Ein Tag auf Europas einzigem Atom-Flugzeugträger Charles de Gaulle

Zu Besuch auf der „Charles de Gaulle“
Ein Tag auf Europas einzigem Atom-Flugzeugträger

Veröffentlicht am 31.08.2024

Es ist ein Traum. Und ein permanenter Adrenalinrausch. So empfindet es auch Major Emmanuel (36), der Jetpilot, den wir bei seinem Einsatz während der NATO-Übung Neptune Strike unweit der Insel Kreta begleiten. Die Übungen, die sich über ganz Europa und das zentrale und östliche Mittelmeer erstrecken, dienen sowohl der Abschreckung als auch der Verbesserung eigener Fähigkeiten. Neben der militärischen Kooperation der Bündnispartner wird bei Neptune Strike auch die Einsatzbereitschaft der nationalen Einheiten getestet. Insgesamt 16 NATO-Staaten beteiligen sich. Darunter spanische, US-amerikanische und türkische Einheiten sowie italienische Schiffe, die hauptsächlich im Golf von Taranto die Abwehr von Luftangriffen übten und sich dabei nebenher auf eine mehrmonatige Mission nach Südost-Asien unter nationaler Flagge vorbereiten. Mit dabei ist auch der italienische Flugzeugträger Guiseppe Garibaldi, der schon bald außer Dienst gestellt wird.

Brücke Flugzeugträger Garibaldi
Lukas Bartkowiak

Flaggschiff der Marine Nationale

In den besten Jahren ist derweil der französische Flugzeugträger Charles de Gaulle (R91) das Flaggschiff der französischen Marine und der einzige nukleargetriebene Flugzeugträger außerhalb der US Navy. Seit 2001 im Dienst, spielt er eine zentrale Rolle in der Projektion französischer Militärmacht auf globaler Ebene. Mit einer Länge von über 260 Metern und einer Besatzung von rund 2.000 Personen können von Bord der Charles de Gaulle rund 40 Flugzeuge und Hubschrauber operieren, darunter Rafale M-Jets und E-2C Hawkeye-Frühwarnflugzeuge – die mit dem charakteristischen (Radar-)Drehteller auf dem Rücken.

Der nukleare Antrieb verleiht dem Träger eine nahezu unbegrenzte Reichweite und Unabhängigkeit. Mit Auslaufen aus der Souda-Bucht von Kreta beweist das riesige Schiff, dass es dank Nuklearantrieb auch ordentlich beschleunigen kann. Es fühlt sich tatsächlich kurzzeitig an wie auf einem Sportboot. Zur Selbstverteidigung ist der Träger mit modernen Raketen- und Rohrwaffensystemen ausgestattet – wird aber 24/7 von Fregatten, Zerstörern und selten sichtbaren U-Booten beschützt.

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Startschuss in der Morgendämmerung

Doch zurück zu Emmanuel: Sein Tag beginnt früh, bisweilen schon lange vor Sonnenaufgang. Er und seine Pilotenkollegen müssen körperlich topfit bleiben. Doch je nach Tagesplanung bleiben manchmal nur die ganz frühen Stunden zum Training. Und das Fitnessstudio kann dann aufgrund der Enge an Bord auch schon mal im Hangar sein, in dem rund um die Uhr die Flugzeuge gewartet und für ihre nächsten Missionen vorbereitet werden. Und so stehen dann Laufbänder und Hantelstangen direkt neben multi-millionen Euro teuren Kampfjets, an denen unentwegt gewerkelt wird.

Nach dem Frühstück geht es für Emmanuel tief in die Katakomben des riesigen, 40.500 Tonnen schweren Schiffes, in den verborgenen Briefing-Raum. Der Weg dorthin führt durch ein Labyrinth aus schmalen Gängen und Treppenhäusern – an Bord Niedergänge genannt.

Briefing in den Tiefen des Stahlschiffs

Im Briefing-Raum angekommen, beginnt sogleich die gründliche Planung, die zu jedem Einsatz, zu jedem Flug gehört. Detailliert wird jede geplante Mission besprochen. Zahlen und mehrfarbige Diagramme füllen nach und nach die Tafeln und Monitore und beschreiben, worin der anstehende Auftrag für die Piloten besteht. Nicht ein Detail wird dem Zufall überlassen.

Je nach Auftrag werden die Maschinen von den Technikern derweil im Hangar und später auf dem Flugdeck vorbereitet. Das umfasst reguläre Safety-Checks, gegebenfalls das Anbringen von Zusatztanks unter den Flügeln für größere Reichweite oder die Bestückung mit Bomben, weitreichenden Raketen oder einfach nur speziellen Kamerabehältern (Pods) für Aufklärungsflüge.

Während Major Emmanuel noch mit seinen Kollegen die Wetterbedingungen, Routen, Ziele, Safety-Maßnahmen und Notfallprozeduren durchgeht, verbringt die Flightdeckcrew seine Maschine mit dem Aufzug vom Hangar auf das darüberliegende Flugdeck – begleitet vom schrillenden Ton der Warnsirene. Niemand soll schließlich in den offenen Aufzugschacht von der Größe eines Tennisplatzes fallen. Oben angekommen, bereitet die Mannschaft auf dem Flugdeck seine Dassault Rafale M abschließend für den Start vor.

Ankleiden im "Tiger Room"

Sind die theoretischen Vorbesprechungen erledigt, geht es für Emmanuel unter Deck in den Ankleideraum. Spind reiht sich an Spind. Die Luft in dem winzigen Raum erinnert an die Umkleide beim Schulsport. "Deshalb nennen wir diesen Raum auch Tiger Room" erzählt der Jetpilot lachend. So schweißtreibend das Anziehen des Anti-g-Anzugs in der eh schon dämpfigen Luft der unteren Decks des Flugzeugträgers ist, so unumgänglich ist es. In Extremsituationen mit schnellen Richtungswechseln, steilen Kurven und hohen Beschleunigungen wirken Kräfte von bis zu 9 g auf den Körper des Piloten ein. In solchen Situationen füllt sich der g-Suit automatisch mit Druckluft und unterstützt so den Kreislauf indem er das Absacken des Blutes in die Beine verhindert.

Endlich im Anti-g-Anzug und mit kompletter persönlicher Ausrüstung ausgestattet, betritt der Major das Flugdeck. Zusammen mit dem Flugdeckpersonal checkt er rund um die Rafale noch einmal alle Systeme. Dann, während der letzten Minuten vor dem Start im Cockpit heißt es absolute Fokussierung und Konzentration. Auch hier werden alle Instrumente akribisch gecheckt. Nichts darf ablenken, "die Umwelt wird quasi ausgeblendet und jede einzelne Gehirnzelle ist nur auf den kommenden Flug konzentriert", schildert Major Emmanuel die Situation. Dann rollt die Rafale zum Startpunkt, geleitet in genauso höchster Konzentration von den Marshallern und allen anderen für die Vorbereitung der Flieger zuständigen Spezialisten auf dem Flugdeck.

Die Maschine wird im Haken des Katapults eingehakt, und noch einmal checken die Controller unter den Flügeln hockend alles auf etwaige Unregelmäßigkeiten. Direkt hinter der Maschine fährt in Sekundenschnelle der (wassergekühlte!) Abweiser hoch. Eine riesige Stahlplatte, die die in der Startreihenfolge wartenden Jets vor dem unglaublich heißen Abgasstrahl der startenden Maschine schützt. Dann gibt der keine zehn Meter neben der startbereiten Rafale stehende "Shooter" das Signal: "thumbs up, ready for take-off". Major Emmanuel schiebt den Hebel auf Vollgas. Ein infernalischer Lärm erfüllt augenblicklich das gesamte Flugdeck. Im nächsten Moment schießt das Katapult die Maschine mit schier unbändiger Kraft in den Himmel. Der gesamte Start dauert dank des unter dem Flugdeck verborgenen Katapults nur wenige Sekunden. Drei, um genau zu sein. Drei Sekunden brachiale Beschleunigung, wie es sie kaum anderswo auf der Welt gibt. Ein"unvergleichlicher Moment", jedes Mal aus Neue, wie der französische Pilot erklärt. Innerhalb von Minuten hat die Rafale dann ihre Flughöhe erreicht. Dann werden akribisch die besprochenen Manöver durchgeführt.

Alltag auf dem französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle
Andrea Ege

Zentimeter entscheiden

Dauer und Auftrag der Flüge variieren meist täglich. Aber egal, ob es sich um echte Einsätze oder Training handelt, jede Sekunde im Cockpit erfordert höchste Konzentration. "Präzision und Entscheidungsschnelle stehen immer im Fokus. Es ist während des Fliegens unmöglich, auch nur eine Sekunde an etwas anderes zu denken", unterstreicht Emmanuel. Bis zur Landung, dem anspruchsvollsten Teil des Fluges, die auch mit größter Routine doch jedes Mal wieder eine Herausforderung ist.

Maximal 226 Meter Länge stehen auf der Charles de Gaulle als Landebahn zur Verfügung. Und je höher die Wellen, desto stärker bewegt sich auch das Flugdeck mitsamt der drei stählernen Fangseile auf und ab. Sie bremsen die Kampfflieger in Sekunden von 250 km/h auf null – sofern der faustgroße Haken eines der Seile erwischt. Beim Touchdown gibt der Pilot übrigens sofort wieder Vollgas, um durchstarten zu können, sollte er tatsächlich mit dem Fanghaken alle drei Seile verfehlen. Und so kommen die Maschinen mit heulenden Triebwerken zum Stillstand, um sofort abzurollen und Platz für die Nachfolgenden zu machen.

Alltag auf dem französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle
Andrea Ege

Drei griechische Göttinnen

Die Crew der Charles de Gaulle gab den drei Fangseilen übrigens Namen: Athena, Aphrodite und Andromeda. Athena, Göttin der Weisheit, des Krieges und der Handwerkskunst, steht für die taktische Präzision, die nötig ist, um das erste Fangseil zu erwischen. Aphrodite, das mittlere, ist für die Piloten das beliebteste – so wie die Göttin der Liebe, die gerne und oft geküsst werden möchte. Andromeda, das dritte, steht für die "letzte Chance" – symbolisiert durch die mythologische Prinzessin, die an einen Felsen gekettet war und auf ihre Rettung wartete.

In den letzten Sekunden des Fluges, dem final approach, hält Major Emmanuel exakt auf die Landebahn der Charles de Gaulle zu. Erst winzig und vermeintlich weit entfernt, wie eine wankende Zielscheibe, schaukelt der dunkle Flugzeugträger in der blauen See. Innert Sekunden wird er jedoch größer und größer und der Fokus des Piloten wechselt, sobald sie sichtbar werden, zu den quer gespannten Stahlseilen am Aufsetzpunkt des Flugdecks. Der Spielraum beträgt während des immer noch rasant schnellen Anfluges nur wenige Zentimeter: "Die Anspannung kurz vor dem Aufsetzen ist unbeschreiblich, aber das Gefühl der Erleichterung hinterher auch".

Auch nach dem Aufsetzen ist das Feierabendbier noch weit weg. Erst einmal folgt das Debriefing. Was war gut, was könnte besser laufen? Wie funktionierte die Zusammenarbeit mit den anderen Einheiten des NATO-Verbandes? Konnte der Auftrag erfolgreich erledigt werden? Major Emmanuel erklärt: "Jeder Flug hat auch einen Lerneffekt und wir dürfen uns nicht scheuen, auch Fehler und Schwächen offen anzusprechen".

Alltag auf dem französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle
Andrea Ege

Wenig Freizeit

Erst nach dem Abendessen kommt der Jetpilot zur Ruhe. Heute steht für ihn kein weiterer Flug an. Gemeinsam lassen er und seine Kameraden in der elegant eingerichteten Offiziermesse den Tag bei typisch französischer Cuisine Revue passieren. Später zieht sich Emmanuel in seine spartanische Kajüte zurück, die er mit einem anderen Piloten teilt. Die meisten Abende, so erzählt er, kommuniziert er digital mit seiner Familie oder Freunden. Zwar wird die Kameradschaft auf einem Flugzeugträger großgeschrieben und diese Bindung hilft, die harten Bedingungen zu meistern. Aber doch vermisst er seine Liebsten zuhause bei jeder neuen, oft mehrmonatigen Mission. "Aber das ist eben Teil meines Jobs", sagt er schulterzuckend. "Eintauschen würde ich ihn trotzdem nie."