkeit per Induktion, Steuerung der Bordunterhaltung, der LED-Beleuchtung und der Sitzposition via Smartphone. Abgesehen von solchen Zukunftskonzepten beeinflusst die zunehmende Digitalisierung übrigens auch traditionelle Sitzhersteller. Recaro aus Schwäbisch Hall beispielsweise stellte in Hamburg mit dem BL3710 einen neuen Leichtbausitz für die Economy-Klasse vor, der eine Halterung für Tablet-PCs in die Lehne integriert hat.
Internet als Kriterium bei der Wahl der Airline
Auch wenn die Hersteller im Bereich Inflight Entertainment (IFE) versuchen, Smartphones und Tablets der Fluggäste in ihre Angebote einzubinden, ohne ihre in den Sitz integrierten Systeme überflüssig zu machen, bieten die meisten auch drahtlose Streaming-Lösungen an. Beim US-Konzern Rockwell Collins heißt das entsprechende System PAVES Wireless. Auf einem zentralen Server an Bord befinden sich die Inhalte, über das Kabinen-WLAN können die Fluggäste mit ihren Mobilgeräten darauf zugreifen. Vor allem auf Kurz- und Mittelstrecken, auf denen es bisher keine Bordunterhaltung gab, sind solche Lösungen für Fluggesellschaften eine kostengünstige Möglichkeit, ihren Passagieren einen Mehrwert zu bieten.
„Airlines setzen aus ökonomischen Gründen auf ‚Bring Your Own Device’: Sie sparen sich die Wartung, die immer wieder nötigen Upgrades der Hardware und das Gewicht von integrierten Bordunterhaltungslösungen“, sagt Norbert Müller, Senior Vice President BoardConnect bei Lufthansa Systems. Mit BoardConnect bietet die Lufthansa-Tochter schon seit vier Jahren eine Infotainment-Plattform, mit der Passagiere während des Flugs über eine App Unterhaltungsangebote auf ihre eigenen Geräte streamen können. Als Ergänzung dazu wurde nun die schlankere Hardware-Variante BoardConnect Portable entwickelt, die einen Webserver mit Wireless Access Points in einem einzigen Gerät, der Mobile Streaming Unit (MSU), kombiniert. Eine MSU ist nicht einmal halb so groß wie eine Schuhschachtel, wiegt weniger als 1,5 Kilogramm und ermöglicht bis zu 50 parallele Streams. Weil das Gerät nicht fest im Flugzeug verbaut ist, braucht es keine besondere Luftfahrt-Zulassung. Die flexible und einfach installierbare IFE-Lösung von Lufthansa Systems wurde im Rahmen der Aircraft Interiors Expo in Hamburg mit einem Crystal Cabin Award, dem internationalen Innovationspreis im Bereich Kabinenausstattung, ausgezeichnet.
BoardConnect Portable bietet im Gegensatz zur klassischen Variante keine Internetverbindung. Weil die Software abgesehen vom Betriebssystem identisch ist, kann eine Fluggesellschaft durch neue Hardware allerdings relativ einfach aufrüsten und ihren Passagieren via Satellit Zugang zum weltweiten Netz bieten. Denn die Nachfrage nach einem stabilen Internet während des Flugs nimmt zu. Laut einer Untersuchung des US-amerikanischen Inflight-Internetanbieters Gogo ist für mehr als die Hälfte der befragten Passagiere die Internetverfügbarkeit ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl der Airline. „Es gibt heutzutage wenige Plätze auf der Erde, an denen Menschen keinen Internetzugang haben. Flugzeuge sind der letzte Grenzbereich”, sagt Ash ElDifrawi, Verkaufschef bei Gogo. Besonders außerhalb Nordamerikas, wo Inflight-Konnektivität schon fast zum Standard gehört, sieht die Studie einen großen Markt.
Internet kann über verschiedene Technologien an Bord eines Flugzeuges kommen: über terrestrische Antennen zur Datenübertragung, was jedoch nur über dem Festland funktioniert, oder über Satelliten. Um eine stabile Breitband-Internetverbindung zu garantieren, geht der Trend jedoch zur Satellitenübertragung. Gogo zeigte in Hamburg seine neue 2Ku-Technologie, die zwei Ku-Band-Antennen für Up- und Download nutzt und laut Gogo Geschwindigkeiten bis zu 70 Mbps ermöglicht. Dafür arbeitet das Unternehmen mit den Satellitenbetreibern SES und Intelsat zusammen. Kunden sind unter anderem Japan Airlines, Virgin Airlines und Delta Air Lines. Neben Gogo bieten auch andere Unternehmen Konnektivitätslösungen an, beispielsweise präsentierte der US-Konzern Honeywell auf der Aircraft Interiors Expo sein Satellitenkommunikationsterminal JetWave. Dabei wird auf das Ka-Band-Netzwerk Global Xpress von Inmarsat gesetzt.
Datenübertragungsgeschwindigkeiten bis 50 Mbps sollen so möglich sein. Die momentan drei Inmarsat-Satelliten im All sind nach Angaben von Honeywell ausreichend für eine globale Abdeckung. „Wir liefern die Ausrüstung derzeit an Qatar Airlines, Singapore Airlines und Lufthansa”, sagt Carl Esposito, Vice President Marketing und Produktmanagement bei Honeywell. Lufthansa will vom Sommer an neben den bereits bedienten Langstrecken auch auf Kurz- und Mittelstrecken Internet anbieten. Preise für den neuen Service wurden bisher nicht genannt. Auf der Langstrecke müssen Passagiere 14 Euro für vier Stunden berappen. „Internet an Bord ist für Airlines auch auf der Kurz- und Mittelstrecke ein Must-Have. Aber es wird noch eine ganze Weile als Bezahlservice laufen”, ist Norbert Müller von Lufthansa Systems überzeugt.
Airspace by Airbus

Neben Möglichkeiten der Bordunterhaltung und Konnektivität wurden in Hamburg allerlei Neuheiten präsentiert. Airbus bietet mit seinem Kabinenkonzept Airspace den Fluggesellschaften künftig ganze Ausstattungspakete ab Werk an. Zunächst ist Airspace für die A330neo erhältlich. Erstkunde ist TAP Portugal, die ihr erstes Flugzeug Ende 2017 erhält.
Airspace lehnt sich an das Kabinenkonzept der A350 XWB an und umfasst unter anderem einen neuen Empfangsbereich, LED-Beleuchtung mit 16,7 Millionen Farbstimmungen, bis zu 66 Prozent größere Handgepäckfächer und Waschräume mit berührungslosen Armaturen.
Dandelion von Diehl Aerosystems

Das deutsche Unternehmen macht mit seinem Dandelion-Konzept die ganze Kabine zur Leinwand. In Hamburg zeigte Harald Mehring, Chief Custom Officer bei Diehl, das Projektionssystem an der Decke eines Kabinenmodells.
Mit Dandelion können beispielsweise Jetlag-minimierende Lichtstimmungen erzeugt werden, aber auch Informationen zu Anschlussflügen oder Gepäckausgabe sowie bewegte Bilder an die Kabinendecke, auf Handgepäckfächer oder Trennwände projiziert werden. Man sei in engem Kontakt mit einem Flugzeughersteller, um das System ab Werk anzubieten. Auch eine Nachrüstlösung für Dandelion ist geplant.
Fresh Lavatory von Boeing

Bei der in der Entwicklung befindlichen Bordtoilette von Boeing sorgt UV-Licht dafür, dass innerhalb weniger Sekunden 99,99 Prozent der Keime abgetötet werden.
Das sogenannte ferne UV-Licht ist für Menschen ungefährlich, wird aber nur dann aktiviert, wenn die Toilette nicht besetzt ist. Zudem sollen berührungsfreie Armaturen, Seifenspender, Mülleimer, Klobrille und -deckel sowie Handtrockner die Hygiene verbessern.
Das Konzept erhielt einen der acht angesehenen Crystal Cabin Awards. Bis es aber in einem Flugzeug zum Einsatz kommt, wird es nach Angaben von Boeing noch einige Zeit dauern.
FLUG REVUE Ausgabe 06/2016