Palmdale in Kalifornien, 11. Mai 1964. Vor der Werkshalle von North American wartet eine Menschentraube. Die Spannung kocht fast über, als sich unter dem blauen Himmel langsam die Tore öffnen und den Blick freigeben auf ein Flugzeug, das alle Dimensionen sprengt. Kurz darauf zieht ein gelber Schlepper die XB-70 Valkyrie ins Freie. Ihr eleganter, strahlend weißer Rumpf leuchtet in der Sonne. Hier steht es nun, das weiße Monster: brachialer, gewaltiger und mit Abstand teurer als jedes Flugzeug vor ihm.
Superlativ der Luftfahrtgeschichte
Ein Superlativ der Luftfahrtgeschichte – und eine gigantische Fehlinvestition. Denn als die XB-70 sich an diesem Tag zum ersten Mal der Öffentlichkeit zeigt, ist ihr Schicksal bereits besiegelt. Mehr als zwei Prototypen, das ist klar, wird es von der Valkyrie nicht geben. Dabei war etwas ganz anderes geplant gewesen: 250 B-70 wollte die USAF eigentlich beschaffen, als Nachfolgerfür die Boeing B-52 Stratofortress. Doch während die B-52 auch 60 Jahre später noch zum Inventar der Air Force zählt, endet die XB-70 bereits 1969 im Museum. Sie war einfach zu teuer.
Ein ehrgeiziges Ziel
Geld scheint Mitte der 50erJahre allerdings noch keine Rolle zu spielen, als General Curtis LeMay, der Kommandeur des USAF Strategic Air Command, einen neuen Atombomber fordert. Das ehrgeizige Ziel: interkontinentale Reichweite bei Überschall-Marschgeschwindigkeit. North American entwickelt seinen Entwurf schließlich zur B-70 weiter, einem Mach 3 schnellen Bomber mit Deltaflügel, doppeltem Seitenleitwerk, Canards am Bug und sechs aus dem J79 entwickelten J93-3-Turbojet-Triebwerken von GE.
Premiere im Flugzeugbau
Als erstes Flugzeug überhaupt nutzt die B-70 den Kompressionsauftrieb: Der riesige Lufteinlauf ist so unter den Tragflächen platziert, dass die an der Vorderkante auftretende Schockwelle im Überschallflug als Auftriebshilfe dient. Variable Flügelspitzen, die sich um maximal 65 Grad absenken lassen, unterstützen den Effekt und verleihen der Valkyrie mehr Stabilität. Deren Zelle muss bei Mach 3 enormen Temperaturen standhalten. Deshalb kommt neben Edelstahl und Titan auch das nickelbasierte Material René 41 zum Zug – eine Premiere im Flugzeugbau.

Raketen stechen die Bomber aus
All die Forschung, die neuen Materialien und weitere Hürden lassen die Kosten für die B-70 jedoch in ungekannte Höhen schnellen. Dazu gesellt sich um 1960 die Sichtweise, dass die teuren Bomber einem zu hohen Risiko durch die Bedrohung neuer Flugabwehrraketen ausgesetzt sein würden und Interkontinentalraketen ihre Aufgaben übernehmen könnten. 1961 streicht die US-Regierung das Projekt in seiner geplanten Form. Stattdessen gibt sie drei Erprobungsflugzeuge in Auftrag.
Fortan heißt das Muster XB-70. Zwei dieser Flugzeuge, AV1 und AV2, werden tatsächlich gebaut, der Prototyp AV3 bleibt 1964 kurz vor der Endmontage stecken. Die Valkyrie AV1 startet am 21. September 1964 zum Erstflug, AV2 folgt am 17. Juli 1965. Nach einigen Pannen und Problemen zum Anfang verlaufen die Flugtests mit den weißen Giganten weitgehend plangemäß. Am 3. Januar 1966, auf ihrem 17. Flug, erreicht die AV2 mit den Piloten Al White und Joe Cotton Mach 3.05. In nur 33 Minuten überquert sie acht US-Bundesstaaten und legt rund 4350 Kilometer zurück. Am 12. April 1966 verbessern White und Cotton mit der AV2 die Marke auf Mach 3.08.

Die Katastrophe
Dann die Katastrophe: Am 8. Juni 1966 stürzt die AV2 nach der Kollision mit einer F-104 während eines Fotoflugs ab. Al White, der an diesem Tag abermals am Steuer der Valkyrie sitzt, kann sich mit der bordeigenen Rettungskapsel herausschießen. Sein Copilot Carl Cross, erst kurz zuvor zum XB-70-Testprogramm gestoßen, schafft es nicht. Fortan bestreitet die AV1 den Rest des Testprogramms allein. Dessen Vorhang fällt schließlich Anfang 1969. Am 4. Februar fliegen die Piloten Fulton und Sturmthal die XB-70 nach Dayton in Ohio. Dort steht die einzige erhaltene Valkyrie seither im Museum der USAF, wo sie in ihrer Halle alle übrigen Exponate überragt.
Technische Daten
North American XB-70A Valkyrie
Allgemeine Angaben:
Hersteller: North American Aviation (USA)
Typ: Strategischer Atombomber
Besatzung: 2
Antrieb: 6 x General Electric YJ93-GE-3
Schub: 6 x 124,6 kN
Abmessungen: Länge: 56,39 m
Höhe: 9,14 m
Spannweite: 32,00 m
Flügelfläche: 585 m²
Massen: Kraftstoff: 140 000 kg
maximale Startmasse: 245 847 kg
Flugleistungen:
Höchstgeschwindigkeit: 3250 km/h
Dienstgipfelhöhe: 23 575 m
Reichweite: 6900 km